Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 77/2003
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I 77/03

Urteil vom 2. September 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Flückiger

Z.________, 1972, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Patrick
Wagner, Schaffhauserstrasse 28, 4332 Stein,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 29. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1972 geborene Z.________ ist seit April 1988 bei der Firma
C.________angestellt, wo sie als Verkäuferin arbeitet. Wegen seit 1996
bestehender Rückenbeschwerden, die im Januar 1997 operativ behandelt wurden,
meldete sie sich am 16. Februar 1998 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug (Rente) an. Die IVBStelle des Kantons Aargau sprach der
Versicherten nach Durchführung medizinischer und erwerblicher Abklärungen mit
Verfügung vom 3. September 1998 für die Zeit ab 1. Januar 1998 eine halbe
Rente auf Grund eines Invaliditätsgrades von 50 % zu.

Im Rahmen einer amtlichen Rentenrevision hob die Verwaltung die Rente mit
Verfügung vom 5. Februar 2002 per Ende des der Zustellung der Verfügung
folgenden Monats auf mit der Begründung, der Invaliditätsgrad habe sich auf
33 % reduziert.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab (Entscheid vom 29. Oktober 2002).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Z.________ das Rechtsbegehren
stellen, es sei ihr weiterhin eine halbe Rente, eventuell eine Viertelsrente
zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat zutreffend dargelegt: Die Bestimmungen und
Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die
Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis
IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 114 V 313 Erw. 3a mit
Hinweisen, 104 V 136 Erw. 2a und b), bei Nichterwerbstätigen im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 IVG, namentlich im Haushalt beschäftigten Versicherten, nach
der spezifischen Methode (Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1
und 2 IVV; BGE 104 V 136 Erw. 2a; AHI 1997 S. 291 Erw. 4a) und bei
teilerwerbstätigen Versicherten nach der gemischten Methode (Art. 27bis Abs.
1 IVV; BGE 125 V 146, 104 V 136 Erw.2a; ZAK 1992 S. 128 Erw. 1b mit
Hinweisen) sowie die Rentenrevision (Art. 41 IVG), insbesondere die dabei zu
vergleichenden Sachverhalte (BGE 125 V 369 Erw. 2 mit Hinweis) und relevanten
Gerichtspunkte (BGE 105 V 30 mit Hinweisen, 113 V 275 Erw. 1a; vgl. auch BGE
119 V 478 f. Erw. 1b/aa mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen
ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im
vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 5. Februar 2002) eingetretene
Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Streitig ist der Rentenanspruch für die Zeit ab 1. April 2002. Dieser hängt
davon ab, ob zwischen dem Erlass der die Rente zusprechenden Verfügung vom 3.
September 1998 und der sie aufhebenden Revisionsverfügung vom 5. Februar 2002
Tatsachenänderungen eingetreten sind, welche den Rentenentzug rechtfertigen.

3.
3.1 Bei Erlass der Verfügung vom 3. September 1998 wurde der Invaliditätsgrad
der Beschwerdeführerin, welche vor dem Eintritt des Gesundheitsschadens
vollzeitlich erwerbstätig gewesen war, auf der Grundlage eines reinen
Einkommensvergleichs festgesetzt. Die IV-Stelle gelangte zum Ergebnis, die
Versicherte könne ihre bisherige Tätigkeit, welche sie im Gesundheitsfall
vollzeitlich fortgesetzt hätte, wegen ihrer Rückenbeschwerden nur noch mit
einem Pensum von 50 % ausüben. Sie erleide dadurch eine Lohneinbusse von 50
%. Die Verwaltung stützte sich dabei auf Auskünfte der Arbeitgeberin vom 20.
März 1998 sowie Berichte des Dr. med. S.________, Allgemeine Medizin FMH, vom
22. Februar 1998 und des Dr. med. R.________, Chefarzt Orthopädische Klinik
am Spital X.________, vom 20. April 1998.

3.2
3.2.1Im Juli 2000 leitete die IV-Stelle das periodische amtliche
Revisionsverfahren ein. Die Versicherte erklärte, ihr Gesundheitszustand habe
sich nicht verändert; dagegen könne sie nicht mehr zu 100 % erwerbstätig
sein. Sie arbeite weiter, um ein bisschen unter die Leute zu kommen, was für
ihre Psyche gut sei. Dr. med. S.________ bestätigte am 19. November 2000,
dass der Gesundheitszustand stationär sei und die gesundheitlich begründete
Arbeitsunfähigkeit als Verkäuferin weiterhin 50 % betrage. Er fügte bei, die
Versicherte habe 1999 ein gesundes Kind geboren. Dem Bericht der
Arbeitgeberin vom 14. November 2000 ist zu entnehmen, dass die
Beschwerdeführerin ihre Arbeitszeit nach der Geburt des Kindes reduziert habe
und seit 1. Oktober 1999 stundenweise nach Bedarf eingesetzt werde. Die
IV-Stelle holte die Stundenabrechnungen der Monate Januar bis Mai 2001 ein
und liess durch den IV-internen Abklärungsdienst eine Abklärung an Ort und
Stelle vornehmen, welche am 18. September 2001 stattfand. Laut dem
entsprechenden Bericht gab die Versicherte an, sie habe aktuell einen
Arbeitsvertrag von maximal 10 Stunden pro Woche und werde nach der (in etwa
sechs Wochen zu erwartenden) Geburt des zweiten Kindes noch fünf Stunden pro
Woche erwerbstätig sein. Ohne Gesundheitsschaden würde sie auch mit zwei
Kindern aus finanziellen Gründen eine Erwerbstätigkeit von 50 % ausüben,
wobei die Kinder während dieser Zeit durch ihre Eltern betreut würden. Im
Anschluss an den Vorbescheid erhob die Beschwerdeführerin verschiedene
Einwände gegen den Abklärungsbericht, ohne jedoch die darin enthaltene
Aussage zur Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall zu thematisieren. In der
vorinstanzlichen Beschwerdeschrift wird dagegen erstmals geltend gemacht,
diesfalls wäre die Erwerbstätigkeit nach der Geburt der beiden Kinder
vollzeitlich beibehalten worden. Zur Stützung dieser Darstellung liess die
Beschwerdeführerin eine Erklärung ihrer Eltern vom 15. Februar 2002
einreichen. Darin wird bestätigt, dass die Beschwerdeführerin vor dem
Eintritt der Rückenprobleme beabsichtigt habe, auch dann vollzeitlich
erwerbstätig zu bleiben, wenn sie Kinder bekommen sollte, wobei sie, die
Eltern, bereit gewesen wären, die Kinder vollumfänglich zu betreuen. Im Sinne
eines Eventualstandpunktes wurde im kantonalen Verfahren ausgeführt,
jedenfalls eine Erwerbstätigkeit von 70 % sei als hinreichend nachgewiesen
anzusehen.

3.2.2 Die im Abklärungsbericht Haushalt vom 18. September 2001
wiedergegebenen Aussagen der Beschwerdeführerin zur mutmasslichen
Erwerbstätigkeit ohne Behinderung sind klar und bedürfen keiner
Interpretation. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nun erstmals
vorgebracht, die Beschwerdeführerin habe die entsprechende Frage anders
verstanden und auf die Situation mit Behinderung, aber ohne Kinder bezogen.
Ein derartiges Missverständnis ist zwar sachlich nicht vollkommen
ausgeschlossen, trägt aber doch den Charakter des Ungewöhnlichen. Es wäre
daher jedenfalls zu erwarten, dass es bei erster Gelegenheit ausgeräumt
würde. Weder die Stellungnahme zum Vorbescheid noch die vorinstanzliche
Beschwerdeschrift enthalten jedoch irgendeinen diesbezüglichen Hinweis. Die
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde neu aufgestellte Behauptung, die Frage
sei falsch verstanden worden, ist daher nicht glaubhaft.

3.2.3 Gemäss ihrer schlüssigen, im Abklärungsbericht vom 18. September 2001
festgehaltenen Aussage wäre die Beschwerdeführerin ohne Behinderung mit den
beiden Kindern noch zu 50 % erwerbstätig. Derartige im Verlauf des
Abklärungsverfahrens gemachte Angaben  sind praxisgemäss stärker zu gewichten
als spätere, anders lautende Erklärungen, welche von Überlegungen
sozialversicherungsrechtlicher Natur beeinflusst sein können (AHI 2000 S. 197
Erw. 2d; Erw. 3 des in RKUV 2001 Nr. U 437 S. 342 ff. auszugsweise
publizierten Urteils C. vom 18. Juli 2001, U 430/00). Ihnen kann
grundsätzlich volle Beweiskraft beigemessen werden. Zudem bestehen, wie das
kantonale Gericht zu Recht ausführt, weitere Indizien, welche in dieselbe
Richtung weisen. Daher ist - auch unter Berücksichtigung der Erklärung der
Eltern der Beschwerdeführerin vom 15. Februar 2002 - mit der Vorinstanz davon
auszugehen, dass die Erwerbstätigkeit auf ein Pensum von 50 % reduziert
worden wäre. Der Vorwurf, das kantonale Gericht und die IV-Stelle hätten in
diesem Zusammenhang den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör
verletzt, ist unzutreffend. Die IV-Stelle hatte keinen Anlass, sich mit
dieser Frage auseinanderzusetzen, da ihre diesbezüglichen Feststellungen vor
dem Erlass der Verfügung vom 5. Februar 2002  nicht beanstandet worden waren.
Die Vorinstanz gab klar zu erkennen, dass sie auf den insoweit schlüssigen
Abklärungsbericht abstellte und angesichts zusätzlicher, die dortigen
Feststellungen stützender Indizien die Vornahme weiterer Abklärungen als
nicht notwendig erachtete. Eine derartige antizipierte Beweiswürdigung
verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV nicht
(BGE 124 V 94 Erw. 4b; SVR 2003 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 4.2.1 mit Hinweisen).
Ebenso genügt die vorinstanzliche Begründung den aus dem Anspruch auf
rechtliches Gehör abzuleitenden Anforderungen (BGE 126 I 102 f. Erw. 2b).
Daran ändert der Umstand nichts, dass das kantonale Gericht die Bestätigung
der Eltern vom 15. Februar 2002 nicht ausdrücklich erwähnt hat, zumal die
Entscheidung über eine Reduktion der Erwerbstätigkeit nur durch die
Beschwerdeführerin selbst und nicht durch ihre Eltern hätte getroffen werden
können.

3.2.4 Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin, welche bei der ursprünglichen
Rentenzusprechung als voll erwerbstätig eingestuft wurde, im
Revisionszeitpunkt ohne gesundheitliche Beeinträchtigung auf Grund
zwischenzeitlich eingetretener Veränderungen nur noch hälftig erwerbstätig
wäre, führt zu einem Methodenwechsel in der Invaliditätsbemessung. Der
Invaliditätsgrad ist nicht mehr mittels eines reinen Einkommensvergleichs
(Art. 28 Abs. 2 IVG), sondern nach der gemischten Methode (Art. 28 Abs. 3 IVG
in Verbindung mit Art. 27bis IVV) zu bemessen. Damit sind die Voraussetzungen
für einen Eingriff in die Rentenberechtigung als Dauerschuldverhältnis
gegeben (BGE 119 V 478 f. Erw. 1b/aa mit Hinweisen).

3.3 Nach der medizinischen Aktenlage ist die Beschwerdeführerin, was
unbestritten ist, in der Lage, ihre bisherige Erwerbstätigkeit mit einem
Pensum von (mindestens) gut zehn Stunden pro Woche weiter auszuüben. Die
IV-Stelle hat auf dieser Grundlage einen Invaliditätsgrad für den
erwerblichen Bereich von 48.68 % oder aufgerundet 49 % ermittelt, welchen die
Vorinstanz auf 50 % korrigierte. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
der kantonale Entscheid insoweit nicht beanstandet. Die Annahme einer
Erwerbsunfähigkeit von 50 % - oder, im Rahmen der gemischten Methode mit 50 %
gewichtet, 25 % - erscheint im Lichte der Rechtsprechung (BGE 125 V 146) als
jedenfalls nicht zu tief. Seitens des ebenfalls mit 50 % zu gewichtenden (ZAK
1992 S. 128 Erw. 1b) Haushaltsbereichs resultiert nach dem Abklärungsbericht
vom 18. September 2001 eindeutig keine rentenberechtigende Beeinträchtigung.
Die Vorinstanz hat mit zutreffender Begründung unter Hinweis auf die
Rechtspechung (AHI 1997 S. 291 Erw. 4a; ZAK 1986 S. 235 Erw. 2d) dargelegt,
dass und weshalb kein Anlass besteht, von der durch die Abklärungspersonen
ermittelten Einschränkung von 18 % (oder gewichtet 9 %) abzuweichen. Die
Addition der beiden gewichteten Invaliditätsgrade ergibt 34 %. Damit wird der
für den Rentenanspruch vorausgesetzte Wert von 40 % (Art. 28 Abs. 1 IVG)
nicht mehr erreicht. Verwaltung und Vorinstanz haben deshalb mit der
Verfügung vom 5. Februar 2002 und dem diese bestätigenden Gerichtsentscheid
zu Recht den Eintritt einer die revisionsweise Aufhebung der Rente
rechtfertigenden Veränderung bejaht und die Dauerleistung per Ende März 2002
aufgehoben (Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 2. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: