Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 120/2003
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K 120/03

Urteil vom 10. Februar 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

R.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Protekta
Rechtsschutz-Versicherung AG, JurService, Monbijoustrasse 68, 3007 Bern,

gegen

KPT/CPT Krankenkasse, Tellstrasse 18, 3014 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern,

(Entscheid vom 28. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1977 geborene R.________ ist bei der KPT/CPT Krankenkasse (nachfolgend
KPT) krankenversichert. Sie liess sich am 19. März 2001 durch Dr. med. Dr.
med dent. S.________ die Weisheitszähne 18 und 48 entfernen und reichte der
KPT für die entsprechenden Leistungen drei Rechnungen ein, wobei Dr. med. Dr.
med dent. S.________ die eine Zahnextraktion auf der Rechnung vom 21. April
2001 (Zahn 18) als Nicht-Pflichtleistung qualifizierte. Mit Verfügung vom 23.
Oktober 2001 lehnte die KPT nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes Dr. med.
dent. Z.________, die Übernahme der Kosten für die Behandlung bei Dr. med.
Dr. med dent. S.________ vom 28. Februar bis 19. März 2001 aus der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung ab. Am 15. November 2001 erfolgte
die Entfernung der Weisheitszähne 28 und 38, deren Kostenübernahme die KPT
wiederum nach Rücksprache mit ihrem Vertrauenszahnarzt mit Verfügung vom 3.
April 2002 ablehnte. Mit Entscheid vom 3. Mai 2002 wies die KPT die gegen die
beiden Verfügungen erhobenen Einsprachen ab und verneinte eine
Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für die
Entfernung der Weisheitszähne 28, 38 und 48.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 28. August 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt R.________ die Übernahme der
Zahnbehandlungskosten in der Höhe von Fr. 2078.75 durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung sowie die Erstattung der Kosten für die
Gutachtenserstellung durch Dr. med. Dr. med dent. S.________ von Fr. 297.60
beantragen.

Die KPT schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Krankenversicherung (seit 1.
Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Krankenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 129 V 4 Erw. 1.2), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier:
3. Mai 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind
im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

2.
Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für
zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in
Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17-19 KLV) zutreffend dargelegt.
Darauf kann verwiesen werden.

3.
3.1 Was die Erkrankung der Zähne als Teil des Kausystems anbelangt, regelt
Art. 17 lit. a KLV gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG die Übernahme der
Kosten der zahnärztlichen Behandlung in zwei Fällen, nämlich gemäss Ziff. 1
beim idiopathischen internen Zahngranulom und gemäss Ziff. 2 bei der
Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit Krankheitswert (z.B.
Abszess, Zyste).

3.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat nach Einholen eines
Grundsatzgutachtens mit Ergänzungsbericht vom 31. Oktober 2000/ 21. April
2001 - wie dies das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat - in seiner
Rechtsprechung erkannt, dass der Krankheitswert gemäss Art. 17 lit. a KLV
einen gegenüber dem allgemein definierten Begriff der Krankheit gemäss Art. 2
KVG qualifizierten Begriff darstellt, welchem Abgrenzungsfunktion zukommt,
indem er die Behandlung nicht schwerer Erkrankungen der Zähne von der
Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung ausschliesst. Was zunächst
den Begriff der Verlagerung von Zähnen und Zahnkeimen anbelangt, hat das
Gericht darin eine Abweichung von Lage und Achsenrichtung gesehen, wobei das
Wort "und" - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht in dem Sinne
verwendet worden ist, dass es kumulativ sowohl einer Abweichung von der Lage
wie auch von der Achsenrichtung bedarf. Den qualifizierten Krankheitswert
sieht das Gericht sodann in Übereinstimmung mit dem Grundsatzgutachten und
dem Ergänzungsbericht bei der Dentition in Entwicklung - im Sinne eines
Richtwertes bis zum 18. Altersjahr - in der Behinderung einer geordneten
Gebissentwicklung oder in einem pathologischen Geschehen, bei bleibender
Dentition in einem pathologischen Geschehen. Neben den in Art. 17 lit. a
Ziff. 2 KLV in Klammern aufgeführten Beispielen des Abszesses und der Zyste
hat das Gericht das Erfordernis des qualifizierten Krankheitswertes in Form
von pathologischem Geschehen bei Erscheinungsformen als erfüllt gesehen, die
erhebliche Schäden an den benachbarten Zähnen, am Kieferknochen und an
benachbarten Weichteilen verursacht haben oder gemäss klinischem und
allenfalls radiologischem Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit verursachen
werden. Bei in Entwicklung befindlicher Dentition ist der qualifizierte
Krankheitswert auch gegeben, wenn verlagerte Zähne den Durchbruch
benachbarter Zähne behindern oder verlagerte Zähne trotz Beseitigung von
Durchbruchshindernissen und genügendem Platzangebot nicht durchbrechen können
(vgl. BGE 127 V 328 und 391).

4.
4.1 Hinsichtlich der Übernahme der Kosten für zahnärztliche Behandlungen
unterscheidet Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV nicht zwischen der Behandlung von
Weisheitszähnen und von anderen Zähnen. Die Behandlungskosten sind von der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen, wenn die Zähne
verlagert sind und das Leiden Krankheitswert erreicht, wobei als Beispiele
für einen solchen Krankheitswert in Klammern der Abszess und die Zyste
genannt werden.

Die Leistungspflicht für die Behandlung von verlagerten Weisheitszähnen ist
demzufolge bei Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes
gleich zu beurteilen wie diejenige für die Behandlung anderer verlagerter
Zähne. Dieser qualifizierte Krankheitswert beinhaltet im Wesentlichen zwei
Elemente, nämlich einerseits die Pathologie mit einer Gefährdung des Lebens
oder einer Beeinträchtigung der Gesundheit und andererseits die notwendigen
Massnahmen, um die Gefährdung oder Beeinträchtigung zu beseitigen oder
zumindest zu verringern (BGE 130 V 468 Erw. 4.1). So haben auch die Experten
den qualifizierten Krankheitswert verneint, wenn ein pathologisches Geschehen
mit einfachen Massnahmen behoben werden kann.

4.2 Im oben zitierten Urteil hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
dargelegt, dass verlagerte Weisheitszähne gemäss Ansicht der beigezogenen
Experten gegenüber andern verlagerten oder überzähligen Zähnen insofern eine
besondere Stellung einnehmen, als sie von ihrer topografischen Lage her
besonders häufig Lage-Anomalien zeigen. Entwicklungsgeschichtlich hat dazu
beigetragen, dass der Kiefer des Menschen kleiner, die Zähne grösser geworden
sind, sodass der Platz auf dem Kieferknochen für die Zähne, namentlich für
die hintersten, nicht mehr ausreicht. Neben der Abweichung von der Lage ist
oft eine solche von der Achse festzustellen, wodurch Nachbarstrukturen
geschädigt werden können. Aus diesen Gründen geben die Weisheitszähne häufig
Anlass zu entzündlichen Komplikationen und Zystenbildungen, die wegen ihrer
Lage schwerwiegende Folgen haben können wie einen Durchbruch von Abszessen in
anatomischen Logen von vitaler Bedeutung oder eine Spontanfraktur des
Unterkiefers infolge Schwächung durch grosse Zysten (BGE 130 V 469 Erw. 4.2
mit Hinweis).

4.3 Bei der Behandlung verlagerter Weisheitszähne ist zudem die Besonderheit
zu berücksichtigen, dass diese entfernt werden, ohne dass an ihrer Stelle ein
Ersatz (z.B. Implantat) als tunlich erscheint, während andere verlagerte
Zähne nicht ersatzlos entfernt werden können, sondern durch zahnärztliche
Massnahmen zu erhalten sind oder an ihrer Stelle eine Ersatzlösung zu suchen
ist, um die Kaufunktion aufrecht zu erhalten.

4.4 Aufgrund der geschilderten Unterschiede kann demzufolge, wie das
Eidgenössische Versicherungsgericht im zitierten BGE 130 V 464 dargelegt hat,
bei verlagerten Weisheitszähnen und anderen verlagerten Zähnen bei
identischer Pathologie der qualifizierte Krankheitswert im oben umschriebenen
Sinn nicht gleich beurteilt werden. Um an die Übernahme der Kosten für die
Behandlung verlagerter Weisheitszähne nicht geringere Anforderungen an die
Schwere des Leidens zu stellen als für die Behandlung anderer verlagerter
Zähne, kann bei Weisheitszähnen nicht jede Pathologie genügen, die bei andern
verlagerten Zähnen die Übernahme rechtfertigt. Eine Pathologie wie
beispielsweise eine Zyste oder ein Abszess, sofern ohne grossen Aufwand
behandelbar, macht die Entfernung eines Weisheitszahnes nicht zur Behandlung
einer schweren Erkrankung des Kausystems im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a
KVG in Verbindung mit Art. 17 KLV. Anders ist es zu halten, wenn entweder die
Entfernung des verlagerten Weisheitszahnes wegen besonderer Verhältnisse oder
die Behandlung der Pathologie schwierig und aufwändig ist (vgl. BGE 127 V
328; RKUV 2002 Nr. KV 202 S. 91, K 12/01).

4.5 Die versicherte Person und der sie behandelnde Arzt haben dem
Krankenversicherer alle medizinischen Grundlagen dafür zu liefern, dass er
die Voraussetzungen für die Leistungspflicht prüfen kann. Werden gleichzeitig
mehrere Weisheitszähne entfernt, ist der Nachweis für jeden Weisheitszahn zu
erbringen (BGE 130 V 470 Erw. 5 mit Hinweis).

5.
5.1 Dr. med. Dr. med dent. S.________ diagnostizierte in den Berichten vom 7.
Juni und 30. August 2001 rezidivierende pericoronale Infekte bei verlagertem
Weisheitszahn 48, im Zahnschadenformular vom 28. November 2001 sodann
pericoronale Infekte und follikuläre Zyste mit chronischer Entzündung bei
verlagerten Weisheitszähnen 28 und 38.

5.2 Nach mehrmaligem Beizug des Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent.
Z.________ lehnte die KPT die Übernahme der Behandlungskosten ab mit der
Begründung, die Weisheitszähne 28, 38 und 48 seien nicht verlagert, weshalb
keine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bestehe.

5.3 Die Vorinstanz würdigte die verschiedenen medizinischen Berichte und kam
ebenfalls zum Schluss, dass das Bestehen einer Verlagerung für keinen der
drei betroffenen Weisheitszähne mit dem erforderlichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei, sodass die Frage des
qualifizierten Krankheitswertes offen gelassen werden könne.

5.4 Was zunächst die Verlagerung der Weisheitszähne 28, 38 und 48 anbelangt,
gehen die Meinungen des behandelnden Arztes Dr. med. Dr. med dent. S.________
einerseits und des Vertrauenszahnarztes Dr. med. dent. Z.________ andrerseits
auseinander. Diese Frage kann indessen offen bleiben, weil die Pathologie und
die notwendigen Massnahmen zu deren Beseitigung oder Verringerung für das
Vorliegen des erforderlichen qualifizierten Krankheitswertes nicht
ausreichen. Die Behandlung auf der rechten Seite bei Zahn 48 bestand in der
Entfernung des Zahnes sowie in einer Konsultation vor und vier Konsultationen
nach dem Eingriff. Auf der linken Seite wurden die Zähne 28 und 38 entfernt
und es fanden anschliessend drei Konsultationen statt. Selbst wenn die von
Dr. med. Dr. med dent. S.________ geltend gemachte Pathologie vorhanden
gewesen wäre, hielt sie sich im üblichen Rahmen und konnte durch die
Entfernung der Weisheitszähne behoben werden, ohne dass ein Ersatz der
entfernten Zähne oder andere aufwändige Massnahmen notwendig geworden wären.
Auch fehlen jegliche Anhaltspunkte für irgendwelche Schwierigkeiten oder
besondere Komplikationen bei der Entfernung der Weisheitszähne, sodass in
Anbetracht der Rechtsprechung die Voraussetzungen für eine diesbezügliche
Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht erfüllt
sind.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
(BAG) zugestellt.

Luzern, 10. Februar 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: