Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 80/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


I 80/03

Urteil vom 5. August 2005

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Meyer, Schön und
Kernen; Gerichtsschreiber Krähenbühl

K.________, 1966, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel
Vonesch, Sempacherstrasse 6, 6003 Luzern,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 20. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit drei Verfügungen vom 25. April 2001 sprach die IV-Stelle Luzern der 1966
geborenen K.________ für die Zeit ab 1. Mai 2001 eine ganze Invalidenrente
und für ihre beiden 1988 und 1994 geborenen Kinder B.________ und M.________
je eine Kinderrente zu. Rückwirkend für die Zeit ab 1. Januar 1999 bis 30.
April 2001 wurden mit drei weiteren Verfügungen vom 4. Juli 2001 ebenfalls
eine ganze Invalidenrente für die Versicherte sowie zwei Kinderrenten
zugesprochen. Teilweise wurden die verfügten Rentennachzahlungen mit
Rückforderungen der Arbeitslosenkasse sowie der Sozialämter X._________ und
Y.________ verrechnet. Am 5. Dezember 2001 verfügte die IV-Stelle eine
Reduktion der mit Verfügung vom 4. Juli 2001 vorgenommenen Verrechnung der
Rentennachzahlung für K.________ mit einer Rückforderung des Sozialamtes
Y.________.

B.
Gegen sämtliche Verfügungen vom 25. April, 4. Juli und 5. Dezember 2001
liessen die Adressaten Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
einreichen, wobei insbesondere der verfügte Rentenbeginn, die errechneten
Rentenbeträge und die vorgenommenen Verrechnungen angefochten wurden. Nach
erfolgter Verfahrensvereinigung erkannte das kantonale Gericht, dass die
IV-Stelle K.________ nach Abzug der zulässigen Verrechnungen noch einen
Betrag von Fr. 1701.55 zu bezahlen habe. In diesem Sinne hiess es die
Beschwerde gegen die K.________ selbst betreffende Verfügung vom 4. Juli 2001
mit Entscheid vom 20. Dezember 2002 teilweise gut; im Übrigen wies es
sämtliche Beschwerden ab, soweit darauf einzutreten war.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ die Aufhebung des
kantonalen Entscheids insoweit beantragen, als damit die Verrechnung von
Rentenzahlungen mit einer Forderung der Gemeinde Y.________ über Fr. 16'530.-
geschützt wird. Zudem ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.
Die IV-Stelle schliesst unter Hinweis auf eine beigelegte Stellungnahme der
Ausgleichskasse Luzern vom 10. März 2003 auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde; des Weitern beantragt sie, der vorinstanzliche
Entscheid sei betreffend der Anweisung, den Betrag von Fr. 1701.55 an die
Versicherte auszubezahlen, aufzuheben. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitigkeiten über die Drittauszahlung von Leistungen der
Invalidenversicherung zwecks Verrechnung gestützt auf Art. 85bis IVV in
Verbindung mit dem auf den 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Art. 50 Abs. 2
IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) betreffen
rechtsprechungsgemäss nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG (BGE 121 V 18 Erw. 2; AHI
2003 S. 165 Erw. 1, je mit Hinweisen). Bei Prozessen um den Auszahlungsmodus
hat das Eidgenössische Versicherungsgericht deshalb nur zu prüfen, ob die
Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit
Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 121 V 18 f. Erw. 2, 118 V
90 f. Erw. 1a; AHI 2003 S. 165 Erw. 1, je mit Hinweisen). Das Eidgenössische
Versicherungsgericht ist an den Beschwerdeantrag gebunden (Art. 114 Abs. 1
OG). Zudem ist das Verfahren kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 OG).

2.
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen auch im Invalidenversicherungsbereich
geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen
Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen
führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner
das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich
auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 4.
Juli 2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind
die bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Bestimmungen anwendbar (vgl. BGE
130 V 259 Erw. 3.5, 333 Erw. 2.3, 425 Erw. 1.1, 447 Erw. 1.2.1, je mit
Hinweisen).

2.2 Nach Art. 50 Abs. 1 IVG finden für die Sicherung der Leistungen und die
Verrechnung die Art. 20 und 45 AHVG sinngemäss Anwendung. Nachzahlungen von
Leistungen können gemäss Art. 50 Abs. 2 IVG in Abweichung von Art. 20 Abs. 1
AHVG an Drittpersonen oder Drittstellen, welche im Hinblick auf die Leistung
der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben, ausgerichtet
werden. Laut Art. 85bis Abs. 1 IVV (in der seit 1. Januar 1999 geltenden
Fassung) können Arbeitgeber, Einrichtungen der beruflichen Vorsorge,
Krankenversicherungen, öffentliche und private Fürsorgestellen oder
Haftpflichtversicherungen mit Sitz in der Schweiz, welche im Hinblick auf
eine Rente der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben,
verlangen, dass die Nachzahlung dieser Rente bis zur Höhe ihrer
Vorschussleistungen verrechnet und an sie ausbezahlt wird. Die
bevorschussenden Stellen haben ihren Anspruch mit besonderem Formular
frühestens bei der Rentenanmeldung und spätestens im Zeitpunkt der Verfügung
der IV-Stelle geltend zu machen. Nach Art. 85bis Abs. 2 IVV gelten als
Vorschussleistungen einerseits freiwillige Leistungen, sofern die versicherte
Person zu deren Rückerstattung verpflichtet ist und sie der Auszahlung der
Rentennachzahlung an die bevorschussende Stelle schriftlich zugestimmt hat
(lit. a), und andererseits die vertraglich oder auf Grund eines Gesetzes
erbrachten Leistungen, soweit aus dem Vertrag oder dem Gesetz ein eindeutiges
Rückforderungsrecht infolge der Rentennachzahlung abgeleitet werden kann
(lit. b). Die Nachzahlung darf der bevorschussenden Stelle höchstens im
Betrag der Vorschussleistungen und für den Zeitraum, in welchem diese
erbracht worden ist, ausbezahlt werden (Art. 85bis Abs. 3 IVV).

3. Auf Grund des für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlichen
Antrages in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1 hievor) ist
letztinstanzlich einzig noch streitig und als Frage des Bundesrechts frei zu
prüfen, ob der kantonale Gerichtsentscheid dadurch Bundesrecht verletzt, dass
er eine Nachzahlung der aufgelaufenen Rentenbetreffnisse im Umfang von Fr.
16'530.- an die Gemeinde Y.________ bestätigt. Die übrigen vorinstanzlich
beurteilten Fragen sind nicht mehr Gegenstand des letztinstanzlichen
Prozesses. Der in der Vernehmlassung der IV-Stelle gestellte Antrag, der
kantonale Entscheid sei betreffend der Anweisung, den Betrag von Fr. 1701.55
an die Versicherte auszubezahlen, aufzuheben, ist unzulässig (vgl. BGE 124 V
155 Erw. 1 mit Hinweis).

4.
4.1 Es ist unbestritten und nach der Aktenlage nicht in Frage zu stellen, dass
sich die an die Gemeinde Y.________ zwecks indirekter Verrechnung mit dem
sozialhilferechtlichen Rückerstattungsanspruch der Gemeinde gegenüber der
Versicherten ausbezahlten Rentenbetreffnisse in Höhe von Fr. 16'530.- auf
Zeiten beziehen, für welche die heutige Beschwerdeführerin tatsächlich von
der Gemeinde Y.________ Sozialhilfeleistungen bezogen hat. Im Zentrum der
Argumentation in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde steht der Einwand, die
Leistungen der Gemeinde Y.________ seien nicht, wie es Art. 85bis Abs. 1 IVV
verlange, "im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung" gewährt
worden. Dazu wird ausgeführt, die Gemeinde habe ihre Leistungen im Zeitraum
zwischen dem 1. Januar 1999 und dem 30. April 2001 ausgerichtet, während die
Anmeldung zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung erst am 7. Januar
2000 erfolgt sei. Von dieser Anmeldung habe die Gemeinde nichts gewusst. Sie
habe die Versicherte vielmehr zur Aufnahme einer Arbeit angehalten und bei
der Arbeitslosenversicherung angemeldet. Die Versicherte habe denn auch beim
Arbeitsamt der Gemeinde Y.________ gestempelt. Ohne
invalidenversicherungsrechtliches Verfahren oder ohne Kenntnis desselben
könne eine Vorschussleistung aber nicht "im Hinblick auf eine Rente der
Invalidenversicherung" erbracht worden sein, sodass die in Art. 85bis Abs. 1
IVV genannte Voraussetzung für eine Drittauszahlung nicht erfüllt sei. Dies
habe die Vorinstanz ungeprüft gelassen.

4.2 In der bisher ergangenen Rechtsprechung zu dem auf den 1. Januar 1994 in
Kraft getretenen Art. 85bis IVV - die auf den 1. Januar 1999 erfolgte
Neufassung ist rein redaktioneller Art und kann vorliegend vernachlässigt
werden - hat das in dieser Bestimmung genannte Erfordernis der "im Hinblick
auf eine Rente der Invalidenversicherung erbrachten Vorschussleistungen",
soweit ersichtlich, keine Rolle gespielt (vgl. BGE 128 V 108, 123 V 25; SVR
2001 IV Nr. 13 S. 39). Auch der zur Drittauszahlung extra legem ergangenen
Rechtsprechung vor dem In-Kraft-Treten des Art. 85bis IVV lässt sich
diesbezüglich nichts entnehmen (vgl. BGE 118 V 88; vgl. auch nachstehende
Erw. 5.2).
Mit der Einfügung des Abs. 2 in Art. 50 IVG auf den 1. Januar 1997 hat Art.
85bis Abs. 1 IVV eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erhalten (BGE 128 V
110 Erw. 2d; Meyer-Blaser, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG],
in: Murer/Stauffer [Hrsg.], Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, Zürich 1997, S. 289 f.). Auch Art. 50 Abs. 2 IVG
spricht von Nachzahlungen von Leistungen an Drittpersonen oder Drittstellen,
welche "im Hinblick auf die Leistung der Invalidenversicherung
Vorschussleistungen erbracht haben" (Satz 1); der Bundesrat regelt das
Verfahren sowie die Voraussetzungen der Auszahlung an Dritte (Satz 2).

5.
Es ist einzuräumen, dass sich der Standpunkt der Beschwerdeführerin auf den
Wortlaut sowohl des Art. 50 Abs. 2 IVG wie auch des Art. 85bis Abs. 1 IVV
stützen kann. Unbestrittenermassen ist das gemäss Wortlaut verlangte
Erfordernis der "im Hinblick auf die Leistung der Invalidenversicherung"
(Art. 50 Abs. 2 IVG) oder der "im Hinblick auf eine Rente der
Invalidenversicherung" (Art. 85bis Abs. 1 IVV) erbrachten Vorschussleistungen
im vorliegenden Fall nicht gegeben (in der französischsprachigen Fassung:
"... qui ont accordé des avances dans l'attente de l'octroi des prestations
de l'assurance-invalidité" [art. 50 al. 2 LAI] oder: "... qui, en vue de
l'octroi d'une rente de l'assurance-invalidité, ont fait une avance ..."
[art. 85bis al. 1 RAI]; in der italienischsprachigen Version: "... che hanno
accordato anticipi in attesa della concessione di prestazioni
dell'assicurazione per l'invalidità" [art. 50 cpv. 2 LAI] oder : "... che, in
vista della concessione di una rendita dell'assicurazione invalidità, hanno
effettuato anticipi ..." [art. 85bis cpv. 1 OAI]). Indessen fragt sich, ob
der Wortlaut auch den für die Gesetzesauslegung massgeblichen Rechtssinn
ausdrückt.

5.1 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der
Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach
seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu
Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im
Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen
Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn
triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der
Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem
Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 129 II 118 Erw. 3.1, 129 V
103 Erw. 3.2, je mit Hinweisen).

5.2 Die Formulierung "im Hinblick auf die Leistung der Invalidenversicherung"
resp. "im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung"  erbrachte
Vorschussleistungen ist zunächst auf dem Hintergrund der
Entstehungsgeschichte von Art. 85bis IVV und Art. 50 Abs. 2 IVG zu würdigen.
Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 118 V 88 ausgeführt hat,
stand die damalige, rein auf der Grundlage einer Verwaltungspraxis
entwickelte Drittauszahlung in einem Spannungsverhältnis zum gesetzlichen
Abtretungsverbot (Art. 50 IVG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 AHVG), und
zwar in jenen Fällen, in welchen die seit jeher normativ bestehenden
Voraussetzungen für die Sicherstellung einer zweckgemässen Rentenverwendung
(Art. 50 IVG in Verbindung mit Art. 45 AHVG und Art. 76 AHVV) nicht erfüllt
waren. Es ist daher verständlich, dass der Verordnungsgeber - eingedenk
einerseits des Fehlens einer formell gesetzlichen Grundlage und andererseits
des vom Eidgenössischen Versicherungsgericht in BGE 118 V 88 Entschiedenen -
eine restriktive Formulierung wählte, welche die später Gegenstand der
indirekten Verrechnung darstellenden Sozialhilfeleistungen gleichsam als
Vorschussleistungen der Invalidenversicherung betrachtete. Nachdem nun aber
mit Art. 50 Abs. 2 IVG eine ausdrückliche formell gesetzliche Grundlage
geschaffen worden ist, um die Nachzahlung an bevorschussende Stellen in
Abweichung vom gesetzlichen Leistungsabtretungsverbot zu regeln, besteht an
sich kein Anlass mehr für eine solche zurückhaltende Betrachtungsweise. Daran
ändert nichts, dass Art. 50 Abs. 2 IVG selber den Passus "im Hinblick auf die
Leistung der Invalidenversicherung" enthält. Hier stellt sich die Frage, ob
die an sich klare Formulierung in Art. 85bis Abs. 1 IVV und Art. 50 Abs. 2
IVG zu weit gefasst ist und im Sinne einer teleologischen Reduktion einer vom
Wortlaut abweichenden, restriktiven Interpretation zu weichen hat (vgl. BGE
129 V 220 Erw. 4.2.1 mit Hinweis; Ernst A. Kramer, Teleologische Reduktion -
Plädoyer für einen Akt methodentheoretischer Rezeption, in: Rechtsanwendung
in Theorie und Praxis, Symposium zum 70. Geburtstag von Arthur Meier-Hayoz,
Basel 1993, S. 65). Sinn und Zweck von Art. 50 Abs. 2 IVG und Art. 85bis IVV
ist die Leistungskoordination von Invalidenversicherung einerseits und
Sozialhilfe andererseits. Mit dem Passus "im Hinblick auf ..." geht der
Wortlaut allerdings zu weit. Es kann für die Herstellung der
Leistungskoordination nur darauf ankommen, dass objektiv für den gleichen
Zeitraum Sozialhilfe- und Invalidenversicherungsleistungen fliessen und dass
für die zur Verhinderung eines doppelten Leistungsbezuges erforderliche
Drittauszahlung die weiteren normativen Erfordernisse des Art. 85bis Abs. 1
bis 3 IVV erfüllt sind, hingegen nicht, dass die Sozialhilfeleistungen in
subjektiver Kenntnis eines (bereits eingereichten oder später zu stellenden)
Antrages um Zusprechung einer Rente der Invalidenversicherung ausgerichtet
werden.

5.3 Für diese objektive Betrachtungsweise sprechen ferner folgende
systematische Auslegungsüberlegungen: Abs. 2 von Art. 85bis IVV umschreibt
den Begriff Vorschussleistungen in den beiden Formen der freiwilligen (lit.
a) und der vertraglich oder auf Grund eines Gesetzes erbrachten (lit. b)
Leistungen abschliessend, ohne dass für das Vorliegen einer solchen
Vorschussleistung verlangt wird, dass sie "im Hinblick auf eine Rente der
Invalidenversicherung" erbracht worden ist. Durch Abs. 3, wonach die
Nachzahlung der bevorschussenden Stelle höchstens im Betrag der
Vorschussleistung und für den Zeitraum, in welchem diese erbracht worden ist,
ausbezahlt werden darf, ist weiter auch der Grundsatz der sachlichen
Kongruenz der miteinander indirekt zu verrechnenden Leistungen
sichergestellt. Darüber hinaus auch noch zu verlangen, dass die
bevorschussende Stelle ihre Leistung in Kenntnis eines schon anhängig
gemachten oder später noch zu stellenden Rentenbegehrens gegenüber der
Invalidenversicherung erbracht hat, macht nach dem Gesagten keinen Sinn. Ein
wörtliches Verständnis des Passus "im Hinblick auf ... " würde gegenteils ein
Einfallstor bieten für Zufälligkeiten, welche je nachdem die Drittauszahlung
erlauben oder ihr entgegenstehen. Derjenige Sozialhilfebezüger, welcher den -
schon eingereichten oder noch einzureichenden - Rentenantrag der
Sozialhilfebehörde verschweigt, hätte nicht mit der Nachzahlung der später
festgesetzten Rente der Invalidenversicherung an die Gemeinde zu rechnen,
weil die Sozialhilfe bei Abstellen auf die subjektive Kenntnis der Gemeinde,
nicht "im Hinblick auf" die künftige Rente der Invalidenversicherung
ausgerichtet worden wäre. Hingegen hätte derjenige Versicherte, welcher der
Sozialhilfebehörde von seinem Antrag bei der Invalidenversicherung Kenntnis
gibt, später unter den Voraussetzungen des Art. 85bis Abs. 2 lit. b
(Erfordernis eines eindeutigen Rückforderungsrechtes) eine Nachzahlung mit
indirekter Verrechnung zu gewärtigen. Dies wäre im Lichte des
verfassungsmässigen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 8 Abs. 1 BV) ein
stossendes Ergebnis, das es auf dem Wege der Auslegung zu vermeiden gilt (zur
Bedeutung des Rechtsgleichheitsgrundsatzes für die Auslegung vgl. BGE 126 V
97 Erw. 4b).

6.
6.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird weiter geltend gemacht, die
Gemeinde Y.________ habe als bevorschussende Stelle ihren
Nachzahlungsanspruch nicht, wie es Art. 85bis Abs. 1 Satz 3 IVV verlangt, auf
besonderem Formular geltend gemacht; auch habe die Beschwerdeführerin einer
Auszahlung der Rente an die Gemeinde Y.________ nie zugestimmt.

6.2 Beide Rügen sind unbegründet. Im Rahmen von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV
ist - im Gegensatz zu den freiwilligen Leistungen nach lit. a - keine
Zustimmung der versicherten Person nötig; vielmehr wird diese durch das
Erfordernis eines "eindeutigen Rückforderungsrechts" ersetzt. Die Abgabe der
Zustimmung auf dem dafür vorgesehenen amtlichen Formular im Sinne der vor dem
In-Kraft-Treten des Art. 85bis IVV auf den 1. Januar 1994 ergangenen
Rechtsprechung (BGE 118 V 93 Erw. 3) kann daher nicht mehr die gleiche
Bedeutung haben. Vielmehr kommt dem letzten Satz von Art. 85bis Abs. 1 IVV,
wonach die bevorschussenden Stellen ihren Anspruch mit besonderem Formular
geltend zu machen haben, nurmehr Ordnungscharakter zu.

7.
Weil das Verfahren nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 134 OG betrifft, ist es
kostenpflichtig (Erw. 1 hievor). Die Gerichtskosten wären grundsätzlich von
der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 135 OG). Ihr kann indessen die beantragte unentgeltliche
Prozessführung im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten und die
unentgeltliche Verbeiständung gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art.
135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als
aussichtslos zu bezeichnen (Erw. 4 und 5 hievor) und die Vertretung geboten
war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1400.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werden sie einstweilen auf
die Gerichtskasse genommen.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Daniel
Vonesch, Luzern, aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern, dem
Bundesamt für Sozialversicherung und der Gemeinde Y.________ zugestellt.
Luzern, 5. August 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: