Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 354/2003
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I 354/03

Urteil vom 17. März 2005
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Signorell

B.________, 1967, Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechtsdienst für
Behinderte, Bürglistrasse 11, 8002 Zürich,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 31. März 2003)

Sachverhalt:
B.________, geb. 1967, leidet an einer angeborenen Gehörlosigkeit. Er schloss
im Jahre 1989 eine durch die Invalidenversicherung finanzierte erstmalige
berufliche Ausbildung zum Schreiner ab und arbeitete in der Folge bis Ende
1999 auf seinem Beruf. Seit 1. Januar 2000 ist er als Hauswart beschäftigt.
Mit Verfügung vom 7. Februar 2002 lehnte die IV-Stelle Luzern nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens ein Gesuch um Übernahme der Kosten für
eine zeitweise benötigte Gebärdendolmetscherin ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies eine dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 31. März 2003 ab.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________ erneut die Kostenübernahme
für eine Gebärdendolmetscherin beantragen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum
Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Anspruch auf berufliche
Eingliederungsmassnahmen (Art. 8 Abs. 1 IVG), namentlich auf Gewährung von
Hilfsmitteln (Art. 8 Abs. 3 lit. d und Art. 21 Abs. 1 IVG) sowie zum Anspruch
auf Ersatz der invaliditätsbedingten Kosten für Dienstleistungen Dritter
(Art. 21bis Abs. 2 IVG und Art. 9 Abs. 1 HVI zutreffend dargelegt. Darauf
wird ebenso verwiesen wie auf die Erwägung zur Nichtanwendbarkeit des am 1.
Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, da nach dem
massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 7.
Februar 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsrichter nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b). Ergänzend ist festzuhalten, dass die auf den 1. Januar
2004 in Kraft getretenen Bestimmungen gemäss der Änderung des IVG vom 21.
März 2003 (4. IVG-Revision) ebenfalls nicht zu berücksichtigen sind.

1.2 Die Eingliederungsmassnahmen bestehen u.a. in Massnahmen beruflicher Art
(Art. 8 Abs. 3 lit. b IVG) sowie in der Abgabe von Hilfsmitteln (Art. 8 Abs.
3 lit. d IVG).
Im vorliegenden Fall ist einzig streitig, ob der Beschwerdeführer, nachdem er
eine Hauswarttätigkeit aufgenommen hatte, Anspruch auf Vergütung der Kosten
eines Gebärden-Dolmetschers hat. In Betracht fallen dabei Leistungen nach
Art. 21 Abs. 1 und 21bis Abs. 2 IVG.

2.
Der Beschwerdeführer arbeitete nach Abschluss der - von der
Invalidenversicherung bezahlten - Schreinerlehre in den Jahren 1989 bis Ende
1999 auf diesem Beruf. Als sich ihm die Möglichkeit bot, den Jugendtraum, als
Hauswart zu arbeiten, zu verwirklichen, wechselte er seine Erwerbstätigkeit
und nahm per 1. Januar 2000 eine Anstellung bei der Schule H.________ als
Hauswart an. Es ist daher zu Recht unbestritten, dass er unter dem Titel
Umschulung keine Leistungen der Invalidenversicherung beanspruchen kann.
Hingegen beantragt der Versicherte, dass die Kosten für den zeitweise
benötigten Gebärden-Dolmetscher (Teilnahme an Sitzungen) von der
Invalidenversicherung zu übernehmen seien.

3.
3.1 Verwaltung und Vorinstanz kann insofern nicht beigepflichtet werden, als
ein Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen deswegen verneint wurde, weil der
Versicherte nach seiner Ausbildung als Schreiner nicht mehr invalid im Sinne
von Art. 4 IVG gewesen sei. Der Berufswechsel sei aus eigenem Antrieb
erfolgt. Die Invalidenversicherung habe nämlich bei eingegliederten
Versicherten nur für Massnahmen aufzukommen, die notwendig und geeignet
seien, die wiedergewonnene Erwerbstätigkeit zu verbessern oder zu erhalten.
Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht wiederholt festgestellt hat, darf
sich die Verwaltung bei der Festlegung der Anforderungen, welche sie unter
dem Titel der Schadenminderung an den Versicherten stellt, nicht einseitig
vom öffentlichen Interesse an einer sparsamen und wirtschaftlichen
Versicherungspraxis leiten lassen; vielmehr hat sie auch die grundrechtlich
geschützten Betätigungsmöglichkeiten des Leistungsansprechers in seiner
Lebensgestaltung, z.B. im Rahmen eines beruflichen Aufstiegs, angemessen zu
berücksichtigen. Unter diesem grundrechtlichen Aspekt ist es durchaus
möglich, dass die Invalidenversicherung die berufliche Eingliederung des
Versicherten zum Hauswart durch die Abgabe von Hilfsmitteln und die
Kostenvergütung für Dienstleistungen Dritter unterstützen könnte. Indessen
ist zu betonen, dass die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 Abs. 2 BV)
grundsätzlich keinen Anspruch auf staatliche Leistungen verschafft (Urteil T.
vom 30. August 2004 [I 10/03] Erw. 3.2 und 3.3, BGE 113 V 31 Erw. 4d mit
Hinweisen, 118 V 211 Erw. 5b; vgl. auch BGE 130 I 26 Erw. 4.1 mit Hinweisen
und Christian Schürer, Grundrechtsbeschränkungen durch Nichtgewähren von
Sozialversicherungsleistungen, in: AJP 1997, Heft 1, S. 3-10).

3.2
3.2.1Nach Art. 21 Abs. 1 IVG hat der Versicherte im Rahmen einer vom
Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er u.a.
für die Ausübung seiner Erwerbstätigkeit bedarf. Die Befugnis zur Aufstellung
der Hilfsmittelliste hat der Bundesrat mit Art. 14 IVV an das Eidgenössische
Departement des Innern (EDI) übertragen, welches die Verordnung über die
Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI) mit
anhangsweise aufgeführter Hilfsmittelliste erlassen hat. Nach Ziff. 5.07*
HVI-Anhang gibt die Invalidenversicherung bei Schwerhörigkeit Hörgeräte ab,
sofern das Hörvermögen durch ein solches Gerät namhaft verbessert wird und
der Versicherte sich wesentlich besser mit der Umwelt verständigen kann.
Art. 21bis Abs. 2 IVG sieht vor, dass an die Kosten von Dienstleistungen
Dritter, die anstelle eines Hilfsmittels benötigt werden, die Versicherung
Beiträge gewähren kann. Gestützt auf Art. 14 lit. c IVV hat das EDI in Art. 9
HVI hiezu nähere Bestimmungen erlassen. Danach hat der Versicherte Anspruch
auf Vergütung der ausgewiesenen invaliditätsbedingten Kosten für besondere
Dienstleistungen, die von Dritten erbracht werden und anstelle eines
Hilfsmittels notwendig sind, um (a) den Arbeitsweg zu überwinden, (b) den
Beruf auszuüben oder (c) besondere Fähigkeiten zu erwerben, welche die
Aufrechterhaltung des Kontaktes mit der Umwelt ermöglichen (Abs. 1). Die
monatliche Vergütung darf weder den Betrag des monatlichen Erwerbseinkommens
des Versicherten noch den anderthalbfachen Mindestbetrag der ordentlichen
Altersrente übersteigen (Abs. 2).

3.2.2 Nach der gesetzlichen Regelung ist der Anspruch auf Kostenvergütung für
Dienstleistungen Dritter ausschliesslich substitutiver Natur, d.h. dass die
Dienstleistung an die Stelle eines Hilfsmittels treten muss, welches der
Versicherte an sich beanspruchen könnte (BGE 112 V 15 Erw. 1b). Entgegen der
früheren Rechtsprechung hat die Invalidenversicherung Dienstleistungen
Dritter nicht nur dann zu entschädigen, wenn der Invalide die Voraussetzungen
für die Abgabe eines bestimmten Hilfsmittels zwar erfüllen würde, dieses aber
wegen seines Gebrechens nicht gebrauchen kann. Es genügt, dass die
Substitution deswegen erforderlich ist, weil der Versicherte das ihm an sich
zustehende Hilfsmittel generell wegen Gegebenheiten, die in seiner Person
liegen, nicht verwenden kann. Diese Gegebenheiten können, müssen aber nicht
notwendigerweise mit seinem Gebrechen zusammenhängen (BGE 112 V 14 Erw. 1a in
fine).

3.3 Der Beschwerdeführer leidet an einer angeborenen vererbten Taubstummheit.
Er hat daher einen Anspruch auf die Abgabe von Hörgeräten (gemäss Ziff. 6.01
und 6.02 HVI Anhang [bis Ende 1992] bzw. gemäss Ziff. 5.07 HVI Anhang [ab 1.
Januar 1993]). Gemäss den Akten der IV-Stelle wurde ihm erstmals im Jahre
1969 ein Hörgerät leihweise abgegeben. Dieses wurde 1976 durch ein
Taschenhörgerät ersetzt. Eine Neuversorgung (Hinterohrgerät) erfolgte Ende
1981 (Verfügung vom 30. November 1981). Die seitherige Versorgung ist
aktenmässig in den Einzelheiten nicht dokumentiert. Es ist indessen nicht
davon auszugehen, dass diese Hilfsmittelabgabe aufgehoben worden ist.

3.4 Der Anspruch auf Kostenvergütung für Dienstleistungen Dritter ist
ausschliesslich substitutiver Natur (vgl. Erw. 3.2.2). Da der
Beschwerdeführer zu Lasten der Invalidenversicherung mit einem Hörgerät
versorgt ist, fehlt es an der Voraussetzung, die zu einer Substitution
berechtigten würde. Der Gebärden-Dolmetscher träte neben das vorgesehene
Hilfsmittel und käme einer zusätzlichen, weiteren Versorgung gleich, die
nicht vorgesehen ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 17. März 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: