Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 694/2003
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I 694/03

Urteil vom 22. September 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Attinger

A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Hablützel,
Lutherstrasse 4, 8004 Zürich,

gegen

IV-Stelle Zug, Baarerstrasse 11, 6304 Zug, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug

(Entscheid vom 18. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1946 geborene A.________ leidet u.a. an den Folgen eines Autounfalls mit
HWS-Distorsion vom 24. Oktober 1999, an einer Schmerzverarbeitungsstörung
sowie an einer leichten Sehschwäche (Gutachten der MEDAS Zentralschweiz vom
15. Februar 2002). Der Versicherte hatte ursprünglich Berufslehren als
Mechaniker und Elektriker absolviert, arbeitete in der Folge jedoch
hauptsächlich als Aussendienstmitarbeiter in verschiedenen
Wirtschaftsbereichen. Im Mai 1996 bestand er die Wirtefachprüfung und führte
in den Jahren 1997 und 1998 - zusammen mit seiner damaligen Lebenspartnerin -
den Gasthof L.________. Ab Januar 1999 bis März 2000 war er Pächter des
Restaurants S.________. Nachdem er sich im April 2001 unter Hinweis auf die
Folgen des am 24. Oktober 1999 erlittenen Unfalls zum Rentenbezug bei der
Invalidenversicherung angemeldet hatte, sprach ihm die IV-Stelle Zug mit
Verfügung vom 7. November 2002 unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades
von 55 % ab 1. Oktober 2000 eine halbe Invalidenrente zu.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wies die dagegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 18. September 2003 ab.

C.
A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Zusprechung
einer ganzen Rente, wobei die Nachzahlungen zu verzinsen seien. Eventuell sei
die IV-Stelle zu verpflichten, zur Ermittlung des Valideneinkommens ein
Gutachten auf der Grundlage der Rechnungsabschlüsse des Versicherten für das
Jahr 1999 einzuholen.
IV-Stelle und kantonales Gericht schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlasssung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die hier massgebenden gesetzlichen Bestimmungen und
Grundsätze über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis
Ende 2003 gültig gewesenen Fassung) und die Bemessung der Invalidität bei
erwerbstätigen Versicherten nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 128 V 30 Erw. 1, 104 V 136 Erw.
2a und b) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 7. November 2002)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
2.1 Sämtliche Verfahrensbeteiligte stimmen zu Recht darin überein, dass der
Beschwerdeführer ohne gesundheitliche Beeinträchtigung weiterhin als Wirt und
Koch Pächter des Restaurationsbetriebes S.________ geblieben wäre. Das dabei
erzielbare sog. Valideneinkommen lässt sich - entgegen der Auffassung des
Versicherten - keineswegs anhand des in seinem Auftrag von der T.________
erstellten Geschäftsabschlusses für das Jahr 1999 ermitteln. Denn zum einen
haben offenkundig nicht alle Lohnzahlungen an Angestellte Eingang in die
Buchhaltung gefunden (Angaben des Beschwerdeführers über "schwarz"
arbeitendes Personal gegenüber B.________, Schadenexperte für das
Gastgewerbe, vom 14. Februar 2001) und zum andern wurde der Versicherte von
der Amtsstatthalterin von Luzern-Stadt mit in Rechtskraft erwachsener
Strafverfügung vom 30. Juli 2003 u.a. wegen mehrfacher Urkundenfälschung mit
drei Monaten Gefängis sowie einer Geldbusse von Fr. 1000.- bestraft, weil er
selbst produzierte und mit gefälschter Unterschrift versehene Belege in die
Buchhaltung für das Jahr 1999 eingebracht hatte. Unter diesen Umständen haben
Verwaltung und kantonales Gericht zu Recht auf die Expertise des bereits
erwähnten, vom betroffenen Haftpflichtversicherer beauftragten
Sachverständigen B.________ vom 5. März 2001 abgestellt, der auf der
Grundlage der Umsatzangaben des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung
von statistischen Erhebungen und Erfahrungswerten eine "mutmassliche
Erfolgsrechnung für das Jahr 1999" aufstellte und einen Betriebserfolg von
Fr. 84'455.- ermittelte.

2.2 Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen vorgebrachten
Einwendungen führen - soweit sie sich überhaupt auf die hier zu
beantwortenden Rechtsfragen beziehen - zu keiner entscheidwesentlich
abweichenden Beurteilung.

2.2.1 Wenn der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt,
weil ihm keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich zur Expertise von
B.________ sowie zur Person des Sachverständigen zu äussern und allenfalls
ergänzende Anträge zu stellen, ist ihm entgegenzuhalten, dass es bei einem
Beizug von durch Dritte in Auftrag gegebenen Gutachten seitens der IV-Stelle
unter dem Blickwinkel von Art. 29 Abs. 2 BV genügt, wenn dem Betroffenen das
Recht eingeräumt wird, sich nachträglich zum Gutachten zu äussern und
gegebenenfalls Ergänzungsfragen zu stellen; zudem ist der Verfahrensmangel im
Verwaltungsverfahren der IV-Organe einer Heilung zugänglich
(unveröffentlichtes Urteil I. vom 2. November 1998, I 209/98). Im hier zu
beurteilenden Fall hat sich denn der Versicherte sowohl im
Vorbescheidverfahren der Verwaltung als auch im erst- wie im
letztinstanzlichen Verwaltungsgerichtsverfahren eingehend mit dem vom
involvierten Haftpflichtversicherer in Auftrag gegebenen und von der
IV-Stelle beigezogenen Sachverständigengutachten von B.________
auseinandergesetzt.

2.2.2 Soweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Bezug auf den vom
Experten geschätzten Warenaufwand (32 % des Umsatzes) vorgebracht wird, der
in der Erfolgsrechnung der T.________ ausgewiesene diesbezügliche Aufwand von
28,5 % entspreche (in etwa) demjenigen eines Spezialitäten-Restaurants (29 %
des Umsatzes), ist festzuhalten, dass das Restaurant S.________ nicht dieser
Kategorie, sondern nach der überzeugenden Charakterisierung im
Sachverständigengutachten als "einfache, gemütliche Beiz" den traditionellen
Restaurationsbetrieben zuzurechnen ist. Wenn letztinstanzlich überdies
eingewendet wird, "die Vermutung des Experten, dass der Kauf weiterer
Lebensmittel allenfalls nicht verbucht" worden sei, "entbehr(e) jeglicher
Grundlage", übersieht der Beschwerdeführer, dass der im gegen ihn
angestrengten Strafverfahren als Zeuge einvernommene H.________
offensichtlich zum selben Schluss gelangte. Dieser Mitarbeiter der
T.________, welche die Buchhaltung des hier in Frage stehenden
gastgewerblichen Betriebes besorgte, führte nämlich gegenüber den
Strafbehörden aus, für ihn hätte die Problematik auf der Aufwandseite
gelegen, indem der Beschwerdeführer viele Wareneinkäufe bar abgewickelt habe;
ebenso seien Barlohnauszahlungen erfolgt, wofür keine Belege vorhanden
gewesen seien. Darauf angesprochen habe der Versicherte "dann einzelne
Belege, welche Aufwand ausgewiesen hätten, nachgeliefert und erklärt, beim
Brandfall des Restaurants S.________ seien Belege verloren gegangen.
Angesichts dieser Zeugenaussage erweisen sich auch die Einwendungen des
Beschwerdeführers gegen die von B.________ vorgenommene Korrektur der
Lohnkosten (ohne Unternehmerlohn) auf 30 % des Umsatzes als unbegründet.
Ebenfalls nicht stichhaltig sind die gegen die Aufrechnungen bei den
Nebenkosten (übriger Betriebsaufwand) erhobenen Vorbringen, welche in der
Vernehmlassung des kantonalen Gerichts mit zutreffender Begründung als
"Zahlenspielereien" bezeichnet werden. Schliesslich kann auch der in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangte Abzug von einem Drittel der
Restaurant-Mietkosten nicht vorgenommen werden. Soweit durch den
"Mietaufwand" von Fr. 2700.- pro Monat die Benutzung der im gleichen Gebäude
liegenden Dachwohnung mit gedeckt war, ist deren Überlassung - der
buchhalterischen Behandlung in der Erfolgsrechnung der T.________
entsprechend - als mit der Verpachtung des Restaurants zwangsläufig
verbundene, unentgeltliche Zusatzleistung des Verpächters zu betrachten.

2.2.3 Von der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragten Einholung
eines ergänzenden (betriebswirtschaftlichen) Gutachtens auf der Grundlage der
Rechnungsabschlüsse des Versicherten wären keine hier relevante neue
Erkenntnisse zu erwarten, weshalb davon abgesehen werden kann. Hingegen ist
dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Restaurationsbetrieb erst am 22.
Januar 1999 aufgenommen worden ist und der Beschwerdeführer gemäss den
Angaben des Allgemeinpraktikers Dr. M.________ in den Arztzeugnissen vom 8.
und 23. November 1999 sowie vom 21. Dezember 1999 nach dem Unfallereignis vom
24. Oktober 1999 bis zum Abschluss des Geschäftsjahres am 31. Dezember 1999
als Wirt/Koch nur mehr eine um die Hälfte verminderte Leistung zu erbringen
vermochte. Es rechtfertigt sich daher die Annahme, dass der Beschwerdeführer
im Jahre 2000 ohne Gesundheitsschaden den von B.________ für 1999 ermittelten
(Fr. 84'455.-) und der Nominallohnentwicklung im Gastgewerbe (+ 1,0 % [Die
Volkswirtschaft, 2004 Heft 9, S. 87, Tabelle B 10.2]) angepassten
Betriebsgewinn von Fr. 85'300.- in nur zehn Monaten erreicht hätte, was für
das gesamte Jahr des Beginns der Rentenberechtigung (am 1. Oktober 2000) ein
Valideneinkommen von Fr. 102'360.- ergibt.

3.
Was das bei Ausübung einer behinderungsangepassten Erwerbstätigkeit noch
erzielbare Invalideneinkommen anbelangt, sind sich die Parteien im Hinblick
auf das MEDAS-Gutachten vom 15. Februar 2002 darin einig, dass dem
Beschwerdeführer eine (kein stereoskopisches Sehen verlangende) Arbeit ohne
regelmässiges Hantieren mit Gewichten über 10 kg, ohne Zwangshaltung oder
besondere Belastungen des Schultergürtels sowie ohne feinmanuelle
Anforderungen im Umfange von 80 % zumutbar ist. Unbestrittenermassen ist die
Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE) 2000 des Bundesamtes für Statistik
heranzuziehen (BGE 126 V 76 Erw. 3b/bb, 124 V 322 Erw. 3b/aa). Dabei ist vom
in der Tabelle TA 1 des Anhangs angeführten Zentralwert (Median) in der Höhe
von Fr. 4437.- auszugehen (standardisierter monatlicher Bruttolohn von
Männern bei Ausübung einfacher und repetitiver Tätigkeiten
[Anforderungsniveau 4] im privaten Sektor). Dieser statistische Monatslohn
ist - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ihm eine Arbeitszeit von 40
Wochenstunden zu Grunde liegt (LSE 2000 S. 10), welche etwas tiefer ist als
die im Jahre 2000 betriebsübliche durchschnittliche Arbeitszeit von
wöchentlich 41,8 Stunden (Die Volkswirtschaft, 2004 Heft 9, S. 86, Tabelle B
9.2) - auf Fr. 4637.- zu erhöhen, was bei einem 80 %-Pensum einen Jahreslohn
von Fr. 44'515.- (Fr. 4637.- x 0,8 x 12) ergibt. In Übereinstimmung mit
Verwaltung und Vorinstanz ist hier mit einer 15%igen Herabsetzung dieses
Tabellenlohnes der Tatsache Rechnung zu tragen, dass persönliche und
berufliche Umstände Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 126 V 79
f. Erw. 5b/aa - cc, 124 V 323 Erw. 3b/aa). Beim genannten Abzug resultiert
ein Invalideneinkommen von jährlich Fr. 37'838.- (Fr. 44'515.- x 0,85) und -
im Vergleich mit dem hievor angeführten Valideneinkommen von Fr. 102'360.- -
ein Invaliditätsgrad von 63 %.

Auf Grund der ermittelten Invalidität fällt der in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemachte Anspruch auf eine ganze
Invalidenrente ausser Betracht (Art. 28 Abs. 1 IVG  in der bis Ende 2003
gültig gewesenen Fassung).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, der
Ausgleichskasse des Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 22. September 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: