Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 485/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


I 485/03

Urteil vom 2. Dezember 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber
Grunder

R.________, 1965, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Oliver Borer,
Greifengasse 1, 4058 Basel,

gegen

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Birsigstrasse 45, 4054 Basel,
Beschwerdegegner,

(Verfügung vom 30. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 2. Dezember 2002 sprach die IV-Stelle Basel-Stadt dem 1965
geborenen R.________ eine ganze Rente der Invalidenversicherung mit Wirkung
ab 1. April 2001 zu.

B.
Hiegegen liess R.________ Beschwerde erheben und beantragen, es sei zu
prüfen, ob Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen bestehe, eventualiter sei
die Rente ab Krankheitsbeginn auszurichten. Das gleichzeitig eingereichte
Gesuch um Kostenerlass wies das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt ab
(Entscheid vom 30. Juni 2003).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt R.________ die Aufhebung des
kantonalen Zwischenentscheids und die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege im vor- und letztinstanzlichen Verfahren beantragen sowie
verschiedene neue Beweismittel auflegen (unter anderem eine Verfügung des
Dienstchefs des Amtes für Soziale Einrichtungen der Stadt X.________ vom 12.
Februar 2003).

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der kantonale Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege gehört zu den Zwischenverfügungen, die einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können. Er kann daher selbstständig mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht
angefochten werden (Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 und 2 lit.
h VwVG sowie Art. 97 Abs. 1 und 128 OG; BGE 100 V 62 Erw. 1, 98 V 115).

2.
2.1 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.2 Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglichkeit, im Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht neue tatsächliche Behauptungen
aufzustellen oder neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend
eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Beweismittel
zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und
deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen).

3.
3.1 Im kantonalen Verfahren geht es um Sozialversicherungsleistungen, weshalb
gemäss Art. 61 lit. a des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6.
Oktober 2000 (ATSG) keine Gerichtskosten zu erheben sind. Soweit der
Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von
Gerichtskosten für den vorinstanzlichen Prozess beantragt, kann darauf
zufolge Fehlens eines Armenrechtsgesuches nicht eingetreten werden. Zu prüfen
ist damit einzig das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung
im kantonalen Verfahren.

3.2 Nach Art. 61 lit. f ATSG muss im kantonalen Verfahren das Recht, sich
verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein (Satz 1). Wo die Verhältnisse es
rechtfertigen, wird der Beschwerde führenden Person ein unentgeltlicher
Rechtsbeistand bewilligt (Satz 2). Die Rechtsprechung zu dem mit
Inkraftsetzung des ATSG aufgehobenen Art. 85 Abs. 2 lit. f Sätze 1 und 2 AHVG
ist weiterhin anwendbar (Urteil D. vom 21. August 2003, H 106/03). Die
Bedürftigkeit als eine der Voraussetzungen für die Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung muss nach der Rechtsprechung gleich ausgelegt
werden wie die Bedürftigkeit nach Art. 152 Abs. 1 OG (RKUV 2000 Nr. K 119 S.
154, 1996 Nr. U 254 S. 208 Erw. 2; Urteil E. vom 25. September 2000, C
62/00). Als bedürftig gilt eine Person, wenn sie die Kosten eines Prozesses
nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, derer sie zur
Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes für sich und seiner Familie bedarf,
wobei die Einkommens- und Vermögensverhältnisse in Betracht zu ziehen sind
(BGE 127 I 205 Erw. 3b, 125 IV 164 Erw. 4a, 124 I 98 Erw. 3b). Die Grenze für
die Annahme der Bedürftigkeit im Sinne der Regeln über die unentgeltliche
Rechtspflege liegt höher als diejenige des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums. Bei der Prüfung der prozessualen Bedürftigkeit geht es um
die Frage, ob und inwieweit einer Partei zugemutet werden kann, zur Wahrung
ihrer Interessen neue Verpflichtungen einzugehen oder entsprechende
Verfügungen treffen zu müssen. Wohl dürfen von der gesuchstellenden Person
gewisse Opfer verlangt werden; sie soll aber nicht gezwungen werden, sich in
eine Notlage zu begeben und die für den Prozess notwendigen Mittel dadurch zu
beschaffen, dass sie anderen dringenden Verpflichtungen nicht nachkommt. Für
die Annahme der prozessualen Bedürftigkeit genügt es, dass die
gesuchstellende Person nicht über mehr Mittel verfügt, als zur Bestreitung
eines normalen, bescheidenen Familienunterhalts nötig sind. Dabei sind die
gesamten finanziellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (BGE 108 V 269 Erw. 4; nicht
veröffentlichtes Urteil A. vom 2. Dezember 1991, H 161/91) ausschlaggebend;
zu berücksichtigen sind daher u.a. auch fällige Steuerschulden (RKUV 2000 Nr.
KV S. 155 Erw. 2, 1996 Nr. U 254 S. 208 Erw. 2).

3.3 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Pensionskasse der Stadt
X.________ dem Beschwerdeführer im Mai 2003 eine Nachzahlung von Fr.
75'537.50 ausgerichtet habe, womit der Versicherte gemäss eigenen Angaben
Schulden in Höhe von insgesamt Fr. 69'200.- getilgt habe. Dieser Einwand sei
indessen weder hinreichend substanziiert noch mit den eingereichten Belegen
nachgewiesen worden. Es sei daher dem Beschwerdeführer zuzumuten, das
Vermögen zur Deckung der Anwaltskosten zu verwenden.
Demgegenüber bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe im
kantonalen Verfahren ausreichend dargelegt und dokumentiert, dass er im Mai
2003 einerseits einen Betrag von Fr. 51'000.- an seine Lebenspartnerin
bezahlt habe, die ihn zwischen September 1997 und April 2003 zur Bestreitung
der Lebenshaltungskosten in diesem Rahmen finanziell unterstützt hätte,
andererseits habe er ein zinsloses Ausbildungsdarlehen des Kantons Y.________
in Höhe von Fr. 18'200.- zurückerstattet. Wenn das kantonale Gericht die
Substanziierung und den Nachweis seiner Angaben als ungenügend erachtet habe,
wäre es gestützt auf den Untersuchungsgrundsatz verpflichtet gewesen,
nachzufragen und weitere Belege zu verlangen. Insgesamt habe er nur noch über
eine Summe von Fr. 6337.50 verfügen können, ein Betrag, welcher ihm als
"Notgroschen" zu belassen sei.

3.4
3.4.1Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorgehen der Vorinstanz
hinsichtlich der Sachverhaltsabklärung zu beanstanden ist, da im Ergebnis der
kantonale Zwischenentscheid zu bestätigen ist. Im letztinstanzlichen
Verfahren legt der Versicherte eine Verfügung des Dienstchefs des Amtes für
Soziale Einrichtungen der Stadt X.________ vom 12. Februar 2003 auf. Danach
wurde dem Beschwerdeführer nachträglich für die Periode vom 1. August 1998
bis 31. Mai 1999 ein Lohnfortzahlungsanspruch infolge Arbeitsunfähigkeit
zugesprochen. Der Forderungsbetrag ist zwar nicht beziffert, aus Ziffer 1 des
Verfügungsdispositivs ist jedoch zu schliessen, dass es sich um eine Summe
von Fr. 33'502.20 (175,8 Stunden à Fr. 42.71; 117,2 Stunden à Fr. 37.69; 293
Stunden à Fr. 36.82) zuzüglich Verzugszinsen gehandelt hat, die gemäss
Angaben in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde Ende Februar 2003 ausbezahlt
worden ist. Diese Tatsache hat der Versicherte offensichtlich im kantonalen
Verfahren nicht bekannt gegeben. Hat er demnach die ihm obliegende
Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsabklärung (BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V
158 Erw. 1a, je mit Hinweisen) verletzt, sind die vorinstanzlichen
Feststellungen hinsichtlich der Aktiven des Vermögens für das Eidgenössische
Versicherungsgericht nicht verbindlich. In Berücksichtigung der im Mai 2003
erfolgten Rentennachzahlung der Pensionskasse der Stadt X.________ in Höhe
von Fr. 75'537.50 verfügte der Versicherte im Zeitpunkt der vorinstanzlichen
Entscheidung über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung vom 30. Juni
2003 über Aktiven im Betrag von mindestens Fr. 109'039.70. Auch wenn man
entgegen dem vorinstanzlichen Entscheid dieses Vermögen um die geltend
gemachte Schuldentilgung (Fr. 69'200.-) vermindert, verblieb ihm ein
namhafter Vermögenswert.

3.4.2 Zu prüfen bleibt auf Grund der Vorbringen des Beschwerdeführers, ob es
ihm zumutbar ist, das Vermögen zur Deckung der Anwaltskosten anzuzehren. Nach
Rechtsprechung und Lehre ist bei der Festsetzung einer Notreserve (sog.
Notgroschen) den massgebenden Verhältnissen des konkreten Falles, wie
namentlich Alter und Gesundheit, Rechnung zu tragen (Urteil B. vom 20.
Dezember 2002, B 52/02; Alfred Bühler, Die Prozessarmut, in: Gerichtskosten,
Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, Bern 2001, S.
154 ff.). Das Bundesgericht und das Eidgenössische Versicherungsgericht haben
in besonderen Fällen Vermögensfreibeträge von Fr. 20'000.- und mehr zuerkannt
(so von Fr. 19'600.- bei einer 82 Jahre alten, geschiedenen Gesuchstellerin
mit einer nicht existenzsichernden AHV-Rente von Fr. 1211.- [Urteil D. vom
29. Mai 1990, 4P.97/1990]; von Fr. 40'000.- bei einem HIV-infizierten, nicht
krankenversicherten Strafgefangenen [plädoyer 1995/1 S. 53]; eine
Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von Fr. 38'800.- bei einer
62jährigen Gesuchstellerin [Urteil B. vom 17. Mai 1993, H 62/93]; ein Betrag
von Fr. 13'903.- bei einer 42 Jahre alten Versicherten mit angeschlagener
Gesundheit, nur knapp ausreichenden Einkünften und bescheidener
Altersvorsorge [Urteil B. vom 20. Dezember 2002, B 52/02]; weitere Fälle bei
Bühler, a.a.O., S. 155). Solche besondere Umstände sind im vorliegenden Fall
nicht gegeben. Der 38 Jahre alte Beschwerdeführer bezog im Zeitpunkt der
vorinstanzlichen Entscheidung über das Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung eine monatliche Rente der Invalidenversicherung (Fr. 1325.-)
und der Pensionskasse der Stadt X.________ (Fr. 1176.-) sowie gemäss
Selbstangaben eine Entschädigung der Lebenspartnerin für die Haushaltführung
(Fr. 721.-), insgesamt also Fr. 3222.-. Bei solchen Verhältnissen kann dem
sich auf mindestens Fr. 39'839.70 belaufenden Vermögen nicht der Charakter
einer Notreserve zuerkannt werden.

4.
Praxisgemäss (RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 157 Erw. 4) werden in Verfahren, welche
die Frage der Gewährung um unentgeltliche Rechtspflege für das kantonale
Gerichtsverfahren zum Gegenstand haben, keine Gerichtskosten erhoben. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den
Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos. Mangels Bedürftigkeit
ist auch das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung für das
letztinstanzliche Verfahren abzuweisen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 152
Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Basel-Stadt, der
Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 2. Dezember 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: