Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 84/2003
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I 84/03

Urteil vom 26. August 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Arnold

G.________, 1960, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Werner
Caviezel, Quaderstrasse 16, 7000 Chur,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

(Entscheid vom 12. November 2002)

Sachverhalt:

A.
G. ________, geb. 1960, meldete sich am 25. August 1995 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach medizinischen und
beruflich-erwerblichen Abklärungen, worunter das polydisziplinäre Gutachten
der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Z.________ vom 23. November 1998
und die Expertise des Dr. med. L.________, Spezialarzt FMH für Physikalische
Medizin und Rehabilitation, speziell Rheumaerkrankungen, vom 14. März 2000,
verneinte die IV-Stelle des Kantons Graubünden einen Rentenanspruch mangels
leistungsbegründender Invalidität (Verfügung vom 20. September 2000). Dieser
Verwaltungsakt blieb unangefochten.

Auf die am 29. Januar 2002 erstattete Anmeldung hin gelangte die IV-Stelle
zur Auffassung, durch die Berichte des Hausarztes Dr. med. B.________,
Spezialarzt FMH für Innere Medizin, vom 15. April 2002 und des Dr. med.
A.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 8.
Dezember 2001 sei keine anspruchserhebliche Verschlechterung des
Gesundheitszustandes seit Erlass der Verfügung vom 20. September 2000
glaubhaft gemacht worden; laut Verfügung vom 17. Juni 2002 trat sie demgemäss
auf das erneute Leistungsbegehren nicht ein.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 12. November 2002).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ beantragen, in Aufhebung
der Verfügung der IV-Stelle (vom 17. Juni 2002) und des kantonalen
Entscheides (vom 12. November 2002) sei ihr rückwirkend ab dem 1. Januar 2002
eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die IV-Stelle zu
verpflichten, auf das erneute Leistungsbegehren einzutreten.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Letzt- wie bereits vorinstanzlich einzig zu prüfen ist, ob die Verwaltung auf
die Neuanmeldung vom 29. Januar 2002 hin zur Recht auf Nichteintreten verfügt
hat. Insoweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde materielle Anträge
gestellt werden, kann auf diese demgegenüber nicht eingetreten werden.

2.
Das kantonale Gericht hat die Prüfungspflichten der Verwaltung und des
Gerichts hinsichtlich des Eintretens auf ein erneutes Rentengesuch nach
vorausgegangener rechtskräftiger Ablehnung (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV [in der
hier anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung; BGE 127
V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b]; vgl. auch BGE 117 V 200 Erw. 4b, 109 V 264
Erw. 3 sowie 114 Erw. 2b, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen. Zu ergänzen ist, dass Art. 87 Abs. 4 IVV dem Wortlaut nach bloss
den Fall einer früheren Rentenverweigerung wegen eines zu geringen
Invaliditätsgrades betrifft. Er ist aber sinngemäss auch dann anzuwenden,
wenn die Rente seinerzeit verweigert wurde, weil keine Invalidität im Sinne
des Gesetzes vorlag, da Art. 87 Abs. 4 IVV auf dem Grundgedanken beruht, dass
die Rechtskraft der früheren Verfügung einer neuen Prüfung so lange
entgegensteht, als der seinerzeit beurteilte Sachverhalt sich in der
Zwischenzeit nicht verändert hat. Dieser Grundsatz ist im einen wie im andern
Fall beachtlich. Daher kann auch dann, wenn die Rente mangels Invalidität
verweigert wurde, ein neues Gesuch nur geprüft werden, wenn die versicherte
Person glaubhaft macht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in einer für
den Anspruch erheblichen Weise geändert haben (ZAK 1983 S. 507 oben). Als
Vergleichsbasis hiefür dienen der Sachverhalt im Zeitpunkt der streitigen
Verfügung einerseits und zur Zeit der letzten materiellen Abweisung
andererseits. Die entsprechenden, in BGE 109 V 265 Erw. 4a zur Rentenrevision
dargelegten Grundsätze gelten auch bei einer Neuanmeldung.

3.
In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin
am 17. Dezember 1993 auf einer Eisfläche ausglitt und auf ihr Gesäss stürzte
(Unfallmeldung vom 22. Februar 1994). Dr. med. B.________ diagnostizierte am
11. März 1994 eine anhaltende Coccygodynie sowie ein lumbogluteales
Schmerzsyndrom. Vor dem Hintergrund des protrahierten Heilungsverlaufes mit
chronifizierten Schmerzen - somatisch orientierte Therapien führten nicht zur
Beschwerdefreiheit, eine auf mehrere Monate hin angelegte Abklärung in der
Klinik V.________ wurde nach kurzer Zeit abgebrochen, Unklarheit darüber, ob
und inwieweit psychische und/oder psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen -
ordnete die IV-Stelle eine polydisziplinäre Begutachtung durch die MEDAS
Z.________ an. Das Gutachten, welchem konsiliarische Untersuchungen des Dr.
med. W.________, Spezialarzt FMH für Orthopädische Chirurgie, vom 10. Oktober
1998 sowie des Dr. med. M.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 8. Oktober 1998 zu Grunde lagen, wurde am 23. November
1998 erstattet. Auf den im Vorbescheidverfahren - der entsprechende Bescheid
datiert vom 14. Juni 1999 - erhobenen Einwand hin, das Gutachten der MEDAS
bilde keine schlüssige Entscheidungsgrundlage, liess die Verwaltung die
Expertise des Dr. med. L.________ (vom 14. März 2000) einholen, woraufhin sie
am 20. September 2000 einen Rentenanspruch mangels leistungsbegründender
Invalidität verneinte.

4.
Verwaltung und Vorinstanz haben sowohl hinsichtlich der somatischen als auch
der psychischen Gesundheit verneint, dass eine für den Anspruch auf
Invalidenrente erhebliche Änderung im massgeblichen Prüfungszeitraum zwischen
dem 20. September 2000 (Erlass der ersten, rentenablehnenden Verfügung) und
dem 17. Juni 2002 (Datum der diesem Verfahren zu Grunde liegenden
Nichteintretensverfügung) glaubhaft gemacht worden sei. Was die
Beschwerdeführerin dagegen vorbringen lässt, dringt nicht durch.

4.1 Die Beschwerdegegnerin stellte beim Erlass der Verfügung vom 20.
September 2000 hinsichtlich der Beurteilung des Gesundheitszustandes im
Wesentlichen auf das Gutachten der MEDAS Z.________ (vom 23. November 1998)
und die Expertise des Dr. med. L.________ (vom 14. März 2000) ab. Die
beteiligten Gutachter stimmten darin überein, dass keine Diagnosen vorliegen
würden, die eine wesentliche Einschränkung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit
zur Folge hätten: Unter dem Titel "Diagnosen ohne wesentliche Einschränkung
der Arbeitsfähigkeit, aber mit Krankheitswert" werden im Gutachten der MEDAS
eine narzisstische Persönlichkeitsstörung mit Selbstüberschätzung, eine Aggravation sowie eine chronische Oktzipitio-Sakralgie genannt. Der Umstand,
dass die Gutachter der MEDAS, anders als Dr. med. L.________, welcher sich
für eine 100 %ige Arbeitsfähigkeit (auch) aus orthopädischer Sicht aussprach,
gleichwohl eine 10 %ige Einschränkung, "mit Limitation durch orthopädische
Befunde" (Gutachten S. 16 Mitte), der Arbeitsfähigkeit als gegeben
erachteten, ist vor dem Hintergrund zu würdigen, dass der für die MEDAS
konsiliarisch tätige Orthopäde Dr. med. W.________ die Beurteilung der
Beschwerdeführerin als erschwert qualifizierte, weil die Angaben diffus, bald
einmal ungeduldig vorgetragen und die Untersuchung durch das Verhalten der
Patientin (massives Schmerzklagen etc.) kompliziert worden sei. Nach dem in
Erw. 2 in fine hievor Dargelegten erübrigen sich indes Weiterungen zur Frage
des tatsächlichen rechtlichen Bedeutungsgehaltes (vgl. BGE 120 V 496) der
Verfügung vom 20. September 2000, d.h. ob die Verwaltung den Rentenanspruch
wegen eines zu geringen oder auf Grund eines fehlenden Invaliditätsgrades
verneint hat. Selbst wenn man zu Gunsten der Beschwerdeführerin davon
ausginge, bei einer um 10 % verminderten Arbeitsfähigkeit sei die
rentenablehnende Verfügung nicht wegen fehlender, sondern wegen eines zu
geringen, nicht näher bezifferten Invaliditätsgrades erfolgt, ist zu
berücksichtigen, dass die Hürde für das Vorliegen einer für den Anspruch auf
Invalidenrente erheblichen Änderung im hier zu beurteilenden Fall insofern
hoch liegt, als die Zusprechung einer Invalidenrente zumindest einen
Invaliditätsgrad von 40 % erfordert (vgl. Art. 28 Abs. 1 IVG).

4.2 Die nach dem abschlägigen Vorbescheid vom 26. April 2002 von der
Beschwerdeführerin aufgelegten Berichte ihres Hausarztes Dr. med. B.________
(vom 15. April 2002) und des Dr. med. A.________ (vom 8. Dezember 2001)
erbringen den geforderten Nachweis nicht. Über mehrere Jahre hinweg hat sich
das Schwergewicht der medizinischen Abklärungen, Therapien und Beurteilungen
von somatischer in Richtung psychischer Gesundheit hin verschoben. Indem Dr.
med. B.________ ausführte, "auf Grund der nun erheblich chronifizierten
Schmerzkrankheit wie auch der (durch Dr. med. A.________) postulierten
schweren hypochondrischen Neurose sei das erneute Rentenbegehren wiederum zu
prüfen" (Bericht vom 14. April 2002 S. 1 unten), vermag er weder die
geklagten Beschwerden rheumatologisch zu erklären, noch wird, was hier von
Bedeutung ist, eine in den Fachbereich der Inneren Medizin, insbesondere die
Rheumatologie, fallende Verschlechterung der somatischen Gesundheit
behauptet. Der Hausarzt macht sich vielmehr im Wesentlichen den Standpunkt
des von ihm beigezogenen Psychiaters zu eigen und spricht sich für das
Vorliegen eines neuen psychischen Leidens mit Krankheitswert aus. Bei der
Würdigung des Berichts des Dr. med. A.________ fällt nun aber entscheidend
ins Gewicht, dass der Psychiater nicht gestützt auf seit der ersten Verfügung
der IV-Stelle eingetretene Umstände eine Verschlechterung der psychischen
Verfassung geltend macht, sondern die dem Gutachten der MEDAS zu Grunde
liegende fachärztliche Beurteilung der psychischen Gesundheit als
unzutreffend kritisiert. Er rügt u.a. das Gutachten der MEDAS als
oberflächlich und tritt dafür ein, dass die psychogenen Faktoren massiv
unterschätzt worden seien. Eine neue Beurteilung einer in tatsächlicher
Hinsicht unveränderten Sachlage ist indes revisions- wie
neuanmeldungsrechtlich nicht relevant (BGE 112 V 371 Erw. 2b; SVR 1996 IV Nr.
70 S. 203 ff. Erw. 3a, je mit Hinweisen).

4.3 Das kantonale Gericht hat sodann mit einlässlicher, in allen Teilen
zutreffender Begründung, auf die verwiesen wird, erwogen, der Bericht der
Klinik V.________ (vom 13. August 2001), wo die Beschwerdeführerin vom 3. bis
24. Juli 2001 wegen lumbosakraler Schmerzen zur intensiven Physiotherapie
zugewiesen worden war, vermöge keine für den Anspruch auf Invalidenrente
erhebliche Änderung glaubhaft zu machen. Bei dieser Sachlage braucht die
zwischen den Parteien strittige Frage, ob der genannte Bericht im
vorinstanzlichen Verfahren in prozessual zulässiger Weise eingebracht werden
konnte, nicht näher erörtert und entschieden zu werden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden, der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 26. August 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: