Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 22/2003
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I 22/03

Urteil vom 18. April 2005
II. Kammer

Bundesrichter Schön, Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Signorell

H.________, 1953, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Bruno
Habegger, Brauihof 2, Hübeligasse, 4900 Langenthal,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
Speichergasse 12, 3011 Bern, Beschwerdegegner

(Entscheid vom 11. Dezember 2002)

Sachverhalt:
H.________, geb. 1953, liess gegen eine Verfügung der IV-Stelle Bern vom 1.
Juli 2002 betreffend berufliche Massnahmen beim Verwaltungsgericht des
Kantons Bern Beschwerde führen. Gleichzeitig stellte sie ein Gesuch um
Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung, welches das kantonale Gericht
mit Zwischenentscheid vom 11. Dezember 2002 mangels Bedürftigkeit der
Gesuchstellerin abwies.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ beantragen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Zwischenentscheides sei ihr die unentgeltliche
Verbeiständung für das kantonale Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Weiter
ersucht sie für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht um
die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern verzichtet auf eine Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung eingetretenen
Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die
bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Der kantonale Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege gehört zu den Zwischenverfügungen, die einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können. Er kann daher selbstständig mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht
angefochten werden (Art. 5 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 und 2 lit. h VwVG
sowie Art. 97 Abs. 1 und Art. 128 OG; BGE 100 V 62 Erw. 1, 98 V 115; SVR 1994
IV Nr. 29 S. 75).

2.2 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf
unentgeltliche Verbeiständung im kantonalen Rechtsmittelverfahren (Art. 85
Abs. 2 lit. f AHVG in Verbindung mit Art. 69 IVG; BGE 125 V 202 Erw. 4a und
372 Erw. 5b, je mit Hinweisen) und in diesem Rahmen die Frage, ob die
Voraussetzung der Bedürftigkeit (BGE 108 V 269 Erw. 4; RKUV 2000 Nr. KV 119
S. 155 Erw. 2 mit Hinweisen) erfüllt ist.

4.
Die Bedürftigkeit als eine der Voraussetzungen für die Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung ist nach Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG (in der
bis zum 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) gleich zu verstehen wie
der Begriff der Bedürftigkeit im Sinne von Art. 152 Abs. 1 OG (vgl. RKUV 2000
Nr. KV 119 S. 154, 1996 Nr. U 254 S. 208 Erw. 2; SVR 1998 UV Nr. 11 S. 31
Erw. 4b). Als bedürftig gilt danach eine Person, wenn sie die Kosten eines
Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, derer sie
zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes für sich und ihre Familie
bedarf. Die Grenze für die Annahme von Bedürftigkeit im Sinne der Regeln über
die unentgeltliche Rechtspflege liegt höher als diejenige des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums. Bei der Prüfung der prozessualen
Bedürftigkeit geht es um die Frage, ob und inwieweit einer Partei zugemutet
werden kann, zur Wahrung ihrer Interessen neue Verpflichtungen einzugehen
oder entsprechende Verfügungen treffen zu müssen. Wohl dürfen von der
gesuchstellenden Person gewisse Opfer verlangt werden; sie soll aber nicht
gezwungen werden, sich in eine Notlage zu begeben und die für den Prozess
notwendigen Mittel dadurch zu beschaffen, dass sie anderen dringenden
Verpflichtungen nicht nachkommt. Für die Annahme der prozessualen
Bedürftigkeit genügt es, dass die gesuchstellende Person nicht über mehr
Mittel verfügt, als zur Bestreitung eines normalen, bescheidenen
Familienunterhalts nötig sind. Dabei sind die gesamten finanziellen
Verhältnisse ausschlaggebend; zu berücksichtigen sind daher u.a. auch fällige
Steuerschulden (RKUV 2000 Nr. KV 119 S. 155 Erw. 2 mit Hinweisen). Massgebend
sind die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (BGE 108 V 269 Erw. 4).

5.
5.1 Die Vorinstanz ging im Falle der Beschwerdeführerin von einem monatlichen
Einkommen von Fr. 3468.- und Auslagen von Fr.  2097.- aus, woraus ein
Überschuss von Fr. 1371.- resultiert. Auf der Ausgabenseite berücksichtigte
sie u.a. einen Mietzins von Fr. 330.- sowie Krankenkassenprämien von Fr. 87.-
(Grundversicherung).
Die Beschwerdeführerin verlangt, dass bei den Auslagen der ab 1. Januar 2003
zu bezahlenden Mietzins von Fr. 950.-, die Krankenkassenprämien von Fr. 590.-
(inklusive jener der Zusatzversicherungen), die monatlichen Abzahlungsraten
von Fr. 300.- für eine Rechnung des Spitals S.________ und von Fr. 142.- für
eine Spezialnähmaschine sowie von Fr. 500.- für die Erstausstattung ihrer
Wohnung hinzuzuzählen seien.

5.2 Da die im Verfügungszeitpunkt geltenden wirtschaftlichen Verhältnisse
massgebend sind, hat die Vorinstanz richtigerweise nur einen Mietzins von Fr.
330.- als anrechenbare Ausgabe anerkannt. Ebenso wenig zu beanstanden ist,
dass sie nur die Prämien für die Grundversicherung in der Krankenversicherung
zulässt. Mit der Grundversicherung sind obligatorisch die Risiken des
Krankheitsfalls gedeckt. Zusatzversicherungen dienen im Wesentlichen der
Komforterhöhung (wie etwa freie Arzt- und Spitalwahl, Einzelzimmer im Spital,
usw.). Derartige Zusatzleistungen gehören nicht zum notwendigen
Lebensunterhalt. Auch wenn sich die Beschwerdeführerin in anerkennenswerter
Weise um ihre kleinwüchsige Mutter bemüht, so sind  daraus entstehende Kosten
(namentlich jene für die Anschaffung der Nähmaschine) weder solche des
eigenen notwendigen Lebensunterhalts noch familienrechtlicher Natur. Sie
müssen daher bei den Auslagen unberücksichtigt bleiben.
Bleibt noch zu prüfen, ob die monatlichen Zahlungen von Fr. 300.- an das
Spital S.________ mit zu berücksichtigen sind. Nach dem vorinstanzlichen
Berechnungsblatt für die unentgeltliche Rechtspflege können "Ratenzahlungen"
und "Selbstbehalte" als anrechenbare Auslagen geltend gemacht werden. Gemäss
einem Schreiben vom 5. April 2001 schuldet die Beschwerdeführerin dem Spital
S.________ einen Differenzbetrag von Fr. 8000.-, welchen sie aufgrund ihres
Gesuches vom 9. März 2001 in monatlichen Minimalraten Fr. 300.- abzahlen
kann. Anhand dieser Angaben ist zwar nicht überprüfbar, ob es sich dabei um
einen oder mehrere Selbstbehalte oder um etwas anderes handelt. Eine
abschliessende Prüfung kann indessen offen bleiben, denn mit der Anerkennung
dieses Betrages verbliebe weiterhin ein Einnahmenüberschuss. Dies gilt auch,
wenn zusätzlich ein Betrag von Fr. 500.- für die Erstausstattung einer
Wohnung angerechnet würde.

5.3 Der Entscheid über das Armenrecht ist ein prozessleitender Entscheid, der
nur formell, jedoch nicht materiell rechtskräftig wird (Walder-Richli,
Zivilprozessrecht, 4. Aufl., S. 279 f. N 134 ff.). Es bleibt der
Beschwerdeführerin unbenommen, ein neues, mit den erforderlichen Belegen
versehenes Gesuch einzureichen, welches der Richter aufgrund der seit dem
Ablehnungsentscheid veränderten tatsächlichen Verhältnissen materiell zu
prüfen hat (Walder-Richli, a.a.O., S. 280 N 141).

6.
Das sinngemäss gestellte Begehren um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege für das letztinstanzliche Verfahren erweist sich hinsichtlich
der Gerichtskosten als gegenstandslos, da Verwaltungsgerichtsbeschwerden
wegen Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege grundsätzlich nicht der
Kostenpflicht unterliegen (SVR 1994 IV Nr. 29 S. 76 Erw. 4). Bezüglich der
unentgeltlichen Verbeiständung ist das Gesuch abzuweisen, da die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde als aussichtslos bezeichnet werden muss (Art.
152 OG; ZAK 1989 S. 279 Erw. 2a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 119 Ia 11 Erw.
3a, 118 Ia 370).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der IV-Stelle Bern zugestellt.
Luzern, 18. April 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: