Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 644/2003
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I 644/03

Urteil vom 24. Juni 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Schön; Gerichtsschreiber Ackermann

C.________, 1963, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland
Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz

(Entscheid vom 26. August 2003)

Sachverhalt:

A.
C. ________, geboren 1963, arbeitete ab Mitte September 1999 bis zur
Entlassung Ende November 2000 als Betriebsmitarbeiterin für die Firma
A.________. Am 14. März 2001 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug an. Da C.________ im Juli 2000 einen Unfall erlitten hatte
(Sturz auf einer Treppe), holte die IV-Stelle Schwyz die Akten des
zuständigen Unfallversicherers ein (unter anderem Bericht der
Rehabilitationsklinik X.________ vom 2. Februar 2001 mit Bericht über das
Ergonomie-Trainingsprogramm vom 8. Februar 2001 und psychosomatischem
Konsilium vom 24. Januar 2001). Weiter zog die Verwaltung zwei Berichte der
Frau Dr. med. M.________, vom 26. April und 11. Juli 2001 (jeweils mit
Vorakten) bei und veranlasste eine psychiatrische Begutachtung durch den
sozialpsychiatrischen Dienst Y.________ (SPD; Gutachten vom 5. November
2001). Die Arbeitsvermittlung scheiterte, weil behinderungsbedingte und
psychosoziale Gründe eine berufliche Eingliederung verhinderten. Im
Vorbescheidverfahren wurden drei Zeugnisse des Dr. med. K.________, Innere
Medizin FMH, vom 16. August 2002, vom 13. September 2002 und vom 11. Dezember
2002 zu den Akten genommen. Mit Verfügung vom 17. Dezember 2002 sprach die
IV-Stelle C.________ mit Wirkung ab dem 1. Juli 2001 eine halbe Rente der
Invalidenversicherung zu, wobei die Verwaltung von einer Arbeitsfähigkeit von
50 % für leidensangepasste Tätigkeiten ausging. Weiter wurde C.________
darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich wieder melden könne, wenn sie an
einer Arbeitsvermittlung interessiert sei.

B.
Die gegen die Verfügung von Dezember 2002 erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 26. August 2003 ab.

C.
C.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung sei
ihr eine ganze Rente zuzusprechen, eventualiter seien berufliche Massnahmen
und insbesondere Arbeitsvermittlung zu gewähren. Ferner lässt sie die
Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung beantragen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

D.
Im Instruktionsverfahren wurde die Versicherte aufgefordert mitzuteilen, ob
sie von der Gewerkschaft ihres Ehemannes Rechtsschutz erhalte oder ob diese
gegebenenfalls eine Leistung abgelehnt habe. Nach zweimaliger
Fristverlängerung teilte der Rechtsvertreter dem Gericht mit, dass er weder
von seiner Klientin noch von der Gewerkschaft eine Antwort erhalten habe, und
verwies auf die kantonal gewährte unentgeltliche Verbeiständung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat den Invaliditätsbegriff (Art. 4 IVG), die Voraussetzungen
für den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), die Bemessung
des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen anhand des Einkommensvergleichs
(Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie die Aufgabe der Ärzte bei der
Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4) zutreffend dargestellt. Darauf
wird verwiesen. Wie das kantonale Gericht weiter zu Recht festgehalten hat,
ist das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000
hier nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (17. Dezember 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Dasselbe gilt für die Bestimmungen der auf den
1. Januar 2004 in Kraft getretenen 4. IVG-Revision.

2.
Streitig ist zunächst der Anspruch auf eine ganze Rente der
Invalidenversicherung und in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage der
zumutbaren Arbeitsfähigkeit.

2.1 Das kantonale Gericht hat auf die diversen Berichte der
Rehabilitationsklinik X.________ sowie denjenigen des SPD vom 5. November
2001 abgestellt und eine Arbeitsfähigkeit von 50 % in einer
leidensangepassten Tätigkeit angenommen. Die Beschwerdeführerin ist
demgegenüber der Auffassung, ihr stehe schon aufgrund der somatischen Leiden
eine ganze Rente zu, attestiere ihr doch der Hausarzt eine volle
Arbeitsunfähigkeit. Zudem habe sich ihr Zustand in psychischer Hinsicht
verschlechtert und sie sei nicht genügend psychiatrisch abgeklärt worden.

2.2 Die Rehabilitationsklinik X.________ geht sowohl im Bericht über das
Ergonomie-Trainingsprogramm vom 8. Februar 2001 wie auch im Austrittsbericht
vom 2. Februar 2001 davon aus, dass eine leichte Arbeit ganztags zumutbar
sei, wenn die Tätigkeit wechselbelastend sei und längere Arbeiten über
Kopfhöhe, in vorgeneigten und/oder rotierten Rumpfpositionen sowie in der
Hocke vermieden werden könnten. Eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
ergibt sich weiter aus dem psychosomatischen Konsilium vom 24. Januar 2001,
worin vorgeschlagen wird, die Versicherte mit "einer Arbeitsfähigkeit von
mindestens 50 %" aus der Rehabilitation zu entlassen. Diese Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit aus psychischen Gründen wird im Gutachten des SPD vom 5.
November 2001 bestätigt. Die Berichte der Rehabilitationsklinik X.________
und das Gutachten des SPD sind für die streitigen Belange umfassend, beruhen
auf allseitigen Untersuchungen, berücksichtigen die geklagten Beschwerden und
sind in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden; zudem sind die Ausführungen
in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtend und enthalten begründete Schlussfolgerungen (BGE 125 V
352 Erw. 3a). Die Zeugnisse des (neuen) Hausarztes Dr. med. K.________ vom
16. August, 13. September und 11. Dezember 2002 sprechen nicht gegen die
Zuverlässigkeit der Einschätzungen der Rehabilitationsklinik X.________ und
des SPD (vgl. BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb), da mangels Begründung nicht
nachvollziehbar ist, weshalb die Auffassung der beigezogenen ärztlichen
Berichte auf falschen Tatsachen beruhen oder nicht korrekte Einschätzungen
enthalten sollten. Für weitere Abklärungen bieten sie deshalb ebenfalls
keinen Anlass (antizipierte Beweiswürdigung; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw.
4b; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE
124 V 94 Erw. 4b). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt -
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - auch in psychiatrischer
Hinsicht genügend abgeklärt worden ist: Einerseits wurden während der Dauer
des Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik X.________ am 15. und 22. Januar
2001 zwei psychosomatische Konsiliaruntersuchungen durchgeführt, andererseits
wurde die Versicherte vom SPD psychiatrisch begutachtet.
Damit ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in einer
leidensangepassten Tätigkeit 50 % arbeitsfähig ist. Nach der Rechtsprechung
bildet der Zeitraum bis zum Verfügungserlass Grenze der richterlichen
Überprüfungsbefugnis (BGE 121 V 366 Erw. 1b; hier Dezember 2002), so dass die
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemachte Verschlechterung des
psychischen Zustandes für das vorliegende Verfahren nicht massgebend ist. Es
steht der Beschwerdeführerin jedoch offen, gestützt auf die behauptete
Verschlechterung eine Revision zu beantragen (Art. 17 Abs. 1 ATSG).

2.3 Die Versicherte macht geltend, es sei angesichts ihres Alters und ihrer
Herkunft unmöglich, eine behinderungsangepasste Tätigkeit auszuüben; auch
wenn es sich um invaliditätsfremde Faktoren handle, müssten sie im Rahmen der
Zumutbarkeit berücksichtigt werden.

Referenzpunkt für die Verwertung der Restarbeitsfähigkeit ist der
hypothetische ausgeglichene Arbeitsmarkt (Art. 28 Abs. 2 IVG). Nach der
Rechtsprechung handelt es sich dabei um einen theoretischen und abstrakten
Begriff, der dazu dient, den Leistungsbereich der Invalidenversicherung von
demjenigen der Arbeitslosenversicherung abzugrenzen. Der Begriff umschliesst
einerseits ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen dem Angebot von und der
Nachfrage nach Stellen; anderseits bezeichnet er einen Arbeitsmarkt, der von
seiner Struktur her einen Fächer verschiedenartiger Stellen offen hält und
zwar sowohl bezüglich der dafür verlangten beruflichen und intellektuellen
Voraussetzungen wie auch hinsichtlich des körperlichen Einsatzes; Letzteres
gilt auch im Bereich der un- und angelernten Arbeitnehmer. Nach diesen
Gesichtspunkten bestimmt sich im Einzelfall, ob die invalide Person die
Möglichkeit hat, ihre restliche Erwerbsfähigkeit zu verwerten und ob sie ein
rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen vermag oder nicht (BGE 110 V 276
Erw. 4b; ZAK 1991 S. 320 f. Erw. 3b). Daraus folgt, dass für die
Invaliditätsbemessung nicht darauf abzustellen ist, ob ein Invalider unter
den konkreten Arbeitsmarktverhältnissen vermittelt werden kann, sondern
einzig darauf, ob er die ihm verbliebene Arbeitskraft noch wirtschaftlich
nutzen könnte, wenn die verfügbaren Arbeitsplätze dem Angebot an
Arbeitskräften entsprechen würden (AHI 1998 S. 291). Für die
Beschwerdeführerin (mit Jahrgang 1963) stehen - trotz ihrer gesundheitlichen
Einschränkungen - auf diesem hypothetischen ausgeglichenen Arbeitsmarkt
genügend leichte Hilfs-, Kontroll- und Überwachungstätigkeiten offen, so dass
nicht von realitätsfremden und in diesem Sinne unmöglichen oder unzumutbaren
Einsatzmöglichkeiten ausgegangen wird. Denn die zumutbare Tätigkeit ist
vorliegend nicht nur in so eingeschränkter Form möglich, dass sie der
allgemeine Arbeitsmarkt praktisch nicht kennt oder nur unter nicht
realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers ausgeübt
werden kann (ZAK 1989 S. 322 Erw. 4a). Damit ist der Versicherten die
Verwertung ihrer Restarbeitsfähigkeit (vgl. Erw. 2.2 hievor) auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt zumutbar; der vorinstanzliche Entscheid ist
diesbezüglich nicht unangemessen (Art. 132 lit. a OG).

2.4 Zu Recht nicht bestritten sind die für die Bemessung des
Invaliditätsgrades herbeizuziehenden Einkommen vor und nach Eintritt des
Gesundheitsschadens. Damit ist der vom kantonalen Gericht auf (maximal) 62 %
festgesetzte Invaliditätsgrad nicht zu beanstanden, wobei anzumerken ist,
dass die Vorinstanz die effektive Höhe des behinderungsbedingten Abzuges
(dazu BGE 126 V 78 Erw. 5) letztlich offen gelassen hat. Die Versicherte hat
damit Anspruch auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung.

3.
Zu prüfen sind im Weiteren die Ansprüche auf berufliche
Eingliederungsmassnahmen.

3.1 Soweit mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein Anspruch auf
Arbeitsvermittlung geltend gemacht wird, ist darauf nicht einzutreten, da
dieser Anspruch von der IV-Stelle in der Verfügung von Dezember 2002 nicht
verneint worden und damit unbestritten geblieben ist, so dass kein
schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung dieses Teils der Verfügung besteht
(Art. 103 lit. a OG in Verbindung mit Art. 132 OG).

3.2 Die Versicherte macht weiter einen Anspruch auf Umschulung geltend. Der
Berufsberater der IV-Stelle ist davon ausgegangen, dass behinderungsbedingte
und psychosoziale Gründe eine berufliche Eingliederung verhinderten. Die
Beschwerdeführerin hat in den diversen Rechtsschriften während des ganzen
Verfahrens mit keinem Wort dargetan, weshalb diese Einschätzung nicht
zutreffen sollte. Da sich auch in den Akten keine Anhaltspunkte für
diesbezügliche Unrichtigkeiten finden, ist diese Frage nicht näher zu prüfen
(BGE 110 V 53 Erw. 4a).

4.
4.1 Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben.

4.2 Nach Gesetz (Art. 152 OG) und Praxis sind in der Regel die
Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und
Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die
Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch
geboten ist (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen).

Im vorinstanzlichen Formular "Auskünfte zur Erlangung der unentgeltlichen
Rechtspflege" hat die Versicherte angegeben, sie erhalte von der Gewerkschaft
ihres Ehegatten Rechtsschutz. Auf entsprechende Anfrage des Eidgenössischen
Versicherungsgerichtes antwortete die Beschwerdeführerin nicht, obwohl ihr
zweimal je ein Monat Fristerstreckung gewährt worden ist, so dass ihr
Rechtsvertreter mitteilen musste, er habe keine Auskunft erhalten. Damit hat
die Versicherte die ihr obliegenden Mitwirkungspflichten bei der Feststellung
der Anspruchsvoraussetzungen der unentgeltlichen Verbeiständung verletzt
(vgl. BGE 125 IV 165 Erw. 4a und Urteil R. vom 29. Dezember 2000, H 359/00),
wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass es sich um eine einfach zu
erteilende Auskunft gehandelt hat. Da nur die Beschwerdeführerin über
allenfalls gewährten Rechtsschutz Auskunft geben kann, sie dies aber
verweigert, wird sie so gestellt, wie wenn die Gewerkschaft ihres Ehegatten
auch für sie Rechtsschutz erbringt resp. die Leistung nicht
ungerechtfertigterweise verweigert. Damit wird angenommen, die Gewerkschaft
des Ehemannes werde für die Prozesskosten aufkommen, weshalb eine allfällige
Bedürftigkeit keine Rolle spielt (RKUV 2001 Nr. U 415 S. 92 Erw. 3a mit
Hinweis sowie Urteil H. vom 17. November 2003, C 234/02), und es somit an
dieser Voraussetzung der unentgeltlichen Verbeiständung fehlt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz,
der Ausgleichskasse Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 24. Juni 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: