Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 815/2003
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I 815/03

Urteil vom 1. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar

D.________, 1974, Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Vater S.________,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 25. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1974 geborene D.________ leidet seit seiner Kindheit an
therapieresistenter partieller Epilepsie. Am 28. September 1992 meldete er
sich ein erstes Mal bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Seit
4. Juli 1994 arbeitet er in der Stiftung für Behinderte. Am 27. Juli 1994
wurde er wegen Tumorverdachts, der sich nicht bestätigte, am Kopf operiert.
Vom 6. bis 9. Februar und vom 21. Februar bis 26. Oktober 1995 war er in der
Klinik E.________ hospitalisiert. Am 19. Januar 1996 meldete er sich bei der
Invalidenversicherung erneut zum Leistungsbezug an. Mit in Rechtskraft
erwachsener Verfügung vom 24. Februar 1997 sprach ihm die IV-Stelle des
Kantons Aargau ab 1. Februar 1996 bei einem Invaliditätsgrad von 92 % eine
ganze Invalidenrente zu. Am 25. Juni 2001 meldete sich der Versicherte bei
der Invalidenversicherung zum Bezug einer Hilflosenentschädigung an. Mit
Verfügung vom 14. Mai 2002 sprach ihm die IV-Stelle ab 1. Juni 2001 eine
Hilflosenentschädigung mittleren Grades zu. Hiegegen erhob der Versicherte
beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Beschwerde und verlangte die
Leistungsausrichtung ab 1. Juni 2000. Am 13. Juni 2002 hob die IV-Stelle die
Verfügung vom 14. Mai 2002 zwecks Vornahme weiterer Abklärungen pendente lite
auf. Das kantonale Gericht schloss dieses Verfahren mit Beschluss vom 20.
August 2002 als gegenstandslos von der Kontrolle ab. Mit Verfügung vom 5.
Februar 2003 sprach die IV-Stelle dem Versicherten ab 1. Juni 2000 eine
Hilflosenentschädigung leichten Grades zu. Zur Begründung wurde ausgeführt,
er sei in jedem Lebensbereich grundsätzlich selbstständig und bedürfe
ausschliesslich der dauernden persönlichen Überwachung. Die dagegen geführte
Einsprache mit dem Antrag auf Zusprechung einer Entschädigung für
Hilflosigkeit mittleren Grades wies die IV-Stelle mit Entscheid vom 1. Mai
2003 ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 25. November 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte die Zusprechung
einer Entschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades.

Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Begriff der
Hilflosigkeit (Art. 9 ATSG) zutreffend wiedergegeben. Der Gesetzgeber wollte
mit Art. 9 ATSG die bisherige Definition der Hilflosigkeit übernehmen (vg.
BBl 1991 II 249). Demnach kann an der ständigen Gerichtspraxis zu den
alltäglichen Lebensverrichtungen (BGE 127 V 97 Erw. 3c mit Hinweisen)
festgehalten werden. Bezüglich der Ausrichtung einer Hilflosenentschädigung
gelten weiterhin Art. 42 IVG in Verbindung mit Art. 36 IVV, welche das
kantonale Gericht ebenfalls richtig dargelegt hat. Gleiches gilt zu den für
die Bemessung der Hilflosigkeit massgebenden sechs alltäglichen
Lebensverrichtungen (Ankleiden, Auskleiden; Aufstehen, Absitzen, Abliegen;
Essen; Körperpflege; Verrichten der Notdurft; Fortbewegung [im oder ausser
Haus], Kontaktaufnahme; BGE 127 V 97 Erw. 3c mit Hinweisen), zu den Graden
der Hilflosigkeit und zur erforderlichen Anzahl betroffener
Lebensverrichtungen (BGE 121 V 90 Erw. 3b), zum Vorgehen bei mehrere
Teilfunktionen umfassenden Lebensverrichtungen (BGE 121 V 91 Erw. 3c) sowie
zur indirekten Dritthilfe (BGE 121 V 91 Erw. 3c, 107 V 149 Erw. 1c mit
Hinweisen). Weiter ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass sich das
Erfordernis der dauernden persönlichen Überwachung als zusätzliche oder als
alternative Anspruchsvoraussetzung gemäss Art. 42 Abs. 2 IVG und Art. 36 IVV
nicht auf die alltäglichen Lebensverrichtungen bezieht und deshalb von der
indirekten Dritthilfe zu unterscheiden ist (ZAK 1984 S. 357 Erw. 2c). Es
handelt sich hier vielmehr um eine Art medizinischer oder pflegerischer
Hilfeleistung, welche infolge des physischen, geistigen oder psychischen
Zustandes der versicherten Person notwendig ist (BGE 107 V 139 Erw. 1b mit
Hinweisen; ZAK 1990 S. 46 Erw. 2c).

2.
Bezüglich des Ausmasses der Hilflosigkeit (nicht aber bezüglich der unter
Ziff. 5 Abklärungsergebnis erfolgten Anspruchseinschätzung) ist auf den
Abklärungsbericht an Ort und Stelle vom 11. April 2002 abzustellen. Danach
ist der Beschwerdeführer bei den Lebensverrichtungen An- und Auskleiden,
Aufstehen/Absitzen/Abliegen, Essen sowie Notdurft nicht hilflos. Die
Hilflosigkeit wird einzig bezüglich Körperpflege (Baden/Duschen) und
Fortbewegung (Pflege gesellschaftlicher Kontakte) bejaht. Indessen wird sie
auch in diesen Bereichen damit begründet, der Versicherte müsse dabei
überwacht werden. Diese Überwachung kommt einer allgemeinen
Überwachungsbedürftigkeit gleich, die sich indessen nicht auf die vier
Lebensverrichtungen, bei denen der Beschwerdeführer selbstständig ist,
beschränkt. Würde die allgemeine Überwachungsbedürftigkeit mit derjenigen bei
den beiden genannten Verrichtungen kombiniert, würde sie doppelt
berücksichtigt, was dem Sinn von Art. 36 IVV widerspräche (unzulässige
Kumulation).

Eine weitergehende Behinderung als die im Abklärungsbericht vom 11. April
2002 festgestellte wird auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
nachgewiesen. Insbesondere wird nicht dargelegt, dass der Versicherte in zwei
oder mehr Bereichen auch mit einer allgemeinen Überwachung hilfsbedürftig
ist.

3.
Der unbeanstandete Beginn der Leistungspflicht ab 1. Juni 2000 richtet sich
im vorliegenden Fall nach Art. 48 Abs. 2 IVG.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 1. April 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: