Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 519/2003
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I 519/03

Urteil vom 11. Dezember 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Hochuli

B.________, 1950, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli
Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 24. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
B. ________, geboren 1950, nach eigenen Angaben seit 1983 als
Konstruktionsschlosser teilweise selbständig erwerbstätig, meldete sich am
19. März 2002 wegen hyperopem Astigmatismus bei der IV-Stelle des Kantons
Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 13.
Juni 2002 lehnte die IV-Stelle die Übernahme der am 4. April 2002
durchgeführten LASIK-Behandlung als medizinische Eingliederungsmassnahme ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des B.________ wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 24. Juni 2003
ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________ unter Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheids und der Verwaltungsverfügung beantragen, die
IV-Stelle sei zu verpflichten, die LASIK-Behandlung als medizinische
Eingliederungsmassnahme zu übernehmen.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Voraussetzungen des
Anspruchs auf Eingliederungsmassnahmen im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 IVG) und
den Anspruch auf medizinische Massnahmen im Besonderen (Art. 12 Abs. 1 IVG
und Art. 2 Abs. 1 IVV) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die
Ausführungen dazu, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 mit den damit verbundenen zahlreichen Änderungen von Bestimmungen im
Invalidenversicherungsbereich im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist (BGE
127 V 467 Erw. 1). Darauf wird verwiesen.

2.
In der Invalidenversicherung besteht eine Leistungspflicht bei medizinischen
Massnahmen (Art. 12 IVG) unter anderem nur, wenn die Massnahmen nach
bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den
Eingliederungserfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2
Abs. 1 Satz 2 IVV). Nach BGE 115 V 195 f. Erw. 4b fand dabei die auf dem
Gebiet der Krankenversicherung - unter der Herrschaft des alten KUVG -
geltende Definition der Wissenschaftlichkeit grundsätzlich auch auf die
medizinischen Massnahmen der Invalidenversicherung Anwendung. War mithin eine
Vorkehr mangels Wissenschaftlichkeit nicht als Pflichtleistung der
Krankenkassen nach KUVG anerkannt, so konnte sie auch nicht als medizinische
Massnahme nach Art. 12 IVG zu Lasten der Invalidenversicherung gehen (BGE 123
V 60 Erw. 2b/cc mit Hinweisen).

Im Urteil S. vom 25. Oktober 2001, I 120/01, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht entschieden, dass diese Rechtsprechung auch unter dem
geltenden Recht des KVG analog Anwendung findet, da der Gesetzgeber mit der
begrifflichen Neuordnung der Voraussetzungen für die Kostenübernahme nach KVG
(vgl. Art 32 Abs. 1 KVG; BGE 123 V 62 f. Erw. 2c/bb) auf jeden Fall keine
einschränkenderen Voraussetzungen statuieren wollte als unter dem bisherigen
Recht des KUVG; vielmehr sollten die Grundleistungen nach neuem KVG
"mindestens" dem bisherigen Umfang gemäss Katalog des KUVG entsprechen
(Botschaft des Bundesrates über die Revision der Krankenversicherung vom 6.
November 1991, in: BBl 1992 I 93 ff., insbesondere S. 131; vgl. auch S. 158
f. und 265).

3.
Es handelt sich im vorliegenden Fall bei der Anwendung von Art. 12 IVG nicht
um die Abgrenzung der Aufgabenbereiche der Invalidenversicherung einerseits
und der sozialen Kranken- und Unfallversicherung andererseits (vgl. dazu BGE
104 V 81 Erw. 1, AHI 1999 S. 126 Erw. 2b mit Hinweisen). Denn die am 4. April
2002 nach der LASIK-Methode durchgeführte Excimer-Laser-Behandlung geht
unbestritten nicht zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung,
weil mangels Wirksamkeit (Art. 32 Abs. 1 KVG) keine Leistungspflicht besteht
(Ziffer 6 in Anhang I zur KLV [SR 832.112.31]; vgl. auch Urteil S. vom 25.
Oktober 2001, I 120/01). Strittig und zu prüfen ist jedoch, ob der Eingriff,
wie der Beschwerdeführer geltend macht, als wissenschaftlich anerkannte
Methode im Sinne von Art. 2 Abs. 1 IVV von der Invalidenversicherung
übernommen werden muss.

4.
4.1 Gestützt auf die Urteile S. vom 25. Oktober 2001, I 120/01, sowie R. vom
11. März 2003, I 757/02, gelangte die Vorinstanz zum Schluss, die strittige
Behandlung sei mangels Wissenschaftlichkeit und Zweckmässigkeit nicht als
medizinische Eingliederungsmassnahme gemäss Art. 12 IVG durch die
Invalidenversicherung zu übernehmen.

4.2 Hiegegen wendet der Versicherte ein, der zur Begründung des angefochtenen
Entscheids herangezogenen Rechtsprechung könne nicht gefolgt werden. Es sei
nicht zulässig, eine Vorkehr nur deshalb nicht als medizinische
Eingliederungsmassnahme zu übernehmen, weil sie gemäss KLV nicht als
Pflichtleistung anerkannt sei. Denn die Definition der Wissenschaftlichkeit
gemäss altem KUVG finde praxisgemäss nur "grundsätzlich" auch Anwendung in
Bezug auf die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der
Invalidenversicherung (vgl. dazu Erw. 2 hievor). Damit habe das
Eidgenössische Versicherungsgericht zum Ausdruck bringen wollen, dass bei
jedem Eingriff, welcher nach Massgabe der KLV nicht als Pflichtleistung
anerkannt sei, geprüft werden müsse, ob die Wissenschaftlichkeit im Sinne der
Invalidenversicherung gegeben sei. Umgekehrt könne jedoch unbesehen aus einer
anerkannten Pflichtleistung der KLV auch auf die im Bereich der
Invalidenversicherung zu bejahende Wissenschaftlichkeit geschlossen werden.
Für diese Auslegung spreche auch der unterschiedliche Wortlaut der Artikel 12
IVG und 32 Abs. 1 KVG. Werde die Voraussetzung der Wissenschaftlichkeit auf
dem Gebiete der Invalidenversicherung nur in abgeschwächter Formulierung im
Verordnungstext erwähnt (Art. 2 Abs. 1 IVV), so sei in demselben Kriterium
gemäss Art. 32 Abs. 1 KVG auf Grund des engeren und präziseren Wortlauts eine
einschränkendere Bedingung für die Anerkennung einer Vorkehr als
Pflichtleistung gemäss KLV zu erblicken. In der Krankenversicherung gehe es
um Massnahmen der medizinischen Heilbehandlung, während medizinische
Massnahmen im Sinne von Art. 12 IVG die berufliche Eingliederung bezweckten.
Die am 4. April 2002 durchgeführte Excimer-Laser-Behandlung nach dem
LASIK-Verfahren sei somit als Methode zu bezeichnen, welche nach bewährter
Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt und deshalb von der
Invalidenversicherung als medizinische Eingliederungsmassnahme zu übernehmen
sei.

5.
An der gefestigten Rechtsprechung (vgl. Erw. 2 hievor sowie die Urteile Z.
vom 4. Juli 2002, I 462/01, und A. vom 14. August 1997, I 73/97) ist trotz
den Einwänden des Beschwerdeführers festzuhalten.

5.1 In der Invalidenversicherung besteht eine Leistungspflicht bei
medizinischen Massnahmen nach Art. 12 IVG unter anderem nur, wenn die
Massnahmen nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt
sind (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 IVV). Nach der Rechtsprechung gilt eine
Behandlungsart dann als bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft
entsprechend, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen
Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Das Schwergewicht liegt auf der
Erfahrung und dem Erfolg im Bereich einer bestimmten Therapie (BGE 115 V 195
Erw. 4b und AHI 2001 S. 76 f. Erw. 1b je mit Hinweisen).

Es kann keine Rede davon sein, dass Art. 12 IVG im Vergleich zur
Krankenversicherung von einem weiter gefassten Begriff ausgeht und dass die
Bestimmung von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 IVV lediglich ein reines Hilfskriterium
darstellt. Medizinische Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung
(Art. 12 und 13 IVG) sowie Analysen und Arzneimittel (Art. 4bis IVV) werden
nur unter der Voraussetzung gewährt, dass sie wissenschaftlich anerkannt
sind. Auch in der Invalidenversicherung gilt das fundamentale Prinzip der
wissenschaftlich nachgewiesenen Wirksamkeit (vgl. dazu BGE 129 V 170 f. Erw.
3.2 mit Hinweisen), d.h. der wissenschaftlichen Anerkennung (BGE 125 V 28
Erw. 5a in fine, 123 V 60 Erw 2b/cc).

5.2 Die bisherige Praxis zur Voraussetzung der Wissenschaftlichkeit im Sinne
von Art. 2 Abs. 1 IVV (vgl. Erw. 5 und 2 hievor) geht davon aus, dass in der
gesamten Sozialversicherung von einem einheitlichen Wirkungsnachweis
ausgegangen werden soll. Daran ist festzuhalten. Die Einschränkung, wonach
eine Vorkehr nicht als medizinische Eingliederungsmassnahme nach Art. 12 IVG
übernommen werden kann, wenn sie in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung mangels Wissenschaftlichkeit nicht als
Pflichtleistung anerkannt ist, erscheint um so gebotener, als die
Invalidenversicherung die medizinischen Massnahmen als Naturalleistungen
erbringt und auf Grund des dieser Leistungsart innewohnenden
Eingliederungsrisikos nach Art. 11 IVG bzw. Art. 23 IVV im Falle eines
Behandlungsmisserfolgs unter Umständen haftbar werden könnte (BGE 123 V 60
Erw. 2b/cc, 114 V 26 Erw. 2d; AHI 2001 S. 77 Erw. 1b).

5.3 Bei der Beurteilung der Wirksamkeit geht es um eine vom einzelnen
Anwendungsfall losgelöste und retrospektive, allgemeine Bewertung der mit
einer diagnostischen oder therapeutischen Massnahme erzielten Ergebnisse (BGE
123 V 66 Erw. 4a). Davon zu unterscheiden ist das im Rahmen von Art. 12 IVG
zusätzlich verlangte Erfordernis der Eingliederungswirksamkeit, wonach
medizinische Massnahmen unmittelbar auf die berufliche Eingliederung
gerichtet und geeignet sein müssen, die Erwerbsfähigkeit dauernd und
wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren.
Auch eine erfolgreich verlaufene Operation allein genügt jedoch nicht, um sie
als medizinische Eingliederungsmassnahme im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IVG zu
qualifizieren, die von der Invalidenversicherung zu übernehmen ist (BGE 101 V
48 und AHI 2000 S. 299 Erw. 2b mit Hinweisen).

5.4 Nach dem Gesagten ist an der Praxis festzuhalten, wonach eine Vorkehr,
welche mangels Wissenschaftlichkeit in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung nicht als Pflichtleistung anerkannt ist, auch nicht
als medizinische Eingliederungsmassnahme nach Art. 12 IVG zu übernehmen ist.
Der angefochtene Entscheid ist somit nicht zu beanstanden.

5.5 Hat die IV-Stelle demnach die Übernahme der am 4. April 2002
durchgeführten Excimer-Laser-Behandlung nach dem LASIK-Verfahren als
medizinische Eingliederungsmassnahme zu Recht abgelehnt, kann offen bleiben,
ob der vom Beschwerdeführer geltend gemachte hyperope Astigmatismus bei einem
präoperativen korrigierten Visus von 0,8 rechts und 0,5 bis 0,6 links
überhaupt die hinsichtlich des Anspruchs auf Eingliederungsmassnahmen
erforderliche Voraussetzung der Invalidität oder unmittelbar drohenden
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 IVG) erfüllt (vgl. dazu Urteil D. vom 24. Juli
2003, I 29/02), ob es sich bei dieser Sehfähigkeitsbeeinträchtigung um
labiles pathologisches Geschehen handelt und die am 4. April 2002
durchgeführte beidseitige Augenoperation nur der Behandlung dieses Leidens an
sich dient und schliesslich, ob in Bezug auf den fraglichen Eingriff die
Dauerhaftigkeit des Eingliederungserfolgs (angesichts der z.B. längerfristig
nicht auszuschliessenden Probleme: vgl. dazu Urteil S. vom 25. Oktober 2001,
I 120/01 [Erw. 2b]) als weitere Voraussetzung für die Übernahme von
medizinischen Massnahmen nach Art. 12 IVG zu bejahen ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 11. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: