Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 523/2003
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I 523/03

Urteil vom 23. Dezember 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Ackermann

V.________, 1945, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Ulrich
Seiler, Falkenhöheweg 20, 3012 Bern,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 3. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
V. ________, geboren 1945, arbeitete seit Juni 1991 als Chauffeur für die
Firma F.________, als er sich im August 1993 anlässlich eines Unfalls an der
linken Schulter und am rechten Fuss verletzte; ab Ende Februar 1994 arbeitete
er wieder in vollem Umfang. Auf eine im Mai 1997 erfolgte Rückfallmeldung hin
gewährte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als zuständiger
Unfallversicherer mit Wirkung ab dem 1. Januar 1999 eine Invalidenrente von
15%, was durch Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 8. März
2000 bestätigt worden ist.

Am 8. Januar 1999 meldete sich V.________ - mittlerweile seit März 1998
arbeitslos - bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, worauf die
IV-Stelle Bern unter anderem die Akten der SUVA einholte. Nachdem eine
Umschulung zum Carchauffeur aus invaliditätsfremden Gründen gescheitert ist,
lehnte die IV-Stelle - nach durchgeführtem Vorbescheid - mit Verfügung vom
25. Juli 2000 den Anspruch auf Rente und berufliche Massnahmen ab. Eine
dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit
Entscheid vom 18. April 2001 teilweise gut und bejahte den Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art, insbesondere Arbeitsvermittlung.
Nach einem Treppensturz am 25. August 2000 (wofür die SUVA bis Januar 2002
Taggelder ausrichtete), liess V.________ am 22. Mai 2001 eine Neuanmeldung
einreichen; die IV-Stelle zog wiederum die Akten der SUVA bei (insbesondere
mehrere Berichte des Dr. med. W.________, Orthopädische Chirurgie FMH,  und
einen Bericht des SUVA-Arztes Dr. med. Z.________ vom 15. November 2001).
Nach ergangenem Vorbescheid verneinte die Verwaltung mit Verfügung vom 13.
Juni 2002 den Anspruch auf eine Invalidenrente, da V.________ in einer
leidensangepassten Tätigkeit vollständig arbeitsfähig sei; für die
Arbeitsvermittlung könne er sich wieder melden.

B.
Die von V.________ unter Beilage diverser Arztberichte (unter anderem des
SUVA-Arztes Dr. med. Y.________ vom 24. Juni 2002 und des Spitals X.________
vom 2. Juli 2002) dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern mit Entscheid vom 3. Juni 2003 ab, nachdem es die Akten der SUVA
(insbesondere Bericht des Dr. med. C.________, Spezialarzt FMH für
Neurologie, vom 7. November 2002) und der Arbeitslosenkasse beigezogen hatte.

C.
V.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung seien
ihm die gesetzlichen Leistungen zu erbringen und die IV-Stelle habe eine
polydisziplinäre Begutachtung durchzuführen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

D.
Im Nachgang zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt V.________ einen Bericht
des Spitals X.________ vom 2. September 2003 einreichen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Soweit mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein Anspruch auf
Arbeitsvermittlung geltend gemacht wird, ist darauf nicht einzutreten, da
dieser Anspruch von der IV-Stelle in der Verfügung von Juni 2002 nicht
verneint worden und damit unbestritten geblieben ist, so dass kein
schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung dieses Teils der Verfügung besteht
(Art. 103 lit. a OG in Verbindung mit Art. 132 OG).

2.
Wie das kantonale Gericht zu Recht festgehalten hat, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (Juni 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). Zutreffend sind im Weiteren
die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über den Umfang des
Rentenanspruches (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG), die Bemessung der
Invalidität von Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG), den Rentenbeginn zufolge einer
ohne wesentlichen Unterbruch dauernden Arbeitsunfähigkeit von
durchschnittlich mindestens 40% während eines Jahres (Art. 29 Abs. 1 lit. b
IVG) sowie den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen im Allgemeinen (Art. 8
IVG) und auf Umschulung im Besonderen (Art. 17 IVG). Richtig wiedergegeben
sind auch die Voraussetzungen für das Eintreten auf eine Neuanmeldung nach
Ablehnung eines Leistungsgesuches (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV) und die beim
Eintreten auf eine Neuanmeldung analog zur Rentenrevision gemäss Art. 41 IVG
anwendbaren Rechtsgrundsätze (BGE 117 V 198 Erw. 3a; ferner BGE 125 V 369
Erw. 2; AHI 2000 S. 309 Erw. 1b mit Hinweisen), die auch bei erneutem Gesuch
um Zusprechung von Eingliederungsmassnahmen gelten (vgl. BGE 113 V 27 Erw.
3b). Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob und - wenn ja - wie weit sich der Grad der
Invalidität zwischen dem Erlass der leistungsverweigernden Verfügung von Juli
2000 und dem erneuten Verfügungszeitpunkt im Juni 2002 in einer für den
Anspruch auf Invalidenrente und berufliche Eingliederung erheblichen Weise
geändert hat. Nicht bestritten ist dagegen, dass die Verwaltung auf die
Neuanmeldung von Mai 2001 eingetreten ist.

3.1 Die Vorinstanz sieht keine Veränderung des Gesundheitszustandes in der
Zeitspanne von Verfügungserlass im Juli 2000 bis zum (zweiten) Unfall im
August 2000. Für die nachfolgende Zeit stellt das kantonale Gericht auf die
Einschätzung des SUVA-Arztes Dr. med. Z.________ vom 15. November 2001 ab und
geht davon aus, dass die somatischen Folgen dieses Unfalles abgeheilt sind,
während sich aus dem Bericht des Spitals X.________ vom 2. Juli 2002 keine
hinreichenden Anhaltspunkte für einen krankheitswertigen Gesundheitsschaden
in psychischer Hinsicht ergäbe. Der Versicherte ist demgegenüber der
Auffassung, dass nicht auf die Einschätzungen der Ärzte der SUVA abzustellen
sei, da für die Invalidenversicherung auch nicht unfallkausale
Gesundheitsschäden zu berücksichtigen seien und sich die psychische Situation
verschlechtert habe; im Weiteren lägen divergierende Arztberichte vor, so
dass sich eine polydisziplinäre Abklärung aufdränge.

3.2 Für die Zeit zwischen der Verfügung vom 25. Juli 2000 und dem (zweiten)
Unfall vom 25. August 2000 ergibt sich nicht der geringste Hinweis aus den
Akten, dass sich der Gesundheitszustand in leistungsbegründendem Ausmass
verändert hätte, so dass für diese Zeitspanne keine Ansprüche geltend gemacht
werden können.

3.3 Es ist weiter zu prüfen, ob der Unfall von August 2000 zu einer
Verschlechterung des Gesundheitszustandes geführt hat. Im Bericht vom 24.
Juni 2002 hält der SUVA-Arzt Dr. med. Y.________ fest, dass der Versicherte
über die gleichen Beschwerden wie 1998 klage und sich der klinische Befund
nicht verändert habe; es bestünden "wiederum" Hinweise für eine
Symptomausweitung und eine unfallfremde zervikale Problematik. Damit geht
dieser Arzt klar davon aus, dass sich der Gesundheitszustand seit August 2000
nicht verändert hat. Der Bericht des SUVA-Arztes ist für die streitigen
Belange umfassend, beruht auf allseitigen Untersuchungen, berücksichtigt die
geklagten Beschwerden und ist in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden (so
hat dieser Arzt den Versicherten denn auch schon mehrmals untersucht); im
Weiteren sind die Ausführungen in der Beurteilung der medizinischen
Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation einleuchtend und beinhalten
begründete Schlussfolgerungen (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Damit kann auf die
Einschätzung des Dr. med. Y.________ abgestellt werden; auch wenn sie erst
einen Monat nach Verfügungserlass erfolgt ist, beschlägt sie dennoch den
aktuellen Gesundheitszustand zur Zeit der Verfügung im Juni 2002. Im Weiteren
äussert sich dieser Arzt auch zu unfallfremden - für die
Invalidenversicherung jedoch massgebenden - Gesundheitsschäden, was ihm nicht
verwehrt ist und wofür er - aufgrund der Weiterbildung - auch genügend
qualifiziert erscheint. Das Spital X.________ geht ebenfalls von einem seit
1998 unveränderten Gesundheitszustand aus, werden doch im Bericht vom 2. Juli
2002 "invalidisierende Zervikobrachialgien mit Ausstrahlung bis in die Finger
links seit ca. 4 Jahren" angegeben, und es wird festgehalten, dass keine
Hinweise auf psychische Veränderungen vorlägen. Im Weiteren geht das Spital
X.________ zwar von einem Chronifizierungsprozess aus, jedoch bestehen
keinerlei Anhaltspunkte, dass sich dieser erst seit dem zweiten Unfall von
August 2000 entwickelt hat; es ist vielmehr davon auszugehen, dass dieser
Prozess bereits früher eingetreten ist, da die angegebenen chronifizierenden
Faktoren (Arbeitsplatzverlust, fehlende Zukunftsperspektive, Angst vor
Invalidisierung und finanzielle Belastung) schon vor dem Jahr 2000 bestanden
haben.

Der nach Ablauf der Frist zur Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ins Recht gelegte Bericht des Spitals X.________ vom 2. September 2003
betrifft klarerweise nur die Zeit seit dem ersten Bericht von Juli 2002 und
damit einen Zeitpunkt nach dem - Grenze der richterlichen
Überprüfungsbefugnis bildenden (BGE 121 V 366 Erw. 1b) - Zeitraum bis
Verfügungserlass (Juni 2002), so dass der Versicherte allein schon aus diesem
Grund nichts zu seinen Gunsten daraus ableiten kann.

3.4 Dr. med. C.________ hat anlässlich der Vornahme einer Elektroneurographie
im November 2002 ein chirurgisch sanierungsbedürftiges Karpaltunnelsyndrom an
der linken Hand diagnostiziert, wobei ein diesbezüglicher Verdacht schon vom
SUVA-Arzt Dr. med. Z.________ im Bericht vom 15. November 2001 geäussert
worden ist. Auch wenn in dieser Hinsicht somit eine Änderung des
Gesundheitszustandes bis zum Verfügungszeitpunkt im Juni 2002 eingetreten
sein kann, ist nicht davon auszugehen, dass dies in einem
leistungsbeeinflussenden Ausmass geschehen wäre, da ein operativer Eingriff
erfolgen kann, der eine diesbezügliche Invalidisierung ausschliesst. So wird
das Karpaltunnelsyndrom im neuesten Bericht des Spitals X.________ vom 2.
September 2003 denn auch nicht einmal erwähnt, obwohl die linke Hand
ebenfalls untersucht worden ist.

3.5 Damit ist davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand zwischen
Juni 2000 (Erlass der ersten Verfügung) und Juni 2002 (Erlass der zweiten
Verfügung) nicht in leistungsbegründendem Ausmass verändert hat. Insbesondere
finden sich keine Anhaltspunkte in den Akten, dass - wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde behauptet - eine Verschlechterung in
psychischer Hinsicht erfolgt wäre. Weitere Abklärungen drängen sich nicht
auf. Es bleibt jedoch abschliessend zu prüfen, ob in der Zeit zwischen dem
(zweiten) Unfall von August 2000 und dem Verfügungszeitpunkt im Juni 2002
allenfalls eine vorübergehende leistungsbegründende Invalidität bestanden
hat. Neben der für Umschulung resp. Rente notwendigen Mindestinvalidität und
allfälligen weiteren Voraussetzungen muss dafür eine während eines Jahres
ohne wesentlichen Unterbruch dauernde Arbeitsunfähigkeit von mindestens
durchschnittlich 40% bestanden haben (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG).

Dr. med. W.________, der den Beschwerdeführer erst nach dem zweiten Unfall
von August 2000 behandelt hat, ging im Bericht vom 24. April 2001 davon aus,
dass bis Ende April 2001 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bestehen werde,
während er in den Berichten vom 19. und 21. Juni 2001 die Arbeitsfähigkeit ab
dem 26. April 2001 auf 50% schätzte. Diese Ausführungen werden jedoch
relativiert durch seine telephonische Aussage gegenüber dem SUVA-Kreisarzt
vom 27. Juni 2001, wonach der Beschwerdeführer auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt voll arbeiten könnte. Der scheinbare Widerspruch zwischen diesen
Auffassungen liegt darin begründet, dass sich Dr. med. W.________ in seinen
schriftlichen Berichten offensichtlich auf die bisherige Tätigkeit als
Lastwagenchauffeur bezogen hat. Die Einschätzung der vollständigen
Arbeitsfähigkeit ab Juni 2001 (Zeitpunkt des Telephonates) wird denn auch
durch den Bericht des SUVA-Arztes Dr. med. Z.________ vom 15. November 2001
bestätigt, welcher ebenfalls eine vollständige Arbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten Tätigkeit annimmt, aber weder andere Befunde als Dr. med.
W.________, noch eine (allenfalls kurzzeitige) Verschlechterung seit Sommer
2001 erwähnt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Unfall von August
2000 spätestens im Sommer 2001 abgeheilt ist und dem Versicherten ab diesem
Zeitpunkt eine leidensangepasste Tätigkeit vollständig zumutbar gewesen ist;
eine grössere Erwerbseinbusse als die im Rahmen der Unfallversicherung
ermittelte Invalidität von 15% ist damit nicht ersichtlich. Somit ist weder
das Wartejahr gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG für einen temporären
Rentenanspruch, noch die Mindestinvalidität für den Anspruch auf Umschulung
(20%; BGE 124 V 110 Erw. 2b mit Hinweisen) erfüllt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: