Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 341/2003
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I 341/03

Urteil vom 25. September 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Ackermann

M.________, 1950, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Serge
Flury, Kasinostrasse 38, 5000 Aarau,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 26. März 2003)

Sachverhalt:

A.
M.________, geboren 1950, arbeitete von 1991 bis Juni 1996 teilzeitweise als
Lagermitarbeiterin für die Firma B.________ AG und von Februar 1997 bis Ende
März 1998 während etwa acht Stunden pro Woche als Putzfrau für das Heim
X.________. Sie meldete sich am 1. Juni 2001 bei der Invalidenversicherung
zum Rentenbezug an, worauf die IV-Stelle des Kantons Aargau je einen Bericht
des letzten Arbeitgebers vom 15. Juni 2001 und des Dr. med. A.________,
Allgemeine Medizin FMH, vom 19. Juni 2001 (mit medizinischen Vorakten) sowie
einen Zusammenzug der individuellen Konten einholte. Nachdem die Verwaltung
eine Abklärung an Ort und Stelle veranlasst (Bericht vom 11. Februar 2002),
einen weiteren Bericht des Dr. med. A.________ vom 2. April 2002 zu den Akten
genommen und einen Vorbescheid erlassen hatte, sprach sie M.________ mit
Verfügung vom 19. Juni 2002 vom 1. Juni 2000 bis zum 30. April 2001 eine
ganze und - wegen Verbesserung des Gesundheitszustandes - ab dem 1. Mai 2001
eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 26. März 2003 ab.

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und unter teilweiser Aufhebung der
Verwaltungsverfügung sei ihr über den 1. Mai 2001 hinaus eine ganze Rente der
Invalidenversicherung zu gewähren.

Die IV-Stelle schliesst sinngemäss auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zu Recht festgehalten hat, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (19. Juni 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). Zutreffend sind im Weiteren
die Darlegungen der Vorinstanz über den Begriff der Invalidität (Art. 4 IVG),
die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und
1bis IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen
Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), bei
nichterwerbstätigen Versicherten nach der spezifischen Methode (Art. 5 Abs. 1
und Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 sowie Abs. 2 IVV in
der am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Fassung) und bei Teilerwerbstätigen
nach der gemischten Methode (Art. 27bis Abs. 1 IVV in der ab 1. Januar 2001
geltenden Fassung in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 27 IVV sowie
Art. 28 Abs. 2 IVG). Dasselbe gilt für die Grundlagen des Entscheids über die
anwendbare Bemessungsmethode (BGE 125 V 150 Erw. 2c, 117 V 194 Erw. 3b, je
mit Hinweisen) und die Aufgabe der Ärzte bei der Invaliditätsbemessung (BGE
125 V 261 Erw. 4). Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen bleibt, dass bei rückwirkender Zusprechung einer abgestuften
Invalidenrente die für die Rentenrevision geltenden Bestimmungen analog
anzuwenden sind (Art. 41 IVG, Art. 88a IVV; BGE 125 V 418 Erw. 2d, AHI 1998
S. 121 Erw. 1b, je mit Hinweisen).

2.
Unbestritten sind die Anwendung der gemischten Bemessungsmethode und die
vollständige Arbeitsunfähigkeit im Erwerbsbereich. Streitig sind dagegen der
Umfang der Anteile des Erwerbs- und Haushaltsbereichs sowie die Höhe des
Invaliditätsgrades ab Februar resp. Mai 2001.

2.1  Die Vorinstanz geht von einem Erwerbsanteil von 60 % aus, da die
Beschwerdeführerin in den letzten zwanzig Jahren überwiegend in diesem Umfang
erwerbstätig gewesen sei und auch nach der Verbesserung der
Schulterbeschwerden im Jahr 1993 bis zum Eintritt ihrer psychiatrischen
Probleme 1998 keine Erhöhung des ausserhäuslichen Arbeitspensums vorgenommen
habe. Im mit 40 % gewichteten Haushaltsbereich stellt das kantonale Gericht
auf den Bericht über die Abklärung an Ort und Stelle vom 11. Februar 2002 ab
und geht ab Februar 2001 von einer Einschränkung im Umfang von 14 % aus, so
dass ab Februar 2001 ein Gesamtinvaliditätsgrad von 65.60 % resultiere. Die
Versicherte macht demgegenüber geltend, dass sie heute zu 80 % erwerbstätig
wäre; sie habe, seit ihre beiden Söhne erwachsen seien, kurze Zeit zu 80 %
gearbeitet, jedoch aus gesundheitlichen Gründen (Schulterbeschwerden) ihr
Pensum auf 60 % reduzieren müssen und ebenfalls wegen gesundheitlicher Gründe
(psychiatrische Beschwerden ab Juni 1995) nicht wieder erhöhen können.
Betreffend Anteil Haushalt sei der Bericht über die Abklärung an Ort und
Stelle nicht korrekt; insbesondere seien zwar ihre etwa zweimal pro Monat
auftretenden Schmerzschübe erwähnt, jedoch sei nicht berücksichtigt worden,
dass diese jeweils zwischen einer und drei Wochen andauerten.

2.2  Zunächst sind die jeweiligen Anteile von Haushalts- und Erwerbstätigkeit
festzulegen.

Unbestritten ist, dass die Versicherte von August 1991 bis März 1992 eine
Anstellung im Umfang von 80 % innegehabt hat, sich 1993 wegen
Schulterschmerzen einer Operation unterziehen musste und anschliessend
während etwa eines Jahres Dauerschmerzen hatte. Es ist anhand der Einträge in
den individuellen Konten mit der Vorinstanz zudem davon auszugehen, dass die
Erwerbstätigkeit vor und nach der entsprechenden Anstellung jeweils rund 60 %
(oder weniger) betragen hat. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
ausgeführt, dass sich die Versicherte vor 1991 vornehmlich um die Erziehung
ihrer beiden (1969 und 1973 geborenen) Söhne gekümmert hat, was ohne weiteres
nachvollzogen werden kann und somit nicht gegen eine später beabsichtigte
Erhöhung des ausserhäuslichen Arbeitspensums spricht. Jedoch fällt auf, dass
sich die Beschwerdeführerin nach dem Abklingen der postoperativen
Dauerschmerzen 1994 in keiner Weise um eine Ausdehnung ihres Arbeitspensums
auf 80 % bemüht hat; so wird denn auch nirgends ausgeführt (oder gar belegt),
sie habe Abklärungen betreffend Aufstockung des bisherigen Arbeitspensums
vorgenommen oder eine andere Stelle gesucht (oder sich gar bei der
Arbeitslosenversicherung angemeldet), was bei einem beabsichtigten Ausbau der
Erwerbsfähigkeit jedoch der Fall gewesen wäre. Diese Ausdehnung des
Erwerbsanteils wäre der Versicherten aus gesundheitlichen Gründen möglich
gewesen, denn die psychiatrischen Beschwerden traten nicht unmittelbar nach
dem Abklingen der postoperativen Dauerschmerzen 1993/1994, sondern - gemäss
eigenen Angaben - frühestens im Sommer 1995 auf, da Dr. med. A.________ in
seinem Bericht vom 19. Juni 2001 ausführt, die Versicherte sei "anamnestisch"
seit sechs Jahren 100 % arbeitsunfähig. Diese Äusserung gibt die eigene
Einschätzung der Beschwerdeführerin wieder und wird von ihr insofern
bestätigt, als im - vom Hausarzt zusammen mit seinem Bericht von Juni 2001
eingereichten - Bericht der Klinik Y.________ vom 21. Februar 2001 ausgeführt
wird, die Versicherte gebe an, seit etwa fünf Jahren an der psychiatrischen
Symptomatik zu leiden. Damit wäre es ihr - allein gestützt auf ihre Aussagen
gegenüber den behandelnden Ärzten und ohne dass sich dies nach dem aktuellen
Stand der Akten weiter belegen liesse - aus gesundheitlichen Gründen möglich
gewesen, ihr Pensum spätestens ab 1994 auf 80 % auszudehnen, wenn sie es
wirklich gewollt hätte. Da sie dies nicht getan hat und auch keine
entsprechenden Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen hat, ist der
Anteil der Erwerbsfähigkeit zusammen mit der Vorinstanz und der Verwaltung
auf 60 % festzulegen, während der Anteil Haushalt demzufolge 40 % beträgt.

2.3  Streitig ist im Weiteren das Ausmass der Einschränkungen im
Haushaltsbereich. Deren Bewertung basiert auf dem Abklärungsbericht vom 11.
Februar 2002 (vgl. Art. 69 Abs. 2 IVV). Für den Beweiswert eines solchen
Berichtes sind - analog zur Rechtsprechung zur Beweiskraft von Arztberichten
(BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis) - verschiedene Faktoren zu
berücksichtigen: Es ist wesentlich, dass der Bericht von einer qualifizierten
Person verfasst wird, die Kenntnis der örtlichen und räumlichen Verhältnisse
sowie der aus den medizinischen Diagnosen sich ergebenden Beeinträchtigungen
und Behinderungen hat. Weiter sind die Angaben des Versicherten zu
berücksichtigen, wobei divergierende Meinungen der Beteiligten im Bericht
aufzuzeigen sind. Der Berichtstext schliesslich muss plausibel, begründet und
angemessen detailliert bezüglich der einzelnen Einschränkungen sein und in
Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen Angaben stehen. Trifft
all dies zu, ist der Abklärungsbericht voll beweiskräftig. Das Gericht
greift, sofern der Bericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage im eben
umschriebenen Sinne darstellt, in das Ermessen der Abklärungsperson nur ein,
wenn klar feststellbare Fehleinschätzungen oder Anhaltspunkte für die
Unrichtigkeit der Abklärungsresultate (z.B. infolge von
Widersprüchlichkeiten) vorliegen. Das gebietet insbesondere der Umstand, dass
die fachlich kompetente Abklärungsperson näher am konkreten Sachverhalt ist
als das im Beschwerdefall zuständige Gericht (BGE 128 V 93; AHI 2003 S. 218
Erw. 2.3.2).

Die Versicherte macht - wie schon im vorinstanzlichen Verfahren - geltend,
dass im Abklärungsbericht vom 11. Februar 2002 die etwa zweimal monatlich
auftretenden Schmerzschübe zwar erwähnt seien, jedoch nicht richtig gewichtet
würden, denn diese dauerten jeweils zwischen ein bis maximal drei Wochen an,
sodass sie viel stärker eingeschränkt sei als im Bericht angenommen. In den
vorliegenden medizinischen Akten finden sich jedoch keine Anhaltspunkte, dass
die Beschwerdeführerin während zwei bis vier Wochen pro Monat Schmerzschübe
hätte, die ihr jegliche Tätigkeit verunmöglichten. Immerhin fällt auf, dass
die IV-Stelle im März/April 2002 einen (zweiten) Arztbericht des Hausarztes
Dr. med. A.________ eingeholt hat, dabei aber nur wissen wollte, ob eine
Verbesserung des Gesundheitszustandes vorliege und wie er die ausserhäusliche
Erwerbsarbeit beurteile; im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass sich der
Hausarzt schon in seinem ersten Bericht vom 19. Juni 2001 primär auf die
Arbeitsfähigkeit im Erwerbsbereich bezieht, sodass diese ärztlichen
Stellungnahmen - welche jeweils von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit
ausgehen - auch dahin verstanden werden könnten, es seien die von der
Versicherten geltend gemachten Schmerzschübe berücksichtigt und die
Arbeitsunfähigkeit betreffe somit auch den Haushaltsbereich. Sollte dies
effektiv der Fall sein, würde der Abklärungsbericht vom 11. Februar 2002 auf
einer falschen Grundlage beruhen: Falls sich die Schmerzschübe tatsächlich
über mindestens die Hälfte eines Monates erstrecken, wäre die Einschränkung
im Haushaltsbereich wohl grösser als im Abklärungsbericht angenommen. Da
damit Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des Berichtes über die Abklärung an
Ort und Stelle bestehen, kann dieser nicht unbesehen Grundlage des
Entscheides über die Einschränkungen im Haushaltsbereich sein. Die IV-Stelle
wird deshalb beim Hausarzt abzuklären haben, ob die geltend gemachten
Schmerzschübe im Frühjahr 2001 tatsächlich die von der Beschwerdeführerin
angegebene Dauer und Auswirkung aufgewiesen haben; sollte dies der Fall sein,
müsste dies anhand der Krankengeschichte durch den Hausarzt ohne weiteres
nachprüfbar sein, da dermassen starke Einschränkungen ohne Zweifel in der
Krankengeschichte notiert worden wären. Je nach Ausgang dieser
Aktenergänzungen ist der Abklärungsbericht zu revidieren und anschliessend
neu zu verfügen.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des letztinstanzlichen
Verfahrens entsprechend steht der obsiegenden Versicherten eine
Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 26. März 2003 und
die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 19. Juni 2002 aufgehoben
werden und die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen wird, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Rente neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
2'500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse Grosshandel und Transithandel, Reinach, und dem Bundesamt
für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 25. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: