Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 470/2003
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I 470/03

Urteil vom 18. Mai 2005
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber
Signorell

M.________, 1946, Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Nidwalden, Stansstaderstrasse 54, 6371 Stans, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Stans

(Entscheid vom 7. April 2003)

Sachverhalt:
Im Rahmen eines Rentenrevisionsverfahrens eröffnete die IV-Stelle Nidwalden
der 1946 geborenen M.________ nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit
Verfügung vom 7. August 2002, der Invaliditätsgrad betrage 55 %, womit sie
weiterhin Anspruch auf eine halbe Rente habe.
Das Versicherungsgericht des Kantons Nidwalden wies eine Beschwerde, mit
welcher die Zusprechung einer höheren Rente beantragt wurde, mit Entscheid
vom 7. April 2003 ab.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt M.________ die Zusprechung einer
ganzen Rente, eventualiter die Vornahme ergänzender Abklärungen.
Die IV-Stelle Nidwalden schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG), die Invaliditätsbemessung bei
Erwerbstätigen nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), die
Rentenrevision (Art. 41 IVG), die praxisgemässen Voraussetzungen an eine
anspruchsrelevante Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und die in
zeitlicher Hinsicht im Revisionsverfahren rechtserhebliche Vergleichsbasis
(BGE 125 V 369 Erw. 2 mit Hinweis) sowie die Rechtsprechung zur Aufgabe des
Arztes und der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw.
4, 115 V 134 Erw. 2 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2002 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 7. August 2002)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b). Aus demselben Grund kommen auch die Bestimmungen der auf
den 1. Januar 2004 in Kraft getretenen 4. IV-Revision im hier zu
beurteilenden Fall nicht zur Anwendung.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob seit der erstmaligen rechtskräftigen
Zusprechung der halben Invalidenrente mit Rentenbeginn am 1. November 1997
bis zum Erlass der eine revisionsweise Erhöhung ablehnenden, vorinstanzlich
bestätigten Verfügung vom 7. August 2002 Änderungen in den tatsächlichen
Verhältnissen eingetreten sind, welche nunmehr gestützt auf Art. 41 IVG den
Anspruch auf eine ganze Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG) begründeten.

3.
3.1 Die IV-Stelle eröffnete am 23. März 2001 von Amtes wegen ein
Revisionsverfahren, indem sie der Beschwerdeführerin einen "Fragebogen für
Rentenrevision" zustellte. Die Versicherte machte geltend, dass sich ihr
Gesundheitszustand verschlechtert habe und dass sie ihre Tätigkeit am
Arbeitsplatz noch nie über 30 % habe ausdehnen können. Im Verlaufsbericht vom
9. April 2001 der behandelnden Ärztin, Dr. med. W.________ wird bestätigt,
dass sich der Gesundheitszustand ab Januar 2000 verschlechtert habe. Als
Diagnosen mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit werden ein
Panvertebralsyndrom (Status nach Operation L4/5 und C5/6 1996) sowie eine
Tendenz zur Generalisierung in Richtung einer generalisierten Tendomyopathie
(Fibromyalgie) genannt. Unter den gegebenen Umständen müsste die
Arbeitsfähigkeit eigentlich auf 20 % reduziert werden. Am 10. August 2001
teilte die IV-Stelle der Versicherten mit, dass die Überprüfung des
Invaliditätsgrades keine rentenbeeinflussende Änderung ergeben habe, weshalb
weiterhin ein Anspruch auf eine IV-Rente aufgrund des bisherigen
Invaliditätsgrades bestehe. Da die Versicherte mit dieser Erledigungsart
nicht einverstanden war, schlug die IV-Stelle am 12. September 2001 vor, dass
sie, um einen langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden, eine medizinische
Abklärung veranlassen werde. Aufgrund der Ergebnisse dieses Gutachtens werde
sie auf den Revisionsentscheid vom 10. August 2001 zurückkommen.

3.2 Am 20. Dezember 2001 erstattete Dr. med. L.________, Facharzt FMH
Rheumatologie und Innere Medizin, der IV-Stelle ein rheumatologisches
Konsilium mit folgenden Diagnosen:
chronisches, therapierefraktäres lumbovertebragenes Syndrom bei
Status nach Spondylodese L4/5
abgeflachter Lendenlordose sowie leichter rechtskonvexer Torsionsskoliose,
chronisches, therapierefraktäres cervikovertebragenes Syndrom bei
Status nach Dekompressions- und Stabilisationsoperation mit Spondylodese C5/6
Streckhaltung und diskret rechtskonvexer Skoliose
diskreter Chondrose C4/5,
Fibromyalgie-Syndrom.
Aus rheumatologischer Sicht ergäben sich damit gegenüber dem Gutachten des
Dr. med. A.________ von 1998 keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte. Die
Versicherte sei als Schuhverkäuferin weiterhin zu 50 % und als Hausfrau zu 30
% arbeitsunfähig; bezüglich Schuhverkäuferin in leitender Position sei ihr
eine Halbtagestätigkeit (4½ Stunden täglich an 5 Tagen der Woche) zumutbar.
Für jede anderweitige körperlich leichte und wechselbelastende Arbeit bestehe
ebenfalls eine 50 %ige Arbeitsunfähigkeit.

In der Beurteilung wies Dr. med. L.________ ausdrücklich darauf hin, dass es
in den letzten 1 bis 1½ Jahren zur Entwicklung eines eigentlichen
Fibromyalgie-Syndroms gekommen sei. Differentialdiagnostisch bestehe die
Möglichkeit einer psychischen Ursache, weswegen er eine zusätzliche
psychiatrische Begutachtung insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit
begrüssen würde.

3.3 Sowohl der Bericht der behandelnden Ärztin Dr. med. W.________ als auch
das Gutachten des Dr. med. L.________ enthalten neue Elemente tatsächlicher
Natur, die auf eine erhebliche, seit der ursprünglichen Rentenverfügung
eingetretene Änderung des medizinischen Sachverhaltes hindeuteten, mithin
Revisionsgründe. Denn im damals massgeblichen Gutachten des Dr. med.
A.________ war weder eine Fibromyalgie noch eine Schmerzverarbeitungsstörung
in irgendeiner Form diagnostiziert worden.

3.4 Nach der Rechtsprechung (BGE 130 V 353 Erw. 2.2.2 mit Hinweisen) können
auch somatoforme Schmerzstörungen unter gewissen Umständen eine
Arbeitsunfähigkeit verursachen. Sie fallen unter die Kategorie der
psychischen Leiden, für die grundsätzlich ein psychiatrisches Gutachten
erforderlich ist, wenn es darum geht, über das Ausmass der durch sie
bewirkten Arbeitsunfähigkeit zu befinden. In Anbetracht der sich mit Bezug
auf Schmerzen naturgemäss ergebenden Beweisschwierigkeiten geht die Praxis
davon aus, dass die subjektiven Schmerzangaben der versicherten Person für
die Begründung einer (teilweisen) Arbeitsunfähigkeit allein nicht genügen;
vielmehr muss im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsprüfung
verlangt werden, dass die Schmerzangaben durch damit korrelierende,
fachärztlich schlüssig feststellbare Befunde hinreichend erklärbar sind. Die
Schmerzangaben müssen also zuverlässiger medizinischer Feststellung und
Überprüfung zugänglich sein. Das Ausmass der durch eine somatoforme
Schmerzstörung bewirkten Arbeitsunfähigkeit wird grundsätzlich gestützt auf
ein psychiatrisches Gutachten festgelegt.

3.5 Indem die IV-Stelle über diesbezügliche Hinweise hinweg ging bzw. diese
als unerheblich betrachtete und das Revisionsverfahren ohne weitere Abklärung
der Auswirkungen des diagnostizierten Fibromyalgie-Syndroms sowie einer
allfälligen psychischen Fehlentwicklung der Versicherten auf die
Arbeitsfähigkeit mit angefochtener Verfügung vom 7. August 2002 abschloss,
verletzte sie Bundesrecht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden, Abteilung
Versicherungsgericht, vom 7. April 2003 und die Verfügung der IV-Stelle
Nidwalden vom 7. August 2002 aufgehoben, und es wird die Sache an die
IV-Stelle Nidwalden zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im
Sinne der Erwägungen über die Rentenrevision neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, dem Bundesamt für
Sozialversicherung und der Ausgleichskasse Nidwalden zugestellt.

Luzern, 18. Mai 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: