Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 324/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


I 324/03

Urteil vom 2. September 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Schmutz

A.________, 1952, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel
Ehrenzeller, Engelgasse 214, 9053 Teufen,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 28. November 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1952 geborene A.________ arbeitete ab 1994 bis zu seiner aus
wirtschaftlichen Gründen erfolgten Entlassung per Ende 1996 als Zuschneider
von Zargenprofilen bei der Firma M.________ AG. Bis zur Mitteilung der
Entlassung im Oktober 1996 waren keine wesentlichen Krankheitsabsenzen zu
verzeichnen (1994: 3 Arbeitstage; 1995: 4 Arbeitstage; 1996: 0 Arbeitstage).
Ab dem 21. November 1996 schrieb ihn der Hausarzt wegen eines
Panvertebralsyndroms zu 100 % arbeitsunfähig. Am 6. Oktober 1997 meldete sich
A.________ zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Es
erfolgten medizinische Abklärungen im Medizinischen Zentrum B.________ und
berufliche Abklärungen in der Beruflichen Abklärungsstelle BEFAS,  und in der
Union, Zentrum X.________. Zwischen dem 31. Januar 2000 und dem 11. Februar
2000 fand am Spital Y.________ an drei Tagen eine ambulante MEDAS-Abklärung
statt. Man diagnostizierte ein diffuses chronisches Schmerzsyndrom
panvertebral und der linken Extremitäten mit vegetativen Begleitbeschwerden
sowie eine psychische Überlagerung von körperlichen Beschwerden bei Störung
der Persönlichkeitsentwicklung mit zyklothymen Zügen. In einer leichten bis
mittelschweren wechselbelastenden Tätigkeit betrage die Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit 20 %. Mit Verfügung vom 17. Oktober 2000 lehnte die
IV-Stelle des Kantons St. Gallen das Gesuch um Zusprechung einer
Invalidenrente ab, weil es A.________ mit einer zumutbaren Arbeit bei einer
Erwerbseinbusse von 28 % möglich wäre, ein rentenausschliessendes Einkommen
zu erzielen.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 28. November 2002 ab.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei ihm der Anspruch auf
mindestens eine halbe IV-Rente, eventualiter auf eine Viertelsrente
zuzuerkennen; eventualiter sei die Sache zum Vorgehen im Sinne der Erwägungen
an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die Invaliditätsbemessung
bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28
Abs. 2 IVG) und die Rechtsprechung zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der
Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 105 V 158 Erw.
1) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am
1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Gesundheitszustand sei ungenügend
abgeklärt und der Grad der Arbeitsunfähigkeit mit 20 % zu tief festgesetzt
worden. Der MEDAS-Bericht vom 14. März 2000 sei in verschiedenen Punkten
fehlerhaft oder nicht schlüssig.

2.1 Als Beispiel für Fehlerhaftigkeit wird erwähnt, dass die MEDAS-Gutachter
die Arbeitsunfähigkeit für die frühere Tätigkeit als Zuschneider von
Zargenprofilen lediglich auf 30 % geschätzt hätten, obwohl es sich dabei um
eine körperliche Schwerarbeit handelte. Dass die Gutachter die zuletzt
ausgeübte Tätigkeit (ohne Augenschein) als "körperlich teilweise
mittelschwer" einschätzten, setzt indes den Beweiswert des Gutachtens nicht
herab, denn von Relevanz ist lediglich, dass die Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit für körperlich teilweise mittelschwere Arbeiten auf 30 %
geschätzt wurde.

2.2 Der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwähnte Verschrieb bei der
Angabe der Griffkraft beider Hände ("Griffkraft rechts 5, rechts 8
[Rechtshänder]") beweist ebenso keine erhebliche Fehlerhaftigkeit bei der
Erstellung des Berichtes. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer gar nicht
aufgezeigt, inwiefern diesem Versehen bei der Beurteilung eines allfälligen
Rentenanspruchs überhaupt Tragweite zukommen könnte oder allenfalls sogar der
Beweiswert des Gutachtens betroffen wäre.

2.3 Auch die Rüge, das psychiatrische Konsilium habe im Rahmen der
MEDAS-Begutachtung eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aus psychischen
Gründen um 20 % ergeben, weshalb die MEDAS bei der gesamthaften Schätzung der
Arbeitsfähigkeit auf ebenfalls 20 % einfach über die somatischen Beschwerden
hinweg gegangen sei, dringt nicht durch.

2.3.1 Im Gutachten wurde klar ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer
eigentliche invalidenversicherungsrechtlich relevante psychiatrische Befunde
in den Hintergrund treten, weil keine schwerwiegenden psychischen
Erkrankungen (im Sinne einer Psychose aus dem Schizophrenieformenkreis, im
Sinne einer endogenen Depression, eines hirnorganischen Leidens oder einer
Suchtkrankheit) festgestellt werden konnten und auch differentialdiagnostisch
die Symptome für eine rezidivierende depressive Störung mit somatischem
Syndrom oder eine somatoforme Störung zu wenig ausgeprägt seien.

2.3.2 Die Gutachter stellten fest, dass das psychische Wohlbefinden und damit
indirekt die Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers durch in erster Linie
soziale Faktoren beeinflusst würden (Emigrationsproblematik, wirtschaftliche
Situation, mangelhafte Ausbildung, wenig Unterstützung durch Familie und
Freunde). Wenn sie darum in Anbetracht des soweit ersichtlich ausschliesslich
durch psychosoziale und soziokulturellen Umstände beeinträchtigten
psychischen Zustandes des Beschwerdeführers ihn "unter Beachtung aller
Aspekte" in leichten bis mittelschwer wechselbelastenden Tätigkeiten auf
insgesamt 20 % eingeschränkt arbeitsfähig beurteilten, so gingen sie entgegen
dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht "einfach über die somatischen
Beschwerden hinweg", sondern sie haben im Sinne von BGE 127 V 299 Erw. 5
beachtet, dass Art. 4 Abs. 1 IVG zu Erwerbsunfähigkeit führende
Gesundheitsschäden versichert, und soziokulturelle Umstände darunter nicht zu
begreifen sind. Je stärker psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren im
Einzelfall in den Vordergrund treten und das Beschwerdebild mitbestimmen,
desto ausgeprägter muss eine fachärztlich festgestellte psychische Störung
von Krankheitswert vorhanden sein, was vorliegend ganz offensichtlich nicht
der Fall ist. Das klinische Beschwerdebild darf nicht einzig in
Beeinträchtigungen, welche von den belastenden soziokulturellen Faktoren
herrühren, bestehen, sondern hat davon psychiatrisch zu unterscheidende
Befunde zu umfassen. Es muss zum Beispiel eine von depressiven
Verstimmungszuständen klar unterscheidbare andauernde Depression im
fachmedizinischen Sinne oder ein damit vergleichbarer psychischer
Leidenszustand vorliegen. Wo die Gutachter dagegen im Wesentlichen nur
Befunde erheben, welche in den psychosozialen und soziokulturellen Umständen
ihre hinreichende Erklärung finden, gleichsam in ihnen aufgehen, ist kein
invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden gegeben (vgl. AHI 2000 S.
153 Erw. 3).

3.
Auch die im Zusammenhang mit der Bestimmung des Invalideneinkommens durch die
Vorinstanz gerügten Mängel sind nicht stichhaltig.

3.1 Dem Postulat des Beschwerdeführers, es dürften in seinem Falle bei Beizug
der in der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung (LSE) ermittelten standardisierten Bruttolöhne lediglich
die Ansätze im unteren Quartilbereich berücksichtigt werden, ist darum nicht
zu folgen, weil Besonderheiten des Einzelfalls mittels eines prozentualen
Abzugs vom Tabellenlohn und nicht durch ein Abstellen auf den unteren
Quartilbereich des Zentralwertes Rechnung zu tragen ist (unveröffentlichtes
Urteil T. vom 28. April 1999, I 446/98).

3.2 Die Vorinstanz hat den prozentualen Abzug vom Tabellenlohn auf gesamthaft
15 % festgesetzt. Sie hat damit unter Würdigung der Umstände des vorliegenden
Einzelfalls ihr Ermessen pflichtgemäss ausgeübt. Nach Tabelle 6* der LSE 1998
verdienten Männer bei einem Teilzeitpensum zwischen 75 % und 89 % in
einfachen und repetitiven Tätigkeiten umgerechnet nur 6 % weniger als
Vollzeitbeschäftigte. Mit den weiteren rund 10 % ist auch den übrigen
Besonderheiten ausreichend Rechnung getragen worden, ist doch zu beachten,
dass die Vorinstanz das Invalideneinkommen bereits vorab um 3,2 % nach unten
korrigierte, um auszugleichen, dass das erzielte Valideneinkommen des
Beschwerdeführers unter dem statistischen Durchschnittseinkommen lag.

4.
Auf Grund der medizinischen Aktenlage und des rapportierten Sachverhalts
besteht kein Anlass für eine weitere Begutachtung oder zu anderen
Abklärungen. Von weiteren Beweisvorkehren ist darum abzusehen. Die Vorinstanz
ist in eingehender Würdigung der Akten zu Recht zum Schluss gelangt, dass der
Beschwerdeführer mangels Erreichen eines Invaliditätsgrades von 40 % keinen
Anspruch auf eine Invalidenrente hat.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 2. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: