Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 534/2003
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I 534/03

Urteil vom 22. Januar 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiberin Durizzo

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, 1966, Beschwerdegegner, vertreten
durch Fürsprecherin Sabine Steiger-Sackmann, Dornacherstrasse 10, 4603 Olten

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 30. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
S. ________, geboren 1966, ist seit 1987 drogenabhängig. Nach verschiedenen
Entzugsversuchen steht er seit 1997 im Methadon-Programm. Nachdem er eine
Maurerlehre abgebrochen hatte, war er nur noch zeitweise erwerbstätig. Er
begann mit Drogen zu handeln, um sich den Konsum zu finanzieren, bis er
deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die er bis Anfang 1999
verbüsste. Seither wird er vom Sozialamt unterstützt.
Am 13. September 2001 meldete er sich - zum zweiten Mal - bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Umschulung) an. Die IV-Stelle des
Kantons Solothurn holte einen Bericht des Dr. med. H.________,
Allgemeinmedizin FMH, vom 28. September 2001 ein und klärte die erwerbliche
Situation ab. Mit Verfügung vom 29. Oktober 2001 lehnte sie das
Leistungsbegehren ab mit der Begründung, dass keine Invalidität im Sinne des
Gesetzes bestehe.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 30. Juni 2003 in dem Sinne gut, dass die
Verfügung der IV-Stelle vom 29. Oktober 2001 aufgehoben und die Sache zu
ergänzenden psychiatrischen Abklärungen zurückgewiesen wurde.

C.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.
Während S.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen
lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG; BGE 116 V 249 Erw. 1b), insbesondere bei
geistigen Gesundheitsschäden (BGE 102 V 165; vgl. auch AHI 2000 S. 151 Erw.
2a, 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen und BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine) und
bei Drogensucht (SVR 2001 IV Nr. 3 S. 7 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE
99 V 28 Erw. 2; AHI 2001 S. 228 f. Erw. 2b in fine mit Hinweisen, 2002 S. 30
Erw. 2a mit Hinweisen), über den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen (Art.
8 Abs. 1 IVG), insbesondere Berufsberatung (Art. 15 IVG), Umschulung (Art. 17
IVG) und Arbeitsvermittlung (Art. 18 Abs. 1 IVG), sowie zur Aufgabe des
Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 105 V 158 Erw. 1; vgl. auch
BGE 115 V 134 Erw. 2 mit Hinweisen) und zur richterlichen Beweiswürdigung von
Arztberichten (BGE 104 V 212 Erw. c; vgl. auch BGE 125 V 352 Erw. 3a und b)
zutreffend dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der Anwendbarkeit des am 1.
Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000. Darauf wird verwiesen.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat erwogen, dass auf Grund der Aktenlage nicht feststehe,
ob die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers nur zufolge der Drogensucht
eingeschränkt sei - in diesem Fall würde rechtsprechungsgemäss keine
Invalidität im Sinne des Gesetzes bestehen (SVR 2001 IV Nr. 3 S. 7 Erw. 2b
mit Hinweisen) - oder auch wegen psychischen Beschwerden. Letztere sind dann
relevant, wenn bereits vor Beginn der Drogenabhängigkeit ein geistiger
Gesundheitsschaden mit Krankheitswert vorgelegen oder die Drogensucht
ihrerseits eine geistige Gesundheitsstörung mit Krankheitswert im Sinne einer
leistungsbegründenden Abwegigkeit verursacht hat, welche die Erwerbsfähigkeit
bleibend beeinträchtigt (BGE 102 V 167; 99 V 28 f. Erw. 2; AHI 2002 S. 29 f.
Erw. 2).

2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass laut Bericht des Dr. med.
H.________ psychische Defizite im Sinne einer depressiven Verstimmung
bestünden. Diese Diagnose bedeute keinen invalidisierenden
Gesundheitsschaden. Demgegenüber hat die Vorinstanz zu Recht ausgeführt, dass
der Arzt die Fragen der IV-Stelle, ob suchtbedingte irreversible
Folgeschädigungen der Drogensucht vorliegen würden, welche die Ausübung der
Erwerbstätigkeit beeinträchtigten, nicht definitiv beantworten konnte. Des
Weiteren wies er zur Frage, ob die Sucht selbst Folge eines invalidisierenden
geistigen Gesundheitsschadens sei, auf die traumatisierte Kindheit des
Versicherten hin, welcher in Korea geboren ist, beide leiblichen Eltern
verloren hat und nach dem Aufenthalt in einem Kinderheim in der Schweiz hier
adoptiert wurde, jedoch ein getrübtes Verhältnis zu seinen Adoptiveltern
hatte und inzwischen gar keinen Kontakt mit ihnen mehr pflegt. Auch diese
Frage konnte Dr. med. H.________ jedoch nicht eindeutig beantworten, nicht
zuletzt wohl, weil er den Versicherten erst kennen lernte, als dieser bereits
drogenabhängig war.

2.3 Damit ist unbestritten, dass der Versicherte unter psychischen
Beschwerden leidet; die invalidenversicherungsrechtlich relevanten Fragen
sind hingegen nicht beantwortet, weshalb eine psychiatrische Begutachtung
unumgänglich ist. Das kantonale Gericht hat die Sache daher zu Recht an die
IV-Stelle zur ergänzenden Abklärung zurückgewiesen, wobei auf seine
Erwägungen vollumfänglich verwiesen werden kann.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat dem Beschwerdegegner für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 22. Januar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: