Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 429/2003
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I 429/03

Urteil vom 29. März 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Lanz

B.________, 1957, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 15. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborene kroatische Staatsangehörige B.________ reiste 1986 in die
Schweiz ein und arbeitete hier zunächst in einer Zimmerei/Sägerei und danach
als Maschinenführer. Wegen eines seit Jahren bestehenden Rückenleidens
meldete er sich im März 1997 erstmals für eine Rente der
Invalidenversicherung an. Dieses Leistungsbegehren wies die IV-Stelle des
Kantons Zürich nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen mit
unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 12. Juni 1998 mangels
rentenbegründender Invalidität ab. B.________ war in der Folge ab 1. Oktober
1998 als Produktionsmitarbeiter im Schichteinsatz bei einem
kunststoffverarbeitenden Betrieb tätig. Nachdem ihm ab Herbst 2000 von
ärztlicher Seite eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden war und die
Arbeitgeberin das Anstellungsverhältnis auf Ende 2000 aufgelöst hatte,
meldete er sich im September 2001 mit Hinweis auf Rücken- sowie
Magenschmerzen und eine Depression erneut zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle holte Berichte der Arbeitgeberin und
des behandelnden Psychiaters sowie einen Auszug aus dem individuellen Konto
ein und sprach B.________ mit Verfügungen vom 12. und 19. Juli 2002 eine
halbe Invalidenrente nebst Zusatzrente für die Ehefrau und zwei Kinderrenten
zu.

B.
Die vom Versicherten hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 15. Mai 2003
ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt B.________, es sei eine
Neubeurteilung gestützt auf ergänzende medizinische Abklärungen vorzunehmen
und ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne
sich weiter zur Sache zu äussern. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat
sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, werden nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 12. und 19. Juli 2002)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt, womit im vorliegenden Fall
auch die Anwendbarkeit des seit 1. Januar 2003 geltenden Bundesgesetzes über
den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) entfällt (BGE 129 V
4 Erw. 1.2). Dasselbe gilt für die Verordnung hiezu (ATSV) und die am 1.
Januar 2004 in Kraft getretene 4. IVG-Revision.

Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze über den
Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG) und dessen Konkretisierung in Bezug
auf geistige Gesundheitsschäden (BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit
Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 298 Erw. 4c) sowie die Voraussetzungen und den
Umfang des Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung (Art. 28 Abs. 1
und Art. 28 Abs. 1bis IVG) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die
Erwägungen über die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten
nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG;
BGE 128 V 30 Erw. 1, 104 V 136 Erw. 2a und b) sowie über die Aufgabe des
Arztes bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit
Hinweisen; AHI 2002 S. 70) und den Beweiswert von ärztlichen Berichten (BGE
125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis). Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass die Zusprechung einer Invalidenrente im Rahmen einer
von der Verwaltung materiell geprüften Neuanmeldung (Art. 87 Abs. 3 und 4
IVV) analog wie bei einem Revisionsfall nach Art. 41 IVG eine seit der
rechtskräftigen Ablehnung eingetretene anspruchsrelevante Veränderung des
Invaliditätsgrades erfordert (BGE 117 V 198 Erw. 3a mit Hinweis; AHI 1999 S.
84 Erw. 1). Weiter ist auf den das Sozialversicherungsverfahren
beherrschenden Untersuchungsgrundsatz hinzuweisen; danach haben die
Verwaltung und im Beschwerdefall das Gericht von Amtes wegen für die richtige
und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen (BGE
125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a, je mit Hinweisen).

2.
2.1 In dem auf das erste Leistungsbegehren vom März 1997 hin eingeholten
Gutachten des Spitals X.________, Rheumaklinik und Institut für Physikalische
Medizin, vom 19. Februar 1998 wurden folgende Diagnosen gestellt: Chronisches
lumbovertebrales Syndroms und Coccygodynie mit intermittierender
lumbospondylogener Ausstrahlung beidseits bei leichter Wirbelsäulenfehlform
und -haltung, leichten degenerativen Veränderungen der unteren
Lendenwirbelsäule sowie muskulärer Insuffizienz und Dekonditionierung. Dieses
Leidensbild habe eine leicht verminderte Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule
zur Folge, weshalb körperliche Schwerarbeiten zu vermeiden seien. Hingegen
sei der Versicherte in der zuletzt ausgeübten körperlich leichten Arbeit
eines Maschinisten, aber auch in jeder anderen leichten und auch
mittelschweren Tätigkeit voll arbeitsfähig.

Dieselbe Einschätzung zur funktionellen Leistungsfähigkeit findet sich im
Bericht vom 1. November 2001, den das Spital Y.________, Rheumaklinik und
Institut für Physiotherapie mit Poliklinik, dem Hausarzt des Versicherten
über dessen stationäre Behandlung vom 27. September bis 19. Oktober 2001
erstattet hat. Die Klinikärzte bestätigten aufgrund der klinischen
Präsentation nach über drei Wochen Hospitalisationsverlauf eine
uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit des Patienten für leichte bis mittelschwere
Tätigkeiten. Sie berücksichtigten dabei neben dem Rückenleiden auch die
weiteren Diagnosen einer Hypertonie und einer beidseitigen - am 31. Oktober
2001 mittels Stosswellen erfolgreich behandelten - Nephrolithiasis sowie den
Status nach rezidivierenden Blutungen ab ano, welchen Leiden auch in den
weiteren Arztberichten keine massgebende Bedeutung für die Arbeitsfähigkeit
zugeschrieben wird.

Gestützt auf die dargelegte Aktenlage kann mit dem erforderlichen Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b) und ohne dass
hiefür weitere medizinische Abklärungen angezeigt wären (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweis; vgl.
auch BGE 127 V 494 Erw. 2c) ausgeschlossen werden, dass sich der somatische
Gesundheitszustand des Versicherten zwischen der erstmaligen
Rentenverweigerung vom 12. Juni 1998 und den hier streitigen Verfügungen vom
12. und 19. Juli 2002 in einer anspruchsrelevanten Weise verschlechtert hat.
An dieser Betrachtungsweise vermögen die zu dieser Frage wenig
aussagekräftigen hausärztlichen Berichte nichts zu ändern.

2.2 Eine psychische Symptomatik stand im Zeitpunkt der den Anspruch auf eine
Invalidenrente verneinenden Verfügung vom 12. Juni 1998 noch nicht zur
Diskussion. Mit Bericht vom 26. April 2001 an den Hausarzt äusserte Dr. med.
K.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, welcher den
Versicherten seit Dezember 2000 behandelt, die Diagnose einer zeitweise
mittelgradigen, zeitweise schwergradigen reaktiven Depression mit zeitweiser
Suizidalität im Rahmen multipler körperlicher Schmerzzustände. Am 27. Oktober
2001 präzisierte der Psychiater gegenüber der IV-Stelle, die Arbeitsfähigkeit
des Beschwerdeführers sei aufgrund einer seit September/Oktober 2000
bestehenden, mittel- bis schwergradigen depressiven Störung (IDC-10: F33.2)
beeinträchtigt. Dr. med. K.________ gab überdies an, dem Versicherte sei in
einer behinderungsangepassten Arbeit eine halbtägige Erwerbstätigkeit
zumutbar. Gestützt auf diese Aussage ging die Verwaltung davon aus, dem
Beschwerdeführer könne eine angepasste Tätigkeit zu 50 % ausüben, welche
Annahme sie der Invaliditätsbemessung gemäss den streitigen Verfügungen vom
12. und 19. Juli 2002 zugrunde legte. Darin wird sie vom kantonalen Gericht
bestätigt. Nun hat allerdings Dr. med. K.________ im Bericht vom 27. Oktober
2001 auch die Rubrik "es ist keine Tätigkeit mehr zumutbar" angekreuzt.
Soweit sich diese Angabe auf die bisherige Berufstätigkeit bezieht (wofür der
Aufbau der Rubrik spricht), steht sie im Einklang mit der Attestation einer
behinderungsangepassten Tätigkeit halbtags. Damit kontrastiert aber die
weitere Aussage, es müsse prognostisch "mit einer fortgesetzten bis dauernden
vollen Arbeitsunfähigkeit gerechnet werden". Diese Unklarheiten in der
spezialärztlichen Berichterstattung lassen sich nach Lage der Akten nicht
schlüssig erklären.

Die Berichte des Psychiaters können nach dem Gesagten nicht als zuverlässige
Grundlage für die Beantwortung der Frage dienen, in welchem Umfang der
Versicherte wegen eines seelischen Leidens bedingt in seiner
Arbeitsunfähigkeit beeinträchtigt ist. Entgegen der vom Beschwerdeführer
vertretenen Auffassung gestatten die genannten und die weiteren
Stellungnahmen des Dr. med. K.________ auch nicht den Schluss auf eine volle
Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen. Denn soweit sich der Facharzt
jeweils zur Frage der funktionellen Leistungsfähigkeit geäussert und eine
solche gänzlich verneint hat, ging er stets davon aus, dass diese auch aus
somatischer Sicht wegen eines Rückenleidens erheblich beeinträchtigt sei, was
nicht zutrifft (Erw. 2.1 hievor).

2.3 Zusammenfassend erweist sich der medizinische Sachverhalt als zu wenig
abgeklärt. Es fehlt an einer klaren und überzeugend begründeten, unter
Berücksichtigung auch der somatisch-medizinischen Situation abgegebenen
psychiatrischen Aussage als Grundlage für die Beurteilung, ob sich der
seelische Gesundheitszustand seit der Verfügung vom 12. Juni 1998 in einer
anspruchsrelevanten Weise verschlechtert hat. Die IV-Stelle hat die Akten
entsprechend zu ergänzen und über den Leistungsanspruch neu zu befinden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen,
dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15.
Mai 2003 und die Verfügungen der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 12. und 19.
Juli 2002 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich
zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der
Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 29. März 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: