Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 414/2003
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I 414/03

Urteil vom 13. August 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiberin
Amstutz

L.________, 1954, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Heidi
Koch-Amberg, Stauffacherstrasse 1, 6020 Emmenbrücke,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 8. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 7. Januar 2002 sprach die IV-Stelle Luzern dem 1954
geborenen L.________ - auf dessen bereits am 18. Juli 1996 erfolgte erste
Neuanmeldung mangels Glaubhaftmachung einer erheblichen Verschlechterung des
bisher als nicht anspruchsbegründend beurteilten Gesundheitszustands nicht
eingetreten worden war (unangefochten gebliebene Verfügung vom 18. September
1996) - in Anerkennung einer seit Juni 1996 bestehenden 100 %igen Invalidität
sowie unter Berücksichtigung der Vorschriften über die verspätete Anmeldung
rückwirkend per 1. September 1999 eine ganze Invalidenrente zu.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung der Verfügung
vom 7. Januar 2002 und Zusprechung einer ganzen Rente mit Wirkung ab 1.
August 1992 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom
8. Mai 2003 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt L.________ sein vorinstanzliches
Rechtsbegehren erneuern; des Weitern ersucht er um Gewährung der
unentgeltliche Rechtspflege.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Zu prüfender Streitpunkt ist letztinstanzlich einzig, ob und gegebenenfalls
inwieweit vor dem 1. September 1999 Anspruch auf Nachzahlung von
Rentenleistungen besteht.

2.
2.1 Fest steht, dass der Beschwerdeführer sich nach rechtskräftiger Ablehnung
eines bereits 1993 gestellten ersten Rentengesuchs sowie einer auf
Neuanmeldung vom 18. Juli 1996 hin ergangenen, unangefochten in Rechtskraft
erwachsenen Nichteintretensverfügung vom 19. September 1996 erst am 18.
September 2000 wieder zum Leistungsbezug angemeldet hat. Gestützt auf diese
Sachlage sind Vorinstanz und Verwaltung in bundesrechtkonformer Anwendung der
- vor Inkrafttreten des Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 am 1. Januar 2002 gültig
gewesenen und hier nach den Regeln des intertemporalen Rechts und des
zeitlich massgebenden Sachverhalts anwendbaren (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V
366 Erw. 1b) - Bestimmungen über die Entstehung des Rentenanspruchs (Art. 29
Abs. 1 IVG; vgl. BGE 121 V 272 Erw. 6; AHI 1998 S. 124 Erw. 3c), den Beginn
der Rentenzahlungen im Allgemeinen (Art. 29 Abs. 2 IVG) und deren Nachzahlung
im Falle verspäteter Anmeldung (Art. 48 Abs. 2 IVG) korrekt zum Schluss
gelangt, dass der Tatbestand verspäteter Anmeldung erfüllt ist und sich der
gemäss Art. 48 Abs. 1 IVG (vgl. BGE 121 V 195) nicht verwirkte Anspruch des
mindestens seit Juni 1996 vollständig erwerbsunfähigen Beschwerdeführers auf
Nachzahlung von Rentenleistungen lediglich auf die letzten der Neuanmeldung
vorangehenden zwölf Monate erstreckt (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 IVG), mithin ab
1. September 1999 besteht. Der Beschwerdeführer behauptet zu Recht nicht, es
liege der weitergehende Nachzahlungen rechtfertigende Ausnahmetatbestand
gemäss Art. 48 Abs. 2 Satz 2 IVG vor, zumal nach Lage der Akten davon
auszugehen ist, dass der Versicherte vom anspruchsbegründenden Sachverhalt,
d.h. von seiner vorwiegend psychischen Gesundheitsstörung einschliesslich
deren leistungsspezifischen Tragweite bereits 1996 tatsächlich Kenntnis hatte
(Neuanmeldung von 18. Juli 1996; vgl. BGE 100 V 120 Erw. 2c; ZAK 1984 S. 404
f. Erw. 1; zuletzt Urteile G. vom 13. Mai 2003 [I 105/03] Erw. 3; H. vom 13.
April 2003 [I 61/01] Erw. 3).

2.2 Eine vor 1. September 1999 zurückreichende Nachzahlung lässt sich
entgegen dem beschwerdeführerischen Standpunkt nicht aus dem Argument
herleiten, die Verwaltung sei auf die erste (rechtzeitige) Neuanmeldung des
Versicherten vom 18. Juli 1996 zu Unrecht nicht eingetreten. Selbst wenn
zuträfe, dass die Verwaltung aufgrund des Hinweises im betreffenden
Anmeldeformular auf die bis anhin verneinte "psychische Arbeitsunfähigkeit",
insbesondere den vom 4. Juni bis 16. Juli 1996 dauernden Aufenthalt im
Psychiatriezentrum X.________ gehalten gewesen wäre, das erneute
Rentenbegehren des Versicherten materiell näher abzuklären, bleibt es dabei,
das die Nichteintretensverfügung der IV-Stelle vom 19. September 1996 -
worauf es allein ankommt - tatsächlich unangefochten geblieben war und in
Rechtkraft erwuchs, womit der Anmeldung vom 18. Juli 1996 nach den
zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz keine anspruchswahrende Wirkung für
die Folgezeit zukommt (ZAK 1965 S. 384, bestätigt im Urteil K. vom 3. Juni
1991 [I 367/90]). Ein prozessual-revisionsrechtliches Zurückkommen auf die
Verfügung vom 19. September 1996 fällt mangels unverschuldet unentdeckt
gebliebener, vorbestandener neuer Tatsachen oder Beweismittel ausser Betracht
(BGE 122 V 273 Erw. 4 mit Hinweis, 121 V 469 Erw. 2c). Zur - allein im
pflichtgemässen Ermessen der Verwaltung liegenden (BGE 117 V 12 Erw. 2a mit
Hinweisen; vgl. auch BGE 119 V 479 Erw. 1b/cc; ZAK 1985 S. 58, 1986 S. 597;
Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, S. 262). -
Wiedererwägung der Nichteintretensverfügung (wegen zweifelloser Unrichtigkeit
und erheblicher Bedeutung ihrer Berichtigung) kann das Gericht die
Beschwerdegegnerin nicht verhalten.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung ist zu entsprechen (Art. 152 Verbindung mit Art. 135 OG), da
die Bedürftigkeit aktenkundig ist und auch die übrigen
rechtsprechungsgemässen Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 128 I 232 ff. Erw.
2.5, 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird  Rechtsanwältin
Heidi Koch-Amberg, Emmenbrücke, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 13. August 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: