Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 567/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


I 567/03

Urteil vom 20. April 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber
Ackermann

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

F.________, 1967, Beschwerdegegnerin, vertreten durch lic. iur. M.________

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 26. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
F. ________, geboren 1967, arbeitete von April bis August 2000 in ihrem
gelernten Beruf als Verkäuferin für die Firma X.________ AG; vorher war sie
während längerer Zeit selbstständig erwerbstätig gewesen. Sie meldete sich am
14. Juli 2000 wegen Kniebeschwerden bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an und beantragte die Umschulung zur Gymnastiklehrerin resp.
Bewegungspädagogin. Die IV-Stelle des Kantons Zürich nahm Abklärungen in
erwerblicher und medizinischer Hinsicht vor: So zog sie (unter anderem) zwei
Berichte der Frau Dr. med. K.________, FMH für Physikalische Medizin und
Rehabilitation, Sportmedizin SGSM, vom 8. August und 10. Oktober 2000 bei und
veranlasste eine Begutachtung durch die Orthopädische Klinik Y.________
(Gutachten vom 26. April 2001); weiter holte die Verwaltung intern Berichte
der IV-Ärztin Frau Dr. med. G.________, Fachärztin für Arbeitsmedizin, ein.
Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte die IV-Stelle mit Verfügung
vom 12. Juli 2001 die beantragte Umschulung ab, da F.________ den
Anforderungen des Berufes (körperliche Belastbarkeit, guter körperlicher
Zustand, gute Kondition) nicht entspreche.

B.
Auf dagegen erhobene Beschwerde führte das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich erwerbliche und medizinische Abkärungen durch; insbesondere
holte es bei der Klinik Y.________ einen Ergänzungsbericht vom 7. November
2002 ein. Mit Entscheid vom 26. Juni 2003 hob das kantonale Gericht die
Verfügung von Juli 2001 auf und stellte fest, dass ein Umschulungsanspruch
bestehe. Da unklar war, ob die zweijährige Ausbildung zur Gymnastiklehrerin
oder die dreijährige Ausbildung zur Bewegungspädagogin dem angestammten Beruf
als Verkäuferin erwerblich gleichwertig ist, wurde die Sache zu
diesbezüglichen Abklärungen an die Verwaltung zurückgewiesen.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, den
vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben, eventualiter eine medizinische
Oberexpertise anzuordnen.

F. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zu Recht festgehalten hat, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar, da nach
dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (Juli 2001)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2
mit Hinweisen). Dasselbe gilt für die Bestimmungen der auf den 1. Januar 2004
in Kraft getretenen 4. IVG-Revision. Zutreffend sind im Weiteren die
Darlegungen der Vorinstanz über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 IVG), den
Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen im Allgemeinen (Art. 8 IVG) und auf
Umschulung im Besonderen (Art. 17 IVG; BGE 124 V 109 Erw. 2 mit Hinweisen)
sowie über die Aufgabe der Ärzte bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261
Erw. 4). Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig ist der Anspruch auf Umschulung zur Gymnastiklehrerin resp. zur
Bewegungspädagogin.

2.1 Es ist nach Lage der Akten erstellt und auch nicht bestritten, dass der
Beschwerdegegnerin wegen ihrer Kniebeschwerden ihre angestammte Tätigkeit als
Verkäuferin nicht mehr zumutbar ist, und dass die Versicherte die
invaliditätsmässigen Voraussetzungen für den Umschulungsanspruch erfüllt (BGE
124 V 110 Erw. 2b mit Hinweisen). Streitig ist dagegen, ob die von der
Beschwerdegegnerin beantragte Ausbildung zur Gymnastiklehrerin resp.
Bewegungspädagogin auf Grund des bestehenden Knieleidens geeignet, somit
zweckmässig im Sinne des Art. 8 Abs. 1 IVG ist, und ob von einer solchen
Umschulung prognostisch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartet werden
kann, dass dadurch die Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der gesamten
noch zu erwartenden Arbeitsdauer wesentlich verbessert und erhalten werden
kann (Art. 8 Abs. 1 zweiter Satz in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 IVG; vgl.
BGE 122 V 80 Erw. 3b/bb und cc).

2.2 Die Beschwerde führende IV-Stelle verneint gestützt auf die in den Akten
liegenden Berichte und Stellungnahmen der IV-Ärztin Frau Dr. med. G.________
diese gesetzlichen Erfordernisse. Diese werden demgegenüber vom kantonalen
Gericht und der Beschwerdegegnerin bejaht, im Wesentlichen gestützt auf die
Einschätzung der Klinik Y.________ vom 26. April 2001 und 7. November 2002
sowie der damit übereinstimmenden Meinung der Frau Dr. med. K.________ vom 8.
August und 10. Oktober 2000.

2.3 Sowohl für den Standpunkt der Verwaltung wie auch für denjenigen der
Beschwerdegegnerin lassen sich nach Lage der Akten je beachtliche Gründe
anführen: Eine Umschulung zur Gymnastiklehrerin resp. Bewegungspädagogin
scheint angesichts des unbestrittenermassen bestehenden Knieleidens, der
damit verbundenen physischen Anforderungen und auch der voraussichtlich noch
langen Aktivitätsdauer unzweckmässig zu sein. Auf der andern Seite ist aber
nicht von der Hand zu weisen, dass die Beschwerdegegnerin diesen Beruf ohne
Gefahr einer künftigen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ausüben
könnte, weil er nicht mit - für sie medizinisch nicht zumutbarem - ständigem
Stehen oder Sitzen verbunden ist, sondern geradezu therapeutische Wirkung
haben kann. Weiter erlaubt diese Tätigkeit eine Schonung der Kniegelenke
durch die Abwechslung der Positionen in der Unterrichtssituation und muss
daher nicht mit einer kontraindizierten besonderen Belastung der Kniegelenke
einhergehen.
Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung kann jedoch nicht abschliessend auf
die Darlegungen der Klinik Y.________ abgestellt werden, da - wie die
IV-Stelle zu Recht anführt - die Angaben im Administrativgutachten einerseits
zu sehr auf den momentanen Gesundheitszustand der Beschwerdegegnerin
beschränkt sind und andererseits weitgehend auf den von der Versicherten
gemachten Angaben beruhen. Entscheidend für die Leistungszusprechung im
Lichte der in Erw. 2.1 hievor erwähnten Kriterien (Zweckmässigkeit und
Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges unter Berücksichtigung der gesamten
künftigen Arbeitsdauer) ist jedoch die Frage, ob eine Verschlechterung der
Kniegelenksverhältnisse durch die dauernde künftige Ausübung der beruflichen
Tätigkeit als Gymnastiklehrerin resp. Bewegungspädagogin
medizinisch-prognostisch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (dazu BGE 126 V
360 Erw. 5b mit Hinweisen) ausgeschlossen werden kann. Diesbezüglich ist der
Sachverhalt nach Lage der Akten nicht spruchreif, weil die
Krankheitswertigkeit der diagnostizierten Kniegelenksbefunde von den Ärzten
unterschiedlich eingeschätzt wird: In ihrer Ergänzung vom 7. November 2002
beurteilt die Klinik Y.________ den Gesundheitszustand dahin, dass eine
MR-tomographische Untersuchung beider Knie keine grösseren Knorpeldefekte im
femoropatellären Gelenk gezeigt habe und standardradiographisch sowie
MR-tomographisch keine Anzeichen für eine Patelladysplasie bestünden; weiter
seien auch im Rahmen der klinischen Untersuchung weder reibende Geräusche
noch charakteristische Schmerzangaben bei gewissen Beugestellungen des Knies
erhoben worden, was sonst bei grösseren Knorpel-/Knochenschäden der Fall sei.
Dem hält die IV-Stelle gestützt auf die Beurteilung der IV-Ärztin Frau Dr.
med. G.________ entgegen, dass das MRI sowohl im rechten als auch im linken
Knie "Pathologien zeigt". Worin diese aber bestehen und inwiefern ihnen ein
Verschlechterungspotenzial im Hinblick auf die gewünschte berufliche
Tätigkeit innewohnen soll, vermag die Verwaltung nicht in schlüssiger Weise
aufzuzeigen. Wenn die IV-Ärztin geltend macht, die Versicherte habe in der
Vergangenheit immer wieder über Kniegelenksschmerzen geklagt, ist dieser
Umstand insofern nicht beweiskräftig für ihre prognostisch ungünstige
Beurteilung, als die Versicherte bisher immer wieder überwiegend stehend zu
verrichtende Tätigkeiten versah. Das trifft insbesondere für die
Beschäftigung als Rezeptionistin (im Umfang von 40 %) in einem Fitness-Center
zu, von der die IV-Stelle - resp. deren Ärztin - auch in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wieder behauptet, es handle sich um eine
wechselbelastende Tätigkeit, obwohl dies seitens der Beschwerdegegnerin stets
in Abrede gestellt und ausgeführt worden ist, es handle sich vor allem um
stehende Arbeit.

2.4 In Anbetracht dieser Divergenzen in der medizinischen Beurteilung der
Krankheitswertigkeit und -anfälligkeit bei voraussichtlicher Ausübung des
Berufes als Gymnastiklehrerin resp. Bewegungspädagogin bleibt nichts anderes
übrig, als - wie von der IV-Stelle eventualiter beantragt - eine
arbeitsmedizinische Begutachtung durchzuführen. Da hier die Umschulung in
einen konkreten Beruf zur Debatte steht, erscheint eine arbeitsmedizinische
Abklärung näher liegend als eine Untersuchung in sportmedizinischer oder
orthopädischer Hinsicht. Die Begutachtung hat sinnvollerweise in
Zusammenarbeit mit einem den Beruf seit längerem praktizierenden
Gymnastiklehrer oder Bewegungspädagogen (z.B. einem Absolventen der
Gymnastikberufsschule Zürich) zu erfolgen. Nur so kann abgeklärt werden, mit
welchen kniebelastenden Anforderungen dieser Beruf tatsächlich verbunden ist.
Die Hinweise der Beschwerde führenden IV-Stelle auf die in den Akten liegende
Dokumentation über das Berufsbild reichen hiezu nicht aus.

3.
Je nach dem Ausgang dieser medizinischen Abklärung wird die IV-Stelle sodann
im Sinne des vorinstanzlichen Entscheides die Frage zu prüfen haben, ob das
Ziel der angemessenen notwendigen Ausbildung (vgl. BGE 124 V 110 Erw. 2a mit
Hinweisen) allein mit der Umschulung zur Gymnastiklehrerin erreicht werden
kann oder ob zusätzlich die einjährige Weiterbildung zur Bewegungspädagogin
notwendig ist. Auch diese Frage lässt sich nach Lage der Akten nicht
abschliessend beurteilen; die notwendigen Kenntnisse über die tatsächliche
Berufsausübung können bei praktizierenden Vertretern des Berufsstandes in
Erfahrung gebracht werden.

4.
4.1 Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).

4.2 Die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Parteientschädigung für das
letztinstanzliche Verfahren sind nicht erfüllt (Art. 159 OG in Verbindung mit
Art. 135 OG). Das Eidgenössische Versicherungsgericht entspricht dem
begründeten Rückweisungsbegehren der Beschwerde führenden IV-Stelle; diese
Rückweisung gilt praxisgemäss für die Frage der Parteientschädigung als
volles Obsiegen, unabhängig davon, ob sie überhaupt beantragt oder ob das
entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt worden ist
(Urteil K. vom 10. Februar 2004, U 199/02). Entsprechend dem Ausgang des
Verfahrens steht demzufolge der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei
keine Entschädigung zu (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG).
Ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung hat die
Versicherte vor Eidgenössischem Versicherungsgericht nicht gestellt, weshalb
sich insoweit Weiterungen erübrigen. Die IV-Stelle als teilweise obsiegende
Behörde hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 135 OG in
Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).
Für das vorinstanzliche Verfahren hat das kantonale Gericht der heutigen
Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zugesprochen. Dies ist trotz des
letztinstanzlichen Prozessausgangs zu bestätigen, denn unter dem
Gesichtspunkt des bundesrechtlichen Anspruchs auf eine Parteientschädigung
gilt es im Streit um eine Sozialversicherungsleistung praxisgemäss bereits
als Obsiegen, wenn die versicherte Person ihre Rechtsstellung im Vergleich zu
derjenigen nach Abschluss des Administrativverfahrens insoweit verbessert,
als sie die Aufhebung einer ablehnenden Verfügung und die Rückweisung der
Sache an die Verwaltung zur ergänzenden Abklärung und neuen Beurteilung
erreicht (SVR 1999 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 3 mit Hinweisen; Urteil K. vom 10.
Februar 2004, U 199/02).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden Ziff. 1
des Entscheids des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 26.
Juni 2003 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 12. Juli
2001 aufgehoben, und es wird die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit
sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch der
Beschwerdegegnerin auf Umschulung zur Gymnastiklehrerin oder
Bewegungspädagogin neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen
zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 20. April 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: