Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 135/2003
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K 135/03

Urteil vom 24. Februar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

F.________, 1982, Beschwerdeführer, vertreten durch die Protekta
Rechtsschutz-Versicherung AG,  Monbijoustrasse 68, 3007 Bern,

gegen

KPT/CPT Krankenkasse, Tellstrasse 18, 3014 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 22. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1982 geborene F.________ ist bei der KPT/CPT Krankenkasse (nachfolgend
KPT) krankenversichert. Er liess sich am 11. Januar 2000 durch Dr. med. Dr.
med. dent. X.________ seine vier Weisheitszähne entfernen. Nach Beizug ihres
Vertrauenszahnarztes lehnte die KPT mit Verfügung vom 26. April 2000 die
Übernahme der Kosten für die Behandlung der Weisheitszähne aus der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung ab. Mit Einspracheentscheid vom 7.
Februar 2001 hielt die Krankenkasse nach Einholung einer weiteren
Stellungnahme des Vertrauenszahnarztes an ihrem Standpunkt fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 22. September 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt F.________ die Übernahme der
Zahnbehandlungskosten in der Höhe von Fr. 3619.15 durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung sowie die Erstattung der Kosten für die
Gutachtenserstellung durch Dr. med. Dr. med. dent. X.________ von Fr. 520.80
beantragen.

Die KPT schliesst nach erneutem Beizug des Vertrauenszahnarztes auf Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung,
Abteilung Krankenversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für
Gesundheit), verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier:
7. Februar 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

2.
Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für
zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in
Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17-19 KLV), namentlich für
solche, die durch eine schwere nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems in
Form verlagerter Zähne mit Krankheitswert (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in
Verbindung mit Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV) bedingt sind, zutreffend
dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Richtig sind auch die Ausführungen
zur Rechtsprechung über das Erfordernis eines qualifizierten Krankheitswertes
in Art. 17 KLV (BGE 130 V 467 Erw. 3.2 mit Hinweisen).

3.
3.1 Was die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für
zahnärztliche Behandlungen, die durch eine schwere nicht vermeidbare
Erkrankung des Kausystems bedingt sind, anbelangt, unterscheidet Art. 17 lit.
a Ziff. 2 KLV nicht zwischen der Behandlung von Weisheitszähnen und von
anderen Zähnen. Die Behandlungskosten sind von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmen, wenn die Zähne verlagert sind und
das Leiden Krankheitswert erreicht, wobei als Beispiele für einen solchen
Krankheitswert in Klammern der Abszess und die Zyste genannt werden.

Die Leistungspflicht für die Behandlung von verlagerten Weisheitszähnen ist
demzufolge bei Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes
gleich zu beurteilen wie diejenige für die Behandlung anderer verlagerter
Zähne. Dieser qualifizierte Krankheitswert beinhaltet im Wesentlichen zwei
Elemente, nämlich einerseits die Pathologie mit einer Gefährdung des Lebens
oder einer Beeinträchtigung der Gesundheit und andererseits die notwendigen
Massnahmen, um die Gefährdung oder Beeinträchtigung zu beseitigen oder
zumindest zu verringern (BGE 130 V 468 Erw. 4.1). So haben auch die Experten
den qualifizierten Krankheitswert verneint, wenn ein pathologisches Geschehen
mit einfachen Massnahmen behoben werden kann.

3.2 Im oben zitierten Urteil hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
dargelegt, dass verlagerte Weisheitszähne gemäss Ansicht der beigezogenen
Experten gegenüber andern verlagerten oder überzähligen Zähnen insofern eine
besondere Stellung einnehmen, als sie von ihrer topografischen Lage her
besonders häufig Lage-Anomalien zeigen. Entwicklungsgeschichtlich hat dazu
beigetragen, dass der Kiefer des Menschen kleiner, die Zähne grösser geworden
sind, sodass der Platz auf dem Kieferknochen für die Zähne, namentlich für
die hintersten, nicht mehr ausreicht. Neben der Abweichung von der Lage ist
oft eine solche von der Achse festzustellen, wodurch Nachbarstrukturen
geschädigt werden können. Aus diesen Gründen geben die Weisheitszähne häufig
Anlass zu entzündlichen Komplikationen und Zystenbildungen, die wegen ihrer
Lage schwerwiegende Folgen haben können wie einen Durchbruch von Abszessen in
anatomischen Logen von vitaler Bedeutung oder eine Spontanfraktur des
Unterkiefers infolge Schwächung durch grosse Zysten (BGE 130 V 469 Erw. 4.2
mit Hinweis).

3.3 Bei der Behandlung verlagerter Weisheitszähne ist zudem die Besonderheit
zu berücksichtigen, dass diese entfernt werden, ohne dass an ihrer Stelle ein
Ersatz (z.B. Implantat) als tunlich erscheint, während andere verlagerte
Zähne nicht ersatzlos entfernt werden können, sondern durch zahnärztliche
Massnahmen zu erhalten sind oder an ihrer Stelle eine Ersatzlösung zu suchen
ist, um die Kaufunktion aufrecht zu erhalten.

3.4 Aufgrund der geschilderten Unterschiede kann demzufolge, wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht im zitierten BGE 130 V 464 dargelegt hat,
bei verlagerten Weisheitszähnen und anderen verlagerten Zähnen bei
identischer Pathologie der qualifizierte Krankheitswert im oben umschriebenen
Sinn nicht gleich beurteilt werden. Um an die Übernahme der Kosten für die
Behandlung verlagerter Weisheitszähne nicht geringere Anforderungen an die
Schwere des Leidens zu stellen als für die Behandlung anderer verlagerter
Zähne, kann bei Weisheitszähnen nicht jede Pathologie genügen, die bei andern
verlagerten Zähnen die Übernahme rechtfertigt. Eine Pathologie wie
beispielsweise eine Zyste oder ein Abszess, sofern ohne grossen Aufwand
behandelbar, macht die Entfernung eines Weisheitszahnes nicht zur Behandlung
einer schweren Erkrankung des Kausystems im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a
KVG in Verbindung mit Art. 17 KLV. Anders ist es zu halten, wenn entweder die
Entfernung des verlagerten Weisheitszahnes wegen besonderer Verhältnisse oder
die Behandlung der Pathologie schwierig und aufwändig ist (vgl. BGE 127 V
328; RKUV 2002 Nr. KV 202 S. 91, K 12/01).

3.5 Die versicherte Person und der sie behandelnde Arzt haben dem
Krankenversicherer alle medizinischen Grundlagen dafür zu liefern, dass er
die Voraussetzungen für die Leistungspflicht prüfen kann. Werden gleichzeitig
mehrere Weisheitszähne entfernt, ist der Nachweis für jeden Weisheitszahn zu
erbringen (BGE 130 V 470 Erw. 5 mit Hinweis).

4.
4.1 Dr. med. Dr. med. dent. X.________ diagnostizierte im Zahnschadenformular
vom 11. Januar 2000 pericoronale Infekte und follikuläre Zysten mit
chronischer Entzündung bei verlagerten Weisheitszähnen 18, 28, 38 und 48. Die
Mutter des Beschwerdeführers wies zudem im Schreiben vom 24. Februar 2000
darauf hin, dass der Versicherte während Jahren an Asthma gelitten habe und
durch ganzheitliche Behandlung von dieser Krankheit habe geheilt werden
können. Infolge der Schmerzen habe der behandelnde Arzt die Extraktion der
Weisheitszähne empfohlen. In der Ergänzung der Beschwerde an das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern vom 28. Februar 2001, im Bericht zuhanden
der Protekta Rechtsschutz-Versicherung AG vom 28. Januar 2002 sowie in der
Stellungnahme zum vorinstanzlichen Entscheid vom 10. Oktober 2003
schliesslich umschrieb Dr. med. Dr. med. dent. X.________ den Krankheitswert
als rezidivierende pericoronale Infekte, ausstrahlende Schmerzen durch Druck
der noch wachsenden Wurzeln der eingekeilten unteren Weisheitszähne auf den
Mandibularkanal, infektbedingte Kieferklemme, chronische Entzündung beidseits
im Bereich der follikulären Zysten und einer Störung der normalen
Gebissentwicklung in Form von Denudierung von Zahnhals und Wurzeln der
angrenzenden Zähne sowie Verdrängung der angrenzenden Zähne mit beginnender
Engstandbildung im Frontzahnbereich.

4.2 Nach Beizug des Vertrauenszahnarztes lehnte die KPT die Übernahme der
Behandlungskosten ab im wesentlichen mit der Begründung, es liege keine
Verlagerung der Weisheitszähne im Sinne von Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV und
keine Zyste gemäss Art. 17 lit. c Ziff. 4 KLV vor. Zudem stelle das Asthma,
welches sich nach Angaben der Eltern des Versicherten nach der Entfernung der
Weisheitszähne gebessert habe, keine der in Art. 18 KLV abschliessend
aufgezählten Allgemeinerkrankungen dar, welche eine Leistungspflicht für
zahnärztliche Behandlungen auslöse.

4.3 Die Vorinstanz würdigte die verschiedenen medizinischen Berichte und kam
ebenfalls zum Schluss, dass das Vorliegen einer Verlagerung für keinen
Weisheitszahn mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit erstellt sei, sodass die Frage des qualifizierten
Krankheitswertes in Form von Zysten offen gelassen werden könne.

4.4 Was zunächst die Verlagerung der Weisheitszähne anbelangt, sind sich der
behandelnde Arzt und der Vertrauenszahnarzt der Krankenkasse nicht einig. Dr.
med. Dr. med. dent. X.________ führt aus, die oberen Weisheitszähne lägen
radiologisch dorsal der Tangente ans Tuber, klinisch ausserhalb der Gingiva
unter der beweglichen Schleimhaut mit mässiger Abweichung von der Zahnachse,
die unteren Weisheitszähne befänden sich im aufsteigenden Unterkieferast,
radiologisch distal der Tangente an den Vorderrand des Ramus aszendens,
klinisch weit ausserhalb der Gingiva unter der beweglichen Schleimhaut des
aufsteigenden Unterkieferastes mit stark ausgeprägter Abweichung von der
Zahnachse. Demgegenüber hält Dr. med. dent. Y.________ die vier
Weisheitszähne für altersentsprechend normal entwickelt, am richtigen Platz
und keineswegs ausserhalb der Zahnreihe stehend. Die Frage der Verlagerung
der Weisheitszähne kann indessen offen bleiben, weil die Pathologie und die
notwendigen Massnahmen zu deren Beseitigung oder Verringerung für das
Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes nicht
ausreichen. Die Behandlung bestand im Wesentlichen in der Entfernung der
Weisheitszähne sowie in einer Konsultation vor und vier Konsultationen nach
dem Eingriff. Weder kann eine Verdrängung der Zähne mit beginnender
Engstandbildung im Frontzahnbereich noch ein besonderer Druck auf den
Mandibularkanal als erstellt gelten. Selbst wenn die vom behandelnden Arzt
geltend gemachte Pathologie vorhanden gewesen wäre, konnte sie durch die
Entfernung der Weisheitszähne behoben werden, ohne dass ein Ersatz der
entfernten Zähne oder andere aufwändige Massnahmen notwendig geworden wären.
Schliesslich fehlen jegliche Anhaltspunkte für irgendwelche Schwierigkeiten
oder besondere Komplikationen bei der Entfernung der Weisheitszähne, sodass
in Anbetracht der Rechtsprechung die Voraussetzungen für eine diesbezügliche
Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht erfüllt
sind. Bei diesem Ausgang des Verfahrens kann offen bleiben, ob für die
Behandlung die Dienste eines Spitals, gar unter Beizug eines Assistenten, in
Anspruch genommen werden mussten.

4.5 Der Vollständigkeit halber ist zum früher vorgebrachten Argument des
Beschwerdeführers, das Asthma habe sich nach der Entfernung der
Weisheitszähne gebessert, festzuhalten, dass unter diesem Gesichtspunkt die
Frage einer allfälligen Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin im
Einspracheentscheid nicht anhand von Art. 18 KLV, sondern vielmehr von Art.
19 KLV zu prüfen ist. Während Art. 18 KLV die Übernahme der Kosten
zahnärztlicher Behandlungen regelt, die durch eine der abschliessend
aufgezählten Allgemeinerkrankungen oder ihre Folgen bedingt und zur
Behandlung des Leidens notwendig sind, umfasst Art. 19 KLV die
Leistungspflicht für zahnärztliche Behandlungen, die zur Unterstützung und
Sicherstellung der ärztlichen Behandlung einiger abschliessend aufgezählter
schwerer Allgemeinerkrankungen notwendig sind. Da das Asthma in Art. 19 KLV
nicht erwähnt ist, ist eine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung für die Zahnbehandlung im Ergebnis auch unter dem
Gesichtspunkt einer schweren Allgemeinerkrankung zu Recht verneint worden.

5.
Der Beschwerdeführer lässt die Rückerstattung der Kosten für die Gutachten
des behandelnden Arztes in der Höhe von Fr. 520.80 beantragen.

Nach der Rechtsprechung sind einer vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht obsiegenden Partei, die sich auf ein privates Gutachten
stützt, alle notwendigen Expertenkosten im Rahmen der Parteientschädigung zu
ersetzen (BGE 115 V 63 Erw. 5c; RKUV 2000 Nr. U 362 S. 44 Erw. 3b). Da die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen wird, hat der Beschwerdeführer als
unterliegende Partei keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 24. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: