Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 731/2003
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I 731/03

Urteil vom 21. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Lanz

IV-Stelle Schaffhausen, Oberstadt 9, 8200 Schaffhausen, Beschwerdeführerin,

gegen

F.________, 1965, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli
Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich

Obergericht des Kantons Schaffhausen, Schaffhausen

(Entscheid vom 10. Oktober 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1965 geborene F.________ absolvierte nach dem Besuch der Sekundarschule
die Ausbildung zur Zahnarztgehilfin mit Diplom SSO. Sie übte diese Tätigkeit
anschliessend auch aus und war daneben ab August 1998 als Pflegerin in einem
Alters- und Pflegeheim tätig. Zudem besuchte sie berufsbegleitend
verschiedene Kurse, namentlich im Bereich Körpertherapie. Nachdem sie bereits
seit Jahren an fluktuierenden Kreuzschmerzen gelitten hatte, zog sich
F.________ Anfang April 1999 ein Verhebetrauma zu, was eine Verschlimmerung
der Beschwerden und eine Arbeitsunfähigkeit bewirkte. Im August 1999 meldete
sie sich bei der Invalidenversicherung für berufliche Massnahmen (Umschulung
zur Arztsekretärin; evtl. Arbeitsvermittlung) an. Ab Ende August 1999
besuchte die Versicherte ohne Unterstützung der Invalidenversicherung eine
Arztsekretärinnen-Schule, welche Ausbildung sie aber vorzeitig beendete. Die
von der IV-Stelle Schaffhausen geprüfte Möglichkeit einer Umschulung zur
Akupunkteurin wurde nicht weiter verfolgt, nachdem eine spätere Erteilung der
erforderlichen Berufsausübungsbewilligung durch die hiefür zuständige Behörde
ausgeschlossen worden war. Im April 2002 trat F.________ am
Weiterbildungszentrum für Gesundheitsberufe (WE'G) in X.________ einen
zweijährigen Lehrgang "Case Management für die Arbeit im Gesundheits- und
Sozialwesen" an. Die IV-Stelle bejahte in der Folge einen Anspruch auf
Umschulung, sprach der Versicherten aber nur den für eine einjährige
Ausbildung zur Arztsekretärin vorgesehenen Kostenbeitrag zu (Verfügung vom
26. September 2002).

B.
F.________ liess hiegegen Beschwerde einreichen. In Gutheissung des
Rechtsmittels hob das Obergericht des Kantons Schaffhausen die angefochtene
Verfügung auf, und es verpflichtete die IV-Stelle zur Übernahme der
Umschulung der Versicherten zur Case Managerin.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

F. ________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Obergericht äussert sich zur Sache, ohne einen Antrag zu stellen. Das
Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 und die
Verordnung hiezu (ATSV) sind nicht anwendbar, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 26. September 2002)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw.
1.2). Dies hat die Vorinstanz richtig erkannt.

Im kantonalen Entscheid werden sodann die Gesetzesbestimmung über den
Anspruch auf Umschulung als berufliche Eingliederungsmassnahme (Art. 17 Abs.
1 IVG) und die hiezu ergangene Rechtsprechung, insbesondere auch die
Voraussetzung der annähernden Gleichwertigkeit der ursprünglichen und der
angestrebten Erwerbstätigkeit, welches Kriterium sich nicht in erster Linie
auf das Ausbildungsniveau als solches bezieht, sondern auf die nach erfolgter
Eingliederung zu erwartende Verdienstmöglichkeit (BGE 124 V 110 Erw. 2a; vgl.
auch AHI 2002 S. 106 Erw. 2a, je mit Hinweisen), zutreffend dargelegt. Darauf
wird verwiesen mit der Ergänzung, dass die Invalidenversicherung, wenn die
versicherte Person ohne invaliditätsbedingte Notwendigkeit eine Ausbildung
wählt, die den Rahmen der Gleichwertigkeit sprengt, daran Beiträge im Ausmass
des Leistungsanspruchs auf eine gleichwertige Umschulungsmassnahme gewähren
kann (sog. Austauschbefugnis; AHI 2002 S. 106 Erw. 2b mit Hinweisen).

2.
Der Anspruch der Versicherten auf Umschulung steht im vorliegenden Fall fest
und ist unbestritten. Streitig und zu prüfen ist, ob diese
Leistungsberechtigung die angestrebte Umschulung zur Case Managerin umfasst
oder sich auf die bei einer Umschulung zur Arztsekretärin anfallenden Kosten
beschränkt.

2.1 Das kantonale Gericht erachtet die Voraussetzungen für eine Umschulung
zur Case Managerin für erfüllt. Mit dieser Massnahme werde die berufliche
Zukunft der Versicherten eingliederungsmässig gezielt und planmässig
verbessert, was mit Blick auf die noch lange Dauer der Erwerbstätigkeit von
besonderer Bedeutung sei.
Demgegenüber vertritt die Beschwerde führende Verwaltung den Standpunkt, der
von der Versicherten angestrebte Beruf sei höherwertig als die zuletzt
ausgeübte Erwerbstätigkeit. Die begonnene Umschulung halte sich daher nicht
im Rahmen der Verhältnismässigkeit.

2.2 Der Auffassung der IV-Stelle kann nicht gefolgt werden. Vorerst ist
festzuhalten, dass sich die von ihr angebotene und im Rahmen der
Austauschbefugnis der verfügten Leistung zu Grunde gelegte Umschulung zur
Arztsekretärin nicht als geeignet erweist. Dies zeigt die jüngste berufliche
Vergangenheit der Beschwerdegegnerin. Ihr Anstellungsverhältnis als
zahnmedizinische Assistentin bei Dr. med. dent. I.________ wurde
arbeitgeberseitig auf Ende Juli 2001 aufgelöst, weil sie aufgrund
körperlicher Beschwerden nicht mehr in der Lage war, das notwendige
Arbeitspensum zu erbringen. Die Tätigkeit einer Arztsekretärin ist in manchen
Bereichen, insbesondere der Büroadministration, mit derjenigen einer
zahnmedizinischen Assistentin vergleichbar. Im besagten Arbeitsverhältnis bei
Dr. med. dent. I.________ war die Versicherte zudem gemäss ihrer Angabe
(Schreiben vom 20. April 2001) nur im Büro und an der Réception tätig, da sie
wegen des Rückenleidens nicht mehr am Behandlungsstuhl assistieren konnte.
Eine Umschulung zur Arztsekretärin erscheint nicht zweckmässig, wenn die
bisherige, ebenfalls - zumindest hauptsächlich - in Büroarbeit bestehende
Tätigkeit gesundheitsbedingt aufgeben werden musste. Dr. W.________,
Chiropraktor SCG/ECU, rät denn auch ausdrücklich von der teil- wie auch
vollzeitlichen Ausübung des von der Verwaltung vorgesehenen Berufes ab, da
der instabile Bewegungsapparat der Versicherten hiefür ungeeignet sei. Selbst
beste ergonomische Voraussetzungen mit beispielsweise einem in der Höhe
verstellbaren Steh-/Sitzpult vermöchten nicht zu einer bleibenden
Beschwerdefreiheit zu führen (Bericht vom 11. November 2002). Zwar sind
Stellungnahmen der behandelnden Medizinalpersonen - dies gilt für
Chiropraktoren nicht anders als für Hausärzte (hiezu BGE 125 V 353 Erw.
3b/cc) - mit Zurückhaltung zu würdigen. Der Bericht des Dr. W.________ vermag
aber den aufgrund des zuvor Gesagten gewonnenen Eindruck, wonach eine
Umschulung zur Arztsekretärin nicht als geeignete Massnahme für den Erhalt
und/oder die Förderung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten erscheint,
überzeugend abzurunden.

Die Tätigkeit einer Case Managerin hingegen ist gemäss der nachvollziehbaren
Beurteilung des Dr. W.________ wegen der damit verbundenen, zwischen Sitzen,
Stehen und Gehen abwechselnden Körperhaltung vom gesundheitlichen Standpunkt
aus als sinnvoll zu betrachten. Inwiefern durch eine Umschulung auf diesen
Beruf der Grundsatz der Gleichwertigkeit verletzt sein soll, tut die
IV-Stelle nicht dar. Insbesondere wird die Behauptung, eine Case Managerin
werde weit besser bezahlt als eine zahnmedizinische Assistentin, auch
letztinstanzlich nicht belegt. Den von der Versicherten bei einer
vollzeitlichen Weiterbeschäftigung im angestammten Beruf erzielbaren
Monatslohn bezifferte Dr. med. dent. I.________ auf immerhin rund Fr. 5500.-
(Arbeitgeberfragebogen vom 20. November 2002). Dass aus der Tätigkeit als
Case Managerin ein deutlich höheres Einkommen resultieren wird, lässt sich
ohne zuverlässige statistische Angaben, welche auch die IV-Stelle nicht
beibringt, nicht sagen. Sodann ist erstellt, dass die Versicherte die
fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die von ihr angestrebte
Umschulung erfüllt. Mit ihrem Erfahrungshintergrund im erlernten Beruf und
als Pflegerin verfügt sie auch nach Ansicht des IV-Berufsberaters über sehr
gute Voraussetzungen für eine Case Management-Tätigkeit im Gesundheitswesen.
Die verschiedenen berufsbegleitend absolvierten Weiterbildungen - unter
anderem in Ganzkörper- und Sportmassage, Naturheilkunde und Akupressur -
unterstreichen diesen Eindruck. Mithin erscheint die Umschulung zur Case
Managerin als eine dem Eingliederungszweck angemessene, notwendige Massnahme.
An dieser Beurteilung vermögen die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin
nichts zu ändern.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Schaffhausen hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen,
der Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 21. April 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: