Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 467/2003
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I 467/03

Urteil vom 17. November 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

S.________, 1942, Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 4. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 14. Oktober 2002 lehnte die IV-Stelle Bern das am 3. August
2001 unter Hinweis auf seit einem Unfall vom 2. Dezember 1998 bestehende
Fussbeschwerden links gestellte Rentenbegehren der 1942 geborenen,
verheirateten und seit 1969 ausschliesslich im Haushalt tätigen S.________
ab; dies mit der Begründung, im häuslichen Aufgabenbereich, auf den im Rahmen
der Invaliditätsbemessung abzustellen sei, liege gemäss dem Bericht des
Hausarztes Dr. med. F.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 2. August 2002
und dem Abklärungsbericht Haushalt vom 2. September 2002 keine
rentenbegründende Einschränkung vor.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 4. Juni 2003 ab.

C.
S.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag,
in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sowie der Verwaltungsverfügung
sei ihr eine Rente zuzusprechen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne
von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Im
verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur
Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige
Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung
genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise
weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem
Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und
insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw.
1b, je mit Hinweisen).

1.2 Wenn und soweit die Beschwerdeführerin mit ihrem Verweis auf
vorinstanzliche Eingaben Anträge im Zusammenhang mit dem am 3. August 2001
bei der Beschwerdegegnerin eingereichten Gesuch um Hilfsmittel stellt, ist
darauf nach dem Gesagten nicht einzutreten, da im vorliegenden Verfahren -
wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat - auf Grund der Verfügung vom
14. Oktober 2002 lediglich der Anspruch auf eine Rente streitig ist. Mangels
entsprechender Verfügung fehlt es hinsichtlich der Hilfsmittelfrage an einem
beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand und damit an einer
Sachurteilsvoraussetzung.

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über
den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den
Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die
Invaliditätsbemessung bei Nichterwerbstätigen nach Art. 5 Abs. 1 IVG,
namentlich im Haushalt beschäftigten Versicherten, nach der spezifischen
Methode (Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 und 2 IVV, je in
der bis 31. Dezember 2002 geltenden, hier anwendbaren Fassung; vgl. auch BGE
104 V 136 Erw. 2a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist
ferner, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) nach den von der
Rechtsprechung entwickelten intertemporalrechtlichen Regeln (BGE 127 V 467
Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1) in materiellrechtlicher Hinsicht auf den
vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung findet.

3.
Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten zu Recht unbestritten ist, dass die
Beschwerdeführerin auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigung vollumfänglich
im Haushalt beschäftigt wäre, weshalb zur Ermittlung des Invaliditätsgrades
die spezifische Methode nach Art. 27 Abs. 1 und 2 IVV anzuwenden ist.
Uneinigkeit herrscht demgegenüber bezüglich der Einschränkungen im Haushalt,
wie sie vom IV-Abklärungsdienst vor Ort gemäss Bericht vom 2. September 2002
erhoben worden sind.

3.1 In einlässlicher Würdigung der Akten, insbesondere des Berichtes des Dr.
med. F.________ vom 2. August 2002, des Abklärungsberichtes Haushalt vom 2.
September 2002 sowie der Stellungnahmen des Abklärungsdienstes vom 1. Oktober
und 25. November 2002, ist die Vorinstanz, welche sämtliche Einwendungen der
Versicherten eingehend geprüft hat, zum überzeugenden Schluss gelangt, dass
sich die massgebende Behinderung im Haushaltsbereich - den Angaben im
Abklärungsbericht folgend - auf insgesamt 29 % beläuft. Ein Rentenanspruch
ist somit, jedenfalls für diesen Zeitpunkt (vgl. aber Erw. 4 hiernach), nicht
ausgewiesen.

3.2 Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, vermag, soweit
nicht bereits im kantonalen Verfahren entkräftet, an diesem Ergebnis nichts
zu ändern.

3.2.1 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stellt der
Abklärungsbericht Haushalt vom 2. September 2002 (samt den erläuternden
Stellungnahmen des Abklärungsdienstes vom 1. Oktober und 25. November 2002)
eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage im Sinne der Rechtsprechung dar (zu
den Kriterien für beweiskräftige Abklärungen an Ort und Stelle gemäss Art. 69
Abs. 2 IVV: BGE 128 V 93; Urteil C. vom 18. August 2003, I 741/01, Erw. 4.1
mit weiteren Hinweisen). Deshalb kann darauf abgestellt werden, zumal keine
Hinweise für offensichtliche Fehleinschätzungen der Abklärungsperson
bestehen, welche einen richterlichen Ermessenseingriff erforderlich machten.

3.2.2 Nicht beizupflichten ist der Beschwerdeführerin ferner, soweit sie
geltend macht, die von ihrem Ehemann geforderte Unterstützung im Haushalt
gehe über die im Rahmen der Schadenminderungspflicht "üblicherweise"
verlangte Mithilfe von Familienmitgliedern hinaus. Auch im Haushalt tätige
Versicherte haben von sich aus das Zumutbare zur Verbesserung der
Arbeitsfähigkeit beizutragen, indem sie sich eine zweckmässige Arbeitsweise
aneignen, geeignete Haushaltseinrichtungen und Maschinen anschaffen und eben,
sofern sie wegen ihrer Behinderung gewisse Haushaltsarbeiten nur noch mühsam
und mit viel höherem Zeitaufwand erledigen können, ihre Arbeit entsprechend
einteilen und in üblichem Umfang die Mithilfe von Familienangehörigen in
Anspruch nehmen (vgl. auch Rz 3098 des vom BSV herausgegebenen
Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit [KSIH]). Für die
Invaliditätsbemessung ist der Mehraufwand nur relevant, wenn die versicherte
Person während einer zumutbaren Normalarbeitszeit im Haushalt nicht mehr alle
Arbeiten bewältigen kann und daher in wesentlichem Masse auf Fremdhilfe
angewiesen ist (ZAK 1984 S. 135 Erw. 5; Meyer-Blaser, Die Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 222; Urteil S. vom 11. August 2003, I
681/02, Erw. 4.2). Ein invaliditätsbedingter Ausfall darf bei im Haushalt
tätigen Personen somit nur insoweit angenommen werden, als die Aufgaben,
welche nicht mehr erfüllt werden können, durch Drittpersonen gegen Entlöhnung
oder durch Angehörige verrichtet werden, denen dadurch nachgewiesenermassen
eine Erwerbseinbusse oder doch eine unverhältnismässige Belastung entsteht
(Urteil B. vom 30. April 2001, I 215/00, Erw. 2 mit Hinweis auf das nicht
veröffentlichte Urteil I. vom 28. August 1981, I 3/81 [auszugsweise zitiert
in Meyer-Blaser, a.a.O., S. 223]). Die im Rahmen der Invaliditätsbemessung
bei einer Hausfrau zu berücksichtigende Mithilfe von Familienmitgliedern geht
daher weiter als die ohne Gesundheitsschädigung üblicherweise zu erwartende
Unterstützung (Meyer-Blaser, a.a.O., S. 222 f.). In Nachachtung der
Schadenminderungspflicht sind einem Leistungsansprecher daher Massnahmen
zuzumuten, die ein vernünftiger Mensch in der gleichen Lage ergreifen würde,
wenn er keinerlei Entschädigung zu erwarten hätte. Geht es um die Mitarbeit
von Familienangehörigen, ist deshalb stets danach zu fragen, wie sich eine
vernünftige Familiengemeinschaft einrichten würde, sofern keine
Versicherungsleistungen zu erwarten wären (nicht veröffentlichtes Urteil C.
vom 8. November 1993, I 407/92, Erw. 2b; vgl. auch das Urteil S. vom 11.
August 2003, I 681/02, Erw. 4.4 in fine mit weiteren Hinweisen).
Im Abklärungsbericht Haushalt vom 2. September 2002 wird es als zumutbar
erachtet, den Ehemann für verschiedene Entlastungen der Beschwerdeführerin in
den Bereichen Einkauf (Tragen von schweren Sachen/Unterstützung bei
Grosseinkäufen), Ernährung (Reinigung der Küche etc.), Wohnungspflege und
Wäsche (Transport der Wäsche in die Waschküche, Aufhängen der Wäsche,
Staubsaugen, Reinigen des Badezimmers etc.) sowie für die Gartenarbeit
heranzuziehen. Im Lichte der zuvor zitierten Rechtsprechung ist eine
vermehrte Mithilfe des Ehegatten im Haushalt in diesem Umfang durchaus zu
erwarten und zumutbar. Dass die durch den Ehemann übernommenen Aufgaben
diesen in unverhältnismässiger Weise physisch oder psychisch belasten würden
oder zu einer Erwerbseinbusse führten, wird weder geltend gemacht, noch sind
entsprechende Anhaltspunkte aus den Akten ersichtlich.

4.
Kann somit die medizinische und haushaltliche Situation ab spätestens August
2002 (Bericht des Dr. med. F.________ vom 2. August 2002, Abklärungsbericht
Haushalt vom 2. September 2002 [erhoben am 27. August 2002]) schlüssig
beurteilt werden, bleiben auf Grund der vorhandenen Akten indes die
gesundheitlichen Verhältnisse in den vorangegangenen Jahren unklar.

4.1 Wie dem Operationsbericht des Dr. med. H.________, Leitender Arzt
Chirurgie FMH, Chirurgische Abteilung, Spital X.________, vom 3. Dezember
1998 zu entnehmen ist, war die Beschwerdeführerin tags zuvor auf Glatteis
gestürzt und hatte eine - sogleich operativ behandelte -
Trimalleolarluxationsfraktur Weber C rechts erlitten. Bis am 24. Dezember
1998 verblieb die Versicherte im Spital (Austrittsbericht vom 28. Dezember
1998). Dr. med. H.________ führte in seinem Bericht vom 17. November 1999
aus, der postoperative Verlauf gestalte sich infolge einer Wundrandnekrose
kompliziert; die Patientin sei auch nach knapp einem Jahr nicht
beschwerdefrei und leide unter belastungsabhängigen Beschwerden und
Anlaufschmerzen, wobei radiologisch deutliche Arthrosezeichen an der tibialen
Gelenkfläche bestünden. Zwei Wochen nach der Metallentfernung fand der Arzt
am 1. Dezember 1999 zwar stark verbesserte Verhältnisse vor, sprach aber in
seinem Bericht vom 6. Dezember 1999 von einer "radiologisch eindrücklichen
Sprunggelenksarthrose", deren "weitere Entwicklung abzuwarten" bleibe. Im
Bericht des Dr. med. F.________ vom 2. August 2002 ist sodann von sich
wiederholenden Schmerzschüben und einer erheblich eingeschränkten
Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk rechts die Rede, wobei die bisherige
Tätigkeit, wenn auch mit vermehrten Schmerzen bei entsprechender Belastung,
als zumutbar beschrieben wird.

4.2 Aus diesen Unterlagen erhellt, dass sich der Gesundheitszustand der
Beschwerdeführerin im Zeitraum zwischen Dezember 1999 und August 2002
verbessert hat. Nicht feststellbar ist indessen - es liegen für diese 2 ½
Jahre keine medizinischen Unterlagen in den Akten - wie der Genesungsprozess
verlaufen ist und wann die ab August 2002 ausgewiesenen gesundheitlichen
Verhältnisse eingetreten sind, welche, wie in Erw. 3 hievor dargelegt, keinen
Rentenanspruch begründen. Insbesondere lassen sich weder dem Bericht des Dr.
med. F.________ vom 2. August 2002 noch dem Abklärungsbericht Haushalt vom 2.
September 2002 anamnestisch schlüssige Angaben entnehmen.
Da diesbezüglich somit keine abschliessende Beurteilung möglich ist, wird die
Sache zur weiteren Abklärung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen. Sie
wird namentlich Dr. med. F.________, bei welchem die Versicherte seit
Dezember 1998 in Behandlung steht, sowie Dr. med. H.________ um Auskünfte,
insbesondere auch zur damaligen Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin im
Haushalt (anhand der im Bericht Haushalt vom 2. September 2002 aufgeführten
einzelnen Haushaltverrichtungen), ersuchen. Sofern sich daraus Anhaltspunkte
für eine Veränderung des Beschwerdebildes ergeben, wird alsdann eine erneute
Erhebung vor Ort erforderlich sein, welche - vor dem Hintergrund der
ärztlichen Stellungnahmen - über die konkreten Auswirkungen des
gesundheitlichen Prozesses auf die Haushaltstätigkeit Aufschluss zu geben
hat. Was den massgeblichen Zeitrahmen anbelangt, ist zu beachten, dass sich
die Beschwerdeführerin erst am 3. August 2001 bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug angemeldet hat. Gemäss Art. 48 Abs. 2 Satz 1 IVG (in der
bis 31. Dezember 2002 gültigen, hier massgeblichen Fassung) werden Leistungen
jedoch lediglich für die zwölf der Anmeldung vorangehenden Monate
ausgerichtet. - Hinweise dafür, dass vorliegend die in Art. 48 Abs. 2 Satz 2
IVG statuierte Ausnahmeregelung zum Tragen käme, bestehen nicht -, sodass
jede Ausrichtung einer Rente für die Zeit vor dem 1. August 2000 entfällt.

5.
Die Akten gehen daher zur Prüfung eines allfälligen - zeitlich befristeten -
Rentenanspruchs der Beschwerdeführerin für die Zeit ab 1. August 2000 an die
IV-Stelle zurück. Ebenfalls zu beurteilen haben wird die Beschwerdegegnerin
die Zusprechung von Hilfsmitteln im Sinne der Art. 21 f. IVG (vgl. Erw. 1.2
hievor; Ziff. 7.8 des IV-Anmeldeformulars vom 3. August 2001). Im Hinblick
auf eine zukünftige Rente bleibt anzumerken, dass der Versicherten, sollte
sich ihr Gesundheitszustand wieder verschlechtern und die Leistungsfähigkeit
im Haushalt dadurch in vermehrtem Ausmass beeinträchtigt werden, jederzeit
der Weg der Neuanmeldung nach Massgabe von Art. 87 Abs. 4 in Verbindung mit
Abs. 3 IVV offen steht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, in dem
Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Bern vom 4. Juni 2003 sowie die Verfügung vom 14. Oktober 2002 aufgehoben
werden und die Sache an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen wird, damit diese
im Sinne der Erwägungen verfahre und hernach neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 17. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: