Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 60/2003
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I 60/03

Urteil vom 27. Juni 2003
III. Kammer

Präsident Borella,Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Flückiger

H.________, 1974, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Lukas Denger,
Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 29. November 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 25. November 1997 sprach die IV-Stelle Bern der 1974
geborenen H.________ für die Zeit ab 1. Juni 1996 eine ganze Invalidenrente
auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 100 % zu. Als Termin für die
amtliche Rentenrevision sah sie den 1. Juni 1998 vor. Nachdem die Verwaltung
das Revisionsverfahren eingeleitet, sich die von ihr als notwendig erachtete
Begutachtung jedoch verzögert hatte, hob sie mit Verfügung vom 21. November
2000 die Rente per 31. Dezember 2000 auf, wobei eine Neuprüfung des Anspruchs
ab 1. Januar 2001 für den Fall vorbehalten wurde, dass die Abklärung
durchgeführt werden könne.

Nachdem die Medizinische Abklärungsstation des Spitals X.________ (MEDAS) die
in Aussicht genommene polydisziplinäre Untersuchung vorgenommen und am 2.
August 2001 ihr Gutachten erstattet hatte, erliess die IV-Stelle - nach
Einholung eines Haushalts-Abklärungsberichts vom 23. Oktober 2001 - am 19.
Dezember 2001 eine neue Verfügung, gemäss welcher sie der Versicherten für
die Zeit ab 1. Januar 2001 eine halbe Invalidenrente (nebst Kinderrente)
zusprach.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schrieb die Beschwerde gegen die
Verfügung vom 21. November 2000 infolge Gegenstandslosigkeit als erledigt vom
Protokoll ab, während es die Verfügung vom 19. Dezember 2001 in teilweiser
Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde insoweit abänderte, als es der
Versicherten für die Zeit bis 31. Januar 2002 weiterhin eine ganze und ab 1.
Februar 2002 eine halbe Rente zusprach (Entscheid vom 29. November 2002).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ das Rechtsbegehren
stellen, es sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr auch über den 31. Januar
2002 hinaus eine ganze Rente nebst Zusatz- und Kinderrenten auszurichten.
Ferner wird die Höhe der von der Vorinstanz festgesetzten Parteientschädigung
beanstandet.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff
der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Ermittlung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Aufgabe des Arztes oder
der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V
134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1) sowie die Rentenrevision
(Art. 41 IVG), insbesondere die dabei zu vergleichenden Sachverhalte (BGE 125
V 369 Erw. 2 mit Hinweis) und relevanten Gesichtspunkte (BGE 117 V 199 Erw.
3b; AHI 1997 S. 288 Erw. 2b), zutreffend dargelegt. Zu ergänzen ist, dass das
am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (hier: 19. Dezember 2001) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Mit der Verfügung vom 19. Dezember 2001 wurde diejenige vom 21. November
2000, bei welcher es sich um eine resolutiv bedingte Endverfügung gehandelt
hatte (BGE 107 V 29 Erw. 3; ZAK 1988 S. 521 Erw. 1a), aufgehoben und ersetzt.
Das kantonale Gericht hat daher das gegen die letztere gerichtete
Beschwerdeverfahren zu Recht als gegenstandslos geworden abgeschrieben. Die
Verfügung vom 19. Dezember 2001 beinhaltet ihrerseits die revisionsweise
Herabsetzung der bisher ausgerichteten ganzen auf eine halbe Rente mit
Wirkung per 1. Januar 2001, wobei das kantonale Gericht den Zeitpunkt der
Rentenanpassung auf 1. Februar 2002 festsetzte. Streitig und zu prüfen ist,
ob dieser Entscheid korrekt ist. Dies hängt davon ab, ob sich der
Invaliditätsgrad zwischen dem Erlass der Verfügung vom 25. November 1997 und
der Revisionsverfügung vom 19. Dezember 2001 in einer für den Rentenanspruch
erheblichen Weise verändert hat.

2.1 Die Beschwerdeführerin wurde am 1. Juni 1995 als Fahrerin eines
Kleinmotorrades von einem nicht vortrittsberechtigten Auto angefahren. Dabei
erlitt sie gemäss ärztlicher Beurteilung nebst Knie- und
Handgelenksverletzungen ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule, in dessen
Folge sich ein cervikocephales und cervikovertebrales Syndrom entwickelte.
Die Verfügung vom 25. November 1997 basiert - nachdem von einer zunächst
vorgesehenen zusätzlichen Begutachtung Abstand genommen worden war - in
medizinischer Hinsicht insbesondere auf den Stellungnahmen des Dr. med.
B.________, Physikalische Medizin FMH, vom 11. September 1996 und 7. Februar
1997. Dr. med. B.________ führte aus, die Patientin leide insbesondere unter
permanenten Nacken- und Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsschwäche und
verstärkter Ermüdbarkeit. Wegen der Schmerzen sei sie nicht in der Lage,
länger als eine halbe Stunde sitzend zu arbeiten, sodass sie die angestammte
Tätigkeit als kaufmännische Angestellte nicht mehr ausüben könne. Ebenso
seien ihr zur Zeit keine anderen beruflichen Tätigkeiten zumutbar. Die
Prognose sei ungewiss. Die Arbeitsunfähigkeit betrage seit dem Unfallereignis
100 %.

2.2 Bei Erlass der Verfügung vom 19. Dezember 2001 stützte sich die
Verwaltung in erster Linie auf das MEDAS-Gutachten vom 2. August 2001. Dieses
wird grundsätzlich, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, auf Grund der
umfassend durchgeführten Untersuchungen, des Einbezugs sämtlicher Vorakten
unter Auseinandersetzung mit abweichenden Beurteilungen sowie der
ausführlichen Erörterung der Befunde den von der Rechtsprechung entwickelten
Anforderungen an eine beweiskräftige medizinische Stellungnahme (BGE 125 V
352 Erw. 3a) gerecht und ist daher prinzipiell geeignet, volle Beweiskraft zu
entfalten. Dem kantonalen Gericht ist auch darin zuzustimmen, dass auf dieser
Grundlage eine Veränderung des Zumutbarkeitsprofils, welche zu einer
Herabsetzung der Rente führen könnte, als möglich erscheint. Die
Beschwerdeführerin weist jedoch ihrerseits mit Recht darauf hin, dass das
Gutachten hinsichtlich der Arbeitsfähigkeitsbeurteilung nicht schlüssig ist:
Einerseits wird die Arbeitsfähigkeit in einer körperlich leichten Arbeit mit
geringen intellektuellen Anforderungen auf 50 % beziffert; im Rahmen der
Beantwortung konkreter Fragen wird demgegenüber ausgeführt, in einer dem
Leiden angepassten Tätigkeit sei bei einer zeitlichen Beschäftigung von 100 %
"eine leistungsmässige Arbeitsfähigkeit von 50 % nach einer längeren
Hinführungsphase (6 - 12 Monate) maximal zu erreichen", was darauf schliessen
lässt, im Begutachtungszeitpunkt sei die Arbeitsfähigkeit geringer gewesen
und eine Steigerung auf 50 % habe lediglich für die Zukunft erhofft werden
können. Diese Aussagen sind nicht ohne weiteres zu vereinbaren und lassen
insbesondere eine zuverlässige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in einer
angepassten Tätigkeit bei Erlass der Verfügung vom 19. Dezember 2001 und
damit auch die Ermittlung des Invaliditätsgrades für den erwerblichen Bereich
zu diesem Zeitpunkt nicht zu. Unter diesen Umständen erweist sich die
Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zur Vornahme zusätzlicher Abklärungen
(beispielsweise durch eine ergänzende Anfrage bei der MEDAS) als
unumgänglich.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass die
Dispositiv-Ziffern 2 und 3 des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons
Bern vom 29. November 2002 und die Verfügung vom 19. Dezember 2001 aufgehoben
werden und die Sache an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen wird, damit sie,
nach erfolgter Ergänzung der Abklärungen im Sinne der Erwägungen, über den
Rentenanspruch neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Bern hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Neuverlegung der
Parteikosten für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem Bundesamt für Sozialversicherung
und der Ausgleichskasse des Kantons Bern zugestellt.

Luzern, 27. Juni 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: