Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 818/2003
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I 818/03

Urteil vom 16. August 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber
Signorell

B.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Susanne
Schaffner-Hess, Dornacherstrasse 10, 4600 Olten,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 14. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1961 geborene B.________ arbeitete seit dem 1. Februar 1979 als
Betriebsbeamter im Zentrum Y._______. Wegen im Verlaufe des Jahres 1999
auftretender Schmerzen musste ihm wiederholt eine neue Tätigkeit zugewiesen
werden. Am 7. April 2000 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Er verlangte dabei die Umschulung auf eine neue Tätigkeit.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn klärte die gesundheitlichen und
erwerblichen Verhältnisse ab. Sie liess insbesondere durch die X.________ die
Eingliederungsmöglichkeiten abklären (Bericht vom 19. Juli 2001). Als
mögliche Arbeitsgebiete werden Überwachungs- und Kontrollaufgaben sowie
Hausdienste oder Lagertätigkeiten ohne körperlich schwere Arbeiten genannt.
Die Eingliederungsstätte vertrat die Meinung, dass der Versicherte an einem
geeigneten Arbeitsplatz in der offenen Wirtschaft den Anforderungen genügen
könne. Ohne weitere Schritte der IV-Stelle abzuwarten, kündigte B.________ am
22. August 2001 seine Anstellung beim Zentrum Y.________. Der Berufsberater
wies in einem Schreiben vom 29. August 2001 auf die Gefahren dieses Schrittes
hin und empfahl dringend, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Kündigung
rückgängig zu machen. In Beantwortung dieses Schreibens wies der Versicherte
am 31. August 2001 darauf hin, dass er sich selbstständig machen wolle. Die
Verträge mit seinem Handelspartner seien abgeschlossen und unterzeichnet. Der
Vertrag sei auf vier Jahre festgelegt und sei gegenseitig nicht kündbar. Die
IV-Stelle hielt am 4. September 2001 fest, dass sie davon ausgehe, dass sich
bei diesen Verhältnissen berufliche Massnahmen erübrigten. Sollte diese
Annahme nicht zutreffen, so wurde B.________ gebeten, umgehend Bescheid zu
geben. Nachdem keine Antwort eingegangen war, erliess die IV-Stelle am 16.
November 2001 einen Vorbescheid des Inhalts, dass sie davon ausgehe, weitere
Massnahmen der beruflichen Eingliederung erübrigten sich. Nach der
angemessenen (Selbst-)Eingliederung (Aufnahme einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit) drängten sich zur Zeit keine weiteren Massnahmen auf. Das
Leistungsbegehren solle daher bezüglich berufliche Eingliederungsmassnahmen
und Ausrichtung einer Invalidenrente als erledigt abgeschrieben werden. Mit
Einsprache vom 22. November 2001/14. Dezember 2001 liess B.________ geltend
machen, zufolge seiner eingeschränkten Tätigkeit im Bereich von leichten
Arbeiten die Rentenfrage zu prüfen sei. Es sei davon auszugehen, dass ihm
mindestens eine halbe Invalidenrente zustehe. Mit Verfügung vom 31. Januar
2002 hielt die IV-Stelle an ihrem Vorbescheid fest und schrieb die
Leistungsbegehren als erledigt ab.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies eine dagegen erhobene
Beschwerde, mit welcher Aufhebung der Verwaltungsverfügung und Zusprechung
einer ganzen IV-Rente ab November 2000, eventuell Rückweisung zur Einholung
eines interdisziplinären Gutachtens, verlangt wurden, mit Entscheid vom 14.
November 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________ die Aufhebung der
Verwaltungsverfügung und des kantonalen Entscheides sowie die Zusprechung
einer ganzen IV-Rente ab 1. November 2000, eventuell Rückweisung an die
Vorinstanz zur Einholung eines interdisziplinären Gutachtens und zur
Abklärung des Rentenanspruchs, beantragen. Sodann wird um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersucht.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Verwaltung schrieb das Gesuch des Beschwerdeführers um berufliche
Eingliederungsmassnahmen als gegenstandslos ab, da dieser keine Interesse an
einer beruflichen Eingliederung mehr zeige. Ihrem wirklichen Gehalt nach
stellt die vorinstanzlich bestätigte Verfügung der IV-Stelle eine
Leistungsablehnung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 IVG dar. Ob eine solche
zulässig ist, kann offen bleiben. Da in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die
Abschreibung des Gesuches um Gewährung beruflicher Massnahmen nicht gerügt
wird, ist namentlich nicht zu prüfen, ob das vorgängig durchzuführende Mahn-
und Bedenkzeitverfahren gemäss Art. 31 Abs. 1 IVG ordnungsgemäss durchgeführt
worden ist (ZAK 1983 S. 28 Erw. 3).

2.
Wie bereits im Einsprache- und im kantonalen Verfahren lässt der
Beschwerdeführer beantragen, es sei ihm mit Wirkung ab 1. November 2000 eine
ganze Invalidenrente auszurichten. Das Leistungsgesuch in diesem Punkt ist
jedenfalls nicht gegenstandslos geworden. Nachdem die IV-Stelle bereits im
Vorbescheid festgehalten hatte, der Versicherte gelte durch seine
Selbsteingliederungsmassnahme als beruflich angemessen eingegliedert, stellt
sich die Frage, ob er durch seine neue Tätigkeit invaliditätsbedingt eine
Einkommenseinbusse erleidet.  Nicht zu beurteilen ist hier, ob der
medizinische Sachverhalt hinreichend geklärt ist oder ob allenfalls weitere
medizinische Abklärungen zu treffen wären. Aus den Akten ist nicht
ersichtlich, ob und in welcher Weise sich die Verwaltung damit
auseinandergesetzt hätte. Falls der Gesundheitszustand als genügend abgeklärt
angenommen werden könnte und die Frage nach dem Anspruch auf eine
Invalidenrente daher spruchreif wäre, fehlt jeglicher Hinweise darauf, dass
die Verwaltung einen Einkommensvergleich im Sinne von Art. 28 Abs. 2 IVG (in
der bis zum 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) bzw. Art. 16 ATSG
(seit dem 1. Januar 2003) durchgeführt hätte. Die IV-Stelle, an welche die
Sache zurückzuweisen ist, wird die Akten daher zu ergänzen und anschliessend
über das Rentengesuch zu befinden haben.

3.
Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen, weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten
abzusehen ist (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege,
einschliesslich der unentgeltlichen Verbeiständung, erweist sich damit als
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 14. November
2003 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 31.
Januar 2002 aufgehoben, und es wird die Sache an die IV-Stelle des Kantons
Solothurn zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch des Beschwerdeführers
auf eine Invalidenrente verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat dem Beschwerdeführer für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Eidgenössischen Ausgleichskasse und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 16. August 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: