Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 629/2003
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I 629/03
Urteil vom 20. Oktober 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiberin Polla

B.________, 1954, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Jacqueline
Chopard, Pilatusstrasse 18, 6003 Luzern,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 25. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1954 geborene B.________ ist seit 1996 als Bodenleger selbstständig
erwerbstätig. Unter Hinweis auf seit einem Unfall beim Fussballspielen am 4.
Mai 1999 bestehende Kniebeschwerden meldete er sich am 15. März 2001 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 10. April 2002
verneinte die IV-Stelle Luzern mangels rentenbegründendem Invaliditätsgrad
von 36 % den Anspruch auf eine Invalidenrente.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern ab (Entscheid vom 25. August 2003).

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm eine halbe Rente ab 4.
Mai 2000 auszurichten.
Die IV-Stelle Luzern beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorinstanzlichen Entscheid werden die bis Ende 2002 gültig gewesenen
Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen und den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG) sowie die Bemessung des
Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen nach der Einkommensvergleichsmethode
(Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 114 V 313 Erw. 3a mit Hinweisen, 104 V 136 Erw. 2a
und b) richtig wiedergegeben. Zutreffend ist sodann der Hinweis darauf, dass
das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 und die damit
auf dem Gebiet des Invalidenversicherungsrechts verbundenen Änderungen nicht
anwendbar sind, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (hier: vom 10. April 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Darauf wird verwiesen. Aus dem zuletzt
genannten Grund finden auch die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen
Änderungen des IVG (4. IVG-Revision, AS 2003 3837) keine Anwendung.

2.
Allseits und nach Lage der medizinischen Akten zu Recht unbestritten ist,
dass der Beschwerdeführer in seinem angestammten Beruf als Bodenleger
aufgrund der Beschwerden im rechten Knie nurmehr im Umfang von rund 66 %
arbeitsfähig ist. Entsprechend teilt er seine Tätigkeit auf, indem er zu 70 %
auf dem Bau arbeitet und 30 % Büroarbeiten verrichtet (Arztbericht des Dr.
med. U.________, Orthopädische Chirurgie FMH, vom 18. Februar 2002). Streitig
und zu prüfen ist hingegen die Ermittlung des Invaliditätsgrades. Vorinstanz
und Verwaltung haben in Anwendung der allgemeinen
Einkommensvergleichsmethode, gestützt auf die Betriebsgewinne der Jahre 1996
bis 1998, ein hypothetisches Einkommen ohne Gesundheitsschaden
(Valideneinkommen) für das Jahr 2000 (allfälliger Rentenbeginn: 4. Mai 2000;
BGE 129 V 222 mit Hinweis) von Fr. 176'756.- ermittelt. Dem
Invalideneinkommen wurde der nach Eintritt des Gesundheitsschadens im Jahr
2000 erzielte Betriebsgewinn von Fr. 112'302.- gleichgesetzt.

2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die für die Ermittlung des
Valideneinkommens herangezogenen Betriebsgewinne der Jahre 1996 und 1997
seien nicht repräsentativ. Diese Jahre seien als "Anlaufzeit" zu
qualifizieren. Der 1998 wesentlich höhere Betriebsgewinn hätte - ohne Unfall
- auch in den folgenden Jahren erzielt werden können, da sich ab diesem
Zeitpunkt die aufgrund der Geschäftsübername strukturell und personell
vorgenommenen Veränderungen betriebswirtschaftlich positiv niedergeschlagen
hätten.

2.2 Es stellt sich indessen die Frage, ob sich der Invaliditätsgrad überhaupt
nach der von Verwaltung und Vorinstanz angewendeten allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs zuverlässig bemessen lässt (dazu grundlegend BGE 104 V
136 f. Erw. 2b); falls nicht, ist dieser im ausserordentlichen
Bemessungsverfahren aufgrund eines im Hinblick auf die konkrete betriebliche
Situation gewichteten Betätigungsvergleichs zu ermitteln. Dies gilt auch bei
Selbstständigerwerbenden (vgl. ZAK 1981 S. 45 Erw. 2a).
Die Gegenüberstellung der vor und nach Eintritt eines
invalidenversicherungsrechtlichen Versicherungsfalles in einem Gewerbebetrieb
realisierten Geschäftsergebnisse nach Massgabe der
Einkommensvergleichsmethode lässt zuverlässige Schlüsse auf die
invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse nur dort zu, wo mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass die Betriebsergebnisse
durch invaliditätsfremde Faktoren beeinflusst worden sind. Tatsächlich sind
aber für die jeweiligen Geschäftsergebnisse eines Gewerbebetriebes häufig
zahlreiche schwer überblickbare Komponenten wie etwa die Konjunkturlage, die
Konkurrenzsituation, der kompensatorische Einsatz von Familienangehörigen,
Unternehmensbeteiligten oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von
massgeblicher Bedeutung. Eine verlässliche Ausscheidung der auf solche
(invaliditätsfremde) Faktoren zurückzuführenden Einkommensanteile einerseits
und der auf dem eigenen Leistungsvermögen der versicherten Person beruhenden
Einkommensschöpfung andererseits ist in solchen Fällen in der Regel auf Grund
der Buchhaltungsunterlagen nicht möglich, sodass die Invaliditätsbemessung
nach der Methode des ausserordentlichen Bemessungsverfahrens zu erfolgen hat
(AHI 1998 S. 254 Erw. 4a).

2.2.1 Es erscheint problematisch, dass das Jahr der Geschäftsübernahme (1996)
Teil der Grundlage für die Ermittlung des Valideneinkommens bildet (vgl. AHI
1998 S. 254 Erw. 4a). Denn zweifelsohne bringt eine Geschäftsübernahme
hinsichtlich der eigenen neuen Funktion und Verantwortung des Versicherten,
aber auch hinsichtlich der vorgenommenen personellen und betrieblichen
Neuerungen, Veränderungen mit sich, die sich auf den Geschäftsgang auswirken
können. Dass gerade bei einem Kleinbetrieb (mit vier Angestellten) das
Geschäftsergebnis massgeblich vom persönlichen Einsatz und den individuellen
Fähigkeiten des Betriebsinhabers abhängt, ist unbestritten (ZAK 1981 S. 44
Erw. 2). Ebenso fragwürdig wäre es jedoch, dem beschwerdeführerischen Einwand
entsprechend, die Betriebsjahre 1996 und 1997 ausser Acht zu lassen, da somit
nur das Betriebsergebnis eines einzigen Geschäftsjahres für die Ermittlung
des Valideneinkommens bliebe, womit der aus dem Invaliditätsbegriff (Art. 4
Abs. 1 IVG) fliessende Grundsatz verletzt würde, dass die
Invaliditätsbemessung der voraussichtlich länger bleibenden oder längere Zeit
dauernden Erwerbsunfähigkeit zu entsprechen hat (AHI 1998, S. 122 Erw. 2c und
S. 254 Erw. 4a). Eine gewisse Plausibilität lässt sich zwar der Ansicht des
Versicherten, das gute Geschäftsergebnis des Jahres 1998 sei als Frucht
dieser Veränderungen zu verstehen, welches in den folgenden Jahren ebenso
hätte erzielt werden können, nicht absprechen. Dies lässt aber nicht den
zwingenden Schluss zu, dass im Jahre 1999 (ohne Unfall) ein dem Vorjahr
entsprechend hoher Betriebsgewinn erzielt worden wäre.

2.2.2 Bezüglich des Invalideneinkommens kann anhand der
Buchhaltungssunterlagen ebenso wenig zuverlässig festgestellt werden, ob und
in welchem Ausmass sich die konjunkturellen Schwankungen des Baugewerbes auf
den Betriebsgewinn der auf die Verlegung von Parkett (und anderen
Bodenbelägen) spezialisierten Firma niederschlagen. Des Weiteren ist es
anhand der Geschäftsabschlüsse unmöglich zu erkennen, wie sich die bezüglich
der Tätigkeit auf dem Bau um einen Drittel reduzierte Leistungsfähigkeit des
Versicherten auf seine eigene Einkommensschöpfung auswirkt, zumal die für den
Betriebsertrag wesentliche leitende Funktion von der körperlichen Behinderung
ebenso wenig beeinträchtigt wird, wie die im Umfang von 30 % ausgeführten
Büroarbeiten (vgl. ZAK 1971 S. 338; Meyer-Blaser, Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 208).

2.3 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die vorliegenden
Geschäftsergebnisse der Jahre 1996 bis 1998 keine zuverlässige Basis für die
Ermittlung des Valideneinkommens bilden. Weiter lässt sich anhand der
ordentlichen Methode des Einkommensvergleichs nicht feststellen, in welchem
Masse sich die behinderungsbedingte Leistungsverminderung des
Beschwerdeführers tatsächlich erwerblich ausgewirkt, da Komponenten wie die
Konjunkturlage, die Konkurrenzsituation oder allenfalls die kompensatorische
Mehrleistung der Mitarbeitenden nicht verlässlich ausgeschieden werden
können. Die Sache ist daher an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie den
Invaliditätsgrad nach der in BGE 128 V 29 aufgezeigten Methode des
ausserordentlichen Bemessungsverfahrens ermittle und anschliessend über den
Rentenanspruch neu verfüge.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs.
2 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 25. August 2003 und
die Verfügung der IV-Stelle Luzern vom 10. April 2002 aufgehoben werden und
die Sache an die IV-Stelle Luzern zurückgewiesen wird, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu
verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Luzern hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 20. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: