Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 73/2003
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I 73/03

Urteil vom 29. August 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber
Flückiger

P.________, 1954, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ludwig
Raymann, Witikonerstrasse 15, 8032 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 5. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1954 geborene P.________ war seit 1986 als Buffetangestellte beim Spital
X.________ angestellt. Ab November 1999 war sie gemäss ärztlichen
Bescheinigungen durchgehend zeitweise zu 100 %, zeitweise zu 50 %
arbeitsunfähig. Am 1. Dezember 2000 meldete sie sich unter Hinweis auf
Rückenschmerzen, Schulterbeschwerden, Knieprobleme und psychische Beschwerden
bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des
Kantons Zürich holte Angaben der Arbeitgeberin vom 15. Dezember 2000 ein.
Zudem zog sie Berichte und Stellungnahmen der Rheuma- und
Rehabilitationsklinik Y.________ vom 20. April 2000 und 12. Januar 2001, der
Klinik Z.________ vom 6. September und 21. Dezember 2000, der Neurologischen
Poliklinik des Spitals X.________ vom 15. August 2000, 27. Februar und 8. Mai
2001, der Rheumaklinik und des Instituts für Physikalische Medizin des
Spitals X.________ vom 25. November 2000 und 17. Februar 2001, des Dr. med.
L.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 10. Januar 2001, der Orthopädischen
Klinik A.________ vom 6./12. März 2001, des Dr. med. I.________, Psychiatrie
und Psychotherapie FMH, vom 9. Juli 2001 sowie von Frau Dr. med. S.________,
Innere Medizin FMH, Vertrauensärztin der Versicherungskasse, vom 1. September
2000 und 11. April 2001 bei. Anschliessend lehnte es die Verwaltung - nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens - mit Verfügung vom 19. September 2001
ab, der Versicherten eine Rente oder berufliche Massnahmen zuzusprechen.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 5. Dezember 2002). Im Verlauf des
Rechtsmittelverfahrens hatte die Versicherte Berichte der Klinik Z.________
vom 15. August 2000, des Spitals X.________, Rheumaklinik und Institut für
Physikalische Medizin, vom 5. Februar 2001 und der Privatklinik B.________
vom 5. April 2001 sowie ein Gutachten von Frau Dr. med. S.________ vom 25.
April 2002 eingereicht.

C.
P.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
es sei ihr ab Dezember 2000 eine ganze Rente zuzusprechen. Mit der
Beschwerdeschrift wird ein Bericht des Dr. med. L.________ vom 19. Januar
2003 (mit beigelegten Stellungnahmen des Medizinisch-Radiodiagnostischen
Instituts an der Privatklinik B.________ vom 22. Mai 2002 [MR Schulter links
vom 21. Mai 2002], der Klinik Z.________ vom 10. Juni und 14. August 2002
sowie des Rehazentrums Q.________ vom 14. Oktober 2002) aufgelegt.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff
der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), insbesondere bei psychischen Störungen
mit Krankheitswert (BGE 127 V 498 Erw. 4c, 102 V 165), die Voraussetzungen
und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die
Ermittlung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und
b), die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der
Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 114V 314 Erw.
3c, 105 V 158 Erw. 1) sowie die Beweiswürdigung und den Beweiswert
medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003
in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (hier: 19. September 2001) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Rente
der Invalidenversicherung.

3.
3.1 In medizinischer Hinsicht gelangten Verwaltung und Vorinstanz zum
Ergebnis, die Beschwerdeführerin sei in ihrer angestammten Arbeit als
Buffetangestellte sowie in anderen hinsichtlich der körperlichen
Beanspruchung vergleichbaren Tätigkeiten zu 70 bis 75 % arbeitsfähig. Sie
stützten sich dabei insbesondere auf die Stellungnahmen des Spitals
X.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, vom 27.
Februar 2001, der Neurologischen Poliklinik des Spitals X.________ vom 8. Mai
2001 und des Dr. med. I.________ vom 9. Juli 2001.

3.2 Demgegenüber stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, es
bestehe eine Arbeitsunfähigkeit von 70 % seit November 2000 und von 100 % ab
Januar 2001. Sie stützt sich dabei auf den Bericht der Rheumaklinik und des
Instituts für Physikalische Medizin des Spitals X.________ vom 25. November
2000, die Gutachten von Frau Dr. med. S.________ vom 1. September 2000, 11.
April 2001 und 25. April 2002 sowie den letztinstanzlich aufgelegten Bericht
des Dr. med. L.________ vom 19. Januar 2003 mit Beilagen.

3.3 Das kantonale Gericht hat zutreffend festgestellt, dass die
medizinischen Stellungnahmen in Bezug auf die gestellten Diagnosen weitgehend
übereinstimmen. Mehrere der untersuchenden Ärztinnen und Ärzte
diagnostizierten eine beidseitige, rechtsbetonte Gonarthrose, ein chronisches
lumbospondylogenes Schmerzsyndrom sowie ab ungefähr Anfang 2001 eine
Schulter-Arm-Problematik, wobei sich letztere während des vorliegend zu
beurteilenden Zeitraums bis zum Erlass der Verfügung vom 19. September 2001
vornehmlich im Bereich der rechten Schulter manifestiert hatte. Die
verschiedenen rheumatologischen und neurologischen Abklärungen ergaben keine
klinischen Befunde, welche das Ausmass der angegebenen Knie- und
Rückenbeschwerden hätten erklären können. Mit Bezug auf die  Problematik der
rechten Schulter liessen sich durch die Schultersonographie (Rheumaklinik und
Institut für Physikalische Medizin am Spital X.________) vom 5. Februar 2001
sowie die Arthro-Magnetresonanztomographie des rechten Schultergelenks vom 5.
April 2001 (Medizinisch-Radiodiagnostisches Institut an der Klinik
B.________) eine erhebliche degenerative Ausdünnung der Rotatorenmanschette
im Bereich der Supraspinatusportion ohne Nachweis einer durchgehenden
Rissbildung sowie eine massive Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit
feststellen. Eine Arbeitsunfähigkeit aus rheumatologischer Sicht ergibt sich
jedoch aus der Abklärung vom 5. Februar 2001 gemäss dem Bericht des Spitals
X.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, vom 27.
Februar 2001 nicht. Die Untersuchung vom 5. April 2001 lieferte, wie die
Vorinstanz zu Recht festhält, keine zusätzlichen Erkenntnisse, welche diese
Beurteilung in Frage zu stellen vermöchten. Eine Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit in Bezug auf eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit ist
gemäss den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Spitals X.________,
Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, vom 27. Februar 2001,
und Neurologische Poliklinik, vom 8. Mai 2001 aus rheumatologischer und
neurologischer Sicht nicht ausgewiesen. Diese Einschätzung wird durch die
Stellungnahme der Rheuma- und Rehabilitationsklinik Y.________ vom 12. Januar
2001 gestützt. Im Bericht der Rheumaklinik und des Instituts für
Physikalische Medizin vom 25. November 2000, auf den sich die
Beschwerdeführerin beruft, wird die Arbeitsfähigkeit in der bisherigen
Tätigkeit zwar nur auf 30 % beziffert. Die Ärzte fügen jedoch bei, es sei im
weiteren Verlauf eine Steigerung der Arbeitsfähigkeit zu erwarten. Weiter ist
dem Bericht zu entnehmen, dass die lumbal und am rechten Knie durchgeführten
Abklärungen keine Befunde ergaben, welche die ausgeprägten klinischen
Beschwerden hätten erklären können, und auch eine Skelettszintigraphie zu
unauffälligen Ergebnissen führte. Die Ärzte schliessen dementsprechend auf
eine Konversionssymptomatik. Damit wird der Widerspruch zur Stellungnahme vom
27. Februar 2001 stark relativiert, basieren die Aussagen vom 25. November
2000 doch nicht in erster Linie auf rheumatologischen Befunden, sondern auf
der Annahme einer psychischen Komponente. Die Zuverlässigkeit der aus
rheumatologischer Sicht abgegebenen Beurteilung vom 27. Februar 2001 wird
daher durch den drei Monate früher erstatteten Bericht desselben Instituts
nicht in Frage gestellt. Angesichts der im Vergleich zu den angegebenen
massiven Beschwerden bescheidenen organischen Befunde äusserten weitere
ärztliche Fachleute den Verdacht auf eine Konversionsproblematik oder eine
dissoziative Störung. Auch Frau Dr. med. S.________, welche eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf jegliche Tätigkeit postuliert, begründet
dieses Ergebnis zu einem wesentlichen Teil mit einer psychischen Komponente.
Das zur Klärung dieser Frage durch die IV-Stelle eingeholte spezialärztliche
Gutachten des Dr. med. I.________ vom 9. Juli 2001 ergab denn auch die
Diagnosen eines Verdachts auf eine dissoziative Bewegungsstörung und einer
leichten depressiven Episode mit somatischen Symptomen. Der Arzt bestätigte,
dass die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin aus psychiatrischer Sicht
eingeschränkt sei, wobei jedoch das Ausmass der Arbeitsunfähigkeit 25 bis
höchstens 30 % nicht übersteige. Das Gutachten des Dr. med. I.________ ist
geeignet, für den psychiatrischen Aspekt den vollen Beweis zu erbringen (vgl.
dazu BGE 125 V 352 Erw. 3a), und erlaubt zusammen mit den vorliegenden
Stellungnahmen aus rheumatologischer und neurologischer Sicht eine
zuverlässige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Die abweichende Stellungnahme
von Frau Dr. med. S.________ kann die Zuverlässigkeit der Beurteilung durch
Dr. med. I.________ nicht in Frage stellen. Die Ärztin setzt sich mit dem
spezialärztlichen Gutachten in keiner Weise auseinander und liefert auch
keine eingehende Begründung für ihre psychiatrische Beurteilung.
Zusammenfassend ist mit der Vorinstanz gestützt auf die medizinischen
Unterlagen davon auszugehen, die Beschwerdeführerin sei in der gemäss dem
Arbeitgeberbericht vom 15. Dezember 2000 seit jeher ausgeübten, hauptsächlich
sitzend zu verrichtenden Tätigkeit als Buffetmitarbeiterin an der Kasse sowie
in jeder anderen leichten, wechselbelastenden und leidensangepassten
Tätigkeit zu 25 bis 30 % arbeitsunfähig. Die mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten zusätzlichen Unterlagen vermögen
die vorinstanzliche Betrachtungsweise nicht in Frage zu stellen, enthalten
sie doch mit Bezug auf den zu beurteilenden Zeitraum bis zum Erlass der
Verfügung vom 19. September 2001 keine neuen Erkenntnisse. Die im Jahr 2002
zusätzlich aufgetretenen Beschwerden im Bereich der linken Schulter sind
allenfalls im Rahmen der Prüfung der erfolgten Neuanmeldung zu
berücksichtigen.

4.
4.1 Das Einkommen, welches die Beschwerdeführerin mutmasslich ohne Behinderung
erzielen könnte (Valideneinkommen), bezifferte die Vorinstanz entsprechend
den Angaben der Arbeitgeberin vom 15. Dezember 2000 (für die Zeit ab 1.
Januar 2001) auf Fr. 62'233.-. Dieses Vorgehen ist korrekt.

4.2 Da die Beschwerdeführerin keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, hat die
Vorinstanz zur Ermittlung des trotz der Behinderung bei ausgeglichener
Arbeitsmarktlage zumutbarerweise erzielbaren Einkommens (Invalideneinkommen)
richtigerweise so genannte Tabellenlöhne beigezogen und auf die Ergebnisse
der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2000 abgestellt (BGE 126 V 76
Erw. 3b/bb). Ausgehend vom standardisierten Monatslohn der im privaten Sektor
mit Tätigkeiten im Anforderungsniveau 3 (Berufs- und Fachkenntnisse
vorausgesetzt) beschäftigten Frauen von Fr. 4578.- pro Monat, sowie unter
Berücksichtigung der Lohnentwicklung von 2000 auf 2001 und der
durchschnittlichen betriebsüblichen Arbeitszeit im Jahr 2001 von 41,7 Stunden
(gegenüber der dem standardisierten Lohn zu Grunde liegenden
40-Stunden-Woche) ergab sich ein jährliches Einkommen bei einem Vollpensum
und voller Leistung von Fr. 58'703.-. Entsprechend der medizinischen
Ausgangslage mit einer Arbeitsunfähigkeit von 25 bis 30 % (Erw. 3.3 hievor)
legte die Vorinstanz der Berechnung eine Arbeitsfähigkeit von 72,5 % zu
Grunde, sodass ein Invalideneinkommen von Fr. 42'560.- resultierte.
Angesichts der konkreten Umstände (Beschränkung auf leichte bis
mittelschwere, wechselbelastende Tätigkeiten; Teilzeitarbeit, die sich in
dieser Konstellation laut Statistik tendenziell eher lohnverbessernd
auswirkt; Alter der Versicherten; Schweizer Bürgerrecht; Wohnregion mit
vergleichsweise hohem Lohnniveau) ist es nicht zu beanstanden, dass das
kantonale Gericht von der Vornahme eines so genannten Prozentabzugs (vgl.
dazu BGE 126 V 79 f. Erw. 5 und 80 Erw. 6) abgesehen hat. Das
Invalideneinkommen von Fr. 42'560.- ergibt in Gegenüberstellung zum
Valideneinkommen von Fr. 62'233.- einen Invaliditätsgrad von 31,6 %, der
keinen Anspruch auf eine Rente begründet.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 29. August 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: