Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 799/2003
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I 799/03

Urteil vom 26. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Schmutz

A.________, 1971, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland
Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 11. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 5. Juli 2002 lehnte die Sozialversicherungsanstalt des
Kantons Aargau, IV-Stelle (nachfolgend: SVA), den Anspruch der 1971 geborenen
A.________ auf eine IV-Rente ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 11. November 2003 ab.

C.
A.________ lässt, wiederum vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ilg,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es sei ihr eine ganze
Invalidenrente auszurichten; eventualiter sei ein Obergutachten einzuholen;
subeventualiter seien berufliche Massnahmen und Arbeitsvermittlung
zuzusprechen. Zudem ersucht sie um die Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung im vor- und letztinstanzlichen Verfahren.

Die SVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne
von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Im
verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur
Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige
Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung
genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise
weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem
Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und
insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw.
1b, je mit Hinweisen).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff
der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28
Abs. 1 und 1bis IVG in der hier anwendbaren, bis Ende 2003 gültig gewesenen
Fassung), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen
Versicherten (Einkommensvergleichsmethode [Art. 28 Abs. 2 IVG in der hier
anwendbaren, bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung; BGE 104 V 136 Erw. 2a
und b]) sowie die Rechtsprechung zu den geistigen Gesundheitsschäden (BGE 127
V 298 Erw. 4c in fine; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen), zur Aufgabe
des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V
134 Erw. 2, 105 V 158 Erw. 1) und zum Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 125
V 352 f. Erw. 3 mit Hinweisen) richtig dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der
(Nicht-)Anwendbarkeit des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
vom 6. Oktober 2000. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass vorliegend
die mit der 4. IV-Revision auf den 1. Januar 2004 in Kraft getretenen
Bestimmungen nicht anwendbar sind.

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Invalidenrente sowie das
Recht auf die Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands im kantonalen
Verfahren.

3.2 Zur Frage der Gewährung beruflicher Eingliederungsmassnahmen ist noch
keine Verfügung ergangen, sodass sie entgegen dem gestellten Eventualantrag
vorliegend nicht zu beurteilen ist (vgl. Erw. 1 hievor). Zudem tat die
Verwaltung in der Begründung ihres Entscheides explizit ihre Bereitschaft
kund, die Beschwerdeführerin bei der beruflichen Eingliederung zu
unterstützen. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, berufliche Massnahmen
und Arbeitsvermittlung würden der Versicherten nicht verwehrt und die
berufliche Eingliederung habe bisher nur wegen ausgeprägter Selbstlimitierung
und fehlender Motivation nicht weiter verfolgt werden können. Sofern die
Versicherte diesbezüglich Hilfestellung durch die Invalidenversicherung
wünsche, könne sie sich jederzeit anmelden. Es finden sich in den Akten denn
auch keinerlei Hinweise, die auf eine Eingliederungsbereitschaft der
Beschwerdeführerin schliessen liessen. Nach der Rechtsprechung setzt der
Anspruch auf eine bestimmte Eingliederungsmassnahme voraus, dass sie sich
nicht nur objektiv mit Bezug auf die Massnahme, sondern auch subjektiv mit
Bezug auf die versicherte Person eignet (ZAK 1991 S. 179 Erw. 3 mit
Hinweisen, vgl. auch AHI 1997 S. 172 Erw. 3a; Meyer-Blaser, Rechtsprechung
des Bundesgerichts zum IVG, S. 56). Eingliederungswirksam kann eine Massnahme
nur sein, wenn die sie ansprechende Person selber wenigstens teilweise
objektiv eingliederungsfähig und subjektiv eingliederungsbereit ist (Urteil
V. vom 21. November 2001, I 270/00; vgl. auch Meyer-Blaser, Zum
Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern
1985, S. 85).

Unter den konkreten Gegebenheiten hat die Verwaltung zu Recht nur über den
Rentenanspruch verfügt. Soweit mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
berufliche Eingliederungsmassnahmen verlangt werden, kann darauf nicht
eingetreten werden.

4.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht, das die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als unzutreffend oder die
rechtliche Würdigung als bundesrechtswidrig erscheinen liesse. Namentlich
verfehlt ist das Argument, Dr. med. K.________, Innere Medizin FMH, habe nach
sorgfältiger Anamnese und detaillierter Untersuchung nachvollziehbar
begründet, dass eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit bestehe. In den Akten
finden sich lediglich drei Zeugnisse des genannten Arztes, in welchen jeweils
angegeben ist, die Beschwerdeführerin sei "seit 1998 bis auf weiteres" ganz
arbeitsunfähig. Es liegen jedoch keine Untersuchungs- oder
Behandlungsberichte geschweige den Begründungen des genannten Arztes vor. Die
Berichte der behandelnden praktischen Ärztin Frau Dr. med. G.________
vermitteln zwar ein etwas klareres Bild des Gesundheitszustandes der
Beschwerdeführerin, doch besteht kein Anlass zu Zweifeln daran, dass das von
der Beschwerdegegnerin in Auftrag gegebene umfassende Gutachten der
Chefärztin Psychosomatik der Klinik X.________, Frau Dr. med. H.________, vom
22. März 2001, wonach bei der Beschwerdeführerin aus psychosomatischer Sicht
lediglich eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit für ausserhäusliche Arbeit
(leichte bis mittelschwere Hilfsarbeiten) von 30 % bestehe, den Verhältnissen
und verbliebenen Möglichkeiten vollständig gerecht wird. Auch die Behauptung,
die Begründung des genannten Gutachtens sei für die behandelnden Ärzte Dres.
med. G.________ und K.________ nicht nachvollziehbar, ist nicht belegt. Im
Übrigen enthält sich die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe jeglicher
inhaltlicher Auseinandersetzung mit der von ihr als blosses Parteigutachten
mit Widersprüchlichkeiten qualifizierten Expertise. Auf Grund der
medizinischen Aktenlage besteht kein Anlass zu zusätzlichen Abklärungen. Von
weiteren Beweisvorkehren ist daher abzusehen.

5.
5.1 Nach Gesetz (Art. 152 OG) und Praxis sind in der Regel die Voraussetzungen
für die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung
erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig
und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist (BGE 125 V
202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen).

5.2 Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne
der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos.

5.3 Gemäss Art. 61 Abs. 1 Satz 1 ATSG bestimmt sich das Verfahren vor dem
kantonalen Versicherungsgericht unter Vorbehalt von Art. 1 Abs. 3 VwVG nach
kantonalem Recht, das bestimmten bundesrechtlichen Anforderungen zu genügen
hat. So sieht lit. f dieser Bestimmung vor, dass das Recht, sich
verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein muss (Satz 1). Wo die
Verhältnisse es rechtfertigen, wird der Beschwerde führenden Person ein
unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt (Satz 2). Mit Inkraftsetzung des
neuen Rechts ist der gemäss alt Art. 69 IVG auch für den Bereich der
Invalidenversicherung anwendbare Art. 85 Abs. 2 lit. f Sätze 1 und 2 AHVG
aufgehoben worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers hat sich inhaltlich
nichts geändert, sodass die zu alt Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG ergangene
Rechtsprechung (vgl. Erw. 5.1 hievor) weiterhin anwendbar ist (SVR 2004 AHV
Nr. 5 S. 17 Erw. 2.1 mit Hinweisen).

5.4 Der an die Vorinstanz gerichtete Vorwurf, sie habe über das gestellte
Gesuch auf Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes weder erwogen
noch entschieden, ist berechtigt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist in
diesem Punkt gutzuheissen und die Sache zum Entscheid an die kantonale
Instanz zurückzuweisen. Die Bemessung der Entschädigung an den
unentgeltlichen Rechtsbeistand ist mangels bundesrechtlicher Bestimmung dem
kantonalen Recht überlassen (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, Art.
61 Rz 92), mit welchem sich das Eidgenössische Versicherungsgericht
grundsätzlich nicht zu befassen hat (Art. 128 OG in Verbindung mit Art. 97
Abs. 1 OG und Art. 5 Abs. 1 VwVG). Es darf die Höhe der Entschädigung nur
daraufhin überprüfen, ob die Anwendung der für ihre Bemessung einschlägigen
kantonalen Bestimmungen, sei es bereits auf Grund ihrer Ausgestaltung oder
aber auf Grund des Ergebnisses im konkreten Fall (RKUV 1993 Nr. U 172 S.
144), zu einer Verletzung von Bundesrecht geführt hat (Art. 104 lit. a OG).

5.5 Dem Gesuch um die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung im
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht ist nicht
stattzugeben, weil der Prozess in sämtlichen Punkten ausser bezüglich der
Frage der Prüfung des Anspruchs auf unentgeltliche Verbeiständung im
vorinstanzlichen Verfahren als von vornherein als aussichtslos zu betrachten
ist, nachdem die Vorinstanz in ihrem Entscheid die Rechtslage einlässlich
darlegte und begründete und in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen
nichts Erhebliches vorgebracht wird.

5.6 Nach Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG dürfen einem Kanton, der
nicht Partei ist, grundsätzlich keine Gerichtskosten und
Parteientschädigungen überbunden werden. In Anwendung von Art. 156 Abs. 2 OG
sowie Art. 159 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 6 OG rechtfertigt sich
eine Ausnahme von dieser Regel indessen namentlich dann, wenn ein
richterlicher Entscheid in qualifizierter Weise die Pflicht zur
Justizgewährleistung verletzt und den Parteien Kosten verursacht hat (RKUV
1999 Nr. U 331 S. 128). Im vorliegenden Fall hat das kantonale Gericht über
das gestellte Gesuch auf Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes
weder erwogen noch entschieden und durch den Weiterzug des Gesuchs an das
Eidgenössische Versicherungsgericht sind Kosten entstanden. Weil die
Beschwerdeführerin bezüglich der Überprüfung des Anspruchs auf unentgeltliche
Verbeiständung im kantonalen Verfahren teilweise obsiegt, hat sie Anspruch
auf eine reduzierte Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren
(Art. 159 Abs. 2 und 3 OG) zu Lasten des Kantons Aargau. Keine
Parteientschädigung ist dagegen der SVA als mit öffentlich-rechtlichen
Aufgaben betraute Organisation zuzusprechen (vgl. BGE 118 V 169 Erw. 7).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf einzutreten ist, wird
teilweise gutgeheissen und die Sache an das kantonale Versicherungsgericht
zurückgewiesen, damit es, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägung 5.4,
auch über den Anspruch auf Verbeiständung im kantonalen Verfahren entscheide.
Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 300.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 26. April 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: