Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 668/2003
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I 668/03

Urteil vom 26. März 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Hochuli

N.________, 1964, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 18. September 2003)

Sachverhalt:

A.
N. ________, geboren 1964, verheiratete Mutter zweier Söhne (geboren 1982 und
1985), führte seit 1997 als selbstständig erwerbende Wirtin das Gasthaus
X.________. Ab Herbst 1997 begann sie unter Rückenschmerzen mit
Ausstrahlungen in die Beine zu leiden, weshalb sie sich am 1. September 1999
bei der IV-Stelle Luzern (nachfolgend: IV-Stelle) zum Bezug von
Rentenleistungen anmeldete. Am 25. April 2000 erlitt sie bei einer
Auffahrkollision als Beifahrerin in einem Personenwagen ein
HWS-Distorsionstrauma. Per Ende Juni 2000 musste sie ihren
Gastwirtschaftsbetrieb aufgeben. Seit 2001 arbeitete sie teilzeitlich als
Pflegehilfe im Wohnheim Y._______. Mit Verfügung vom 25. September 2002 ging
die IV-Stelle für das Jahr 2002 von einem Einkommen ohne Behinderung
(Valideneinkommen) von Fr. 53'750.- sowie einem trotz Gesundheitsschaden
zumutbaren Verdienst (Invalideneinkommen) von Fr. 31'367.- aus und sprach der
Versicherten gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 42 % mit Wirkung ab 1.
März 1999 eine Viertelsrente zu.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde der N.________, womit sie die Zusprechung
einer halben Invalidenrente ab 1. März 1999 beantragte, hiess das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 18. September 2003 in
dem Sinne gut, als es die Verwaltungsverfügung aufhob und die Sache an die
IV-Stelle zurückwies, "damit diese nach Durchführung der ergänzenden
Abklärung im Sinne der Erwägungen neu verfüge" (Dispositiv-Ziffer 1). Die
Rückweisung an die Verwaltung erfolgte zum Zwecke der Neuermittlung des
Valideneinkommens, "weil die IV-Stelle die Mitarbeit des Ehemannes [im
Betrieb der Versicherten] bei der Ermittlung des hypothetischen
Valideneinkommens der Beschwerdeführerin ausser Acht gelassen" habe und somit
"der angenommene Betrag von Fr. 53'750.- kaum zutreffend" sei. Das
Invalideneinkommen aus der Teilzeittätigkeit als Pflegehilfe im Wohnheim
Y.________ betrage nach entsprechender Korrektur gemäss den übereinstimmenden
Angaben der Versicherten und der IV-Stelle im Jahr 2002 Fr. 28'600.- (= Fr.
2200.- x 13).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert N.________ ihr vorinstanzliches
Rechtsbegehren (Antrag Ziffer 2) und ersucht (Antrag Ziffer 1) um Aufhebung
der Dispositiv-Ziffer 1 des kantonalen Gerichtsentscheids.
Die IV-Stelle beantragt, das Rechtsbegehren 1 der Beschwerdeführerin sei
gutzuheissen und das Rechtsbegehren 2 abzuweisen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Fest steht, dass im Rahmen der mit Verwaltungsverfügung vom 25. September
2002 zugesprochenen Invalidenrente nach dem Erlass des kantonalen
Gerichtsentscheids nur noch der Teilaspekt der Höhe des Valideneinkommens
strittig ist. Die Beschwerdeführerin rügt vorab sinngemäss eine Verletzung
des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz, weil im angefochtenen Entscheid
eine reformatio in peius zu erblicken sei, welche ihr das kantonale Gericht
vorgängig - unter Einräumung der Möglichkeit zur Stellungnahme und zum
Beschwerderückzug - hätte anzeigen müssen.

1.1
1.1.1Nach der Rechtsprechung sind Teilaspekte des Streitgegenstandes in der
Regel der Rechtskraft nicht zugänglich. Dies schliesst indessen nicht aus,
dass über bestimmte Elemente des Streitgegenstandes im Rahmen von
Feststellungs- oder Rückweisungsentscheiden vorab rechtskräftig entschieden
wird (BGE 125 V 416 Erw. 2c; vgl. auch Meyer-Blaser, Streitgegenstand im
Streit - Erläuterungen zu BGE 125 V 413, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.],
Aktuelle Rechtsfragen der Sozialversicherungspraxis, St. Gallen 2001, S. 30
ff.). Bei Rückweisungsentscheiden ist grundsätzlich nur das Dispositiv
anfechtbar, nicht aber die Begründung eines Entscheides. Verweist indessen
das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen,
werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand
gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive,
auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an welche die Sache
zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung verbindlich (BGE 120 V 237 Erw. 1a
mit Hinweisen; SVR 2002 UV Nr. 8 S. 22 Erw. 1a, 2001 UV Nr. 2 S. 7).

1.1.2 Von einer reformatio in peius kann nur gesprochen werden, wenn die
urteilende Instanz selber einen reformatorischen Entscheid fällt. Die blosse
Möglichkeit einer Schlechterstellung der beschwerdeführenden Partei infolge
Aufhebung des angefochtenen Entscheids oder der Verwaltungsverfügung
verbunden mit Rückweisung zu ergänzender Sachverhaltsfeststellung sowie zu
neuer Beurteilung der Sache gilt gemäss ständiger Rechtsprechung des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht als reformatio in peius (ARV 1995
Nr. 23 S. 138 Erw. 3a mit Hinweis auf ZAK 1988 S. 615 Erw. 2b), es sei denn,
die Rückweisung an die Verwaltung habe mit Sicherheit eine Verschlechterung
der Rechtsstellung der Beschwerdeführerin zur Folge (ARV 1995 Nr. 23 S. 139
Erw. 3b).

1.2 Das kantonale Gericht erkannte zutreffend, dass für die Bemessung der
Invalidität einer selbstständig erwerbenden Gastwirtin, die ihren Betrieb
zusammen mit Familienangehörigen bewirtschaftet, der blosse
Einkommensvergleich nicht genügt. Gemäss Art. 25 Abs. 2 IVV ist in diesen
Fällen auf die Mitarbeit der invaliden Person im Betrieb vor und nach der
Invalidisierung abzustellen. Dies bedingt eine Aufteilung des
Gesamteinkommens nach Massgabe der Arbeitsleistung der versicherten Person
und ihrer Familienangehörigen. Der auf die Mitarbeit der Familienangehörigen
entfallende Teil des Einkommens scheidet für den Einkommensvergleich aus (ZAK
1972 S. 301 Erw. 1a). Die Versicherte wies in der vorinstanzlichen
Beschwerdeschrift selber darauf hin, dass sie das Einkommen aus dem
Gastwirtschaftsbetrieb zusammen mit ihrem Ehemann erzielt habe. Diese Angabe
steht in Übereinstimmung mit der Deklaration der am 1. Januar 1997 gültig
gewesenen Berufs- und Familienverhältnissen auf der Steuererklärung 1997/98,
wonach die Beschwerdeführerin bloss die Funktion einer Mithilfe im Geschäft
des Ehemannes ausgeübt habe. Gemäss Beilage zum Einspracheentscheid der
Staatssteuerkommission für Gewerbebetriebe und freie Berufe des Kantons
Luzern vom 10. Mai 2001 gab der Ehemann seine Einzelfirma Z.________ per 1.
Januar 1997 auf, um nur noch als Wirt im Gasthaus X.________ zu arbeiten.
Weiter ist dem kantonalen Gericht beizupflichten, soweit es feststellte, dass
die IV-Stelle die in wohl erheblichem Umfang geleistete Mitarbeit des
Ehemannes im Betrieb der Versicherten bisher bei der Ermittlung des
Valideneinkommens unter Verletzung von Art. 25 Abs. 2 IVV ausser Acht liess.
Entgegen der Vorinstanz (angefochtener Entscheid S. 6) macht jedoch die
Beschwerdeführerin in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht geltend,
dass diese, nach Massgabe des vorinstanzlichen Rückweisungsentscheides
nachträglich von der Verwaltung zu berücksichtigende Tatsache eine
Verschlechterung der Rechtsstellung der Beschwerdeführerin zur Folge habe
(Verminderung des Valideneinkommens durch Ausscheiden der Einkommensanteile
von Familienmitgliedern).

2.
Führen die durch ausdrücklichen Verweis im Dispositiv grundsätzlich der
Rechtskraft zugänglichen Erwägungen (Erw. 1.1.1 hievor) des angefochtenen
Entscheides zu für die Verwaltung verbindlichen Abklärungsaufträgen, deren
Ergebnis nur eine Schlechterstellung der Versicherten (Erw. 1.1.2 und 1.2
hievor) zur Folge haben kann, ist im kantonalen Gerichtsentscheid eine
reformatio in peius zu erblicken, welche die Vorinstanz praxisgemäss der
Beschwerdeführerin mit Hinweis auf die Möglichkeit des Beschwerderückzugs
hätte androhen müssen (BGE 122 V 166 ff.). Bei dieser prozessualen Situation
ist die Sache nicht an die Verwaltung, sondern an die Vorinstanz
zurückzuweisen, welche der Versicherten Gelegenheit zur Stellungnahme und zum
Beschwerderückzug zu geben hat (BGE 109 V 281; ZAK 1988 S. 615 Erw. 2b, SVR
1995 AlV Nr. 27 S. 67 Erw. 3b).

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Zufolge teilweisen Obsiegens hat
die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung zu
Lasten der IV-Stelle (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 18. September 2003
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im
Sinne der Erwägungen verfahre.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Luzern hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse GastroSuisse und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 26. März 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: