Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 106/2003
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K 106/03

Urteil vom 20. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Ackermann

Krankenkasse A.________
vertreten durch Fürsprecher Daniel Staffelbach, Stockerstrasse 38, 8002
Zürich,

gegen

Krankenkasse B.________ Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr.
Beat Gino Koenig, Utoquai 37, 8024 Zürich,

Eidgenössisches Departement des Innern, Bern

(Entscheid vom 2. Juli 2003)

Sachverhalt:

A.
Am 5. Oktober 2001 führte das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) eine
Pressekonferenz über die Genehmigung der Krankenversicherungsprämien für das
Jahr 2002 durch. In der Folge liessen die Krankenkasse A.________ und
X.________ Verwaltungsbeschwerde beim Eidgenössischen Departement des Innern
(EDI) einreichen mit dem Rechtsbegehren für "alle Mitglieder der Krankenkasse
B.________ bzw. alle mit der Krankenkasse B.________ verbundenen oder zur
Krankenkasse B.________ gehörenden bzw. durch diese beherrschten Versicherer
... sei auf Grund einer konsolidierten Jahresrechnung für jede die gleiche
Prämie für jede Prämienregion für das Jahre 2002 festzusetzen"; weiter
verlangten sie Einsicht in die Akten des BSV zur Prämiengenehmigung der
Krankenkasse B.________.

Nachdem das BSV am 4. Oktober 2002 eine Pressekonferenz über die Genehmigung
der Prämien der Krankenversicherung für das Jahr 2003 durchgeführt hatte,
liessen die Krankenkasse A.________, sowie X.________ mit - auf das Jahr 2003
bezogenen - identischen Rechtsbegehren erneut Verwaltungsbeschwerde beim EDI
einreichen.

B.
Das EDI führte auf Eingang der Beschwerden hin jeweils den Schriftenwechsel
durch und lud die Krankenkasse A.________ und X.________ zu
Schlussbemerkungen ein. Im Weiteren vereinigte es die beiden Verfahren.

Mit Entscheid vom 2. Juli 2003 trat das EDI auf die Beschwerden mangels
"Aktivlegitimation" der Beschwerdeführer nicht ein. Gleichzeitig hielt das
Departement jedoch fest, dass die Stossrichtung der Beschwerden auf
Gruppenstrukturen und Zusammenarbeitsformen von Krankenversicherern ziele,
weshalb das BSV angewiesen wurde, bis Herbst 2003 die notwendigen Grundlagen
für einen allfälligen Entscheid über aufsichtsrechtliche Massnahmen
einzureichen.

C.
Mit Eingabe vom 2. September 2003 liess die Krankenkasse A.________
Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, der Entscheid des EDI
sei, soweit Nichteintreten betreffend, aufzuheben, und es sei die Sache zur
materiellen Beurteilung an das Departement zurückzuweisen.

Während das EDI und das Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Kranken- und
Unfallversicherung (bis Ende 2003 im Bundesamt für Sozialversicherung), auf
Nichteintreten schliessen, lässt die Krankenkasse B.________ Nichteintreten,
eventualiter Überweisung an den Bundesrat, subeventualiter Abweisung
beantragen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Entscheid des EDI verweist in der Rechtsmittelbelehrung auf die
Möglichkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische
Versicherungsgericht, sofern die Ziffern 1 und 3 des Dispositives (d.h.
Nichteintreten und Kostenfrage) angefochten werden sollten. Ob diese
Beschwerdemöglichkeit gegeben ist, richtet sich jedoch allein nach den
massgebenden bundesrechtlichen Vorschriften und ist von Amtes wegen zu prüfen
(BGE 122 V 195 Erw. 3 mit Hinweisen).

1.1 Anfechtungsobjekt im Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht ist der Entscheid des EDI vom 2. Juli 2003, soweit er
auf Nichteintreten lautet. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist demgegenüber
der aufsichtsrechtliche Teil des Entscheides; in dieser Hinsicht hat das
Departement noch gar nicht entschieden, sondern nur die Verwaltung
aufgefordert, Unterlagen einzureichen.

1.2 Gemäss Art. 129 Abs. 1 lit. b OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
unzulässig gegen Verfügungen über Tarife. Die Prämientarife von Krankenkassen
sind Tarife im Sinne dieser Bestimmung (BGE 112 V 287 Erw. 3 und 293 Erw. 1).
Nach der Rechtsprechung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde allerdings nur
unzulässig gegen Verfügungen, welche den Erlass oder die Genehmigung eines
Tarifes als Ganzes zum Gegenstand haben oder wenn unmittelbar einzelne
Tarifbestimmungen als solche angefochten werden. Entscheidend dafür ist, dass
die Gesichtspunkte, welche der Strukturierung eines Tarifs zugrunde liegen,
als nicht oder schwer justiziabel betrachtet werden. Hingegen steht die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen gegen Verfügungen, welche in Anwendung
eines Tarifs im Einzelfall ergangen sind; dabei kann das Gericht zwar nicht
den Tarif als Ganzes mit all seinen Positionen und in ihrem gegenseitigen
Verhältnis auf die Gesetzmässigkeit hin überprüfen, wohl aber kann es die
konkret angewandte Tarifposition ausser Acht lassen, wenn sie sich als
gesetzwidrig erweist (BGE 120 V 457 Erw. 1, RKUV 2002 Nr. KV 227 S. 410 Erw.
2b, je mit Hinweisen).

1.3 Aufgrund der vorinstanzlich eingereichten Beschwerde der Krankenkasse
A.________ lag dem EDI eine Tarifstreitigkeit vor; denn streitig ist die
Genehmigung der Tarife als Ganzes durch das BSV und nicht deren Anwendung im
Einzelfall. Hätte die Vorinstanz darüber materiell entschieden, könnte auf
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten werden (Art. 129 Abs. 1
lit. b OG). Nichts anderes kann gelten, wenn - wie hier - nicht in der
Hauptsache entschieden worden ist, sondern ein Prozessurteil wegen fehlender
Sachurteilsvoraussetzungen (Nichteintreten mangels Beschwerdelegitimation)
ergangen ist. Auch in diesem Fall ist deshalb - zumindest im Bereich der
Bundessozialversicherung, in dem die staatsrechtliche Beschwerde entfällt -
dasjenige Rechtsmittel zu ergreifen, das gegen den materiellen Entscheid
zulässig wäre (vgl. BGE 110 Ib 199 Erw. 1), ansonsten eine materiell
unzuständige Instanz urteilen würde. Nähme das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Krankenkasse
A.________ an die Hand, entschiede es über die Legitimation im Verfahren vor
dem EDI definitiv, obwohl ihm die Kompetenz für den materiellen Entscheid
fehlt (Art. 129 Abs. 1 lit. b OG). Dadurch wäre die rechtens zuständige
Instanz ihrer Befugnis beraubt, von Amtes wegen über die richtige Behandlung
der Sachurteilsvoraussetzungen durch die Vorinstanz frei zu befinden (vgl.
René Rhinow/Heinrich Koller/Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und
Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz 950; vgl. auch Art. 7 Abs.
1 VwVG sowie BGE 128 V 89 Erw. 2a und 112 V 365 Erw. 1a), was mit dem
Grundsatz der Einheit des Prozesses (vgl. BGE 111 Ib 74 Erw. 2) unvereinbar
wäre. Daher ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig.

2.
Nach Art. 72 lit. a VwVG ist die Beschwerde an den Bundesrat zulässig gegen
Verfügungen seiner Departemente. In Anwendung von Art. 8 Abs. 1 VwVG wird die
Eingabe vom 2. September 2003 deshalb an den Bundesrat zur weiteren
Behandlung überwiesen (zur Genehmigung der Prämientarife vgl. auch VPB 64
[2000] Nr. 17 S. 210 ff.).

3.
Gemäss dem Grundsatz, dass den Parteien aus unrichtiger Rechtsmittelbelehrung
keine Nachteile erwachsen dürfen (Art. 107 Abs. 3 OG in Verbindung mit Art.
132 OG), sind, obwohl das Verfahren nicht die Bewilligung oder Verweigerung
von Versicherungsleistungen betrifft und daher grundsätzlich kostenpflichtig
ist (Art. 134 OG e contrario), keine Gerichtskosten zu erheben. Ebenso ist
von einer Zusprechung von Parteientschädigungen im Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht abzusehen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Eingabe vom 2. September 2003 wird an den Bundesrat zur weiteren
Behandlung überwiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen
zugesprochen.

4.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführern
zurückerstattet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesrat, dem Eidgenössischen
Departement des Innern und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.

Luzern, 20. April 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: