Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 615/2003
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I 615/03

Urteil vom 4. Februar 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Meyer;
Gerichtsschreiberin Bollinger

Z.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch lic. iur. Pollux L.
Kaldis, Sozialversicherungs- und Ausländerrecht, Solistrasse 2a, 8180 Bülach,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 8. Juli 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1959 geborene Z.________ absolvierte von 1980 bis 1984 eine Lehre als
Grafiker und bildete sich anschliessend an der Höheren Schule für Gestaltung
X.________ zum visuellen Gestalter weiter. In der Folge war er an mehreren
Stellen teilerwerbstätig und bezog zeitweilig Taggelder der
Arbeitslosenversicherung. In den Jahren 1994 bis 1997 arbeitete er als
selbstständiger Grafiker. Seit Oktober 1985 leidet er an Schmerzen in der
linken Gesichtshälfte. Zahlreiche medizinische Behandlungen zeitigten keinen
Erfolg: Am 17. September 1999 meldete er sich bei der Invalidenversicherung
zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich führte erwerbliche
Abklärungen durch und holte einen Arztbericht des Hausarztes Dr. med.
R.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 11. Oktober 1999 ein, dem eine
Beurteilung des Dr. med. N.________ von der Klinik B.________, vom 16. Juni
1999 beilag. Am 4. und 5. Dezember 2000 liess sie den Versicherten in der
Medizinischen Abklärungsstelle Y.________ (MEDAS) untersuchen (Gutachten vom
11. März 2001). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte sie am 17.
August 2001 das Leistungsbegehren ab, da keine rentenbegründende
Arbeitsunfähigkeit in der angestammten Tätigkeit als Grafiker bestehe.

B.
Z.________ liess dagegen Beschwerde erheben und nebst eines Berichts seines
Arbeitgebers weitere Arztberichte (der Neurologischen Klinik und Poliklinik
am Spital F.________ ["Kopfwehsprechstunde"] vom 5. November 2001 und des Dr.
med. C.________, FMH Physikalische Medizin und Rehabilitation, ebenfalls vom
5. November 2001) zu den Akten reichen. Nachdem die Vorinstanz die Befunde
einer am 29. November 2001 durchgeführten Magnetresonanz-Untersuchung des
Gehirns und des craniocervicalen Übergangs sowie die diesbezüglichen
Stellungnahmen der Parteien, denen weitere ärztliche Berichte (des Neurologen
Dr. med. A.________ von der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Spital
F.________ vom 19. November 2002 und 2. Juni 2003 sowie der MEDAS vom 21.
Januar 2003) beilagen, abgewartet hatte, wies sie die Beschwerde mit
Entscheid vom 8. Juli 2003 ab.

C.
Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die Zusprechung
einer ganzen Invalidenrente ab 1. Dezember 1998 beantragen. Gleichzeitig
lässt er ein psychiatrisches Gutachten des Dr. med. D.________, FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 10. September 2003 auflegen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die
Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwägt, werden nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 17. August 2001)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V
366 Erw. 1b). Zum einen entfällt damit - worauf die Vorinstanz zu Recht
hinweist - die Anwendbarkeit des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
vom 6. Oktober 2000. Zum anderen sind allfällige, seit dem Verfügungsdatum
eingetretene Veränderungen des Gesundheitszustandes oder anderer
Anspruchsgrundlagen nicht zu berücksichtigen. Solche haben vielmehr
gegebenenfalls Gegenstand einer neuen, den Zeitraum seit Erlass des
streitigen Verwaltungsaktes beschlagenden Verfügung zu bilden (BGE 121 V 66
Erw. 1b, 99 V 102, je mit Hinweisen).

1.2 Das kantonale Gericht hat sodann die Bestimmungen und Grundsätze über den
Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang
des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG [in der bis 31. Dezember
2003 gültig gewesenen Fassung]) sowie die Invaliditätsbemessung bei
erwerbstätigen Versicherten nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; vgl. BGE 128 V 30 Erw. 1, 104 V 136
Erw. 2a und b) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die Erwägungen über
die Aufgabe des Arztes bei der Invaliditätsbemessung (BGE 114 V 314 f. Erw.
3c; ferner BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen) sowie über den Beweiswert
ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis, 125 V
353 Erw. 3b/cc mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch.

2.1 Das kantonale Gericht ist in sorgfältiger Würdigung der medizinischen
Unterlagen, insbesondere gestützt auf das Gutachten der MEDAS vom 11. März
2001 sowie auf die ergänzende Stellungnahme der MEDAS-Ärzte Dr. med.
E.________ und Dr. med. G.________ vom 13. und 21. Januar 2003, zum Ergebnis
gelangt, es bestehe keine ins Gewicht fallende Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dagegen vorgebracht,
namentlich die Einschätzungen der psychiatrischen Konsiliarärztin der MEDAS
seien offensichtlich unzutreffend, nicht allgemein verständlich und
widersprüchlich. Die Vorinstanz habe diese falschen Schlussfolgerungen,
welche keinen rechtsgenügenden Beweiswert erlangten, unkritisch übernommen
und damit den Untersuchungsgrundsatz verletzt.

2.2 Diesen Einwendungen kann nicht gefolgt werden. Wie die Vorinstanz
zutreffend erwägt, erfüllt das Gutachten der MEDAS - samt psychiatrischem
Konsiliarbericht vom 5. Dezember 2000 - die rechtsprechungsgemäss
erforderlichen Kriterien für beweiskräftige ärztliche Entscheidungsgrundlagen
(BGE 125 V 352 Erw. 3 mit Hinweisen), weshalb den darin enthaltenen
Ausführungen voller Beweiswert zukommt. Daran vermögen die Einschätzungen des
Dr. med. A.________ nichts zu ändern. Dieser untersuchte den Beschwerdeführer
erstmals im Sommer 2002 und damit fast ein Jahr nach Erlass der Verfügung vom
17. August 2001. Soweit sich seine Einschätzungen auf die Verhältnisse im
Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung beziehen, stützen sie sich
lediglich auf ihm vorliegende - von ihm offenbar nur unterzeichnete -
Aufzeichnungen anlässlich der Kopfwehsprechstunde, weshalb sie für die
Beurteilung nicht entscheidend ins Gewicht fallen.

In dem mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten psychiatrischen
Gutachten vom 10. September 2003 finden sich zwar Ausführungen betreffend die
Zeit vor Verfügungserlass; jedoch ergingen diese ohne umfassende
Akteneinsicht und beruhen hauptsächlich auf den Schilderungen des
Versicherten, so dass sie nicht geeignet sind, die Ausführungen der MEDAS in
Zweifel zu ziehen. Dies gilt umso weniger, als es sich bei der Beurteilung
des Dr. med. D.________ um eine über Jahre rückwirkend vorgenommene
Einschätzung der Arbeitsfähigkeit handelt, anlässlich der psychiatrischen
Begutachtung vom 5. Dezember 2000 keinerlei Hinweise auf die von ihm
festgestellte anankastische Persönlichkeitsstörung gefunden wurden und sich
der Gesundheitszustand des Versicherten zwischen der Erstellung des
MEDAS-Gutachtens (11. März 2001) und dem Verfügungserlass (17. August 2001)
nach seinen eigenen Angaben nicht verschlechtert, sondern eher verbessert
hat. Einzuräumen ist allerdings, dass Dr. med. D.________, abweichend vom
MEDAS-Gutachten, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine
anankastische Persönlichkeitsstörung und eine mittelgradige depressive
Störung diagnostizierte. Hinsichtlich der Schmerzstörung ist jedoch zu
berücksichtigen, dass eine solche seitens der psychiatrischen Experten der
Abklärungsstelle durchaus differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen,
jedoch mangels der hiefür vorausgesetzten klinischen Kriterien (v.a.
ursächliche emotionale Konflikte) ausgeschlossen worden ist. Daran ist
festzuhalten. Wohl macht Dr. med. D.________ geltend, emotionale (dem
Patienten meist unbewusste) Konflikte liessen sich in einer Exploration
(Abklärungssituation) nicht oder nur sehr schwer erkennen; erforderlich
hiefür seien vielmehr "wiederholte therapeutische Gespräche". Solche hat
indes auch Dr. med. D.________ mit dem Versicherten nicht geführt. Der
Privatgutachter gerät daher, entgegen den Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtbeschwerde, mit sich selber in Widerspruch, wenn er die
Feststellbarkeit emotionaler Konflikte im Rahmen der MEDAS-Abklärung
bezweifelt, hingegen als Ergebnis seiner eigenen Untersuchungen für sich in
Anspruch nimmt. Diesbezüglich lässt es Dr. med. D.________ bei der
apodiktischen Feststellung bewenden, im "Rahmen der gegenwärtigen
Untersuchung (seien) beim Exploranden zugrundeliegende emotionale Konflikte
eindeutig gegeben"; der Arzt zeigt aber nicht auf, worin denn diese
tatsächlich bestanden haben und weiterhin bestehen sollen. Was die
anankastische Persönlichkeitsstörung anbelangt, ist diesem Aspekt im Rahmen
psychiatrischer Zusatzuntersuchungen durch die MEDAS - wie schon gesagt -
ebenfalls nachgegangen worden; die testmässig ausgewiesenen Ergebnisse fielen
jedoch samt und sonders negativ aus oder lauteten auf "grenzwertig
niedrignormale Werte". Gewisse Eigenheiten des Charakters oder des Verhaltens
in der vom Privatgutachter beschriebenen Art können noch nicht als zwanghafte
Persönlichkeitsstörungen, welche die Zumutbarkeit der Arbeitsleistung
dahinfallen liessen, qualifiziert werden. Bezüglich der als mittelgradig
eingestuften depressiven Störung schliesslich zeigt die Expertise des Dr.
med. D.________ keine genügenden Anhaltspunkte auf, welche die Beurteilung
der MEDAS-Gutachter ("Beschwerden an der Grenze zu einer leichten
Depression") widerlegen oder weitere Abklärungen in dieser Richtung
rechtfertigen würden.
Ebenso wenig vermögen die übrigen sich bei den Akten befindlichen
Arztberichte das MEDAS-Gutachten in Frage zu stellen. Es kann diesbezüglich
auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden,
denen das Eidg. Versicherungsgericht nichts beizufügen hat. Nicht stichhaltig
sind auch die weiteren Vorbringen. Insbesondere ist nicht einsichtig,
inwiefern die Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz verletzt haben soll,
nachdem sie über die im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen
Einschätzungen hinaus zahlreiche weitere ärztliche Stellungnahmen abgewartet
und damit den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig abgeklärt
hatte. Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss vorbringt, das psychiatrische
Gutachten vom 5. Dezember 2000 sei schon deshalb nicht beweistauglich, weil
es von einer Gutachterin der Beschwerdegegnerin und nicht von einer
Psychiaterin seiner freien Wahl erstellt wurde, kann ihm nicht gefolgt
werden. Die Tatsache allein, dass ein Versicherungsträger die betreffende
Ärztin beauftragt hat, lässt nach der Rechtsprechung nicht auf mangelnde
Objektivität und auf Befangenheit schliessen. Es bedarf vielmehr besonderer
Umstände, welche das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Beurteilung
objektiv als begründet erscheinen lassen. Im Hinblick auf die erhebliche
Bedeutung, welche den Arztberichten im Sozialversicherungsrecht zukommt, ist
an die Unparteilichkeit des Gutachters allerdings ein strenger Massstab
anzulegen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/ee mit Hinweis). Solche Umstände liegen hier
nicht vor.

Wenn sich die Vorinstanz nach eingehender Würdigung der medizinischen Akten
massgeblich auf die Einschätzungen im Gutachten der MEDAS abgestützt und zum
Schluss gelangt ist, es liege keine rentenbegründende Invalidität vor, ist
dies nicht zu beanstanden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 4. Februar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: