Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 416/2003
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I 416/03

Urteil vom 17. November 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Hadorn

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, 1988, Beschwerdegegner, vertreten durch den Vormund A.________

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich,
Winterthur

(Entscheid vom 30. April 2003)

Sachverhalt:

A.
S. ________ (geb. 1988) leidet an psychischen Problemen. Die IV-Stelle des
Kantons Zürich sprach ihm medizinische Massnahmen (Psychotherapie von August
1995 bis August 1997 und vom 12. Oktober 1998 bis 31. Oktober 2000,
anschliessend einjährige Verlängerung bis Ende Oktober 2001) zu. Mit
Verfügung vom 15. November 2002 lehnte sie es ab, diese Massnahme über
Oktober 2001 hinaus zu verlängern.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. April 2002 insofern gut, als es die
Sache zu näheren Abklärungen im Sinne der Erwägungen und neuer Verfügung an
die IV-Stelle zurückwies.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
kantonale Entscheid sei aufzuheben.
Während S.________ auf eine Vernehmlassung verzichtet, schliesst das
Bundesamt für Sozialversicherung auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat die gesetzlichen Bestimmungen
zum Anspruch auf medizinische Massnahmen im Allgemeinen (Art. 12 Abs. 1 IVG)
und bei nichterwerbstätigen Personen vor vollendetem 20. Altersjahr (Art. 5
Abs. 2 IVG) im Besonderen sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 105 V
20; vgl. auch AHI 2003 S. 104 Erw. 2, 2000 S. 64 Erw. 1) zutreffend
dargelegt. Richtig ist sodann, dass ATSG und ATSV vorliegend nicht anwendbar
sind. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf medizinische Massnahmen ab 1.
November 2001.

2.1 Die Vorinstanz erwog, dass nicht ausreichend abgeklärt worden sei, ob
gestützt auf Art. 12 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG weiter-hin
medizinische Massnahmen zu Lasten der Invalidenversicherung in Frage kämen.
Die Verwaltung habe daher ein Gutachten einzuholen, welches sich unter
anderem über die Dauer der ins Auge gefassten Therapie äussern und die Frage
beantworten müsse, ob sich im heutigen Zeitpunkt eine zuverlässige Prognose
über den Erfolg der Therapie stellen lasse. Die IV-Stelle hält demgegenüber
weitere Untersuchungen für entbehrlich, da Massnahmen nach Art. 12 in
Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG insbesondere deshalb nicht länger gewährt
werden könnten, da es vorliegend um eine Behandlung von zeitlich unbestimmter
Dauer gehe. Auch bleibe die Prognose ungewiss.

2.2 Nichterwerbstätige minderjährige Versicherte gelten als invalid, wenn ihr
Gesundheitsschaden wahrscheinlich eine Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben
wird (Art. 5 Abs. 2 IVG). Nach der Rechtsprechung können daher medizinische
Vorkehren bei Jugendlichen schon dann überwiegend der beruflichen
Eingliederung dienen und trotz des einstweilen noch labilen Leidenscharakters
von der Invalidenversicherung  übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren
eine Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisierter Zustand einträte,
wodurch die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit oder beide beeinträchtigt
würden (AHI 2003 S. 105 Erw. 2, 2000 S. 64 Erw. 1 mit Hinweisen). In diesem
Sinne werden die Kosten der psychiatrischen Behandlung Minderjähriger von der
Invalidenversicherung getragen, wenn das psychische Leiden mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu einem schwer korrigierbaren, die spätere Ausbildung und
Erwerbsunfähigkeit erheblich behindernden oder gar verunmöglichenden stabilen
pathologischen Zustand führen würde. Umgekehrt kommen medizinische Massnahmen
der Invalidenversicherung auch bei Minderjährigen nicht in Betracht, wenn
sich solche Vorkehren gegen psychische Krankheiten richten, welche nach
heutiger Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft ohne kontinuierliche
Behandlung nicht dauerhaft gebessert werden können. Dies trifft unter anderem
auf Schizophrenien zu (AHI 2000 S. 64 Erw. 1). Es darf keine Therapie von
unbeschränkter Dauer oder zumindest über eine längere Zeit hinweg in Frage
stehen, bei der sich hinsichtlich des damit erreichbaren Erfolges keine
zuverlässige Prognose stellen lässt (AHI 2003 S. 106 Erw. 4b).

2.3 Gemäss Bericht von Dr. med. F.________, Spezialarzt für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, -psychotherapie, vom 4. Mai 1999 leidet der Versicherte
seit dem Alter von etwa 4 Jahren an massiven Verhaltensstörungen mit
Entwicklungsrückstand bei Deprivation. Von August 1995 bis August 1997 wurde
er wegen eines Psychoorganischen Syndroms (POS) behandelt. Diese Diagnose
wurde in der Folge nicht mehr als zutreffend erachtet. Als Ursache für die
weiterhin persistierenden psychischen Probleme gab Dr. F.________ im
erwähnten Bericht die Folgen einer massiven Deprivation an. Seit Oktober 1997
erhielt der Versicherte eine intensive ambulante Psychotherapie. Im Herbst
1998 trat eine starke Verschlechterung in Arbeitshaltung und Konzentration
ein, weshalb die Invalidenversicherung vom 12. Oktober 1998 bis Ende Oktober
2000 Psychotherapie gewährte. Diese Massnahme wurde anschliessend um ein Jahr
verlängert, nachdem Dr. F.________ im Bericht vom 30. Oktober 2000 davon
ausging, die ambulante Psychotherapie mit Verhaltenstherapieansatz sei
voraussichtlich noch bis Juli 2001 notwendig. Laut Bericht von Frau Dr. phil.
X.________, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, vom 6. September 2002 sei
es im November 2001 zu einem starken Leistungsabfall gekommen, welcher bis
Februar 2002 gedauert habe. In der gegenwärtigen Situation bedürfe der
Versicherte weiterhin dringend der therapeutischen Betreuung. Daher
beantragte Dr. X.________ die Verlängerung der IV-Leistungen für
Psychotherapie für die nächsten zwei Jahre.

2.4 Angesichts dieser Krankengeschichte ist erstellt, dass dem Versicherten
keine günstige Prognose gestellt werden kann. Immer wieder kam es in der
Vergangenheit zu Rückfällen. Die Therapien dauern nun bereits seit 1995 an
und sind gemäss Bericht von Dr. X.________ vom 6. September 2002 mindestens
bis ins Jahr 2004 weiterzuführen. Der von Dr. F.________ in Aussicht
gestellte Erfolg der Behandlung erscheint daher ungewiss. Unter solchen
Umständen liegt keine zeitlich ausgedehntere Behandlung vor, bei welcher sich
eine zuverlässige Prognose stellen liesse. Damit erübrigen sich weitere
Abklärungen, da die Invalidenversicherung unter Art. 12 in Verbindung mit
Art. 5 Abs. 2 IVG ohnehin nicht mehr leistungspflichtig ist (vgl. AHI 2003 S.
106 Erw. 4b).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. April 2002 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 17. November 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: