Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 236/2003
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I 236/03

Urteil vom 28. Juli 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard;
Gerichtsschreiberin Amstutz

R.________, 1946, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 4. März 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 2. Juli 2002 lehnte die IV-Stelle Bern das Gesuch des 1946
geborenen R.________ um revisionsweise Zusprechung einer ganzen anstelle der
bisher ausgerichteten halben Invalidenrente (Rentenverfügung vom 5. Mai 1998,
bestätigt durch rechtskräftige Abweisung eines ersten Revisionsgesuchs am 21.
April 1999) mangels rentenerheblicher Verschlechterung des
Gesundheitszustands seit der letztmaligen materiellen Beurteilung des
Leistungsanspruchs ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 4. März 2003 ab.

C.
R.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag,
in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sowie der Verfügung vom 2. Juli
2002 sei ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Im vorinstanzlichen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze über die
strittige Frage der Rentenrevision (Art. 41 IVG in Verbindung mit Art. 87
Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 88a IVV in der bis 31. Dezember 2002 in Kraft
gültig gewesenen Fassung), insbesondere die in zeitlicher Hinsicht zu
vergleichenden Sachverhalte (BGE 125 V 369 Erw. 2 mit Hinweis) und relevanten
Gesichtspunkte (BGE 117 V 199 Erw. 3b; AHI 1997 S. 288 Erw. 2b), sowie die
Aufgabe des Arztes im Hinblick auf die Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261
Erw. 4 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu
ergänzen ist, dass am 1. Januar 2003 das Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft
getreten ist. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im
Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung
des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw.
1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines
Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: 2. Juli 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V
366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002
geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Vorinstanz und Verwaltung verneinten eine anspruchsbeeinflussende Änderung
des Gesundheitszustands im massgebenden Vergleichszeitraum von Frühjahr 1999
(rechtskräftige Ablehnung eines ersten Revisionsgesuchs; vgl. Urteil M. vom
28. Juni 2002 [I 50/02] Erw. 2b) bis zum Verfügungszeitpunkt im Juli 2002
einzig gestützt auf den Bericht des Dr. med. V.________, Facharzt FMH für
Chirurgie, vom 13. Juni 2002. Dieser bestätigt nach den zutreffenden
Erwägungen des kantonalen Gerichts die bereits 1999 bekannten Diagnosen
(chronisch rezidivierendes Schmerzsyndrom des rechten Armes [Ellbogen] sowie
Nacken- und Rückenbeschwerden aufgrund langjähriger Osteochondrose und
Spondylose im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule) und hält fest, die
körperlichen, geistigen und psychischen Einschränkungen seien die gleichen
geblieben wie 1997. Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts lässt
sich jedoch allein aufgrund dieser Aussagen eine anspruchsbeeinflussende
Änderung des Gesundheitszustands nicht ausschliessen. So ist aufgrund der
Akten erstellt, dass im Jahre 2000 neu Probleme im linken Fuss- und
Kniebereich auftauchten, der Beschwerdeführer aus diesem Grund längere Zeit
beim damaligen Hausarzt Dr. med. S.________ in Behandlung stand und es
schliesslich zu einer operativen Knorpelentfernung am linken Knie kam. Dieser
Umstand wird im Bericht des Dr. med. V.________ vom 13. Juni 2002 zwar
erwähnt (Anamnese); es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Arzt den
Versicherten diesbezüglich näher untersucht und die im Revisionsgesuch von
Januar 2002 als wesentlicher Grund für eine Gesundheitsverschlechterung
angegebenen Fuss- und Kniebeschwerden in die Befunderhebung miteinbezogen
hat; vielmehr beliess er es beim Hinweis, der mit diesem Leiden befasst
gewesene Dr. med. S.________ habe das Ausfüllen der "IV-Meldung" verweigert.
Für Dr. med. V.________ schien denn auch kein Anlass zu bestehen, auf die neu
erwähnten Fuss- und Kniebeschwerden und deren möglichen Auswirkungen
vertiefter einzugehen, war er doch im Juni 2002 - wie bereits in seiner
letzten Stellungnahme vom 24. Februar 1997 - der festen Überzeugung, dass
eine allenfalls zu bejahende Teilarbeitsfähigkeit in einer körperlich
angepassten Tätigkeit ungeachtet ihres Ausmasses praktisch nicht mehr
verwertbar sei. Entsprechend äusserte er sich weder im Bericht vom 24.
Februar 1997 noch in jenem vom 13. Juni 2002 verbindlich zum (theoretisch)
verbleibenden Leistungsvermögen, sondern sprach sich - ausserhalb seines
Aufgabenbereichs (vgl. Erw. 1 hievor) - generell für die Gewährung einer
ganzen Rente aus.

So wenig die Beschwerdegegnerin bei der ursprünglichen Prüfung der
Leistungsvoraussetzungen sowie im Rahmen des ersten Revisionsverfahrens im
Jahre 1999 auf die - bezüglich der Restarbeitsfähigkeit unspezifischen -
Aussagen des Dr. med. V.________ abstellen konnte (und dies auch nicht tat),
so wenig bietet dessen aktueller Bericht vom 13. Juni 2002 eine ausreichende
Grundlage für eine objektive Beurteilung der seitherigen Entwicklung des
Gesundheitszustands und dessen erwerblichen Auswirkungen. Namentlich die
Einschätzung des Dr. med. V.________, die körperlichen, geistigen und (bisher
nicht fachärztlich begutachteten) psychischen Einschränkungen seien trotz
leichter Verschlimmerung der gesundheitlichen Situation die "gleichen"
geblieben, entbehrt der Aussagekraft, nachdem der Arzt sich in der Frage der
(theoretischen) Restarbeitsfähigkeit bis anhin nie klar festgelegt hatte.
Dass im Bericht vom 13. Juni 2002 ferner die Notwendigkeit weiterer
medizinischer Abklärungen verneint wird, schliesst eine Verschlechterung des
Gesundheitszustands mit Einfluss auf das verbleibende Leistungsvermögen -
welches die Verwaltung gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. med.
G.________, Facharzt für Chirurgie und Orthopädie FMH, vom 27. Juni 1997
sowie den Bericht des Dr. med. M.________, Facharzt für Innere Medizin FMH,
vom 12. April 1999 auf 50 % bei vollzeitlichem Einsatz in leidensangepasster
Tätigkeit veranschlagt hat - ebenfalls nicht aus; denn auf eine ergänzende
medizinische Beurteilung zu verzichten, erübrigte sich für Dr. med.
V.________ nur schon deshalb, weil er ein tatsächlich verwertbares
Leistungsvermögen seit 1997 ohnehin klar verneinte. Schliesslich kann auch
aus der Tatsache, dass Dr. med. S.________ den ihm von der
Invalidenversicherung zugestellten Arztbericht nicht ausfüllte und am 28.
März 2002 mit dem blossen Verweis zurücksandte, er habe den Versicherten
zuletzt am 4. Oktober 2000 behandelt und wisse nichts über die aktuelle
hausärztliche Betreuung, nichts Verlässliches zur  gesundheitlichen
Entwicklung seit 1999 gewonnen werden. Zu berücksichtigen ist insbesondere,
dass der dem Bericht beigefügte Fragenkatalog der IV sich einzig auf ein -
aus den übrigen Akten nicht ersichtliches Augenleiden - bezog, jedoch mit
keinem Wort auf die von Dr. med. S.________ nachweislich behandelte Fuss- und
Knieproblematik Bezug nimmt, weshalb dieser sich aus gutem Grund als
Fachperson nicht angesprochen zu fühlen brauchte.

2.2 Nach dem Gesagten ist die Verwaltung zu ergänzenden Abklärungen,
insbesondere bezüglich der seit 2000 bestehenden Fuss- und Kniebeschwerden am
linken Bein des Versicherten, gehalten. Es drängt sich überdies eine
fachärztliche Beurteilung der Frage auf, ob sich die im Bericht des Dr. med.
M.________ vom 12. April 1999 als behandlungsbedürftig eingestufte
subdepressive bis depressive Stimmung mit aggressiver Komponente
zwischenzeitlich zu einem psychischen Leiden mit Krankheitswert verdichtet
hat, welches - wovon der Bericht des Dr. med. V.________ vom 13. Juni 2002
auszugehen scheint - zusätzlich zu den körperlichen Einschränkungen
eigenständige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit hat.

Im Rahmen einer Neubeurteilung des Revisionsgesuchs wird nebst der
gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers zu beachten sein, dass
Erwerbslosigkeit aus invaliditätsfremden Gründen (wie Alter,  mangelhafte
Ausbildung) als solche zwar keinen Rentenanspruch bzw. eine Änderung
desselben zu begründen vermag (BGE 107 V 21 Erw. 2c; AHI 1999 S. 238 f. Erw.
1; ZAK 1989 S. 315 Erw. 1b). Soweit aber die Zumutbarkeit weiterer
Erwerbstätigkeit nach Massgabe der Selbsteingliederungspflicht - in deren
Rahmen vom Versicherten keine realitätsfremden Vorkehren verlangt werden
dürfen (RKUV 1998 Nr. U 296 S. 242 Erw. 3d; BGE 113 V 38 Erw. 4a mit
Hinweisen) - und der auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt vorhandenen
Arbeitsgelegenheiten in Frage steht, stellt das fortgeschrittene Alter keinen
invaliditätsfremden Faktor dar. Vielmehr ist diesfalls zu beurteilen, ob für
den Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt realistischerweise
geeignete Arbeitsstellen zur Verfügung stehen, an denen er die ihm
verbleibende Resterwerbsfähigkeit zumutbarerweise noch ganz oder teilweise
verwerten kann (vgl. Urteile  N. vom 26. Mai 2003 [I 462/02] Erw. 2.3 und W.
vom 4. April 2002 [I 401/01] Erw. 4b; siehe auch Rüedi, im Spannungsfeld
zwischen Schadenminderungspflicht und Zumutbarkeitsgrundsatz bei der
Invaliditätsbemessung nach einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt, in:
Schaffhauser/Schlauri (Hrsg.), Rechtsfragen der Invalidität in der
Sozialversicherung, St. Gallen 1999, S. 41 f., 45). Im hier zu beurteilenden
Fall muss bezweifelt werden, ob sich auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt -
realistisch betrachtet - ein Arbeitgeber finden lässt, der bereit wäre, dem
nunmehr fast seit zehn Jahren nicht mehr erwerbstätig gewesenen, mangelhaft
ausgebildeten (erhebliche Lese- und Schreibschwierigkeiten), jedenfalls mit
Bezug auf vorwiegend sitzende Tätigkeiten feinmotorischer Art über keinerlei
Vorkenntnisse verfügenden und psychisch zumindest angeschlagenen
Beschwerdeführer im Alter von mittlerweilen 57 Jahren eine längerfristige
Stelle zuzusichern.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. März 2003 sowie die
Verfügung der IV-Stelle Bern vom 2. Juli 2002 aufgehoben werden und die Sache
an die Verwaltung zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im
Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch erneut befinde.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 28. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: