Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 75/2003
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I 75/03

Urteil vom 6. Februar 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Polla

M.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokatin Barbara Pauen
Borer, Falknerstrasse 3, 4001 Basel,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 2. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1959 geborene M.________ war von August 1989 bis Juni 1998 als
Bauarbeiter/Gerüster bei der G.________ AG in X.________ tätig. Am 14. April
1999 meldete er sich unter Hinweis auf seit 1996 bestehende Schulter- und
Rückenschmerzen zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Mangels
rentenbegründender Invalidität lehnte die IV-Stelle Basel-Stadt das
Leistungsbegehren ab (Verfügung vom 12. Januar 2000). Am 14. November 2000
meldete sich der Versicherte erneut zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom
27. Februar 2002 sprach ihm die IV-Stelle Basel-Stadt mit Wirkung ab 1. April
2001 eine ganze Rente (nebst Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten)
zu.

B.
In Gutheissung der hiegegen geführten Beschwerde hob das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt die Verfügung vom 27. Februar 2002
hinsichtlich des Zeitpunktes des Rentenbeginns auf und verpflichtete die
IV-Stelle, die Renten ab 1. Februar 2001 zu entrichten (Entscheid vom 2.
Dezember 2002).

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem
Rechtsbegehren, in Abänderung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm mit
Wirkung ab 1. Oktober 2000 eine halbe Rente und mit Wirkung ab 1. Januar 2001
eine ganze Rente (jeweils mit Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten)
zuzusprechen. Weiter wird um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
ersucht.
Während das kantonale Gericht den Anspruch auf eine ganze Rente ab 1.
November 2000 für ausgewiesen hält, schliesst die IV-Stelle auf Gutheissung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde durch Zusprechung einer halben Rente ab
Oktober 2000 und eines ganzen Betreffnisses ab Januar 2001. Das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 27.
Februar 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des
Anspruchs auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) richtig
wiedergegeben. Die IV-Stelle hat sodann zutreffend dargelegt, dass die
Ermittlung des Invaliditätsgrades von Erwerbstätigen nach der allgemeinen
Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 128 V 30 Erw.1, 104
V 136 Erw. 2a und b) zu erfolgen hat. Darauf wird verwiesen.

2.2 Der Rentenanspruch nach Art. 28 IVG entsteht gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b
IVG frühestens in dem Zeitpunkt, in dem die versicherte Person während eines
Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 %
arbeitsunfähig gewesen ist. Die einjährige Wartezeit gilt in dem Zeitpunkt
als eröffnet, ab welchem eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20 % vorliegt
(AHI 1998 S. 124 Erw. 3c). Die Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1
lit. b IVG bezieht sich auf den bisherigen Beruf, und die Wartezeit ist
erfüllt, wenn die versicherte Person in diesem Beruf während eines Jahres im
erforderlichen Ausmass arbeitsunfähig war. Nicht vorausgesetzt ist dagegen,
dass während dieser Zeit auch bereits die für den Rentenanspruch
erforderliche Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Damit eine Rente zugesprochen
werden kann, müssen sowohl die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit während
eines Jahres als auch die nach Ablauf der Wartezeit bestehende
Erwerbsunfähigkeit die für die betreffende Rentenabstufung erforderliche
Mindesthöhe erreichen (BGE 121 V 274 Erw. 6b/cc).

3.
Unbestrittenermassen haben sich der Gesundheitszustand und dessen erwerbliche
Auswirkungen seit der das Leistungsbegehren ablehnenden Verfügung vom 12.
Januar 2000 bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung vom 27. Februar 2002
in einem anspruchserheblichen Ausmass geändert (BGE 117 V 198 Erw. 3a mit
Hinweis; AHI 1999 S. 84 Erw. 1b). Streitig und zu prüfen ist der
Rentenbeginn.

3.1 Die Vorinstanz ging von einer sich aufgrund der psychischen Leiden seit
August 1999 um jeweils 10 % steigernden Arbeitsunfähigkeit aus, wobei der die
Wartezeit auslösende Umfang von 20 % im Oktober 1999 bestanden habe. Dabei
stützte sie sich auf das Gutachten des Psychiaters Dr. med. F.________ vom
26. Oktober 2001, welcher gegenüber seiner letzten Begutachtung vom 10.
August 1999 eine dramatische Verschlechterung des psychischen
Gesundheitszustandes feststellte. Er erhob den Befund einer rezidivierenden
depressiven Störung mittelschweren bis schweren Ausmasses mit somatischem
Syndrom und fraglich psychotischen Symptomen (ICD-10 F33.2) sowie einer
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4). Die
Arbeitsunfähigkeit schätzte er für jegliche Tätigkeit auf mindestens 80 %,
wobei sich der Zustand sukzessive verschlechtert habe und im geschätzten
Ausmass etwa seit einem Jahr bestehe.

3.2 Bei diesem Vorgehen verkennt das kantonale Gericht, dass für das Bestehen
der Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG einzig die Arbeitsunfähigkeit
im bisherigen Beruf relevant ist (Erw. 2.2 hievor; zur Publikation in der
Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil A. vom 6. Januar 2004, I 383/03,
Urteil G. vom 8. April 2002, I 305/00). Gestützt auf das Gutachten der
rheumatologischen Klinik am Spital P.________ vom 26. März 1999, gemäss
welchem im angestammten Beruf als Gerüstbauer eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit besteht, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer
bereits aufgrund der somatischen Leiden im bisherigen Beruf ab 26. März 1999
zu 100 % arbeitsunfähig war, welcher Grad sich auch im laufenden Jahr gemäss
Aktenlage nicht mehr verbessert hat. Somit begann die Wartezeit im März 1999
zu laufen. Der Beschwerdeführer erreichte in der Folge nach Lage der Akten
nie mehr eine volle Arbeitsfähigkeit von wenigstens 30 Tagen Dauer, welche
zur Unterbrechung der Wartezeit geführt hätte (Art. 29ter IVV).
Bezüglich der psychischen Leiden ist nicht zu beanstanden, wenn die
Vorinstanz unter Berücksichtigung des sich laut Dr. med. F.________ ab August
1999 sukzessive verschlechternden psychischen Gesundheitszustands von einer
70%igen Arbeitsunfähigkeit im März 2000 ausgeht, wobei - gemäss
gutachterlicher Einschätzung - die Arbeitsunfähigkeit für jegliche Tätigkeit
besteht. Damit hätte der Versicherte auch in Verwertung seiner
Restarbeitsfähigkeit kein Einkommen erzielen können, welches einen Drittel
des im Gesundheitsfall erreichbaren Verdienstes überstiegen hätte. Die für
den Anspruch auf eine ganze Rente erforderliche Erwerbsunfähigkeit von 66 2/3
% ist daher bei Ablauf des Wartejahres (März 2000) gegeben. Da das
Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen über die Begehren der Parteien zu
deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen kann (Art. 132 lit. c OG; Poudret,
Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bern 1992, N 3 zu
Art. 136 OG), ist dem Beschwerdeführer für die Zeit ab 1. März 2000 eine
ganze Rente auszurichten (Art. 29 Abs. 2 IVG).

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des Prozesses
entsprechend steht dem obsiegenden Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege, einschliesslich der unentgeltlichen Verbeiständung, ist damit
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 2. Dezember 2002 und die
Verfügung der IV-Stelle Basel-Stadt vom 27. Februar 2002 dahin abgeändert,
dass der Rentenbeginn auf den 1. März 2000 festgesetzt wird.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 6. Februar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: