Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 61/2003
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I 61/03

Urteil vom 22. September 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

D.________, 1973, Beschwerdeführer, vertreten durch den Procap,
Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 29. November 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1973 geborene D.________ meldete sich am 1. Februar 2002 bei der
Invalidenversicherung erneut zum Leistungsbezug (Berufsberatung, Umschulung,
Wiedereinschulung, Arbeitsvermittlung und Rente) an, nachdem zuvor mit in
Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 3. September 2001 sein Gesuch um
berufliche Massnahmen abgewiesen worden war. Die IV-Stelle Bern trat auf
dieses Begehren mit Verfügung vom 3. Juni 2002 nicht ein, weil der Nachweis
einer Veränderung der Verhältnisse seit Erlass der abweisenden Verfügung auch
durch die Berichte des Dr. med. F.________, Psychiatrischer Dienst Region
X.________, vom 26. Februar und 15. Mai 2002 nicht habe erbracht werden
können.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 29. November 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt D.________ sinngemäss die Rückweisung
der Sache an die IV-Stelle zur materiellen Behandlung und Neuverfügung
beantragen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 3. Juni
2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im
vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Verwaltung auf die Neuanmeldung hätte
eintreten müssen und ob der die Nichteintretensverfügung schützende Entscheid
der Vorinstanz rechtens ist.

3.
Nach der Rechtsprechung haben die an die Bestimmungen über die Revision von
Invalidenrenten und Hilflosenentschädigungen anknüpfenden Vorschriften über
die Neuanmeldung nach vorangehender Rentenverweigerung (vgl. Art. 41 IVG;
Art. 86 ff., insbesondere Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV) in analoger Weise auch
bei einer Neuanmeldung nach rechtskräftiger Verweigerung von
Eingliederungsmassnahmen Gültigkeit. Mithin ist auf ein erneutes
Leistungsbegehren nur einzutreten, wenn die versicherte Person eine
erhebliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse glaubhaft macht (BGE
113 V 27 Erw. 3b, SVR 1999 IV Nr. 21 S. 63, je mit Hinweisen), wobei
massgebende Vergleichsbasis der Zeitraum zwischen der letztmaligen
rechtskräftigen Abweisung des Leistungsanspruchs und dem Erlass der
streitigen Verfügung bildet (BGE 125 V 369 Erw. 2 mit Hinweis, 117 V 198 Erw.
3a; AHI 1999 S. 84 Erw. 1). Mit Art. 87 Abs. 4 IVV soll verhindert werden,
dass sich die Verwaltung nach vorangegangener rechtskräftiger
Leistungsverweigerung immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher
begründeten, d.h. keine Veränderung des Sachverhalts darlegenden Gesuchen
befassen muss (BGE 117 V 200 Erw. 4b, SVR 1999 IV Nr. 21 S. 63, je mit
Hinweisen).

4.
4.1 Im ersten Leistungsbegehren vom 31. Januar 2001 hatte der Beschwerdeführer
um die Gewährung beruflicher Massnahmen ersucht, was mit Verfügung vom 3.
September 2001 verweigert worden war. Bei der erneuten Anmeldung vom 1.
Februar 2002 ersuchte er dann um berufliche Massnahmen und um Zusprechung
einer Rente.

4.2 Verwaltung und Vorinstanz stellen sich auf den Standpunkt, es sei keine
den Invaliditätsgrad beeinflussende Änderung der gesundheitlichen Situation
nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht, weshalb auf die erneute Anmeldung nicht
einzutreten bzw. die gegen die Nichteintretensverfügung erhobene Beschwerde
abzuweisen sei.

4.3 Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die dargelegten, von
Verordnungsgeber und Rechtsprechung entwickelten Regeln zur Behandlung von
Neuanmeldungen nach Erlass einer rechtskräftigen leistungsablehndenden
Verfügung beziehen sich nämlich ihrem hievor angeführten Sinn und Zweck nach
nur auf gleichlautende Leistungsgesuche, wohingegen dem Versicherten bei
Geltendmachung eines andersartigen Leistungsanspruchs, mithin eines
anderweitigen Versicherungsfalles, die Rechtsbeständigkeit der früheren
Leistungsverweigerung nicht entgegengehalten werden kann (SVR 1999 IV Nr. 21
S. 64 mit Hinweis). Vielmehr hat die Verwaltung - und im Beschwerdefall das
Gericht - ein neuerliches, jedoch andersartiges (vom Gegenstand der
vorangegangenen Ablehnungsverfügung nicht erfasstes) Leistungsbegehren in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer umfassenden Prüfung zu
unterziehen. Die IV-Stelle ist demzufolge bei der gegebenen Sach- und
Rechtslage auf die Anmeldung vom 1. Februar 2002 zu Unrecht nicht
eingetreten.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 29. November 2002 und die Verfügung
der IV-Stelle Bern vom 3. Juni 2002 aufgehoben, und es wird die Sache an die
IV-Stelle Bern zurückgewiesen, damit diese den Anspruch des Beschwerdeführers
auf Leistungen der Invalidenversicherung materiell prüfe und hierüber
verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Bern hat hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 22. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: