Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 764/2003
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I 764/03

Urteil vom 22. Januar 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Frésard; Gerichtsschreiber
Widmer

W.________, 1968, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 3. November 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1968 geborene W.________ ist gelernter Metzger. Seit September 1996
arbeitete er als Maschinenführer bei der X.________ AG. Diese Tätigkeit
musste er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Am 23. Oktober 2002 meldete
er sich unter Hinweis auf Gelenkbeschwerden und Schwierigkeiten beim Gehen
bei der Invalidenversicherung zur Umschulung auf eine neue Tätigkeit als «QS
Fachmann» an. Nach Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht
lehnte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen das Gesuch ab, weil der
Versicherte in einer leidensangepassten Tätigkeit voll arbeitsfähig sei und
damit ein Einkommen erzielen könnte, das dem bisherigen Lohn entspräche. Auf
Einsprache hin hielt die IV-Stelle mit Entscheid vom 13. Juni 2003 an ihrem
Standpunkt fest.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher W.________ sinngemäss
beantragte, unter Aufhebung des Einspracheentscheides seien ihm
Umschulungsmassnahmen zu Lasten der Invalidenversicherung zuzusprechen, wies
das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ab (Entscheid vom 3. November
2003).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert W.________ das vorinstanzlich
gestellte Rechtsbegehren.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Vorinstanz hat die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze über den
Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit (Art. 17 Abs. 1 IVG;
Art. 6 Abs. 1 IVV; BGE 124 V 108) und die dabei vorausgesetzte Erheblichkeit
der Invalidität in Form einer bleibenden oder längere Zeit dauernden
Erwerbseinbusse von etwa 20 % (BGE 124 V 110 f. Erw. 2b mit Hinweisen)
zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.

1.2 Ziel der Umschulung ist es, dem Versicherten eine seiner früheren
annähernd gleichwertige Erwerbsmöglichkeit zu vermitteln. Für die Beurteilung
der Gleichwertigkeit kommt es zwar in erster Linie auf die miteinander zu
vergleichenden Erwerbsmöglichkeiten im ursprünglichen und im neuen Beruf oder
in einer dem Versicherten zumutbaren Tätigkeit an. Dabei geht es jedoch nicht
an, den Anspruch auf Umschulungsmassnahmen - gleichsam im Sinne einer
Momentaufnahme - ausschliesslich vom Ergebnis eines auf den aktuellen
Zeitpunkt begrenzten Einkommensvergleichs, ohne Rücksicht auf den
qualitativen Ausbildungsstand einerseits und die damit zusammenhängende
künftige Entwicklung der erwerblichen Möglichkeiten anderseits, abhängen zu
lassen. Vielmehr ist im Rahmen der vorzunehmenden Prognose (BGE 124 V 111
Erw. 3b mit Hinweis) unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht nur
der Gesichtspunkt der Verdienstmöglichkeit, sondern der für die künftige
Einkommensentwicklung ebenfalls bedeutsame qualitative Stellenwert der beiden
zu vergleichenden Berufe mit zu berücksichtigen. Die annähernde
Gleichwertigkeit der Erwerbsmöglichkeit in der alten und neuen Tätigkeit
dürfte auf weite Sicht nur dann zu verwirklichen sein, wenn auch die beiden
Ausbildungen einen einigermassen vergleichbaren Wert aufweisen (BGE 124 V 111
Erw. 3b mit Hinweisen).

2.
2.1 Das kantonale Gericht nahm an, dass der Beschwerdeführer seinen
ursprünglich erlernten Beruf als Metzger aus invaliditätsfremden Gründen
aufgegeben habe. In der Folge habe er von 1993 bis 1996 als angelernter Koch
und später als Maschinenführer gearbeitet. Für die Beurteilung des
Umschulungsanspruchs sei daher nicht der erlernte Beruf, sondern die zuletzt
ausgeübte Hilfsarbeit massgebend. Auf Grund der Arztberichte sei für leichte
körperliche Tätigkeiten, die vorwiegend sitzend verrichtet werden können,
eine volle Arbeitsfähigkeit gegeben, die dem Beschwerdeführer auch ohne
Umschulung verschiedene Tätigkeiten wie Bedienungsarbeiten an einer Maschine,
Kontroll-, Verpackungs-, Sortier- und Überwachungsarbeiten ermögliche. Aus
dem Vergleich zwischen dem bei der X.________ AG zuletzt erzielten Einkommen
als Maschinenführer und dem leidensbedingt um 10 % reduzierten
Durchschnittslohn für leichte Tätigkeiten gemäss der Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik errechnete die Vorinstanz eine Erwerbseinbusse von
rund 9 %, die keinen Anspruch auf Umschulung begründe. Dem Beschwerdeführer
könne aber auch mit Blick auf den Grundsatz der Gleichwertigkeit keine
Umschulung gewährt werden, da es nicht Sache der Invalidenversicherung sei,
einen Behinderten in eine bessere beruflich-erwerbliche Stellung zu führen,
als sie vor Eintritt der Invalidität bestand.

2.2
2.2.1Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der Versicherte verfügt
über eine abgeschlossene Berufslehre als Metzger. Diese Arbeit, die mit
häufigem Stehen verbunden ist, kann er invaliditätsbedingt nicht mehr
ausüben. Aus dem Umstand, dass er während Jahren als Hilfsarbeiter tätig war,
kann nicht abgeleitet werden, eine Umschulung falle für ihn ausser Betracht.
Die Ansicht, ein Versicherter der immer oder während vieler Jahre als
Hilfsarbeiter tätig gewesen ist, bedürfe, um weiterhin als solcher zu
arbeiten, keiner Umschulung, widerspricht dem eingliederungsrechtlichen
Grundsatz der «annähernden Gleichwertigkeit» des mit der Umschulung
angestrebten Berufs im Vergleich zur angestammten Tätigkeit (BGE 124 V 110
Erw. 2a mit Hinweisen). Ebenfalls ist fraglich, ob diese Auffassung mit dem
verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot nach Art. 8 Abs. 2 BV vereinbar
wäre (Urteil P. vom 6. Mai 2002, I 104/02). Die Tatsache, dass der
Beschwerdeführer vor Eintritt der Invalidität aus ungeklärten Gründen nicht
in seinem erlernten Beruf arbeitete, sondern eine Hilfsarbeit als
Maschinenführer verrichtete, steht dem Umschulungsanspruch mindestens so
lange nicht entgegen, als feststeht, dass er sowohl die angestammte, als auch
die zuletzt ausgeübte Tätigkeit infolge des Gesundheitsschadens nicht mehr
ausüben kann.

2.2.2 Die Tatsache, dass nach der Berechnung des kantonalen Gerichts in einer
leidensangepassten Tätigkeit im Vergleich zur zuletzt verrichteten Arbeit als
Maschinenführer ein Minderverdienst von lediglich rund 9 % resultiert,
schliesst eine Umschulung ebenfalls nicht aus. Abgesehen davon, dass die
Lohndifferenz auf einem leidensbedingten Abzug von dem als Invalideneinkommen
herangezogenen Tabellenlohn von 10 % beruht, welcher der ärztlichen
Stellungnahme, wonach dem Beschwerdeführer mit Rücksicht auf seinen
Gesundheitsschaden nur noch Arbeiten, die kein längeres Stehen erfordern,
zumutbar sind, kaum hinreichend Rechnung trägt, gilt es zu beachten, dass
unqualifizierte Hilfsarbeit mit etwelchen konjunkturellen Risiken behaftet
und von der Lohnentwicklung her nicht mit einer Tätigkeit vergleichbar ist,
die eine Berufsausbildung voraussetzt (BGE 124 V 112). Der vom kantonalen
Gericht im Sinne einer Momentaufnahme durchgeführte Einkommensvergleich
zwischen den Einkünften aus zwei Hilfsarbeitertätigkeiten lässt denn auch
jeglichen Bezug zu den künftigen Erwerbsmöglichkeiten des noch jungen, 1968
geborenen Versicherten mit einer langen verbleibenden Aktivitätsdauer (Art. 8
Abs. 1 Satz 2 IVG) vermissen.

2.2.3 Im Lichte dieser Erwägungen ist der Anspruch des Beschwerdeführers, der
invaliditätsbedingt weder in seinem angestammten Beruf als Metzger arbeiten
noch die zuletzt während Jahren ausgeübte Hilfsarbeit als Maschinenführer
verrichten kann, auf Umschulung nach Art. 17 Abs. 1 IVG zu bejahen. Die
IV-Stelle, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird abklären, welche
Umschulungsmassnahmen notwendig und geeignet sind, dem Versicherten eine
seiner früheren annähernd gleichwertige Erwerbsmöglichkeit zu vermitteln.
Gestützt auf die Ergebnisse der Aktenergänzung wird sie über die Umschulung
verfügen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 3. November 2003 und der
Einspracheentscheid vom 13. Juni 2003 aufgehoben mit der Feststellung, dass
der Beschwerdeführer Anspruch auf Umschulungsmassnahmen hat, und die Sache
wird an die IV-Stelle des Kantons St. Gallen zurückgewiesen, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Umschulung verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse Y.________ und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 22. Januar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: