Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 560/2003
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I 560/03

Urteil vom 25. März 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiber Hadorn

S.________, 1966, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rudolf
Strehler, Dorfstrasse 21, 8356 Ettenhausen TG,

gegen

IV-Stelle für Versicherte im Ausland, avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 19. Juni 2003)

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 23. Januar 1995 lehnte die IV-Stelle des Kantons Thurgau
ein Gesuch von S.________ (geb. 1966) um Ausrichtung von IV-Leistungen ab.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 31. Mai 1995 ab.

Die hiegegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das
Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 30. Juni 1997 insofern
gut, als es die Sache zu näheren Abklärungen an die IV-Stelle zurückwies.

Mit Verfügung vom 24. April 2001 lehnte die inzwischen wegen Wegzugs von
S.________ ins Ausland zuständig gewordene IV-Stelle für Versicherte im
Ausland das Leistungsgesuch erneut ab.

Die Beschwerde von S.________ gegen diese Verfügung wies die Eidgenössische
Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen mit
Entscheid vom 19. Juni 2003 ab.

S. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei
ihm ab 1. März 1994 eine halbe IV-Rente zuzusprechen. Ferner ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.

Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs.
1 und 1bis IVG in der bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung), die Ermittlung
des Invaliditätsgrades nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28
Abs. 2 IVG in der bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung), den Rentenbeginn
bei langdauernder Krankheit (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG), die
Mindestbeitragszeit (Art. 36 Abs. 1 IVG) sowie die zwischenstaatlichen
Vereinbarungen (Art. 8 lit. f des schweizerisch-jugoslawischen Abkommens über
Sozialversicherung vom 8. Juni 1962) und die dazu ergangene Rechtsprechung
(BGE 113 V 266) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist,
dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im
vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 24. April 2001) eingetretene Rechts-
und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). Auch die am
1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die
Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die
Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 gelangen nicht zur Anwendung (BGE 129
V 4 Erw. 1.2)

2.
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch. Während die IV-Stelle diesen
verneinte, weil die versicherungsmässige Voraussetzung der einjährigen
Mindestbeitragszeit (Art. 36 Abs. 1 IVG) nicht erfüllt sei, liess die
Vorinstanz diese Frage offen, da mangels rentenberechtigendem
Invaliditätsgrad ohnehin keine Leistungen geschuldet seien. Im Folgenden ist
vorab die Frage zu prüfen, ob der Versicherte wenigstens ein Jahr lang
Beiträge bezahlt hat. Dabei ist der Beginn allfälliger Rentenzahlungen am 1.
März 1994 unbestritten, erlitt doch der Beschwerdeführer am 19. März 1993
einen Unfall, welcher die Wartezeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG
ausgelöst hat. Ferner steht fest, dass der Versicherte gemäss Auszug aus dem
Individuellen Konto vor März 1994 nur insgesamt neun Beitragsmonate aufweist
(Juni bis September 1991, März bis Juli 1992). Der nächste Eintrag stammt von
November 1994 (Arbeitslosentaggelder), liegt somit nach dem Datum des
Rentenbeginns und ist daher unbeachtlich. Ebenso ist unbestritten, dass
allfällige fehlende Beiträge wegen der inzwischen eingetretenen Verjährung
(Art. 16 AHVG) nicht mehr nachbezahlt werden können. Indessen macht der
Beschwerdeführer geltend, 1993 habe er eine Anstellung gehabt, bei welcher
eine Nettolohnverabredung bestanden habe. Die diesbezüglichen Beiträge seien
nachträglich ins Individuelle Konto aufzunehmen.

2.1 Gemäss Art. 30ter Abs. 2 AHVG in Verbindung mit Art. 138 Abs. 1 AHVG sind
die von einem Arbeitnehmer erzielten Erwerbseinkommen, von welchen der
Arbeitgeber die gesetzlichen Beiträge abgezogen hat, in das Individuelle
Konto des Arbeitnehmers einzutragen, selbst wenn der Arbeitgeber die
entsprechenden Beiträge der Ausgleichskasse nicht entrichtet hat. Dasselbe
gilt, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Nettolohnvereinbarung getroffen
haben, d.h. wenn der Arbeitgeber sämtliche Beiträge zu seinen Lasten
übernimmt. Diese beiden Sondertatbestände müssen aber einwandfrei
nachgewiesen sein. Dabei wird der volle Beweis verlangt (Art. 141 Abs. 3
AHVV; zum Ganzen: BGE 117 V 262 ff. Erw. 3a, b und d). Ist dieser erbracht,
kann eine Berichtigung des Individuellen Kontos stattfinden. Solche der
Korrektur zugänglichen Buchungsfehler können beispielsweise auf der
unrichtigen Bezeichnung eines Versicherten oder einzelner Beitragsjahre, der
fehlerhaften Eintragung oder Addition einzelner Jahresbeiträge oder der
Nichtregistrierung tatsächlich geleisteter Zahlungen beruhen (BGE 117 V 263
Erw. 3a; Urteil G. vom 25. Juni 1999, H 60+61/97).

2.2 In den Akten liegen Quittungen von Lohnzahlungen, welche der damalige
Arbeitgeber des Beschwerdeführers, T.________, dem Versicherten in der
Zeitspanne vom 15. März 1993 bis 15. September 1993 ausgerichtet hat.
Irgendwelche Hinweise auf Sozialversicherungsbeiträge finden sich auf diesen
Belegen nicht. Trotz intensiver Nachforschungen konnte die Verwaltung
lediglich feststellen, dass der Versicherte vom 19. März 1993 bis 31. März
1996 in der Schweizer Gemeinde X.________ gemeldet war. Ausserdem hatte die
Helsana Versicherungen AG, seine Unfallversicherung, für die Zeit vom 22.
März 1993 bis 31. Juli 1994 Taggelder ausgerichtet. Beitragszahlungen für
1993 konnte die Verwaltung jedoch keine ermitteln. In einem neuen Auszug aus
dem Individuellen Konto waren erst ab Oktober 1994 wieder Beiträge seitens
der Arbeitslosenversicherung vermerkt. Die IV-Stelle erachtete daher die
Mindestbeitragsdauer als nicht erfüllt. Demgegenüber will der
Beschwerdeführer die Lohnquittungen als Nachweis dafür erblicken, dass
zwischen ihm und dem erwähnten Arbeitgeber eine Nettolohnvereinbarung
bestanden habe.

2.3 Die Quittungen über den 1993 ausbezahlten Lohn enthalten nicht den
geringsten Hinweis auf vom Arbeitgeber gänzlich übernommene und tatsächlich
abgelieferte Beiträge. Vielmehr ist auf Grund der Andeutungen des
Beschwerdeführers zu vermuten, dass die Beiträge nicht an die Ausgleichskasse
bezahlt worden sind, hat sich doch der Arbeitgeber gemäss diesen Angaben dazu
bereit erklärt, die fehlenden Beiträge nachzuzahlen. Eine solche Erklärung
macht nur Sinn, wenn bislang effektiv keine Abgaben überwiesen worden sind.
Sie steht überdies im Einklang mit der schriftlichen Auskunft des
Arbeitgebers vom 20. Juni 1994, wonach der Beschwerdeführer am 15. März 1993
als Landarbeiter begonnen, am 19. März 1993 einen Unfall erlitten, seither
nicht mehr gearbeitet, bei seinem Bruder in der Schweiz gelebt und trotzdem
jeweils Mitte Monat den Lohn abgeholt habe. Dies deutet darauf hin, dass der
Arbeitgeber dem Versicherten zwar Geld übergeben, jedoch keine
Sozialversicherungsbeiträge abgeliefert hat. Die genannten Umstände sprechen
sodann gegen das Vorliegen einer stillschweigend abgeschlossenen
Nettolohnvereinbarung: Es ist nicht anzunehmen, dass ein Arbeitgeber für die
Sozialversicherungsbeiträge eines Angestellten aufkommt, der bei ihm
monatelang keine Arbeitsleistung erbracht hat. Aus der Aufenthaltsbestätigung
der Schweizer Gemeinde X.________ lassen sich ebenfalls keine
Beitragszahlungen ableiten. An sich wäre der Beschwerdeführer als
Nichterwerbstätiger zu erfassen gewesen. Dies scheint jedoch unterblieben zu
sein. Auch die Unterlagen der Unfallversicherung weisen nicht auf die
Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen hin. Ferner lässt sich kein
Zusammenhang zwischen der Summe der von der Helsana ausbezahlten Taggelder
und den Beträgen auf den Lohnquittungen herstellen, stimmen die Zahlen doch
nicht überein. Weitere Beweisvorkehren, welche allenfalls noch nachgeholt
werden könnten, sind nicht ersichtlich. Daher ist nach dem Gesagten ein
voller Beweis dafür, dass die Mindestbeitragszeit erfüllt wäre, nicht
erbracht.

2.4 Wohl hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil vom 30. Juni
1997 die versicherungsmässigen Voraussetzungen bejaht. Damals war dieser
Punkt aber noch nicht streitig und vom Gericht denn auch nicht im Detail
geprüft worden. Vielmehr war angesichts der längeren Aufenthaltsdauer und der
damaligen Akten anzunehmen, dass die Mindestbeitragsdauer erfüllt sei. Dass
der Arbeitgeber 1993 nur Geld ausbezahlt, aber keine
Sozialversicherungsbeiträge abgerechnet hat, ergab sich erst später. Der
älteste, sich in den Akten befindliche Auszug aus dem Individuellen Konto des
Versicherten trägt den Eingangsstempel der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom
17. September 1997, somit einem Zeitpunkt nach dem erwähnten Urteil. Die
intensiven Nachforschungen der Schweizerischen Ausgleichskasse bei diversen
Einwohnerkontrollen und Krankenversicherungen datieren erst von 1999 und
später. Daher kann der Beschwerdeführer aus dem Urteil vom 30. Juni 1997
nichts zu seinen Gunsten ableiten. Vielmehr muss es dabei sein Bewenden
haben, dass die Mindestbeitragsdauer und die Voraussetzungen für eine
Kontenberichtigung nicht erfüllt sind.

3.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG e contrario). Dem unterliegenden
Beschwerdeführer kann die unentgeltliche Verbeiständung gewährt werden, da
die entsprechenden Voraussetzungen (BGE 125 V 202 Erw. 4a) erfüllt sind. Es
wird jedoch auf Art. 152 Abs. 3 OG hingewiesen, wonach der Versicherte dem
Gericht Ersatz zu leisten haben wird, falls er dereinst dazu im Stande sein
sollte.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Dr.
iur. Rudolf Strehler, Ettenhausen-Aadorf, für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen, der Schweizerischen
Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 25. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: