Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 631/2003
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I 631/03

Urteil vom 3. März 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin Polla

IV-Stelle Schaffhausen, Oberstadt 9,
8200 Schaffhausen, Beschwerdeführerin,

gegen

L.________, 1945, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Brigitta
Zbinden, Vorstadt 18,  8201 Schaffhausen

Obergericht des Kantons Schaffhausen, Schaffhausen

(Entscheid vom 5. September 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1945 geborene L.________ führte als gelernter Bäcker-Konditor mit
Zusatzausbildung als Weintechnologe und Handelsschulabschluss
selbstständigerwerbend bis 31. März 2001 eine Weinkellerei. Am 22. Mai 1991
meldete er sich unter Hinweis auf eine beidseitige Lunatummalazie
(Kienböck-Krankheit) und einen Sehfehler bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Wegen den Folgen der Beschwerden an den Handgelenken,
welche versteift wurden, sprach ihm die IV-Kommission Schaffhausen am 2. Juli
1992 mit Wirkung ab 1. Mai 1991 - bei einem Invaliditätsgrad von 50 % - eine
halbe Rente zu. Dies bestätigte sie in den darauffolgenden Jahren im Rahmen
von Revisionsverfahren mehrfach, letztmals am 8. Mai 2002. Zusätzlich zu
seiner am 1. Juni 2001 aufgenommenen Halbtagsstelle als Sekretär beim
Institut X.________ begann er am 10. Juni 2002 als Sekretär mit einem
ebenfalls 50 %-igen Arbeitspensum bei der Z.________ AG zu arbeiten. Aufgrund
der veränderten erwerblichen Verhältnisse führte die IV-Stelle erneut ein
Revisionsverfahren durch und verneinte bei einem errechneten Invaliditätsgrad
von 14 % den weiteren Anspruch auf eine Rente (Verfügung vom 12. November
2002).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons
Schaffhausen mit Entscheid vom 5. September 2003 gut und wies die Sache an
die Verwaltung zurück, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und neu
entscheide. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen an, die
IV-Stelle habe dem Versicherten trotz der ärztlich geschätzten 50 %-igen
Arbeitsunfähigkeit eine weitere Erwerbstätigkeit im Umfang von 50 %
zugemutet, welche zur gesundheitlichen Überforderung und zur Kündigung durch
die Z.________ AG geführt habe. Da anhand der Aktenlage nicht hervorgehe, ob
der Versicherte genügend eingegliedert sei, habe die IV-Stelle diesen
entweder weiterhin einzugliedern, oder aufgrund einer 50 %-igen
Arbeitsfähigkeit für leichte Arbeit einen neuen Einkommensvergleich
vorzunehmen.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen
Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die
Verwaltungsverfügung vom 12. November 2002 zu bestätigen.
Während der Versicherte auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Voraussetzungen,
den Umfang und den Beginn des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis
IVG, Art. 29 Abs. 1 IVG), die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach
der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zur Aufgabe des
Arztes im Verfahren der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit
Hinweisen) richtig dargelegt. Dasselbe gilt für den Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 IVG) und die
Selbsteingliederung als Teil der allgemeinen Schadenminderungspflicht (BGE
117 V 287 Erw. 2b, 4000; 113 V 28 Erw. 4a, je mit Hinweisen). Ebenfalls
korrekt wiedergegeben sind die Bestimmungen und Grundsätze über die Revision
der Invalidenrente bei einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen
Verhältnissen (Art. 41 IVG; BGE 125 V 369 Erw. 2 mit Hinweis, 113 V 275 Erw.
1a, je mit Hinweisen). Gleiches gilt auch bezüglich der Anwendbarkeit des am
1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 (BGE 129 V 4 Erw.
1.2). Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass die am 1. Januar 2004 in
Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung
vom 21. März 2003 und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21.
Mai 2003 ebenfalls nicht zur Anwendung gelangen (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob sich die erwerblichen Auswirkungen des
Gesundheitsschadens im Zeitraum zwischen dem Erlass der rentenbegründenden
Verfügung (2. Juli 1992) und der angefochtenen Verfügung (12. November 2002;
BGE 109 V 265 Erw. 4a) in einem rentenausschliessenden Mass geändert haben,
da der Versicherte am 10. Juni 2002 zusätzlich zu seiner bereits am 1. Juni
2001 aufgenommenen unselbständigen Erwerbstätigkeit eine weitere
Teilzeitstelle im Umfang von 50 % antrat. Bezüglich des Invalideneinkommens
interessiert insbesondere, ob diese Stelle dem Beschwerdegegner trotz
Gesundheitsschaden noch zumutbar war.

2.1 Die Beschwerdeführerin stellt sich dabei auf den Standpunkt, sie sei im
Rahmen des Revisionsverfahrens mit Blick auf den massgebenden Zeitraum bis
Verfügungserlass (12. November 2002) richtigerweise davon ausgegangen, dass
der Versicherte bestmöglichst eingegliedert gewesen sei. Auch in Beachtung
der ärztlichen Einschätzung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit sei nicht
eindeutig gewesen, dass sich der Versicherte mit der zusätzlich aufgenommenen
Arbeit überfordert habe. Im Verfügungszeitpunkt sei er bereits fünf Monate
bei der Z.________ AG angestellt gewesen und habe somit die dreimonatige
Probezeit offensichtlich ohne Probleme überstanden. Auch anlässlich des mit
dem IV- Berufsberater am 24. Juli 2002 geführten Gesprächs habe er mit keinem
Wort  erwähnt, dass diese Tätigkeit ihm gesundheitliche Probleme bereiten
würde.

2.2 Bei der im Rahmen der Selbsteingliederung angenommenen (und fünf Monate
lang ausgeübten) Tätigkeit kann - entgegen Vorinstanz und Beschwerdegegner -
nicht von einer offensichtlichen gesundheitlichen Überforderung gesprochen
werden. Zum einen geht aus dem zuhanden der IV-Stelle verfassten Schreiben
der Z.________ AG  (vom 15. November 2002) hervor, dass der Versicherte nicht
ausschliesslich aus behinderungsbedingter Überforderung die Stelle verloren
hat, indem diese festhält, er habe lediglich "unter anderem auf Grund seiner
Behinderung die Leistungen nicht in der geforderten Zeit erbringen können".
In seiner vorinstanzlichen Beschwerdeschrift (vom 18. November 2002) gibt der
Versicherte sodann an, er habe dem Vorbescheid der IV-Stelle nicht
widersprochen, "weil materiell alles richtig war" und führt lediglich
finanzielle Gründe für den Antrag auf Aufhebung der rentenausschliessenden
Verfügung an. Zum andern überging die IV-Stelle keine medizinische Vorgabe
bezüglich der dem Versicherten noch zumutbaren Tätigkeit, zumal mit der
Beschwerdeführerin anzunehmen ist, dass sich die ärztliche Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit im Umfang von 50 % im Bericht des Dr. med. C.________,
Innere Medizin FMH, vom 11. August 2001 auf die bisherige selbstständige
Erwerbstätigkeit bezieht. Denn Dr. med. C.________ führt darin zur
Arbeitsfähigkeit bezüglich einer anderen als der bisher selbstständig
ausgeübten Tätigkeit aus, dem Versicherten sei eine leichte Arbeit
(Beratertätigkeit) zumutbar, wobei sich der zeitliche Rahmen je nach Arbeit
ergebe. Er schlug eine beratende, kontrollierende Tätigkeit, z.B. in
Zusammenhang mit dem Weinbau, vor. Der Versicherte sei aber sicher polyvalent
einsetzbar, sofern die Voraussetzungen stimmen würden. Am 25. Juni 2000 gab
Dr. med. C.________ zudem an, dass die Frage, wieviele Stunden der
Versicherte pro Tag noch arbeiten könne, medizinisch nicht sicher beurteilt
werden könne. Abhängig von der Tätigkeit und ob z.B. auch eine PC-Tastatur zu
bedienen wäre, könne er mit Unterbrüchen vielleicht zwei bis drei Stunden am
Tag arbeiten, reine Kopfarbeit sei jedoch uneingeschränkt möglich, eventuell
brauche es eine Abklärung vor Ort. Bezüglich der beruflichen Massnahmen
schlug der Arzt Kopfarbeit, ohne Einsatz der Hände vor.

2.3 Die medizinischen Unterlagen enthalten somit keine eindeutigen Angaben
bezüglich Art und zeitlichem Umfang der dem Versicherten behinderungsbedingt
noch zumutbaren Tätigkeit. Auch findet sich für beide Tätigkeiten kein
Stellenprofil oder eine Arbeitgeberauskunft bei den Akten, welche über die
einzelnen Aufgaben und ihren zeitlichen Umfang Aufschluss gäbten. Wohl liegt
daher, wie hievor dargelegt, eine gesundheitliche Überforderung nicht auf der
Hand, hingegen ist demgegenüber aber auch nicht rechtsgenüglich (BGE 126 V
360 Erw. 5b, 125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen) auszuschliessen, dass ein
100 %-iger Arbeitseinsatz als Sekretär, auch wenn der Beschwerdegegner beide
Tätigkeiten gemäss Aktenlage klaglos ausübte, eine unzumutbare
gesundheitliche Überforderung darstellte, weshalb bei der Berechnung des
Invalideneinkommens nicht darauf abzustellen wäre. Denn weder gestützt auf
die Pflicht zur Selbsteingliederung noch im Rahmen der dem Versicherten auf
einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt offen stehenden Möglichkeiten zur
Verwertung seiner Resterwerbsfähigkeit dürfen von ihm Vorkehren verlangt
werden, die unter Berücksichtigung der gesamten objektiven und subjektiven
Gegebenheiten des Einzelfalles nicht zumutbar sind (vgl. Art. 31 Abs. 2 IVG;
BGE 113 V 28 Erw. 4a mit Hinweisen; Urteil W. vom 4. April 2002, I 401/01).

2.4 Da den ärztlichen Schätzungen für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer
bestimmten Tätigkeit entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. ZAK 1972 S. 301
Erw. 1a), rechtfertigt sich im Ergebnis die vorinstanzliche Rückweisung der
Sache an die IV-Stelle. Die Verwaltung wird die erforderlichen Abklärungen
und Ergänzungen in medizinischer und beruflicher Hinsicht vorzunehmen haben.
Dabei wird sie im Rahmen der - auch bei einer Selbsteingliederung - gebotenen
Zumutbarkeitsprüfung zu klären haben, ob der Versicherte im Sinne einer
bestmöglich verwerteten Leistung mit der Tätigkeit beim Institut X.________
seine erwerblichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat oder nicht und ob die
Stelle bei der Z.________ AG, insbesondere aus medizinischer Sicht, zumutbar
war. Hernach wird sie über den Rentenanspruch neu entscheiden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen,
der Ausgleichskasse Panvica und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 3. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin:

i.V.