Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 359/2003
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I 359/03

Urteil vom 26. Januar 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Hadorn

S.________, 1965, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland
Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 8. April 2003)

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 5. März 2002 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau
S.________ (geb. 1964) eine ganze IV-Rente vom 1. September bis 30. November
1999 sowie eine halbe IV-Rente ab 1. Oktober 2000 zu.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 8. April 2003 ab.

S. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei
ihm ab 1. Oktober 2000 eine ganze IV-Rente zuzusprechen. Zudem ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Versicherungsgericht hat die gesetzlichen Vorschriften zum
Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Umfang des Rentenanspruchs
(Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG in der bis 31. Dezember 2003 in Kraft
gestandenen Fassung), zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der Methode
des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie die Rechtsprechung zur
Bedeutung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V
134 Erw. 2), zum wirtschaftlichen Charakter des Invaliditätsbegriffs (BGE 121
V 331 Erw. 3b) und zum Abzug von maximal 25% von den Tabellenlöhnen bei der
Ermittlung des hypothetischen Invalideneinkommens (vgl. BGE 126 V 80 Erw.
5b/cc) richtig dargelegt. Ferner trifft zu, dass ATSG und ATSV
materiellrechtlich nicht anwendbar sind. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad.

2.1 Auf Grund der insoweit übereinstimmenden medizinischen Unterlagen steht
fest, dass der Beschwerdeführer wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen
keine körperlich schweren Arbeiten mehr verrichten kann. Die ursprünglich
ausgeübte Tätigkeit als Gerüstmonteur ist ihm daher nicht mehr zuzumuten.
Hingegen ist nach den eingehenden beruflichen Abklärungen, namentlich
gestützt auf den Bericht der Institution X.________ vom 13. Oktober 2000,
erwiesen, dass der Versicherte in einer angepassten Tätigkeit noch eine
Leistung von annähernd 50% zu erbringen vermag. Laut dem erwähnten Bericht
hat der Beschwerdeführer nach einem anfänglichem Halbtagespensum seine
Arbeitszeit ohne Anzeichen einer gesundheitlichen Verschlechterung auf 5½
Stunden im Tag gesteigert, was 68% eines 8-Stunden-Tages entspricht, und
dabei eine Leistung von 70% erbracht, somit effektiv 48% eines
Ganztagespensums (0,68 x 70%) zu leisten vermocht. Darauf ist abzustellen.
Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemachte volle
Arbeitsunfähigkeit auch in angepassten Tätigkeiten findet in den Akten keine
Stütze. Nachdem Anzeichen für eine psychische Beeinträchtigung fehlen,
besteht kein Anlass für zusätzliche Abklärungen in dieser Richtung.

2.2 Zu prüfen bleibt der Einkommensvergleich. Dabei ist gestützt auf die von
der Verwaltung eingeholten Auskünfte erstellt und im Übrigen nicht
bestritten, dass der Beschwerdeführer ohne seine gesundheitlichen
Einschränkungen als Gerüstmonteur bei der Firma Y.________ AG im Jahr 2000
einen Verdienst von Fr. 57'150.- hätte erzielen können. Von diesem
hypothetischen Valideneinkommen ist auszugehen.

2.2.1 Die IV-Stelle zog zur Ermittlung des Einkommens, welches der
Beschwerdeführer in einer angepassten Tätigkeit zumutbarerweise noch erzielen
könnte, die Tabellenlöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 1996
bei. Sie rechnete bei dem dort für leichte, angelernte Hilfsarbeiten (Niveau
4) enthaltenen Monatslohn für Männer von Fr. 4'294.- die Teuerung der Jahre
1997 bis 1999 hinzu (0,5%, 0,7% und 0,3%; Tabelle B10.2, in Die
Volkswirtschaft 2003/Heft 2. S. 91; Urteil F. vom 15. Juli 2003, I 789/03).
Das Resultat von Fr. 4'358.72 rechnete sie auf einen Stundenlohn um (./. 4.33
Wochen pro Monat ./. 40 Arbeitsstunden in der Woche, auf welcher Basis die
LSE beruhen), was einen Ansatz von Fr. 25.17 ergab. Hievon gewährte sie dem
Beschwerdeführer wegen seiner auch in leichten Arbeiten bemerkbaren
Einschränkungen den maximal zulässigen Abzug von 25% von den Tabellenlöhnen
(dazu BGE 126 V 75, insbesondere 80 Erw. 5b/cc). Demnach erhielt die
Verwaltung einen zumutbaren Stundenlohn von Fr. 18.88. Diesen multiplizierte
sie mit 4 (Anzahl der dem Versicherten noch zumutbaren Arbeitsstunden pro
Tag), 21,7 (durchschnittliche Anzahl Arbeitstage im Monat) und 12 (Anzahl
Monate im Jahr; der 13. Monatslohn ist bei den Tabellenlöhnen der LSE bereits
berücksichtigt). Dies ergibt Fr. 19'665.- (in der Verfügung steht Fr.
19'668.-, welcher Verschrieb am Ergebnis nichts ändert), was im Vergleich zum
erwähnten hypothetischen Valideneinkommen einem Invaliditätsgrad von
aufgerundet 66% entspricht. Wird zusätzlich die Nominallohnentwicklung des
Jahres 2000 (Rentenbeginn Oktober 2000) berücksichtigt, steigt das
hypothetische Invalideneinkommen und sinkt der Invaliditätsgrad entsprechend.

2.2.2 Die Vorinstanz ging hingegen von den Tabellen der LSE 2000 aus. Sie zog
den Lohn für Männer auf Niveau 4 (Fr. 4'437.-) bei, wertete diesen
entsprechend auf, weil die durchschnittliche Arbeitszeit in der Schweiz im
Jahr 2000 41,8 Stunden betragen hatte, während die LSE-Zahlen auf 40
Arbeitsstunden beruhen, nahm eine Restarbeitsfähigkeit von 50% in angepassten
Arbeiten an, und gelangte so zu einem Monatslohn von Fr. 2'318.35. Hievon
gewährte das kantonale Gericht dem Beschwerdeführer ebenfalls die
höchstzulässige Reduktion um 25% und kam auf einen Invaliditätsgrad von
63,5%.

2.2.3 Sowohl die Berechnungsweise der Verwaltung als auch diejenige der
Vorinstanz unterschreiten somit den für die Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente vorgeschriebenen Schwellenwert von 662/3%. Selbst wenn der
Einkommensvergleich der Vorinstanz korrigiert und ihm eine
Restarbeitsfähigkeit von nur 48% statt 50% (Erw. 2.1 hievor) zu Grunde gelegt
würde, ergäbe sich nach Gewährung des Abzugs von 25% von den Tabellenlöhnen
ein Invaliditätsgrad von lediglich 64,95%. Daher kann offen bleiben, welche
Berechnungsweise den Vorzug verdient. Es besteht so oder anders kein Anspruch
auf eine ganze Invalidenrente. Die Einwendungen des Beschwerdeführers
vermögen daran nichts zu ändern. Dieser stützt sich auf den von der
Verwaltung ermittelten, aufgerundeten Wert von 66% und bezeichnet es als
überspitzt formalistisch, bei einem Invaliditätsgrad von 66% nur wegen der
fehlenden 0,66% keine ganze Rente zuzusprechen. Dem kann nicht beigepflichtet
werden, hat doch das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 127 V 129
jegliche Auf- und Abrundungen bei mathematisch einmal exakt ermittelten
Invaliditätsgraden als unzulässig erklärt. In dem zur Publikation in BGE 130
V vorgesehenen Urteil R. vom 19. Dezember 2003, U 27/02, hat das Gericht
dieses absolute Rundungsverbot in Änderung der Rechtsprechung zwar wohl
gelockert, dies jedoch bloss in dem Sinne, dass exakt errechnete Zahlen mit
Stellen nach dem Komma gemäss den anerkannten Regeln der Mathematik auf die
nächste ganze Prozentzahl auf- oder abzurunden sind; Rundungen in höherem
Ausmass hat das Gericht jedoch weiterhin abgelehnt. Damit besteht kein Raum,
den von der Verwaltung ermittelten Wert von 65,59% auf 66 2/3% aufzurunden.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung
kann gewährt werden, da die hiefür erforderlichen Voraussetzungen (BGE 125 V
202 Erw. 4a) als erfüllt betrachtet werden können. Dem Beschwerdeführer ist
angesichts des für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde notwendigen Aufwandes
eine reduzierte Entschädigung zuzusprechen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Dr.
Roland Ilg, Zürich, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 500.-
(inklusive Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kan-tons
Aargau, der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 26. Januar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: