Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 370/2003
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I 370/03

Urteil vom 16. Dezember 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

A.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch lic. iur. Max S. Merkli,
Praxis für Sozialversicherungsrecht, Schaffhauserstrasse 345, 8050 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 4. April 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1959 geborene, vom 1. September 1997 bis 31. März 2001 als Glasschleifer
bei der Firma B.________ AG, tätig gewesene A.________ meldete sich am 29.
Juni 2000 unter Hinweis auf eine am 2. März 2000 erlittene Verletzung an der
rechten Hand bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die
IV-Stelle des Kantons Thurgau klärte die Verhältnisse in medizinischer sowie
beruflich-erwerblicher Hinsicht ab, wobei sie u.a. Berichte des Dr. med.
C.________, Handchirurgie FMH, Leitender Arzt Handchirurgie, Chirurgische
Klinik und Poliklinik des Spitals Z.________, (vom 6. und 14. März 2001)
beizog. Mit unangefochten gebliebener Verfügung vom 25. Juni 2001 verneinte
sie den Anspruch auf berufliche Massnahmen, da der Versicherte am 23. April
2001 für 2 ½ Jahre in den Strafvollzug eingetreten sei und während dieser
Zeit keine entsprechenden Vor-kehren getroffen werden könnten. Insbesondere
gestützt auf ein in der Folge bei den Dres. med. D.________ und E.________,
Klinik Y.________, eingeholtes Gutachten (vom 6. März 2002) beschied die
IV-Stelle - nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens - basierend auf einem
Invaliditätsgrad von 21 % auch das Rentenersuchen abschlägig (Verfügung vom
30. September 2002).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher A.________ einen Bericht des Dr.
med. F.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, Wetzikon, vom 15. Januar
2003 sowie eine Stellungnahme des G.________, Strafanstalt X.________, vom
20. Januar 2003 auflegen liess, wies AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 4. April 2003 ab.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sowie der Verwaltungsverfügung vom
30. September 2002 sei ihm ab März 2001 eine Viertelsrente zuzusprechen;
eventuell sei die Sache zur ergänzenden Abklärung in medizinischer, vor allem
aber berufli-cher Hinsicht an die IV-Stelle zurückzuweisen.

Während die Rekurskommission auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichten die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung
- Erstere unter Verweis auf den vorin-stanzlichen Entscheid sowie ihre
kantonale Beschwerdeantwort vom 2. Dezember 2002 - auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In der Verfügung vom 30. September 2002, der Beschwerdeantwort der IV-Stelle
vom 2. Dezember 2002 sowie - ergänzend - im angefochtenen kantonalen
Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen und
den Umfang des Renten-anspruches (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die
Ermittlung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommens-vergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; vgl. auch BGE 128 V 30 Erw.
1), die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der
Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4) sowie die Beweiswürdigung und
den Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 122 V 160 Erw. 1c;
AHI 2000 S. 151 f. Erw. 2b und c; vgl. auch BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist ferner, dass das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) nach den von der Rechtsprechung entwickelten
intertemporalrechtlichen Regeln (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen) in
materiellrechtlicher Hinsicht auf den vorliegenden Sachverhalt nicht
anwendbar ist.

2.
2.1 Nach Lage der medizinischen Akten, namentlich dem auf Ersu-chen des
Versicherten eingeholten Gutachten der Dres. med. H.________ und E.________
vom 6. März 2002, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - mit
Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit - an chronisch intermittierenden
Schmerzen im Bereich des Ringfingers und Handgelenkes rechts bei Status nach
Algodystrophie, nach Naht der Fingerflexoren IV, Rekonstruktion des
A2-Ringbandes IV, nach Naht der radio-palmaren Digitalarterie IV und der
beiden palmaren Digitalnerven IV sowie nach Schnittverletzung Ringfinger
rechts am 2. März 2000 leidet. Hinsichtlich sämtlicher körperlich leichten,
wechselbelastenden Tätigkeiten, soweit sie ohne Kraftarbeiten mit dem rechten
Arm, Vibrationen, häufiges Treppensteigen oder Kälteeinfluss vorgenommen
werden können, attestieren die Gutachter ihm seit dem 21. Februar 2001 eine
vollumfängliche Arbeitsfähigkeit.

2.2 Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen erhobenen Einwände
vermögen zu keinem anderen Schluss zu führen. Insbeson-dere ist dem Gutachten
der Dres. med. D.________ und E.________ - wie die Rekurskommission mit
einlässlicher und sorgfältiger Begründung erwogen hat - voller Beweiswert
zuzuerkennen (vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a). Wenn der Beschwerdeführer unter
Berufung auf die Aussagen des Dr. med. C.________ (vom 6. und 14. März 2001)
eine Arbeitsfähigkeit in einer den Leiden angepassten Beschäftigung von
lediglich 85 % behauptet, ist ihm entgegenzuhalten, dass die von ihm geltend
gemachten Rücken- und Kniebeschwerden sehr wohl seitens der Gutachter
D.________ und E.________ berücksichtigt, aber eben als ohne Auswirkungen auf
das erwerbliche Leistungsvermögen bewertet worden sind. Was ferner die auf
eine Mittelohrentzündung im Jahre 1995 zurückzuführende vollständige
Gehörlosigkeit rechts anbelangt, traten die damit verbundenen Beschwerden wie
Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit gemäss Bericht des Dr. med.
F.________ (vom 15. Januar 2003) erstmals im Jahre 2000 alle zwei Monate
einmal auf und schränkten die Arbeitsfähigkeit zu dieser Zeit, wie mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, auf Grund ihrer Seltenheit
nicht erheblich ein; erst "in letzter Zeit" (Datum der Untersuchung: 29.
November 2002) hätten diese an Häufigkeit zugenommen ("2 - 3 x pro Woche"),
welchem Umstand indessen im vorliegenden Verfahren nicht Rechnung zu tragen
ist, da sich die Rechtmässigkeit einer Verwaltungsverfügung nach dem
Sachverhalt beurteilt, der zur Zeit deren Erlasses gegeben war (hier: 30.
September 2002), wohingegen eine spätere Änderung der Verhältnisse
grundsätzlich Gegenstand einer neuen Verfügung zu bilden hat (BGE 121 V 366
Erw. 1b mit Hinweisen). Sofern der Versicherte zur Begründung seiner
Leistungseinbusse im Weiteren auf die Stellungnahme des G.________ vom 20.
Januar 2003 verweist, bleibt festzuhalten, dass - wie hernach noch
aufzuzeigen ist (vgl. Erw. 3.2) - selbst die Annahme einer um 15 %
reduzierten Arbeitsfähigkeit in einer leidensadaptierten Tätigkeit am
Ergebnis nichts ändern würde.

3.
Hinsichtlich der erwerblichen Auswirkungen der festgestellten Ein-schränkung
der Arbeitsfähigkeit gilt es mit dem Beschwerdeführer zu berücksichtigen,
dass rechtsprechungsgemäss (BGE 128 V 174; SVR 2003 IV Nr. 11 S. 33 Erw.
3.1.1 mit Hinweisen) für die Vornahme des Einkommensvergleichs grundsätzlich
auf die Gegebenheiten im Zeitpunkt des allfälligen Rentenbeginns abzustellen
ist. Angesichts des am 2. März 2000 erlittenen Unfalles sind somit nach
Massgabe des Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG die Vergleichseinkommen des Jahres
2001 massgeblich.

3.1 Wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtig dargelegt wird, beläuft
sich das hypothetische Einkommen, welches der Versicherte im Jahre 2001 ohne
Gesundheitsschaden bei seiner ehemaligen Arbeitgeberin zu erzielen vermocht
hätte (Valideneinkommen; vgl. auch RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 f. Erw. 3b mit
Hinweis), laut Auskunft der I.________ AG vom 30. Oktober 2002 (Telefax) auf
Fr. 58'790.- ([Fr. 4130.- Grundlohn x 13] + [Fr. 425.- Schichtzulage x 12]).

3.2 Zur Bestimmung des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarer-weise bei
ausgeglichener Arbeitsmarktlage noch realisierbaren Ein-kommens
(Invalideneinkommen) sind vorliegend Tabellenlöhne heran-zuziehen (BGE 126 V
76 f. Erw. 3b/aa und bb mit Hinweis). Gemäss Tabelle TA1 der vom Bundesamt
für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2000
betrug der monat-liche Bruttolohn (Zentralwert, basierend auf 40
Wochenstunden) für Arbeitnehmer mit einfachen und repetitiven Tätigkeiten
(Anforderungs-niveau 4) im privaten Sektor Fr. 4437.-, was umgerechnet auf
die betriebsübliche durchschnittliche Arbeitszeit von 41,7 Stunden (Die
Volkswirtschaft, 11/2003, S. 98, Tabelle B9.2) sowie in Berücksichtigung der
Nominallohnentwicklung für Männer von 2,4 % (Die Volkswirtschaft, a.a.O., S.
99, Tabelle B10.3; BGE 129 V 410 Erw. 3.1.2 und 4.2 in fine) einem Einkommen
für das Jahr 2001 von Fr. 56'839.- entspricht. Was den Abzug vom Tabellenlohn
betrifft (vgl. dazu BGE 126 V 78 ff. Erw. 5 mit Hinweisen), kommt ein solcher
unter dem Titel der leidensbedingten Einschränkung in Betracht, weil der
Beschwerdeführer zufolge der gesundheitlichen Beeinträchtigung auch im Rahmen
einer angepassten leichteren Tätigkeit zu keiner konstanten und vollen
Leistung fähig ist. Nicht ins Gewicht fallen demgegenüber das Alter, die
Dienstdauer und die Nationalität des seit 1987 in der Schweiz erwerbstätig
gewesenen, über eine Niederlassungsbewilligung verfügenden Versicherten. Der
Abzugsgrund der Teilzeitbeschäftigung ist ebenfalls zu verneinen, weil ihm
die Ausübung einer leichteren Tätigkeit auch ganztags möglich und zumutbar
ist (vgl. Erw. 2 hievor). Der von Vorinstanz und Verwaltung zugestandene
Abzug von insgesamt 10 % trägt somit allen einkommensbeeinflussenden
Merkmalen Rechnung und ist im Rahmen der Angemessenheitskontrolle nicht zu
beanstanden (Art. 132 lit. a OG; BGE 114 V 316 Erw. 5a mit Hinweisen). Es ist
demzufolge von einem massgeblichen Invalideneinkommen von Fr. 51'155.10
auszugehen, woraus im Vergleich zum Valideneinkommen von Fr. 58'790.- ein
Invaliditätsgrad von 13 % resultiert. Selbst wenn im Übrigen eine um 15 %
eingeschränkte Arbeitsfähigkeit anzunehmen wäre und ein höchstzulässiger
Abzug von 25 % vorgenommen würde, ergäbe sich hieraus keine rentenbegründende
Invalidität.

3.3 Da angesichts dieser Sachlage von ergänzenden Beweisvorkehren - wie in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Blick auf weitere medizinische und
berufliche Abklärungen eventualiter beantragt - keine neuen Erkenntnisse zu
erwarten sind, kann darauf verzichtet werden (antizipierte Beweiswürdigung;
SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b mit Hinweisen auf BGE 124 V 94 Erw. 4b und
122 V 162 Erw. 1d). Es muss folglich bei der Feststellung bleiben, dass es an
den Voraussetzungen für eine Rente der Invalidenversicherung fehlt. Was den
Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen anbelangt, wurde dieser mit
Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 25. Juni 2001 lediglich für die Zeit des
Strafvollzugs verneint, sodass nach Beendigung desselben ein erneutes Gesuch
jederzeit möglich ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau, der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 16. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: