Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 62/2003
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I 62/03

Urteil vom 4. November 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Batz

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

B.________, 2000, Beschwerdegegner, vertreten durch seine Eltern

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 14. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der am 6. Dezember 2000 geborene B.________ leidet an einem Sichelfuss links.
Am 22. April 2002 ersuchten seine Eltern die Invalidenversicherung um Abgabe
von orthopädischen Schuhen. Dieses Gesuch wies die IV-Stelle des Kantons
Aargau nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens u.a. mit der Begründung
ab, die Voraussetzungen für eine Übernahme als medizinische Massnahme (Art.
13 IVG) und als Hilfsmittel (Art. 21 IVG) seien nicht erfüllt (Verfügungen
vom 23. August 2002).

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess mit Entscheid vom 14.
Januar 2003 eine dagegen eingereichte Beschwerde in dem Sinne gut, dass es
die Verfügungen vom 23. August 2002 aufhob und die Sache zu weiteren
Abklärungen bezüglich einer Kostenübernahme als medizinische Massnahme nach
Art. 12 IVG an die IV-Stelle zurückwies.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei mit Bezug auf die Rückweisung zu
weiteren Abklärungen im Rahmen von Art. 12 IVG aufzuheben.

Die IV-Stelle schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Die Eltern des Versicherten tragen sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde
an.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 23. August
2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 124 V 167 Erw. 1b, 121 V 366
Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die neuen Bestimmungen nicht anwendbar.

2.
Streitig ist, ob die Invalidenversicherung für die wegen des Sichelfusses
beim Beschwerdegegner erforderliche Schuhversorgung aufzukommen hat bzw. ob
hiefür ergänzende Abklärungen notwendig sind. Dabei ist unbestritten, dass
der Sichelfuss die für die Anerkennung als Geburtsgebrechen gemäss Ziffer 180
GgV-Anhang geltenden Voraussetzungen nicht erfüllt, weshalb eine
Kostenübernahme gestützt auf Art. 13 IVG ebenso wie eine solche auf Grund von
Art. 21 IVG entfällt. Zu prüfen ist lediglich, ob eine Leistungspflicht der
Invalidenversicherung gemäss Art. 12 IVG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG
in Betracht fallen kann.

3.
3.1 Nach Art. 12 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf medizinische
Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern
unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die
Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher
Beeinträchtigung zu bewahren. Bei nicht erwerbstätigen minderjährigen
Versicherten ist zu beachten, dass diese als invalid gelten, wenn ihr
Gesundheitsschaden wahrscheinlich eine Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben
wird (Art. 5 Abs. 2 IVG).

3.2 Dem Beschwerdegegner steht auf Grund dieser Bestimmungen kein Anspruch
auf medizinische Massnahmen zu. Denn nach der Rechtsprechung, von der
abzugehen kein Anlass besteht, vermögen Geburtsgebrechen, welche die nach der
GgV geltenden Voraussetzungen nicht erfüllen und damit als geringfügig im
Sinne von Art. 13 Abs. 2 IVG zu qualifizieren sind, keine Leistungspflicht
der Invalidenversicherung nach Art. 12 IVG zu begründen, da solche Gebrechen
nicht zu einer rechtserheblichen Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit im
Sinne von Art. 12 IVG führen (ZAK 1984 S. 334 f., 1972 S. 678; nicht
veröffentlichtes Urteil S. vom 6. August 2001, I 433/00). Ist damit ein
Anspruch des Versicherten gemäss Art. 12 IVG zu verneinen, so bedarf es der
vom kantonalen Gericht im Zusammenhang mit dieser Bestimmung angeordneten
ergänzenden Abklärungen nicht. Es kann auf die zutreffenden Ausführungen des
Bundesamtes für Sozialversicherung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
verwiesen werden, denen das Eidgenössische Versicherungsgericht nichts
beizufügen hat.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. Januar 2003 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der IV-Stelle des Kantons Aargau und der Ausgleichskasse des Kantons Aargau
zugestellt.

Luzern, 4. November 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: