Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 463/2003
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I 463/03

Urteil vom 8. Oktober 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Ackermann

B.________, 1951, Beschwerdeführerin, vertreten durch den Verband X.________,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 2. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
B. ________, geboren 1951 und ab August 1999 Arbeitslosenentschädigung
beziehend, meldete sich am 23. Mai 2000 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn holte einen Bericht
des Dr. med. W.________, Rheumatologie und Innere Medizin FMH, vom 29. Mai
2000 sowie einen Zusammenzug der individuellen Konten ein und liess
B.________ einen Fragebogen zur Statusfrage ausfüllen. Nachdem am 5. Oktober
2000 eine Abklärung im Haushalt stattgefunden hatte, veranlasste die
IV-Stelle eine polydisziplinäre Begutachtung in der Medizinischen
Abklärungsstation (MEDAS) des Spitals Y._________ (Gutachten vom 20. März
2001 mit psychiatrischem Teilgutachten vom 8. Februar 2001 und
rheumatologischem Konsilium vom 15. Februar 2001). Wegen mangelnder
subjektiver Eingliederungsfähigkeit stellte die Verwaltung ihre Bemühungen in
beruflicher Hinsicht ein und sprach B.________ - nach erfolgtem Vorbescheid -
mit Verfügung vom 16. Juli 2002 in Anwendung der gemischten Bemessungsmethode
bei einem Invaliditätsgrad von 56 % mit Wirkung ab dem 1. August 2002 eine
halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Mit Verfügungen vom 29. Oktober
2002 gewährte die IV-Stelle für die Zeit vom 1. August 2000 bis zum 31. Juli
2002 ebenfalls eine halbe Rente.

B.
Die dagegen erhobenen Beschwerden vereinigte das Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn und hiess sie mit Entscheid vom 2. Juni 2003 in dem Sinne
gut, dass die Verwaltungsverfügungen aufgehoben wurden und die Sache an die
IV-Stelle zurückgewiesen wurde, damit sie einen Arbeitsversuch in die Wege
leite und - nach Vornahme weiterer Abklärungen - über den Status der
Beschwerdeführerin neu entscheide.

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
teilweiser Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihr mit Wirkung ab
dem 1. Mai 1999 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Sie reicht
gleichzeitig je einen Bericht des Dr. med. M.________, Spezialarzt FMH für
Neurologie, vom 29. Juni 1993, des Dr. med. C.________, Facharzt Neurologie
FMH, vom 25. März 1999, des Dr. med. H.________, Bezirksarzt, vom 19. Juni
2003, des Dr. med. R.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 24. Juni
2003 sowie des Dr. med. A.________, Facharzt Allgemeine Medizin FMH, vom 26.
Juni 2003 zu den Akten.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügungen (hier: Juli und
Oktober 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b),
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar.

1.2 Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), den Rentenbeginn zufolge einer ohne
wesentlichen Unterbruch dauernden Arbeitsunfähigkeit von mindestens 40 %
während eines Jahres (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) sowie die Aufgabe der Ärzte
bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4) zutreffend dargestellt.
Darauf wird verwiesen.

2.
Letztinstanzlich streitig ist allein der Beginn des Rentenlaufes resp. des
Wartejahres gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG. Über den Invaliditätsgrad kann
- entgegen dem Antrag der Versicherten auf Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente - jedoch nicht entschieden werden, da diese Frage vom Resultat
diverser, durch die Vorinstanz veranlasster (und hier nicht angefochtener)
Abklärungen abhängt; insoweit ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
einzutreten.

2.1 Das kantonale Gericht stellt auf die Angaben der MEDAS ab, wonach die
festgestellte Arbeitsunfähigkeit ab dem Jahr 1999 bestehe, und schützt in der
Folge den von der IV-Stelle auf August 1999 gelegten Beginn des Wartejahres.
Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Auffassung, dass sie bereits
lange vor August 1999 arbeitsunfähig gewesen sei und reicht in dieser
Hinsicht diverse Arztberichte ein, die - zum Teil über Jahre rückwirkend -
von einer Arbeitsunfähigkeit ausgehen.

2.2 Die MEDAS nimmt in ihrem Gutachten vom 20. März 2001 eine
Arbeitsfähigkeit von 40 % an und schätzt, dass diese Einschränkung im Jahr
1999 begonnen habe, da ein Arbeitseinsatz im Rahmen der
Arbeitslosenversicherung Anfang Januar 2000 gescheitert sei; jedoch dürfte
"in den zwei bis drei Jahren zuvor ... eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit
bestanden haben (zirka 2/3 bis 3/4)." Die MEDAS stützte sich für diese
Beurteilung auf den von der IV-Stelle eingeholten Bericht des Dr. med.
W.________ vom 29. Mai 2000 sowie auf ihre eigenen Befragungen und
Untersuchungen. Die vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht neu
eingereichten Arztberichte enthalten jedoch konkrete Indizien gegen die
Zuverlässigkeit der Angaben der MEDAS betreffend Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit (vgl. BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb): Auch wenn es sich dabei
um kaum oder gar nicht begründete und zum Teil über Jahre rückwirkend
vorgenommene Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit in den Jahren 1997 bis 1999
handelt und mit dem Vorliegen eines Gesundheitsschadens nicht auch bereits
das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit anzunehmen ist, bestärken diese neuen
Akten doch den Verdacht der MEDAS, dass schon vor 1999 eine für die Anwendung
des Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG massgebende Arbeitsunfähigkeit bestanden haben
könnte. Die IV-Stelle wird deshalb bei den Dres. H.________, A.________ und
R.________ kurze Berichte einholen und diese anschliessend - soweit es
notwendig erscheint - der MEDAS vorlegen, damit sie - in Kenntnis aller
Vorakten - den Beginn der Arbeitsunfähigkeit neu beurteile. Anschliessend
wird die Verwaltung - nach Vornahme der von der Vorinstanz angeordneten
weiteren Abklärungen - neu verfügen.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).

Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens entsprechend stünde der
obsiegenden Versicherten grundsätzlich eine Parteientschädigung zu (Art. 135
in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG). Die Beschwerdeführerin ist mit ihrem
Rechtsbegehren jedoch nur deshalb (teilweise) durchgedrungen, weil sie die
Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit noch nicht in den Akten
liegenden Arztberichten unterlegt hat. In Anwendung der - auch im Rahmen des
Untersuchungsgrundsatzes geltenden - Mitwirkungspflicht (BGE 125 V 195 Erw.
2) hätte die Versicherte die im Sommer 2003 erstellten Berichte der Dres.
H.________, A.________ und R.________ jedoch bereits im Verwaltungsverfahren
oder spätestens im vorinstanzlichen Verfahren veranlassen müssen (sei es
direkt oder indirekt mittels Anzeige an die IV-Stelle). Diesfalls hätten sich
die IV-Stelle und das kantonale Gericht mit diesen ärztlichen Auffassungen
auseinandersetzen müssen, sodass die Verfügung und der vorinstanzliche
Entscheid umfassender ausgefallen wären, was wiederum die Erstellung der
letztinstanzlichen Rechtsschrift - die materiell nur den Beginn des
Wartejahres beschlägt - unnötig (oder zumindest sehr viel einfacher) gemacht
hätte. Die durch das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
infolge der neu eingereichten Arztberichte entstandenen Parteikosten - mithin
der Aufwand zur Erstellung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - waren deshalb
unnötig und sind von der Beschwerdeführerin selber zu tragen (Art. 159 Abs. 5
OG in Verbindung mit Art. 156 Abs. 6 OG; vgl. BGE 125 V 375 Erw. 2b sowie ZAK
1988 S. 400).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist,
insoweit teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn vom 2. Juni 2003, soweit den Rentenbeginn betreffend,
aufgehoben und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Solothurn
zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen, neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 8. Oktober 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: