Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 611/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


I 611/03

Urteil vom 16. Juni 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar

K.________, 1970, Beschwerdeführerin, vertreten durch die If AG,
Dienstleistungen für Soziale Sicherheit, Dornacherplatz 7, 4500 Solothurn,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 9. Juli 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1970 geborene K.________ arbeitete seit 1. November 1989 als angelernte
Verkäuferin bei der Firma C.________. Vom 5. bis 24. März 2000 wurde sie im
Spital X.________ im Rahmen eines Rückenrehabilitations-Programms ambulant
betreut. Die Arbeitgeberin löste das Arbeitsverhältnis wegen anhaltender
Arbeitsunfähigkeit der Versicherten per 30. Juni 2001 auf. Diese meldete sich
am 18. Juni 2001 wegen Rückenschmerzen und Depressionen bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Seit 28. August 2001 ist sie in
ambulanter psychotherapeutischer Behandlung bei der Psychiaterin Frau Dr.
med. S.________. Zur Abklärung der Verhältnisse holte die IV-Stelle des
Kantons Solothurn diverse Arztberichte sowie ein Gutachten des Psychiaters
Dr. med. W.________ vom 18. Mai 2002 ein. Gestützt auf diese Unterlagen
verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf berufliche Massnahmen sowie auf eine
Invalidenrente. Der Versicherten sei es zumutbar, zu 60 % einer
Hilfsarbeitertätigkeit (sowohl als Kassiererin wie als Verkäuferin)
nachzugehen. Ohne Behinderung habe sie jährlich Fr. 40'300.- verdient. Mit
Behinderung könne sie ein Einkommen von 28'150.- erzielen, was einen
Invaliditätsgrad von 30 % ergebe (Verfügung vom 10. Dezember 2002).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 9. Juli 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Versicherte, der kantonale
Entscheid sei aufzuheben; es seien ihr die gesetzlichen Leistungen
zuzusprechen; der Sachverhalt sei durch ein psychiatrisches Obergutachten zu
ergänzen. Sie legt neu einen Bericht der Frau Dr. med. S.________ vom 3. Juli
2003 auf.

Das kantonale Gericht und die IV-Stelle beantragen Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die
Grundsätze über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), die
Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis
IVG), die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 128 V 30 Erw. 1), die
Ermittlung des ohne Invalidität erzielbaren Einkommens (Valideneinkommen; BGE
129 V 224 Erw. 4.3.1), die Bestimmung des trotz Gesundheitsschädigung
zumutbarerweise noch erzielbaren Einkommens (Invalideneinkommen) nach
Tabellenlöhnen sowie die von diesem zulässigen Abzüge (BGE 126 V 75 ff.; AHI
2002 S. 62 ff.) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt zur Aufgabe des Arztes im
Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen).
Beizupflichten ist im Weiteren den Erwägungen der Vorinstanz, dass das am 1.
Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist (BGE
129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

Die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über
die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die
Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 sind nicht anwendbar.

1.2 Zu ergänzen ist, dass hinsichtlich des Beweiswerts eines Arztberichts
entscheidend ist, ob er für die streitigen Belange umfassend ist, auf
allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet
und nachvollziehbar sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist
grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die
Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen Stellungnahme als
Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a).

1.3 Zu den geistigen Gesundheitsschäden, die in gleicher Weise wie die
körperlichen eine Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG zu bewirken
vermögen, gehören neben den eigentlichen Geisteskrankheiten auch seelische
Abwegigkeiten mit Krankheitswert. Nicht als Auswirkungen einer krankhaften
seelischen Verfassung und damit invalidenversicherungsrechtlich nicht als
relevant gelten Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, welche die
versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, Arbeit in
ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden vermöchte, wobei das Mass des
Forderbaren weitgehend objektiv bestimmt werden muss (BGE 102 V 165; AHI 2001
S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine; noch
nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil N. vom 12. März 2004,
I 683/03, Erw. 2.2.1 mit Hinweisen).

Unter gewissen Umständen können auch somatoforme Schmerzstörungen eine
Arbeitsunfähigkeit verursachen. Sie fallen unter die Kategorie der
psychischen Leiden, für die grundsätzlich ein psychiatrisches Gutachten
erforderlich ist, wenn es darum geht, über das Ausmass der durch sie
bewirkten Arbeitsunfähigkeit zu befinden. In Anbetracht der sich mit Bezug
auf Schmerzen naturgemäss ergebenden Beweisschwierigkeiten genügen mithin die
subjektiven Schmerzangaben der versicherten Person für die Begründung einer
(teilweisen) Invalidität allein nicht; vielmehr muss im Rahmen der
sozialversicherungsrechtlichen Leistungsprüfung verlangt werden, dass die
Schmerzangaben durch damit korrelierende, fachärztlich schlüssig
feststellbare Befunde hinreichend erklärbar sind, andernfalls sich eine
rechtsgleiche Beurteilung der Rentenansprüche nicht gewährleisten liesse
(Erw. 2.2.2 des Urteils I 683/03 mit Hinweisen).

Das Vorliegen eines fachärztlich ausgewiesenen psychischen Leidens mit
Krankheitswert ist aus rechtlicher Sicht wohl Voraussetzung, nicht aber
hinreichende Basis für die Annahme einer invalidisierenden Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit. Namentlich vermag nach der Rechtsprechung eine
diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung als solche in der Regel
keine langdauernde, zu einer Invalidität führende Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG zu bewirken. Ein Abweichen
von diesem Grundsatz fällt nur in jenen Fällen in Betracht, in denen die
festgestellte somatoforme Schmerzstörung nach Einschätzung des Arztes eine
derartige Schwere aufweist, dass der versicherten Person die Verwertung ihrer
verbleibenden Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt bei objektiver Betrachtung -
und unter Ausschluss von Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, die auf
aggravatorisches Verhalten zurückzuführen sind - sozial-praktisch nicht mehr
zumutbar oder dies für die Gesellschaft gar untragbar ist (Erw. 2.2.3 des
Urteils I 683/03 mit Hinweisen; vgl. auch zur Publikation in der Amtlichen
Sammlung vorgesehenes Urteil B. vom 18. Mai 2004 Erw. 7.3, I 457/02).

Wieweit die Auswirkungen des Schmerzsyndroms auf die Leistungsfähigkeit mit
einer zumutbaren "Willensanspannung" überwindbar sind, entscheidet sich
anhand von verschiedenen Beurteilungskriterien. Zu nennen sind diesbezüglich
namentlich eine auffällige vorbestehende Persönlichkeitsstruktur, eine auf
Chronifizierung hindeutende, mehrjährige Krankheitsgeschichte mit stationärer
oder progredienter Symptomatik, das Scheitern einer lege artis durchgeführten
Behandlung, eine psychiatrische Komorbidität oder chronische körperliche
Begleiterkrankungen, ein hoher Krankheitsgewinn (in der primären Form einer
unwillkürlichen Ausbildung psychosomatischer Symptome zwecks Bewältigung
eines seelischen Konfliktes), schliesslich ein Verlust der sozialen
Integration (Ehescheidung, Arbeitsplatzverlust, sozialer Rückzug, Verlust
persönlicher Interessen) im Verlauf der psychischen Erkrankung. Zu
berücksichtigen sind die fraglichen Umstände nur, wenn sie sich beim
Versicherten mit einem Mindestmass an Konstanz und Intensität manifestieren.
Nicht erforderlich ist, dass sich eine psychiatrische Expertise in jedem Fall
über jedes einzelne der genannten Kriterien ausspricht; entscheidmassgeblich
ist eine Gesamtwürdigung der Situation (Erw. 7.4 des Urteils I 457/02, Erw.
2.2.3 des Urteils I 683/03, je mit Hinweisen).

2.
Streitig ist der Grad der Arbeitsfähigkeit der Versicherten und damit die
Feststellung des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch erzielbaren
Einkommens (Invalideneinkommen).

2.1
2.1.1Das Spital X.________ diagnostizierte am 27. März 2000 einen chronischen
unteren Rückenschmerz (ICD-10: M59.9) mit Hypermobilitätssyndrom
(Beighton-Score 6/9; ICD-10: M35.7), myofaszialem Syndrom des Becken- und
Schultergürtels und strukturpathologisch (nicht relevant) Spondylolisthesis
LWK5 über S1 bei bilateraler Spondylolyse (ICD-10: M43.1). Die Versicherte
leide an einem zunehmend chronifizierten unteren Rückenschmerz, der
mittlerweile ein hohes, kontinuierliches Niveau bei 8 von 10 Punkten auf
einer visuellen Analogskala erreicht habe. Die klinische Diagnose erkläre die
Symptomatik in der Intensität nicht. Die Versicherte sei
medizinisch-theoretisch zu 100 % arbeitsfähig, wobei sie konstitutionell
sicherlich körperlich schwere oder monoton-repetitive Tätigkeiten vermeiden
sollte.

2.1.2 Die Psychologin Frau lic. phil. T.________, Psychiatrische Poliklinik,
Spital Y.________, ging im Bericht vom 5. September 2000 von einer schweren
Schmerzverarbeitungsstörung aus, wobei die reaktiven Überlagerungen
anamnestisch hinreichend erklärbar und transparent seien. Es bestehe ein
Schmerz über die Kinderlosigkeit, die von der Versicherten stark
rationalisiert werde, um sich gegen die Angriffe der beiden Familien zu
schützen. Nicht unbedeutend seien die Schuldgefühle dem Mann gegenüber, da
zwischen dem Paar wegen der Schmerzproblematik der Versicherten seit einiger
Zeit keine Sexualität mehr praktiziert werde und der Mann auch zunehmend
hilflos und verzweifelt sei. Die Versicherte spreche auch von ihrem Schmerz,
als sie mit 11 Jahren den Vater verloren habe, den sie vorher jahrelang habe
entbehren müssen, da er in der Schweiz als Gastarbeiter gelebt habe.
Psychodynamisch betrachtet bedeute der Schmerz das Zulassen der Kränkung über
die Heimatlosigkeit und den verwehrten Kinderwunsch. Diese Kränkung müsse
aufrecht erhalten werden, da sie einerseits eine selbstwertschützende
Funktion habe. Gleichzeitig nähre die Wut wieder den Schmerz, was zu einem
unheilvollen Teufelskreis führe.

2.1.3 Dr. med. I.________, Rheumatologie und Innere Medizin FMH,
diagnostizierte am 10. Januar 2001 ein chronisches lumbospondylogenes Syndrom
bei Hyperlordose und Sacrum acutum, konstitutioneller Bandlaxität und
vordergründig Schmerzverarbeitungsstörung. Alle Bemühungen der involvierten
Therapeutinnen und seinerseits seien ohne die geringste Auswirkung auf die
Beschwerden gewesen, weshalb er die Betreuung nun abgeschlossen habe. In
wiederholten Gesprächen habe er keine Basis für eine psychotherapeutische
Intervention finden können. Die Versicherte habe an der alleinigen
Organizität ihrer Beschwerden festgehalten. Konsequenterweise habe er keine
weitere Arbeitsunfähigkeit attestiert, da psychosomatischen Leiden
invalidenversicherungsrechtlich keine invalidisierende Bedeutung zukomme.

2.1.4 Die behandelnde Psychiaterin Frau Dr. med. S.________ diagnostizierte
am 26. November 2001 Folgendes: mittelgradige depressive Episode (ICD-10:
F32.1), somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.0), vorwiegend ängstliche
Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.8). In der bisherigen Tätigkeit als
Verkäuferin sei die Versicherte seit 1. September 2001 zu 100 %
arbeitsunfähig. Zum jetzigen Zeitpunkt seien ihr auch andere Tätigkeiten
wegen der Schwere der Symptome und der Chronifizierung nicht zumutbar.

2.1.5 Der Hausarzt Dr. med. M.________, Innere Medizin FMH, ging unter
Berücksichtigung der somatischen und psychischen Beschwerden von einer
100%igen Arbeitsunfähigkeit als Kassiererin aus. Auch andere ganz einfache,
nicht belastende Tätigkeiten lösten bei der Versicherten Schmerzen aus.
Leider hätten bisher alle therapeutischen Massnahmen fehlgeschlagen (Bericht
vom 17. Dezember 2001).

2.1.6 Der Psychiater Dr. med. W.________ diagnostizierte im Gutachten vom 18.
Mai 2002 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) mit
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit. Ohne Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit seien eine histrionische Persönlichkeitsstörung (ICD-10:
F60.4) mit illness behaviour und psychosozialen Schwierigkeiten. Es bestünden
multiple familiäre Spannungen bei psychosozialer Belastungssituation und
einer etwas akzentuierten Partnerschaftsproblematik. Er habe keine Symptome
einer depressiven Episode oder depressiven Symptomatik gefunden. Auch für
eine ängstliche Persönlichkeitsstörung habe er überhaupt keine Anzeichen
gefunden. Die Versicherte sei während der Untersuchung überheblich gewesen,
habe ständig und immer wieder süffisant gelächelt und sich als ausgesprochen
histrionisch agierend erwiesen, habe ein Aufmerksamkeit suchendes Verhalten
gezeigt und immerfort ihre Hilflosigkeit demonstriert. Die ganze
Regressionstendenz, der Rückzug, das Herumliegen zu Hause könne nicht mit
einer depressiven Erkrankung erklärt werden, sondern sei eine
Verhaltensauffälligkeit im Sinne einer illness behaviour und einer
Opferrolle, die sie einnehme und mit der sie auch einen deutlichen sekundären
Krankheitsgewinn habe. Es bestehe eine deutliche Diskrepanz zwischen der
angeblichen Schwere der Symptome und dem ruhigen Auftreten, der gefassten
Kommunikationsfähigkeit und dem guten affektiven Funktionieren in der
Untersuchungssituation. Auch die Tatsache, dass die Beschwerden schon lange
bestünden, lasse zwar eine Chronifizierung vermuten, müsse aber ganz klar im
Zusammenhang mit der Verhaltensstörung gewertet werden. Aus psychiatrischer
Sicht könnten der Versicherten sicher mehr Anstrengungen zugemutet werden,
sich beruflich zu rehabilitieren. Viele ihrer Angaben und ihrer
Unfähigkeitserklärungen seien nicht nachvollziehbar und deutlich diskrepant
zum teilweise auch stenischen Auftreten. Auch wenn eine histrionische
Persönlichkeitsstörung vorliege, müsse bei dieser Diagnose klar abgewogen
werden, ob z.B. die Realitätseinschätzung vorhanden sei, ob die Versicherte
über genügend Ressourcen verfüge, Anstrengungen aufzubringen, ob ihr dies
auch zumutbar wäre, ob die kognitiv-mnestische Leistungsfähigkeit wesentlich
eingeschränkt sei, wie ihr soziales Funktionieren möglich wäre usw. Unter
Berücksichtigung all dieser Faktoren sei die Versicherte weiterhin
arbeitsfähig. Aufgrund der chronisch erlebten Schmerzen könne eine leichte
Verminderung der Belastbarkeit, des Durchhaltevermögens, der Kraftentwicklung
und der Daueraufmerksamkeitsfähigkeit angenommen werden. Dies schränke die
Arbeitsfähigkeit um höchstens 40 % ein. Die Versicherte sei in jeder
Hilfsarbeitertätigkeit, sowohl als Kassiererin wie als Verkäuferin, die ihr
vom organischen Leiden her zugemutet werden könne, fünf Stunden täglich
arbeitsfähig. Die Prognose sei schlecht, da sie sich darauf einstelle, nicht
mehr arbeiten zu können. Dies sei nicht mit einer psychiatrischen Erkrankung
zu erklären.

2.1.7 Im Bericht vom 3. Juli 2003 legte Frau Dr. med. S.________ dar, das
Gutachten des Dr. med. W.________ werde der Schwere der
Persönlichkeitsstörung der Versicherten nicht gerecht. Zu Beginn der
Behandlung bei ihr habe sich die Beschwerdeführerin dominant, abweisend und
gespannt gezeigt. Sie habe den Sinn der Behandlung nicht eingesehen, da sie
der unerschütterlichen Meinung sei, dass sie ein schweres Rückenleiden habe.
Erst als sie ihr Vertrauen gewonnen habe, seien starke Ängste vor dem Leben,
vor Autoritäten, vor Schwäche und Ausgeliefertsein zum Vorschein gekommen. In
diesem Zusammenhang zeige sie ihre wirkliche Persönlichkeit und werde
depressiv, unsicher und ängstlich. Bei der persönlichen Kontaktaufnahme und
bei einer vermeintlichen Abweisung reagiere sie mit der von Dr. med.
W.________ beschriebenen "belle indifference", einem fassadären,
übertriebenen Verhalten. Dies sei nur die Oberfläche der Symptomatik und ein
Schutzmechanismus oder ungeeigneter Lösungsversuch. Die Diagnose einer
histrionischen Persönlichkeitsstörung, zu der das vordergründige Verhalten
der Versicherten passen würde, habe sie verworfen, weil damit ihre Ängste
nicht gewürdigt würden. Für eine ängstliche Persönlichkeitsstörung sprächen
mit besonderer Ausprägung folgende Umstände: gewohnheitsmässige Befangenheit;
Gefühle der Unsicherheit und Minderwertigkeit; andauernde Sehnsucht nach
Akzeptiertwerden; Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und Zurückweisung;
Weigerung zur Aufnahme von Beziehungen, solange der betreffenden Person nicht
unkritisches Akzeptiertwerden garantiert sei; eingeschränkte persönliche
Bindungen; Neigung, gewohnheitsmässig potentielle Gefahren zu sehen und
Aktivitäten zu vermeiden; eingeschränkter Lebensstil wegen des Bedürfnisses
nach Gewissheit und Sicherheit. Wenn die Versicherte ihre Fassade fallen
lasse, werde sie depressiv mit depressiver Verstimmung, Verlust von Interesse
oder Freude und erhöhter Ermüdbarkeit. Dazu habe sie eine negative
Zukunftsperspektive, Gedanken an Suizid und somatische Zeichen wie
Nervosität, Konzentrationsstörungen, psychomotorische Gespanntheit,
Gewichtsschwankungen und Schlafstörungen. Es scheine, dass die depressiven
Merkmale mal weniger und mal stärker zum Vorschein kommen könnten. Mit der
Vermutung, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit auch eine anhaltende
somatoforme Schmerzstörung vorliege, könne sie sich einverstanden erklären.
Die Versicherte leide seit zehn Jahren an Rückenbeschwerden und werde
deswegen mit Tabletten und Spritzen behandelt. Zudem habe sie diverse
Physiotherapien und erfolglos eine dreimonatige ambulante intensive Therapie
im Spital absolviert. Die psychischen Gründe für die Arbeitsunfähigkeit seien
die Fixierung auf die körperlichen Beschwerden, die depressiven Symptome mit
Freud- und Lustlosigkeit, fehlender Motivation und fehlendem
Durchhaltevermögen, Selbstwert- und Autoritätsproblematik sowie Angst und
Unsicherheit im Umgang mit Menschen. Das Erreichen einer Arbeitsfähigkeit sei
über eine Rehabilitation möglich, die nur multidisziplinär über Jahre
erfolgen könne.

2.2
2.2.1In somatischer Hinsicht steht auf Grund des Berichts des Spitals
X.________ vom 27. März 2000 unbestritten fest, dass die Versicherte bei
Ausschluss körperlich schwerer und monoton-repetitiver Tätigkeiten zu 100 %
arbeitsfähig ist.

2.2.2 In Bezug auf das psychische Leiden ging Frau Dr. med. S.________
entgegen Dr. med. W.________ nicht nur von einer somatoformen Schmerzstörung,
sondern auch von einer mittelgradigen depressiven Episode und einer
vorwiegend ängstlichen Persönlichkeitsstörung mit Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit aus. Zudem verwirft sie die von Dr. med. W.________
gestellte Diagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung. Im Weiteren
wurde die Arbeitsunfähigkeit von Dr. med. W.________ mit höchstens 40 %, von
Frau Dr. med. S.________ hingegen mit 100 % beziffert. Die Einschätzungen
dieser Ärzte weichen mithin hinsichtlich der Diagnose und des Grades der
Arbeitsunfähigkeit erheblich voneinander ab.

Weiter besteht folgende Diskrepanz: Auf der einen Seite stellte das Spital
X.________ fest, der Rückenschmerz habe - obwohl klinisch nicht erklärbar -
mittlerweile ein hohes, kontinuierliches Niveau bei 8 von 10 Punkten auf
einer visuellen Analogskala erreicht. Und auch Frau lic. phil. T.________
ging von einer schweren Schmerzverarbeitungsstörung aus. Demgegenüber
verneinte Dr. med. W.________, dass die Symptome und die Chronifizierung
schwer seien. Vielmehr ging er davon aus, die chronisch erlebten Schmerzen
bewirkten nur eine leichte Verminderung der Belastbarkeit, des
Durchhaltevermögens, der Kraftentwicklung und der
Daueraufmerksamkeitsfähigkeit.

Es sind keine Gründe ersichtlich, dem Gutachten des Dr. med. W.________ einen
ausschlaggebenden Beweiswert zuzuerkennen. Insbesondere erscheint die
Einschätzung der Frau Dr. med. S.________ nicht weniger schlüssig und
nachvollziehbar als diejenige des Dr. med. W.________. Es liegen keine
konkreten Indizien vor, die auf mangelnde Objektivität und auf Befangenheit
der Frau Dr. med. S.________ schliessen liessen. Mithin kann allein aus der
Tatsache, dass sie als behandelnde Psychiaterin in einer auftragsrechtlichen
Vertrauensstellung zur Versicherten steht, nichts zu Ungunsten ihrer Berichte
abgeleitet werden.

Angesichts dieser widersprüchlichen medizinischen Aktenlage besteht keine
hinreichende Grundlage zur Bestimmung der Arbeitsfähigkeit. Notwendig ist
demnach eine erneute psychiatrische Abklärung. Nachdem die IV-Stelle bereits
ein Gutachten durchführen liess, rechtfertigt es sich, die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ein Gerichtsgutachten einhole (vgl. BGE
122 V 163 Erw. 1d in fine).

3.
Über die streitige Frage, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang bei der
Bestimmung des Invalideneinkommens ein Abzug vom Tabellenlohn gerechtfertigt
ist, kann erst nach rechtsgenüglicher Ermittlung der Arbeits(un)fähigkeit der
Versicherten befunden werden.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der durch eine Beratungsstelle für
Soziale Sicherheit vertretenen, obsiegenden Beschwerdeführerin steht nach
Massgabe der zu Art. 159 Abs. 1 und 2 OG ergangenen Rechtsprechung (BGE 122 V
278; Urteil S. vom 8. Mai 2003 Erw. 4, I 586/02) eine Parteientschädigung zu.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen,
dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 9.
Juli 2003 aufgehoben und die Sache an dieses zurückgewiesen wird, damit es im
Sinne der Erwägungen verfahre und über die Beschwerde gegen die Verfügung der
IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 10. Dezember 2002 neu entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Coop AHV-Ausgleichskasse und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 16. Juni 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: