Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 509/2003
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I 509/03

Urteil vom 23. Oktober 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber Jancar

L.________, 1944, Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle für Versicherte im Ausland, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 2. Juli 2003)

Sachverhalt:

A.
Auf Gesuch der 1944 geborenen, tschechischen Staatsangehörigen  L.________
vom 8. Juni 1995 hin vergütete ihr die Schweizerische Ausgleichskasse
(nachfolgend Ausgleichskasse) mit Verfügung vom 4. Dezember 1995 die in den
Jahren 1968 bis 1982 entrichteten AHV-Beiträge im Betrag von Fr. 9804.10
zurück. Nachdem L.________ mit Schreiben vom 14. Juli 2000 sinngemäss die
Ausrichtung einer Rente der schweizerischen Alters- und
Hinterlassenenversicherung beantragt hatte, eröffnete ihr die Ausgleichskasse
am 1. September 2000, mit der Rückvergütung der AHV-Beiträge seien ihre
Rechte gegenüber der schweizerischen AHV erloschen, weshalb sie keinen
Rentenanspruch mehr habe.

Am 9. April 2002 übermittelte der tschechische Sozialversicherungsträger der
Ausgleichskasse die Anmeldung von L.________ vom 12./13. März 2002 zum Bezug
von Leistungen der schweizerischen Invalidenversicherung. Sie leide seit
September 2000 an Brustkrebs, manisch-depressiver Psychose und einer
Behinderung des Bewegungsapparates. Mit Verfügung vom 24. Juni 2002 wies die
IV-Stelle für Versicherte im Ausland das Leistungsbegehren ab. Zur Begründung
wurde ausgeführt, wegen der Beitragsrückvergütung im Jahre 1995 bestehe kein
Anspruch auf eine ordentliche Invalidenrente. Eine Wiedereinzahlung der
Beiträge sei ausgeschlossen.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die Eidgenössische Rekurskommission der
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland
wohnenden Personen mit Entscheid vom 2. Juli 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt L.________ sinngemäss die
Zusprechung einer Invalidenrente.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben, und weil ferner das Sozialversicherungsgericht
bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 24. Juni 2002) eingetretenen
Sachverhalt abstellt (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen), sind im
vorliegenden Fall die bis 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
Gemäss Art. 18 Abs. 3 AHVG (in der bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung)
können Ausländern, mit deren Heimatstaat keine zwischenstaatliche
Vereinbarung besteht, und ihren Hinterlassenen ausnahmsweise die gemäss den
Art. 5, 6, 8 oder 10 bezahlten Beiträge zurückvergütet werden, sofern diese
keinen Rentenanspruch begründen und deren Heimatstaat Gegenrecht hält (Satz
1). Der Bundesrat umschreibt die weiteren Voraussetzungen und das Ausmass der
Rückvergütung (Satz 3). Art. 18 Abs. 3 AHVG in der seit 1. Januar 1997
geltenden Fassung (10. AHV-Revision) sieht grundsätzlich die gleiche Regelung
vor, ausser dass neu auf das Erfordernis des Gegenrechts des Heimatstaats
verzichtet wird und auch die Arbeitgeberbeiträge rückvergütet werden. Nicht
vergütet werden können nach wie vor die Beiträge an die
Invalidenversicherung, die Erwerbsersatzordnung und die
Arbeitslosenversicherung (Botschaft des Bundesrates über die 10. Revision der
Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 5. März 1990, BBl 1990 II 58 f.
und 85).

Gestützt auf die gesetzliche Delegation erliess der Bundesrat die Verordnung
vom 14. März 1952 über die Rückvergütung der von Ausländern an die Alters-
und Hinterlassenenversicherung bezahlten Beiträge, welche am 29. November
1995 per 1. Januar 1997 völlig neu gefasst wurde (RV; SR 831.131.12). Gemäss
Art. 1 Abs. 1 RV in der bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung können
Ausländer, mit deren Heimatstaat keine zwischenstaatliche Vereinbarung
besteht, und ihre Hinterlassenen, sofern der Heimatstaat Gegenrecht hält,
gemäss den nachstehenden Bestimmungen die der Alters- und
Hinterlassenenversicherung entrichteten Beiträge zurückfordern, sofern diese
gesamthaft während mindestens eines vollen Jahres geleistet worden sind und
keinen Rentenanspruch begründen. Art. 2 RV in der bis 31. Dezember 1996
geltenden Fassung bestimmt, dass die Beiträge zurückgefordert werfen können,
wenn der Ausländer aller Voraussicht nach endgültig aus der Versicherung
ausgeschieden ist und er selber sowie sein Ehegatte oder seine noch nicht
25jährigen Kinder seit mindestens einem Jahr nicht mehr in der Schweiz
gewohnt haben.

3.
Die Verfügung der Ausgleichskasse vom 4. Dezember 1995, womit der
Beschwerdeführerin auf Gesuch hin die von ihr entrichteten AHV-Beiträge
rückvergütet wurden, ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Sie bildet
nicht Anfechtungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens und kann daher nicht
auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Unbehelflich ist das Vorbringen der
Versicherten, in den Jahren 1994/1995 habe man ihr in Genf und in der
Schweizerischen Botschaft in Prag die Auskunft gegeben, sie solle die
AHV-Beiträge beziehen, ansonsten sie dem Staat verfielen, während ihr jetzt
gesagt werde, dies sei nicht wahr. Denn eine Nichtigkeit der Verfügung vom 4.
Dezember 1995, die auch im vorliegenden Verfahren zu beachten wäre (BGE 127
II 47 Erw. 3g; SVR 2002 KV Nr. 38 S. 139 Erw. 4c), ergibt sich weder aus den
Vorbringen der Beschwerdeführerin noch aus den Akten. Inhaltliche Mängel,
welche die Verfügung als praktisch wirkungslos, unsinnig oder unsittlich
erscheinen liessen, liegen nicht vor. Abgesehen davon, dass ab 1986 bis Ende
Oktober 1997 zwischen der Schweiz und Tschechien (bzw. der früheren
Tschechoslowakei) kein Abkommen über Soziale Sicherheit existierte (Erw. 4.2
hienach; BBl 1997 I S. 1019), hätte selbst die Verletzung staatsvertraglicher
Voraussetzungen bei der Rückvergütung keine Nichtigkeit zur Folge (AHI 1995
S. 33 Erw. 3b sowie 4a und b).

4.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Versicherte trotz der Rückvergütung der
AHV-Beiträge Anspruch auf eine Rente der schweizerischen
Invalidenversicherung hat.

4.1 Gemäss Art. 6 RV (in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung) können
aus rückvergüteten Beiträgen und den entsprechenden Beitragszeiten gegenüber
der Alters- und Hinterlassenenversicherung keine Rechte abgeleitet werden.
Die Wiedereinzahlung der Beiträge ist ausgeschlossen.
Mit der Rückvergütung der AHV-Beiträge verlieren die ausländischen
Versicherten, vorbehältlich anderslautender staatsvertraglicher Regelungen,
auch den Anspruch auf eine ordentliche Rente der schweizerischen
Invalidenversicherung. Denn Voraussetzung dieses Anspruchs ist, dass bei
Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres AHV-Beiträge
geleistet worden sind (Art. 6 Abs. 2 [in der bis 31. Dezember 2002 geltenden
Fassung], Art. 36 Abs. 1 IVG; BGE 126 V 5, 125 V 254 Erw. 1). Beiträge und
Beitragszeiten bilden die Grundlage für die Berechnung der ordentlichen
Invalidenrente (BGE 124 V 163 Erw. 4a; Botschaft des Bundesrates vom 24.
Oktober 1958 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung
und eines Bundesgesetzes betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die
AHV, BBl 1958 II 1202 f., 1265 f.). Mit der Beitragsrückvergütung verfallen
sämtliche in der Schweiz zurückgelegten Versicherungszeiten, als wäre die
betroffene Person gar nie in der AHV/IV versichert gewesen (vgl. auch die
Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherung zu Art. 6 RV in AHI 2003
S. 21 f.; Verwaltungsweisungen über die Rückvergütung der von Ausländern an
die AHV bezahlten Beiträge vom 11. März 1997 S. 7 Rz. 24, und vom 1. Januar
1985 S. 5 Rz 20). Der Anspruchsverlust gegenüber der Invalidenversicherung
wird nunmehr ausdrücklich in Art. 6 RV in der seit 1. Januar 2003 geltenden
Fassung statuiert.

4.2 Das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Tschechischen Republik über Soziale Sicherheit vom 10. Juni 1996, in Kraft
seit 1. November 1997 (nachfolgend Abkommen; SR 0.831.109.743.1) regelt in
Art. 16 f. den Anspruch auf die ordentliche Rente der schweizerischen
Invalidenversicherung und setzt hiefür die Erfüllung der einjährigen
Mindestbeitragsdauer nach schweizerischem Recht voraus (Botschaft des
Bundesrates vom 6. November 1996 betreffend das Abkommen zwischen der Schweiz
und der Tschechischen Republik über Soziale Sicherheit, BBl 1997 I 1030).
Aufgrund der Beitragsrückvergütung hat die Beschwerdeführerin demnach keinen
diesbezüglichen Rentenanspruch.

5.
5.1 Hinsichtlich des Anspruchs auf eine ausserordentliche Rente der
schweizerischen Invalidenversicherung (Art. 18 Abs. 1 des Abkommens), die
beitragsunabhängig ausgerichtet wird (Art. 39 f. IVG in Verbindung mit Art.
42 AHVG, in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung), bestimmt Art. 18
Abs. 3 des Abkommens, dass Rückvergütungen der an die schweizerische Alters-
und Hinterlassenenversicherung entrichteten Beiträge, die vor Inkrafttreten
des Abkommens erfolgt sind, der Rentengewährung nicht entgegenstehen; in
diesen Fällen werden jedoch die rückvergüteten Beiträge mit der zu
gewährenden Rente verrechnet.

Anspruch auf eine solche Rente haben Staatsangehörige der Tschechischen
Republik unter den gleichen Voraussetzungen wie schweizerische
Staatsangehörige, sofern sie unmittelbar vor dem Zeitpunkt, von welchem an
die Rente verlangt wird, mindestens fünf Jahre ununterbrochen in der Schweiz
gewohnt haben (Art. 18 Abs. 1 lit b des Abkommens). Die Wohndauer im Sinne
von Absatz 1 gilt als ununterbrochen, wenn die Schweiz im Kalenderjahr für
nicht mehr als drei Monate verlassen wird. In Ausnahmefällen kann die
Dreimonatsfrist erstreckt werden. Auf die Wohndauer nicht angerechnet werden
Wohnzeiten von Staatsangehörigen der Tschechischen Republik in der Schweiz,
während deren sie von der Versicherungspflicht in der schweizerischen
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung befreit waren (Art. 18
Abs. 2 des Abkommens).

5.2 Die Beschwerdeführerin verlangt eine Invalidenrente sinngemäss ab dem
Jahr 2001 (Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit). Da sie seit
1982 nicht mehr in der Schweiz wohnt, erfüllt sie auch die Voraussetzung für
die Zusprechung einer ausserordentlichen Rente der schweizerischen
Invalidenversicherung nicht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen, der Schweizerischen
Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. Oktober 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: