Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 641/2003
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I 641/03

Urteil vom 11. August 2005
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiber Ackermann

Z.________, 1940, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Peter
Sorg, Vordergasse 31/33, 8200 Schaffhausen,

gegen

IV-Stelle Schaffhausen, Oberstadt 9, 8200 Schaffhausen, Beschwerdegegnerin

Obergericht des Kantons Schaffhausen, Schaffhausen

(Entscheid vom 22. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Z. ________, geboren 1940 und selbstständigerwerbender Inhaber einer
Tankstelle mit Shop, stürzte am 17. April 1998 von einer Leiter, wobei er
sich eine Commotio cerebri, eine Rissquetschwunde occipital, mehrere
Kontusionen sowie einen erst später entdeckten Impressions-Keilbruch Th 11
zuzog. Die IV-Stelle des Kantons Schaffhausen zog die Akten des
Unfallversicherers bei. Weiter holte sie einen Bericht des Dr. med.
B.________, Facharzt FMH Allgemeine Medizin, vom 29. November 1999 (mit
medizinischen Vorakten) ein und nahm - nebst weiteren Abklärungen in
erwerblicher Hinsicht - am 13. April 2000 eine Abklärung im Betrieb vor.
Schliesslich veranlasste die Verwaltung eine Begutachtung durch die Klinik
S.________ (Gutachten vom 23. Februar 2001 mit Bericht über die Evaluation
der funktionellen Leistungsfähigkeit vom 11./12. Dezember 2000). Nach
durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom
19. Februar 2002 den Anspruch auf eine Invalidenrente ab, da sie in Anwendung
eines Betätigungsvergleiches einen Invaliditätsgrad von 21.5% festgestellt
hatte.

B.
Die dagegen - unter Beilage mehrerer Berichte des Dr. med. B.________ -
erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen mit
Entscheid vom 22. August 2003 ab.

C.
Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung sei
ihm eine halbe Invalidenrente zuzusprechen, eventualiter sei die Sache zur
weiteren Abklärung und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

D.
Da die Verwaltung zusammen mit ihrer Vernehmlassung das nicht (mehr) in den
Akten liegende Gutachten der Klinik S.________ vom 23. Februar 2001 erneut
einreichte, wurde ein zweiter Schriftenwechsel durchgeführt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Vorab rügt der Versicherte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, indem die
Verwaltung ihm keine Gelegenheit geboten habe, Einwendungen gegen die Person
des Gutachters zu machen und sich zur Fragestellung zu äussern; zudem sei ihm
die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit der Klinik S.________ von
Dezember 2000 nicht zur Stellungnahme unterbreitet worden, während das
Gutachten von Februar 2001 gar nicht in den Akten gelegen sei.

1.1 Nach Bundesrecht ist die IV-Stelle nicht verpflichtet, die Meinung des
Versicherten zur Wahl des Experten und zur geplanten Fragestellung
einzuholen; eine Anhörung vor Verfügungserlass ist ausreichend (Art. 73bis
IVV [in Kraft gestanden bis Ende 2002]; BGE 125 V 404 Erw. 3; Urteil D. vom
18. April 2002, I 565/01, Erw. 1b/aa). Es ist in dieser Hinsicht zu beachten,
dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000
hier nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (19. Februar 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2); es kann deshalb offen bleiben, ob unter der
Geltung des ATSG - insbesondere dessen Art. 44 - anders zu entscheiden wäre
oder nicht.

1.2 In ihrer Duplik führt die IV-Stelle aus, dass sie sich für den
Verfügungserlass nur auf den Bericht über die Evaluation der funktionellen
Leistungsfähigkeit der Klinik S.________ von Dezember 2000 abgestützt habe.
Entgegen der gegenteiligen Annahme der Verwaltung ist dennoch erstellt, dass
ihr das zusätzlich erstellte Gutachten vom 23. Februar 2001 vor
Verfügungserlass vorgelegen ist - so hat die Klinik S.________ das Gutachten
der IV-Stelle eingeschrieben zugeschickt und Letztere hat es im Mai 2001
wiederum dem Unfallversicherer zur Kenntnisnahme zugestellt. Damit ist davon
auszugehen, dass die Verwaltung vor Verfügungserlass über alle massgebenden
Akten verfügte.

Anders sieht es aber hinsichtlich des kantonalen Gerichts aus, denn dieses
hatte erwiesenermassen keine Kenntnis von der zusätzlich erstellten
Expertise, was sich einerseits explizit aus dem Text des vorinstanzlichen
Entscheides, andererseits aus dem entsprechenden Hinweis in der
letztinstanzlichen Vernehmlassung der Verwaltung ergibt. In der
erstinstanzlichen Beschwerde hatte der Versicherte jedoch darauf hingewiesen,
dass (allenfalls) ein Gutachten vorliege, aber nicht in den Akten sei, was
von der IV-Stelle in ihrer vorinstanzlichen Vernehmlassung bestritten worden
ist. Trotz diesen Ausführungen der Verwaltung hatte das kantonale Gericht
aufgrund der Akten - insbesondere des Briefwechsels der IV-Stelle mit dem
Unfallversicherer über die Zustellung der Expertise - genügend Anhaltspunkte,
um die mögliche Existenz dieses Gutachtens annehmen zu können und in der
Folge über dessen Verbleib entweder selber nachzuforschen oder - anlässlich
einer Rückweisung - die Verwaltung damit zu beauftragen. Es ist somit
erwiesen, dass die Vorinstanz ohne umfassende Kenntnis des rechtserheblichen
Sachverhalts entschieden hat. Denn bei der Expertise der Klinik S.________
vom 23. Februar 2001 handelt es sich um ein massgebendes Sachverhaltselement,
dem im Rahmen der Beweiswürdigung eine wichtige Bedeutung zukommt, weil damit
die Ergebnisse der Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit von
Dezember 2000 zu überprüfen sind. Das Fehlen des Gutachtens in den Akten
stellt somit einen groben Verfahrensfehler dar. Da zudem die für den
vorinstanzlichen Entscheid massgebenden medizinischen Grundlagen im
letztinstanzlichen Verfahren in Frage gestellt werden, und sich der
Versicherte vor dem kantonalen Gericht mangels Kenntnis nicht zum Gutachten
von Februar 2001 äussern konnte, kann dieser Fehler vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht nicht geheilt werden.

1.3 Die Sache wird deshalb an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie -
nachdem sie dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme geboten haben
wird - in Kenntnis des gesamten Sachverhaltes neu entscheide. Dabei wird das
kantonale Gericht zu berücksichtigen haben, dass - entgegen der Auffassung in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - im Abklärungsbericht vom 13. April 2000
nur auf die Arbeit des Beschwerdeführers im Betrieb abgestellt und insoweit
die Mitarbeit der Familienmitglieder ausgeschieden worden ist (Art. 25 Abs. 2
IVV).

Obwohl die Vorinstanz ausführt, die IV-Stelle habe eine erwerbliche
Gewichtung vorgenommen (vgl. dazu BGE 128 V 29), ist dies letztlich nicht der
Fall gewesen: Kantonales Gericht und Verwaltung haben allein darauf
hingewiesen, dass der Versicherte die schwereren Arbeiten delegieren und
leichtere Tätigkeiten selber machen könne, was aber keine erwerbliche
Gewichtung darstellt, da es hierbei am dabei notwendigen wirtschaftlichen
Element fehlt; vielmehr geht es nur um Fragen im Zusammenhang mit der
Arbeitsfähigkeit. Immerhin ist in dieser Hinsicht zu bemerken, dass in klaren
Fällen auf die Durchführung der erwerblichen Gewichtung verzichtet werden
kann (Urteile G. vom 28. Februar 2005, I 616/04, Erw. 2.7, S. vom 25. März
2003, I 166/02, Erw. 4.2, Q. vom 18. Dezember 2002, I 72/02, Erw. 4.3), wobei
ein solches Vorgehen jedoch offenzulegen ist.

2.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des letztinstanzlichen
Verfahrens entsprechend steht dem obsiegenden Versicherten eine
Parteientschädigung zu (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 22. August 2003
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit Sie im
Sinne der Erwägungen neu entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Schaffhausen hat dem Beschwerdeführer für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen,
der Ausgleichskasse Versicherung, Zürich, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 11. August 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: