Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 473/2003
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I 473/03

Urteil vom 17. Februar 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Meyer;
Gerichtsschreiberin Fleischanderl

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

F.________, 1958, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 22. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1958 geborene, verheiratete F.________, seit 1. Januar 2001 teilzeitlich
als Kinderbetreuerin und Haushalthilfe in einem Privathaushalt tätig, meldete
sich am 26. Januar 2001 unter Hinweis auf seit 1997 bestehende akute Darm-
und Magenprobleme mit Koliken bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug
an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen holte einen Bericht des Hausarztes
Dr. med. W.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 21. Februar 2001 ein, liess
die Verhältnisse im Haushalt der Versicherten vor Ort abklären (Bericht vom
18. April 2001) und veranlasste eine Begutachtung durch die Medizinische
Abklärungsstelle (MEDAS) (Gutachten vom 23. Oktober 2001). Ferner zog sie in
beruflich-erwerblicher Hinsicht einen Auszug aus dem Individuellen Konto (IK)
sowie Berichte der Arbeitgeberin, Frau M.________ vom 18. Mai 2001 und der
IV-Berufsberaterin vom 20. Dezember 2001 bei. Gestützt darauf verneinte die
Verwaltung - nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens - mit Verfügung vom
4. Februar 2002 eine anspruchsbegründende Invalidität; sie ging dabei von
einer Einschränkung in der mit 60 % gewichteten Erwerbsquote von 17 % sowie
einer Beeinträchtigung im Haushalt von 36 % und damit insgesamt von einer
Invalidität von 25 % (0,6 x 17 % + 0,4 x 36 %) aus.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher F.________ einen weiteren
Bericht des Dr. med. W.________ vom 26. Februar 2002 auflegte, hiess das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 22. Mai 2003
gut, hob die angefochtene Verfügung auf und stellte fest, dass die
Versicherte im Sinne der Erwägungen Anspruch auf eine Invalidenrente habe. Im
Vorfeld hatte Frau M.________ ergänzend eine Beschreibung der
Arbeitssituation vom 28. Februar 2002 zu den Gerichtsakten gereicht.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheides.

F. ________ und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt: die Bestimmungen und Grundsätze zum
Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), zu den Voraussetzungen und zum
Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG, in der bis 31.
Dezember 2003 in Kraft gestandenen Fassung), zur Bemessung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; vgl. auch BGE 128 V 30 Erw.
1), bei Nichterwerbstätigen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 IVG, namentlich im
Haushalt beschäftigten Versicherten, nach der spezifischen Methode des
Betätigungsvergleichs (Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1
und 2 IVV [in der bis Ende 2002 in Kraft gestandenen Fassung]; vgl. auch BGE
104 V 136 Erw. 2a) und bei teilerwerbstätigen Versicherten nach der
gemischten Methode (Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27bis Abs. 1
und 2 IVV [in der vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen,
hier anzuwendenden Fassung]; vgl. insbesondere BGE 125 V 146). Richtig sind
ferner auch die Erwägungen zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen
der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4) sowie zur Beweiswürdigung
und zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw.
3a). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (hier: 4. Februar 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Unter den Verfahrensbeteiligten nunmehr - nach der Aktenlage, insbesondere
des IK-Auszugs, zu Recht - unbestritten ist, dass die Beschwerdegegnerin als
Valide zu 60 % erwerblich und zu 40 % im Haushalt tätig wäre. Zur Ermittlung
des Invaliditätsgrades gelangt daher die gemischte Methode nach Art. 27bis
Abs. 1 IVV zur Anwendung. Einigkeit herrscht letztinstanzlich sodann auch
bezüglich der Arbeitsfähigkeit im Erwerbsbereich, welche sich gestützt auf
die Angaben im MEDAS-Gutachten vom 23. Oktober 2001 unter Berücksichtigung
der physischen und psychischen Befunde auf 50 % in der bisherigen
Beschäftigung als Kinderbetreuerin in einem Privathaushalt sowie in jeder
anderen körperlich leichten Tätigkeit beläuft. Ebenfalls seitens der
Beschwerde führenden IV-Stelle nicht mehr bestritten wird ferner die
Einschränkung im Haushalt, die gemäss Abklärungsbericht vom 18. April 2001
36,12 % beträgt. Es besteht weder auf Grund der vorhandenen Unterlagen noch
der Vorbringen der Parteien - die Beschwerdegegnerin hat letztinstanzlich auf
eine Vernehmlassung verzichtet - Anlass zu einer näheren Prüfung der
genannten Bemessungsfaktoren (BGE 125 V 417 oben).
Im Streite steht demgegenüber die erwerbsbezogene Invalidität. Das kantonale
Gericht beziffert diese unter Annahme eines im Rahmen der 50%igen
Arbeitsunfähigkeitsschätzung - analog den Verhältnissen bei der
Berücksichtigung von statistischen Löhnen - mit 10 % veranschlagten
zusätzlichen Abzugs (10 % von 50 %) auf 33 % (0,6 x 45 %) und setzt die
Gesamtinvalidität auf 47 % fest (33 % + 14,4 % [0,4 x 36,12 %]). Die
IV-Stelle gelangt in Beachtung eines Abzugs von 10 % gleichermassen zu einer
"gewichteten Arbeitsfähigkeit" von 45 %, nimmt angesichts einer
Erwerbstätigkeit der Versicherten im Gesundheitsfall von 60 % jedoch eine
Einschränkung von 25 % ("45 % ist um 25 % kleiner als 60 %") und damit eine
Invalidität im erwerblichen Bereich von 15 % (0,6 x 25 %) an, woraus
gesamthaft ein Invaliditätsgrad von 29,4 % (15 % + 14,4 %) resultiert.

3.
Zu beurteilen ist, wie sich die fachärztlich festgestellte Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit im erwerblichen Bereich auswirkt.

3.1 Rechtsprechungsgemäss sind dabei für den Einkommensvergleich die
Verhältnisse im Zeitpunkt des Beginns eines allfälligen Rentenanspruchs
massgebend, wobei Validen- und Invalideneinkommen auf zeitidentischer
Grundlage zu erheben und allfällige rentenwirksame Änderungen der
Vergleichseinkommen bis zum Verfügungserlass zu berücksichtigen sind (BGE 128
V 174; SVR 2003 IV Nr. 11 S. 33 Erw. 3.1.1 mit Hinweisen). Was den vorliegend
relevanten Zeitrahmen anbelangt, ist zu beachten, dass sich die Versicherte
trotz seit längerem vorhandener Darm- und Magenbeschwerden erst am 26. Januar
2001 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet hat. Da
gemäss Art. 48 Abs. 2 Satz 1 IVG (in bis 31. Dezember 2002 gültigen, hier
massgeblichen Fassung) Leistungen jedoch lediglich für die zwölf der
Anmeldung vorangehenden Monate ausgerichtet werden - Hinweise dafür, dass die
in Art. 48 Abs. 2 Satz 2 IVG statuierte Ausnahmeregelung zum Tragen käme,
bestehen nicht -, entfällt die Zusprechung einer Rente für die Zeit vor dem
1. Januar 2000. Anhaltspunkte für relevante Änderungen der
Vergleichseinkommen bis zum Verfügungserlass vom 4. Februar 2002 sind sodann
nicht ersichtlich.

3.2
3.2.1Was das hypothetische Einkommen ohne Invalidität (Valideneinkommen)
anbelangt, ist auf Grund der im Abklärungsbericht Haushalt vom 18. April 2001
enthaltenen Angaben davon auszugehen, dass die Versicherte auch ohne
gesundheitliche Beeinträchtigungen als Kinderbetreuerin in einem
Privathaushalt tätig wäre. Aus dem Haushaltbericht sowie dem IK-Auszug ergibt
sich ferner, dass die Beschwerdegegnerin u.a. bereits von Januar bis Juni
1997 bei Frau M.________ beschäftigt gewesen ist und während dieser Zeit für
ein 40 %-Pensum insgesamt Fr. 9662.- erhalten hat (vgl. auch den Bericht der
IV-Berufsberaterin vom 20. Dezember 2001). Nach den Auskünften derselben
Arbeitgeberin vom 18. Mai 2001 wurde der Versicherten ab 1. Januar 2001 ein
Stundenlohn von Fr. 24.- ausbezahlt, woraus ein Jahresverdienst von Fr.
48'153.60 (Fr. 24.- x 41,8 Stunden x 48 Wochen) resultiert (so auch die
IV-Stelle in ihrer vorinstanzlichen Vernehmlassung vom 5. April 2002).
Entgegen der vom kantonalen Gericht vertretenen Auffassung sind - abgesehen
vom Beschäftigungsgrad - weder bei den Einkommensverhältnissen des Jahres
1997 noch bei denjenigen des Jahres 2001 Anzeichen vorhanden, dass es sich
dabei um einen auf Grund des Gesundheitszustandes der Versicherten bereits
reduzierten Verdienst gehandelt hätte. Das für 2001 errechnete Jahresgehalt
liegt indessen leicht unter dem Lohn, welcher der Beschwerdegegnerin 1997 im
Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung während eines Jahres ausgerichtet worden
wäre (Fr. 48'310.- [Fr. 9662.- : 4 x 10 x 2]). Es wird deshalb angenommen,
dass sich der Verdienst für das hier massgebliche Vergleichsjahr 2000 in Höhe
des 1997 ausbezahlten Entgeltes bewegt hätte, sodass sich dieses - bezogen
auf ein Pensum als Valide von 60 % - auf Fr. 28'986.- beläuft.

3.2.2 Da die Beschwerdegegnerin auch in Berücksichtigung ihrer
gesundheitlichen Probleme gemäss Aussage der MEDAS-Ärzte weiterhin zu 50 %
als Kinderbetreuerin im bisherigen Umfeld tätig sein könnte (vgl. Erw. 2
hievor), ist das Einkommen, welches sie zumutbarerweise mit ihren
gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage zu
erzielen vermöchte (Invalideneinkommen), auf Fr. 24'155.- (Fr. 48'310.- : 2)
zu veranschlagen. Hinsichtlich des sowohl von der Vorinstanz wie auch von der
IV-Stelle vorgenommenen leidensbedingten Abzugs in Höhe von 10 % ist
anzumerken, dass ein derartiger Abzug bezweckt, ausgehend von statistischen
Werten ein Invalideneinkommen zu ermitteln, welches der im Einzelfall
zumutbaren erwerblichen Verwertung der noch möglichen Verrichtungen im Rahmen
der (Rest-)Arbeitsfähigkeit am besten entspricht (BGE 126 V 79 Erw. 5b/aa).
Im vorliegenden Fall werden zur Ermittlung des Invalideneinkommens indessen
keine tabellarischen Ansätze herangezogen - was im Übrigen auch bei der
Bemessung mittels Prozentvergleichs nicht der Fall ist (zum Prozentvergleich:
BGE 114 V 313 Erw. 3a mit Hinweisen) -, weshalb sich die Frage eines
zusätzlichen Abzugs grundsätzlich nicht stellt (in Bezug auf DAP
[Dokumentation von Arbeitsplätzen der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt]-Zahlen: vgl. BGE 129 V 481 f. Erw. 4.2.3). Da
jedoch auch die Berücksichtigung eines Abzugs von 10 % am Ergebnis nichts zu
ändern vermöchte, braucht dazu nicht abschliessend Stellung genommen zu
werden.
Aus der Gegenüberstellung von Validen- (Fr. 28'986.-) und Invalideneinkommen
(Fr. 24'155.-) resultiert ein Invaliditätsgrad von 17 % (zur Rundung vgl. das
zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehene Urteil R. vom 19.
Dezember 2003, U 27/02) oder bei einem Abzug von 10 % (Invalideneinkommen:
Fr. 21'739.50) ein solcher von 25 %.

3.3 Die - rechtsprechungsgemäss (BGE 125 V 146, bestätigt u.a. in den
ebenfalls Entscheide der heutigen Vorinstanz betreffenden Urteilen D. vom 20.
November 2002, I 532/02, I. vom 25. Oktober 2002, I 245/02, B. vom 16.
September 2002, I 303/02, sowie B. vom 23. Oktober 2001, I 297/01; vgl. auch
die Urteile P. vom 30. Dezember 2003, I 456/03, und I. vom 25. Oktober 2002,
I 245/02) - gewichtete Gesamtinvalidität beläuft sich damit auf 20,4 %,
gerundet 20 %, (6 % [0,6 x 10 %] + 14,4 % [0,4 x 36,12 %]) oder - bei einem
10%igen Abzug - auf 29,4 %, gerundet 29 %, (15 % [0,6 x 25 %] + 14,4 %),
woraus sich kein Rentenanspruch ergibt.
Sollte sich der Gesundheitszustand nach Erlass der Verfügung vom 4. Februar
2002 - wie im Bericht des Hausarztes Dr. med. W.________ vom 26. Februar 2002
und in der Stellungnahme der Frau M.________ zuhanden der Vorinstanz vom 28.
Februar 2002 angedeutet - tatsächlich verschlechtert haben und die
erwerbliche oder haushaltliche Leistungsfähigkeit dadurch weiter
beeinträchtigt worden sein, steht der Versicherten jederzeit der Weg der
Neuanmeldung nach Massgabe von Art. 87 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 IVV
offen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Mai 2003 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 17. Februar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: