Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 205/2003
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I 205/03

Urteil vom 13. August 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber
Ackermann

O.________, 1949, Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechtsdienst
Z.________,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 10. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
O. ________, geboren 1949, arbeitete von 1981 bis zu seiner Entlassung Ende
Juli 1998 als Betriebsmitarbeiter für die Firma X.________ AG. Im September
1995 erlitt er einen Arbeitsunfall und es mussten ihm in der Folge anderthalb
Glieder des linken Ringfingers amputiert werden. Im September 1998 meldete
sich O.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, worauf
die IV-Stelle Bern die Akten des Unfallversicherers beizog und Abklärungen
durch Dr. med. H.________, Psychiatrie Psychotherapie FMH (Gutachten vom 12.
Januar 1999), sowie durch die Kardiologie des Spitals Y.________ (Berichte
vom 19. Januar und 20. April 1999) veranlasste. Nach erfolgtem Vorbescheid
lehnte die IV-Stelle den Rentenanspruch mit Verfügung vom 23. Juli 1999 ab,
da kein Gesundheitsschaden mit Invaliditätscharakter vorliege. Dagegen wurde
kein Rechtsmittel ergriffen.

Im September/Oktober 2001 meldete sich O.________ erneut zum Leistungsbezug
an. Die IV-Stelle nahm daraufhin einen Bericht des Hausarztes Dr. med.
M.________, Facharzt für Innere Medizin FMH, vom 24. Oktober 2001 zu den
Akten und veranlasste eine weitere Begutachtung durch Dr. med. H.________
(Gutachten vom 28. Februar 2002). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren
sprach die IV-Stelle mit Verfügung vom 19. Juni 2002 O.________ mit Wirkung
ab dem 1. Januar 2001 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu,
verneinte jedoch mit Verfügung vom 9. Juli 2002 den Anspruch auf berufliche
Massnahmen, da es für den Anspruch auf Umschulungsmassnahmen an der
erforderlichen Eingliederungswirksamkeit und für denjenigen auf
Arbeitsvermittlung an den behinderungsbedingten Schwierigkeiten bei der
Stellensuche fehle.

B.
Die gegen die Verfügung von Juli 2002 erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 10. Februar 2003 ab.

C.
O.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung seien
ihm berufliche Eingliederungsmassnahmen zu gewähren.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen und Grundsätze für den Anspruch eines
Invaliden auf Arbeitsvermittlung zutreffend dargestellt (Art. 18 Abs. 1 Satz
1 IVG; BGE 116 V 80, Urteil F. vom 15. Juli 2002, I 421/01). Darauf wird
verwiesen. Wie das kantonale Gericht weiter zu Recht festgehalten hat, ist
das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden
Fall nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (9. Juli 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Streitgegenstand ist einzig der Anspruch auf Arbeitsvermittlung; wie der
Begründung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde klar entnommen werden kann, sind
weitere Eingliederungsmassnahmen nicht Gegenstand des Verfahrens; die
Rentenverfügung von Juni 2002 ist im Übrigen nicht angefochten worden und die
Verwaltung ist offensichtlich auf die Neuanmeldung von Herbst 2001
eingetreten (vgl. dazu BGE 117 V 198 Erw. 3a).

2.1 Das kantonale Gericht geht davon aus, dass gemäss den vorliegenden
Arztberichten keine invaliditätsbedingten Einschränkungen ausgewiesen seien,
wonach der Versicherte Hilfe bei der Stellensuche benötige, und auch keine
limitierenden Bedingungen für die Ausübung der Restarbeitsfähigkeit vorlägen.
Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Ansicht, wegen seiner
querulatorischen Persönlichkeit bei der Stellensuche auf das Fachwissen der
Organe der Invalidenversicherung angewiesen zu sein; insbesondere seien einem
potenziellen Arbeitgeber die ihm offen stehenden Möglichkeiten zu erläutern.

2.2 Es fragt sich, ob der Beschwerdegegner wegen seiner Leiden Probleme bei
der Stellensuche hat.

Der psychiatrische Experte Dr. med. H.________ geht in seinem Gutachten vom
28. Februar 2002 - im Gegensatz zu seiner Expertise von Januar 1999 - wegen
psychischer Beeinträchtigungen von einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % aus (was
schlussendlich die Grundlage der Zusprechung einer halben Rente der
Invalidenversicherung bildet). Wie den vorliegenden Akten entnommen werden
kann, wäre der Versicherte aus somatischen Gründen vollständig arbeitsfähig;
den psychischen Problemen des Beschwerdeführers (Fixation, querulatorische
Grundhaltung, schwer steuerbare aggressive Impulsdurchbrüche) wird dahin
Rechnung getragen, dass nur noch eine Arbeitsleistung von 50 % als
gesundheitlich zumutbar erachtet wird, sodass sie - entgegen der Auffassung
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - keine weitergehenden Limitierungen an
eine Arbeitsstelle darstellen. Der vorliegende Gesundheitsschaden verursacht
jedoch Probleme bei der - in einem umfassenden Sinne verstandenen -
Stellensuche selber (Urteil F. vom 15. Juli 2002, I 421/01): Die
Persönlichkeitsstruktur des Versicherten bedingt nämlich gerade die
Notwendigkeit, einem potenziellen Arbeitgeber die Möglichkeiten und Grenzen
des Versicherten zu erläutern, damit dieser überhaupt eine Chance hat, den
Arbeitsplatz zu erhalten und er sich nicht durch sein aggressives und
querulatorisches Verhalten - welches offensichtlich Krankheitswert hat und
gemäss der Einschätzung des psychiatrischen Experten zu einer
Arbeitsunfähigkeit von 50 % führt - schon während der Bewerbung jede
Möglichkeit des Stellenerhalts verunmöglicht. Im Weiteren ist der Versicherte
auf das Fachwissen und die entsprechende Hilfe der Vermittlungsbehörden
angewiesen, da er aus invaliditätsbedingten Gründen - seiner
Persönlichkeitsstruktur mit Krankheitswert - spezielle Anforderungen an den
Arbeitgeber resp. die Arbeitsumgebung (Mitarbeiter) stellen muss (vgl. zum
Ganzen Urteil F. vom 15. Juli 2002, I 421/01; vgl. auch BGE 116 V 82 Erw. 6b
und Urteil L. vom 11. März 2003, I 171/02). Damit liegt eine
leistungsspezifische Invalidität vor; die IV-Stelle wird die weiteren - bis
jetzt noch nicht geprüften - Voraussetzungen des Anspruchs auf
Arbeitsvermittlung durch die Invalidenversicherung abklären und anschliessend
neu verfügen.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses entsprechend steht dem obsiegenden Versicherten eine
Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 10. Februar 2003 und
die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 9. Juli 2002, soweit die
Arbeitsvermittlung betreffend, aufgehoben werden und die Sache an die
IV-Stelle zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne
der Erwägungen, über den Anspruch auf Arbeitsvermittlung neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle Bern hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 800.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 13. August 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: