Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 131/2003
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K 131/03

Urteil vom 16. Juni 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

S.________, 1941, Beschwerdeführerin,

gegen

VISANA, Weltpoststrasse 19/21, 3000 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 16. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1941 geborene S.________ war bei der Visana obligatorisch
krankenpflegeversichert. In der Zeit vom 15. November 1999 bis 4. Dezember
2000 stand sie bei Dr. med. et Dr. med. dent. C.________ für die Abklärung
von unklaren Gesichts- und Augenschmerzen sowie für die Entfernung einer
radikulären Zyste bei Zahn 12 in Behandlung. Nach Beizug des Vertrauensarztes
Dr. med. et Dr. med. dent. L.________ übernahm die Visana mit Verfügung vom
26. März 2001 die Kosten für die Abklärung des Gesichts- und Augenschmerzes
in der Höhe von Fr. 183.- (Rechnung vom 18. Dezember 1999) als ärztliche
Heilanwendung (Diagnosefindung) aus der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung sowie den Betrag für das Ausfüllen des Formulars
"Zahnschäden gemäss KVG" von Fr. 68.20 (Pos. 4040 auf der Rechnung vom 31.
Juli 2000). Gleichzeitig verneinte die Krankenkasse eine Leistungspflicht für
die Behandlung bei Dr. med. et Dr. med. dent. C.________ ab 12. Januar bis 4.
Dezember 2000 (Rechnungen vom 24. Januar 2000 im Betrag von Fr. 386.30 und
Fr. 73.50 und vom 31. Juli 2000 im Betrag von Fr. 599.25 (mit Ausnahme der
erwähnten Vergütung für das Ausfüllen des Formulars) sowie für die
Untersuchung im Labor B.________ im Betrag von Fr. 90.90. Nach erneutem
Beizug des Vertrauensarztes hielt die Visana mit Einspracheentscheid vom 28.
Juni 2001 an ihrem Standpunkt fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 16. September 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde und einer Beilage des Dr. med. et Dr. med.
dent. C.________ beantragt S.________ die Übernahme der Kosten für die
fachärztliche Abklärung, für die Zystenoperation und Nachbehandlung sowie für
die histopathologische Untersuchung.

Die Visana schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Krankenversicherung (seit 1.
Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Am 13. Januar 2004 reicht S.________ eine weitere Stellungnahme ihres
behandelnden Arztes vom 7. Januar 2004 ein.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über die
Abgrenzung zwischen ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung (Art. 25 und 31
KVG; BGE 128 V 145 Erw. 4 mit Hinweisen) sowie über die Übernahme der Kosten
für zahnärztliche Behandlungen durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG
i.V.m. Art. 33 lit. d KVV, Art. 17 bis 19a KLV) zutreffend dargelegt. Darauf
kann verwiesen werden. Richtig ist insbesondere, dass gemäss ständiger
Rechtsprechung die in Art. 17 bis 19a KLV erwähnten Erkrankungen, welche von
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmende zahnärztliche
Behandlungen bedingen, abschliessend aufgezählt sind (BGE 129 V 83 Erw. 1.3
und 279 Erw. 3.2). Zutreffend ist schliesslich, dass das am 1. Januar 2003 in
Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 für die Beurteilung des
vorliegenden Falles nicht anwendbar ist.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Kosten im Zusammenhang mit der Entfernung
der Zyste (inkl. Untersuchung und Nachbehandlung) von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind.

2.1 Die Versicherte und ihr behandelnder Arzt Dr. med. et Dr. med. dent.
C.________ stellten sich im vorinstanzlichen Verfahren im wesentlichen auf
den Standpunkt, die Zyste habe ausserhalb des Parodonts gelegen, weshalb für
die extraodontoparodontale Behandlung eine Leistungspflicht im Sinne von Art.
25 KVG gegeben sei.

2.2 Die Krankenkasse demgegenüber hielt gestützt auf die Berichte ihres
Vertrauensarztes Dr. med. et Dr. med. dent. L.________ daran fest, dass
lediglich die ärztliche Abklärung des Gesichts- und Augenschmerzes sowie das
Ausfüllen des Formulars "Zahnschäden gemäss KVG" der Leistungspflicht
unterliegen, wohingegen die Behandlung und Entfernung der in Verbindung mit
einem Zahn stehenden Zyste eine nicht leistungspflichtige zahnärztliche
Behandlung im Sinne von Art. 31 Abs. 1 KVG darstelle.

2.3 Die Vorinstanz hat zunächst geprüft, ob die Entfernung der Zyste eine
ärztliche oder eine zahnärztliche Behandlung darstellt und ist unter Hinweis
auf das Urteil L. des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 19. Dezember
2001, K 111/99, zum Schluss gekommen, aufgrund des unbestrittenermassen
gegebenen Bezugs der entfernten Zyste zu Zahn 12 und der damit bestehenden
Verbindung zu einem Zahn liege eine zahnärztliche Behandlung vor, für welche
durch Umkehrschluss aus Art. 17 lit. c Ziff. 4 KLV eine Kostenpflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu verneinen sei.

2.4 Im vorliegenden Verfahren berufen sich nun die Beschwerdeführerin und ihr
behandelnder Arzt ebenfalls auf das erwähnte Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts und machen geltend, die entfernte Zyste habe die enge
Verbindung mit dem Zahnelement verlassen und sich weit über ihren Ursprung
entwickelt, weshalb eine leistungspflichtige ärztliche Behandlung gegeben
sei.

3.
Im Urteil L. vom 19. Dezember 2001 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht klargestellt, dass eine radikuläre Zyste an der
Wurzelspitze eines Zahnes liegt und damit im Zusammenhang mit einem
Zahnelement steht. Ob deren Behandlung als ärztliche oder als zahnärztliche
zu qualifizieren sei, könne nicht davon abhängen, ob man die radikuläre Zyste
als innerhalb oder ausserhalb des Parodonts lokalisiert ansehe. Wichtiger
erscheine vielmehr die enge Verbindung zwischen Zahnelement und Zyste, wobei
die Zyste meist nicht Ursache des Zahnschadens, sondern dessen Folge sei und
deren Behandlung oft im Zusammenhang mit der Behandlung des Zahnschadens
vorgenommen werde. Wegen dieser engen Verbindung sei die Behandlung der
radikulären Zyste grundsätzlich als zahnärztliche Behandlung anzusehen und
unterliege durch Umkehrschluss aus Art. 17 lit. c Ziff. 4 KLV nicht der
Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Anders
verhalte es sich indessen, wenn sich eine solche Zyste weit über ihren
Ursprung entwickle und die enge Verbindung mit dem Zahnelement verlasse,
sodass deren Behandlung eine ärztliche sei.

4.
An der in Erw. 3 hiervor dargelegten Rechtsprechung ist festzuhalten.
Insbesondere bleibt der Umstand, dass Zysten im Zusammenhang mit
Zahnelementen ausserhalb des Parodonts liegen, für die Frage der
Kostenpflicht unerheblich. Dies geht denn auch aus dem Wortlaut von Art. 17
KLV hervor, indem von Zysten als Erkrankung des Kieferknochens und der
Weichteile (lit. c) und nicht als Erkrankung des Parodonts (lit. b) die Rede
ist. Im Urteil L. vom 19. Dezember 2001 durchbrach die Zyste den
Kieferknochen, mündete in die Kieferhöhle aus und führte zu einer Sinusitis
maxillaris. Im vorliegend zu beurteilenden Fall hat ein solcher Durchbruch
durch den Knochen nicht stattgefunden, auch wenn die Zyste - wie Dr. med. et
Dr. med. dent. C.________ dartut - grösser war als im zitierten Urteil.
Vielmehr steht die Zyste in Beziehung zu Zahnwurzel 12 und hat die enge
Verbindung mit dem Zahnelement nicht verlassen, sodass die Leistungspflicht
der Krankenversicherung für die Entfernung der Zyste zu Recht verneint worden
ist.

5.
Wenn Dr. med. et Dr. med. dent. C.________ im
Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren nachträglich das Vorliegen einer
Orbitaphlegmone geltend macht, vermag diese nachgeschobene Begründung nicht
zu überzeugen. Der Arzt selber spricht einmal von einer beginnenden (S. 6 der
Beilage zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 7. Oktober 2003) und hernach
von einer drohenden Orbitaphlegmone (S. 9 der erwähnten Beilage). Nachdem
auch der Vertrauensarzt der Beschwerdegegnerin in seiner Eingabe vom 3.
Dezember 2003 eine Orbitaphlegmone nicht als ausgewiesen ansieht, kann das
Eidgenössische Versicherungsgericht eine solche nicht als mit dem
erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als erstellt
betrachten, sodass die nachträglich vorgebrachte Argumentation am Ergebnis
nichts ändert.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 16. Juni 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: