Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 769/2003
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I 769/03

Urteil vom 17. Februar 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Arnold

X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Egloff,
Landstrasse 99, 5430 Wettingen,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 28. Oktober 2003)

Sachverhalt:

A.
A.a X.________ meldete sich am 26. Juli 1988 unter Hinweis auf eine
Diskushernie L4/L5, die während des stationären Aufenthaltes im Spital
Q.________ (vom 2. bis 18. Februar 1988) operativ behandelt worden war, bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Vor Auftreten des
Rückenleidens vollzeitig als Magaziner angestellt, ist er seit Frühjahr 1990
im Umfang von 50 % als Verkäufer bei der Firma A.________ erwerbstätig.

Gestützt auf den Präsidialbeschluss der IV-Kommission des Kantons Aargau vom
3. April 1990 sprach die AHV-Ausgleichskasse Migros-Betriebe X.________ auf
Grund eines Invaliditätsgrades von 50 % rückwirkend ab 1. Januar 1989 eine
halbe Invalidenrente zu (Verfügung vom 7. September 1990). Gemäss
Mitteilungen vom 1. Februar 1991, 19. Juni 1997 und 11. Mai 2000 wurde die
Zusprechung einer halben Rente im Rahmen verschiedener Revisionen von Amtes
wegen jeweils bestätigt.

A.b Am 30. August 2002 wandte sich X.________ unter Verwendung des Formulars
"Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen für Erwachsene" an die Verwaltung. Die
IV-Stelle des Kantons Aargau forderte ihn daraufhin am 12. September 2002
auf, innert einer Frist von 14 Tagen glaubhaft zu machen, dass sich der
Gesundheitszustand in für den Anspruch auf Rente erheblicher Weise
verschlechtert habe, andernfalls auf sein Gesuch nicht eingetreten werde. Im
Schreiben vom 26. September 2002 legte X.________ unter Beilage der
Lohnabrechnung für den Monat August 2002 dar, dass er seit August 2000
weitere zwei Mal am Rücken operiert worden sei. Arztberichte könnten bei Dr.
med. F.________, Oberarzt an der Neurochirurgischen Klinik des Spitals
Q.________, eingeholt werden. Am 7. Oktober 2002 erliess die IV-Stelle eine
auf Nichteintreten lautende Verfügung.

B.
Die dagegen eingereichte Beschwerde, welcher Berichte des Dr. med. F.________
(vom 15. November und 19. Dezember 2001, 22. März und 27. Mai 2002) sowie des
Dr. med. K.________, Oberarzt an der Neurochirurgischen Klinik des Spitals
Q.________, vom 26. September 2002 beilagen, wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 28. Oktober 2003).

C.
X.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in
Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides und der Verfügung vom 7. Oktober
2002 sei die Verwaltung anzuweisen, auf das Revisionsgesuch vom 30. August
2002 einzutreten. Mit der Eingabe werden Berichte der Neurochirurgischen
Klinik des Spitals Q.________ (vom 28. November 2002 und vom 18. Februar
2003), der Frau Dr. med. Z.________, Fachärztin für Psychiatrie und
Psychotherapie (vom 25. August 2003), des Dr. med. Y.________, FMH Allgemeine
Medizin (vom 30. September 2003), sowie ein Gutachten des Dr. med.
B.________, Spezialarzt FMH für Orthopädische Chirurgie,  (vom 21. November
2003) aufgelegt.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin am 7. Oktober 2002 zu
Recht Nichteintreten auf das Revisionsgesuch vom 30. August 2002 verfügt hat.
Prozessthema ist die Frage, ob glaubhaft im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV (in
der bis zum 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) ist, dass sich die
tatsächlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers in für den Anspruch auf
Rente erheblicher Weise geändert haben. Das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 findet, wie bereits die
Vorinstanz zutreffend erwogen hat, keine Anwendung, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der strittigen Verfügung vom 7. Oktober 2002
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen nicht berücksichtigt werden
(BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Im noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteil D. vom 16.
Oktober 2003, I 249/01, gelangte das Eidgenössische Versicherungsgericht
durch Auslegung des Art. 87 Abs. 3 IVV (in der bis zum 31. Dezember 2002
gültig gewesenen Fassung) zum Schluss, dass die versicherte Person mit dem
Revisionsgesuch die massgebliche Tatsachenänderung glaubhaft machen muss. Der
Untersuchungsgrundsatz, wonach das Gericht von Amtes wegen für die richtige
und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen hat
(BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a), findet insofern keine Anwendung.
Macht die versicherte Person im Revisionsgesuch keinen Eintretenstatbestand
glaubhaft, sondern verweist sie bloss auf ergänzende Beweismittel,
insbesondere Arztberichte, die noch nachgereicht würden, so ist ihr eine
angemessene Frist zur Einreichung der Beweismittel anzusetzen. Diese
Massnahme ist mit der Androhung zu verbinden, dass ansonsten gegebenenfalls
auf Nichteintreten zu erkennen ist. Ergeht eine Nichteintretensverfügung im
Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, das den eben umschriebenen Anforderungen
in Bezug auf Fristansetzung und Androhung der Säumnisfolgen genügt, so haben
die Gerichte ihrer beschwerdeweisen Überprüfung den Sachverhalt zu Grunde zu
legen, der sich der Verwaltung geboten hat. Daran vermag für den
letztinstanzlichen Prozess auch Art. 132 lit. b OG nichts zu ändern.

3.
3.1 X.________ gelangte am 30. August 2002 unter Benutzung des Formulars
"Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen für Erwachsene" an die Verwaltung, um,
darin stimmen alle Verfahrensbeteiligten zu Recht überein, zumindest dem Sinn
nach revisionsweise die Zusprechung einer ganzen Rente zu beantragen. Die
IV-Stelle hat ihn daraufhin in Nachachtung der in Erw. 2 hievor dargelegten
Grundsätze am 12. September 2002 aufgefordert, innert einer Frist von 14
Tagen eine revisionsrechtlich erhebliche Tatsachenänderung glaubhaft zu
machen, andernfalls das Revisionsgesuch durch Nichteintreten erledigt würde.
Indem der Beschwerdeführer sich in seiner Eingabe vom 30. September 2002
darauf beschränkte, abermals anzuführen, zwischenzeitlich zwei weitere Male
am Rücken operiert worden zu sein und er die Lohnabrechnung für den Monat
August 2002 einreichte, ist er seiner in Erw. 2 umschriebenen
Beweisführungslast nicht nachgekommen.

Zu würdigen bleibt der Umstand, dass sich laut Darstellung des
Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren Dr. med. F.________ ihm gegenüber
auf den Standpunkt gestellt habe, die IV-Stelle möge die revisionsrechtlich
erforderlichen Angaben bei ihm direkt in Erfahrung bringen. Im kantonalen
Prozess präzisierte der Beschwerdeführer seine Sachverhaltsdarstellung
dahingehend, dass er auf Rat des Dr. med. F.________ hin ein Revisionsgesuch
gestellt habe. Dessen Nachfolger, Dr. med. K.________, den er im Hinblick auf
das Abfassen der Eingabe vom 30. September 2002 kontaktiert habe, habe
seinerseits erklärt, falls erforderlich, im Anschluss an die nächste
ärztliche Konsultation zu Handen der IV-Stelle einen Bericht zu verfassen.
Wann und welchen Inhalts Gespräche zwischen dem Beschwerdeführer und den
Dres. med. F.________ oder K.________ stattfanden, braucht nicht
abschliessend beurteilt zu werden. Eintretensrechtlich ist entscheidend, dass
es dem Beschwerdeführer nach Lage der Akten ohne weiteres möglich gewesen
wäre, die vorinstanzlich aufgelegten Berichte des Dr. med. F.________ (vom
15. November und 19. Dezember 2001, 22. März und 27. Mai 2002), allesamt
adressiert an den damaligen Hausarzt des Beschwerdeführers, Dr. med.
S.________, von Letzterem erhältlich zu machen und diese Berichte bereits im
Verwaltungsverfahren aufzulegen.

3.2 Nach dem Gesagten ist die Verwaltung zu Recht nicht auf das sinngemäss
gestellte Revisionsgesuch vom 30. August 2002 eingetreten. Weil die
Nichteintretensverfügung vom 7. Oktober 2002 im Rahmen eines
Verwaltungsverfahrens erging, das den Anforderungen in Bezug auf
Fristansetzung und Androhung der Säumnisfolgen genügt (Erw. 2 und 3.1) und es
dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen wäre, die von ihm als massgeblich
erachteten Arztberichte des Dr. med. F.________ nicht erst im kantonalen
Prozess aufzulegen, waren die nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens
aufgelegten Arztberichte bei der beschwerdeweisen Überprüfung vor- wie
letztinstanzlich von vornherein nicht massgeblich (vgl. Erw. 2 in fine).
Verwaltungsverfügung wie vorinstanzlicher Entscheid sind mithin rechtens.

4.
Die mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten medizinischen Akten
enthalten indes Anhaltspunkte dafür, dass seit Erlass der
Verwaltungsverfügung eine revisionsrechtlich erhebliche Verschlechterung des
Gesundheitszustandes eingetreten ist. So lässt laut Bericht des Dr. med.
K.________ (vom 28. November 2002) die am 14. November 2002 durchgeführte
Myelographie, anders als die bis dahin erstellten aktenkundigen Arztberichte,
auf eine deutliche Kompression des Rezessus lateralis linksseitig schliessen.
Der Bericht der Frau Dr. med. Z.________ (vom 25. August 2003) spricht davon,
dass der Beschwerdeführer seit 12. Juni 2003 in komplexer psychiatrischer
Behandlung (Pharmako-und Psychotherapie) stünde. Es rechtfertigt sich daher,
die vom 1. Dezember 2003 datierende Eingabe an das Eidgenössische
Versicherungsgericht als Revisionsgesuch an die IV-Stelle zu überweisen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Akten werden an die IV-Stelle des Kantons Aargau überwiesen, damit diese
im Sinne der Erw. 4 verfahre.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 17. Februar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: