Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 198/2003
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I 198/03

Urteil vom 7. Juli 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter
Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Hochuli

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

W.________, 1938, Beschwerdegegner,

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 17. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1938 geborene W.________ leidet seit einem Unfall vom 3. September 1962
an Tetraplegie und bezieht unter anderem seit 1. Januar 1965 eine ganze
Invalidenrente sowie seit 1. September 1996 eine Hilflosenentschädigung wegen
schwerer Hilflosigkeit. Mit Schreiben vom 30. Mai 2002 ersuchte er die
IV-Stelle Basel-Landschaft (nachfolgend: IV-Stelle) sinngemäss um Übernahme
einer Gesichtsmaske im Wert von Fr. 532.60 als Hilfsmittel zur Erleichterung
der nächtlichen Atmung, weil er unter Schlafapnoe leide, wie anlässlich eines
Aufenthaltes im Paraplegiker Zentrum X.________ festgestellt worden sei. Er
verwies auf ein beiliegendes Schreiben der  Versicherung Y.________ vom 15.
Mai 2002, womit diese eine Leistungspflicht aus der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung hinsichtlich der Kosten für die Gesichtsmaske
abgelehnt hatte. Mit Verfügung vom 10. Juli 2002 verneinte auch die IV-Stelle
einen Anspruch auf Übernahme der Gesichtsmaske als Hilfsmittel, weil dieser
Behelf keiner bestehenden Hilfsmittelkategorie zugeordnet werden könne.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des W.________ hiess das Kantonsgericht
Basel-Landschaft in dem Sinne gut, als es die Sache zur Vornahme weiterer
Abklärungen und zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle
zurück wies (Entscheid vom 17. Februar 2003).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) sinngemäss, der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 17. Februar 2003 sei aufzuheben.

Sowohl W.________ als auch die IV-Stelle verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf
Hilfsmittel der Invalidenversicherung (Art. 21 Abs. 1 und 2 IVG), die
Kompetenz zum Erlass einer Hilfsmittelliste durch den Bundesrat bzw. das
Eidgenössische Departement des Innern (Art. 21 Abs. 4 IVG in Verbindung mit
Art. 14 IVV und der HVI), die Hilfsmittel für die Selbstsorge (Ziff. 14 HVI
Anhang) sowie die Rechtsprechung zur abschliessenden oder
exemplifikatorischen Aufzählung der Hilfsmittel in den einzelnen
Hilfsmittelkategorien (BGE 121 V 260 Erw. 2b mit Hinweisen) richtig
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

1.2 Beizufügen bleibt, dass am 1. Januar 2003 das Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in
Kraft getreten ist. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im
Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung
des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw.
1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines
Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: vom 10. Juli 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE
121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002
geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
Streitig ist, ob W.________ Anspruch auf Übernahme der Gesichtsmaske durch
die Invalidenversicherung hat.

2.1 Die Vorinstanz bejahte dies für den Fall, dass ergänzende Abklärungen das
Krankheitsbild einer Schlafapnoe bestätigen würden und diese gesundheitliche
Beeinträchtigung ein invalidisierendes Ausmass annähme. Träfe dies zu, müsse
die Atemmaske als Hilfsmittel zur Selbstsorge qualifiziert werden, welches
von der Invalidenversicherung zu übernehmen sei. Die IV-Stelle habe es somit
zu Unrecht unterlassen, nach Eingang des Leistungsgesuches abzuklären, worauf
die nächtlichen Atemstillstände zurückzuführen seien und ob eine allfällig
diagnostizierte Krankheit (z.B. Schlafapnoe) zu Invalidität im Sinne von Art.
4 Abs. 1 IVG führe.

2.2 Demgegenüber argumentiert das BSV, zur Beantwortung der Frage, ob die
Gesichtsmaske von der Invalidenversicherung zu übernehmen sei, bedürfe es
keiner weiteren Abklärungen durch die IV-Stelle. Die Gesichtsmaske sei
Bestandteil eines vom Versicherten benutzten Behandlungsgeräts (Atemgerät)
und bildete mit diesem eine funktionelle Einheit. Die Maske werde nur bei der
Atemtherapie während des nächtlichen Schlafes getragen und könne schon aus
diesem Grunde nicht als Hilfsmittel im Sinne von Art. 21 IVG bezeichnet bzw.
den "Hilfsmitteln für die Selbstsorge" (Ziff. 14 HVI Anhang) zugeordnet
werden.

3.
Unter einem Schlafapnoesyndrom wird eine schlafbezogene Atemstörung mit
Sistieren des Atemgasflusses an Nase und Mund mit oder ohne Obstruktion der
oberen Atemwege verstanden. Anamnestisch wird über mehrfaches "Einnicken" am
Tag, besonders bei monotonen Tätigkeiten, berichtet und nachts über sehr
häufige apnoische Pausen, die durch laute schnarchende Atemzüge beendet
werden. Die Therapie kann unter anderem durch eine nasale kontinuierliche
Überdruckbeatmung (CPAP [= continuous positive airway pressure]) erfolgen.
Die konservative Behandlung muss oft lebenslang fortgesetzt werden
(Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Berlin/New York 2002, S.
1496; Kruse/Schettler [Hrsg.], Allgemeinmedizin, Berlin/New York 1995, S. 489
f.).

4.
Zunächst ist zu prüfen, ob ein Anspruch auf Übernahme der Gesichtsmaske durch
die Invalidenversicherung unter dem Titel Hilfsmittel gegeben ist.

4.1 Praxisgemäss ist unter einem Hilfsmittel des IVG ein Gegenstand zu
verstehen, dessen Gebrauch den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des
menschlichen Körpers zu ersetzen vermag (BGE 115 V 194 Erw. 2c mit Hinweis).
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat bisher zum Beispiel in folgenden
Fällen den Hilfmittelbegriff als nicht erfüllt erachtet: bei einem Gerät zur
Ozonanreicherung der Luft (ZAK 1963 S. 285), bei einem Inhalationsapparat zur
regelmässigen,  alle zwei bis drei Stunden erforderlichen
Sauerstoffversorgung (ZAK 1973 S. 91) sowie bei einem Myelostat
(Rückenmarkstimulator; BGE 101 V 267; vgl. auch Meyer-Blaser, Rechtsprechung
des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 158).

4.2 Selbst wenn der Versicherte die beantragte Atemmaske benötigen und sich
diese als zweckmässig erweisen sollte, was vorliegend offen bleiben kann,
vermag dies allein keine Zuordnung zu den in Ziff. 14 HVI Anhang erwähnten
Hilfsmittelkategorien zu rechtfertigen.

Der Gesetzgeber hat in Art. 21 Abs. 1 IVG dem Bundesrat die Kompetenz
übertragen, in der von ihm aufzustellenden Liste aus der Vielzahl
zweckmässiger Hilfsmittel eine Auswahl zu treffen. Dabei nahm er in Kauf,
dass mit einer solchen Aufzählung nicht sämtliche sich stellenden Bedürfnisse
gedeckt werden. Um in Notfällen dennoch helfen zu können, richtet der Bund
gemeinnützigen Institutionen jährlich namhafte Beträge u.a. auch zur
Finanzierung von Dienst- und Sachleistungen zu Gunsten von Invaliden aus
(Art. 10 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG; Botschaft zum Entwurf
eines Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen-
und Invalidenversicherung vom 21. September 1964, BBl 1964 II 695 ff.).

Lässt sich ein Hilfsmittel keiner der im HVI-Anhang aufgeführten Kategorien
zuordnen, ist es nicht zulässig, einen Anspruch gegenüber der
Invalidenversicherung direkt aus der Zielsetzung des Gesetzes abzuleiten, da
damit das dem Bundesrat und dem Departement eingeräumte Auswahlermessen durch
dasjenige der Verwaltung und des Gerichts ersetzt würde. Art. 21 IVG
beschränkt den Leistungsanspruch ausdrücklich auf Hilfsmittel, die in der vom
Bundesrat aufzustellenden Liste enthalten sind. Die Aufzählung der unter
Ziff. 14 des HVI-Anhanges erwähnten Hilfsmittelkategorien ist abschliessend
(SVR 1996 Nr. 90 S. 270 Erw. 2b mit Hinweis). Das Eidgenössische
Versicherungsgericht verwarf es im zuletzt genannten Entscheid, in Bezug auf
die Nichtaufnahme eines Blasenkatheters und Gleitmittels in die Liste des
HVI-Anhanges eine Lücke anzunehmen, welche durch gerichtliches Eingreifen
auszufüllen wäre. Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung (Erw. 4.1
hievor) ist es nicht willkürlich, dass Bundesrat und Departement die im
Rahmen der Behandlung durch Überdruckbeatmung (CPAP) erforderliche
Gesichtsmaske nicht in die HVI aufgenommen haben.

5.
Es bleibt zu prüfen, ob die Gesichtsmaske als Behandlungsgerät im Rahmen
einer medizinischen Massnahme im Sinne von Art. 12 IVG zu Lasten der
Invalidenversicherung geht.

5.1 Art. 12 Abs. 1 IVG umschreibt die Vorkehren medizinischer Art, welche von
der Invalidenversicherung nicht zu übernehmen sind, mit dem Rechtsbegriff
"Behandlung des Leidens an sich". Wo und solange labiles pathologisches
Geschehen besteht und mit medizinischen Vorkehren angegangen wird, seien sie
kausal oder symptomatisch, auf das Grundleiden oder dessen Folgeerscheinungen
gerichtet, stellen solche Heilmassnahmen, sozialversicherungsrechtlich
betrachtet, Behandlung des Leidens an sich dar. Dem labilen pathologischen
Geschehen hat die Rechtsprechung seit jeher im Prinzip alle nicht
stabilisierten Gesundheitsschäden gleichgestellt, die Krankheitswert haben.
Demnach gehören jene Vorkehren, welche auf die Heilung oder Linderung
pathologischen oder sonst wie Krankheitswert aufweisenden Geschehens labiler
Art gerichtet sind, nicht ins Gebiet der Invalidenversicherung. Erst wenn die
Phase des (primären oder sekundären) labilen pathologischen Geschehens
insgesamt abgeschlossen und ein stabiler bzw. relativ stabilisierter Zustand
eingetreten ist, kann sich - bei volljährigen Versicherten - überhaupt die
Frage stellen, ob eine Vorkehr Eingliederungsmassnahme sei. Die
Invalidenversicherung übernimmt in der Regel nur unmittelbar auf die
Beseitigung oder Korrektur stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle
gerichtete Vorkehren, sofern sie die Wesentlichkeit und Beständigkeit des
angestrebten Erfolges im Sinne des Art. 12 Abs. 1 IVG voraussehen lassen.
Dagegen hat die Invalidenversicherung eine Vorkehr, die der Behandlung des
Leidens an sich zuzuzählen ist, auch dann nicht zu übernehmen, wenn ein
wesentlicher Eingliederungserfolg vorausgesehen werden kann. Der
Eingliederungserfolg, für sich allein betrachtet, ist im Rahmen des Art. 12
IVG kein taugliches Abgrenzungskriterium, zumal praktisch jede ärztliche
Vorkehr, die medizinisch erfolgreich ist, auch im erwerblichen Leben eine
entsprechende Verbesserung bewirkt (BGE 120 V 279 Erw. 3a, 115 V 194 Erw. 3,
112 V 349 Erw. 2, 105 V 19 und 149, 104 V 82, 102 V 42).
Stabilisierende Vorkehren richten sich immer gegen labiles pathologisches
Geschehen. Deshalb muss eine kontinuierliche Therapie, die notwendig ist, um
das Fortschreiten eines Leidens zu verhindern, als Behandlung des Leidens an
sich bewertet werden. Keine stabile Folge von Krankheit, Unfall oder
Geburtsgebrechen ist daher ein Zustand, der sich nur dank therapeutischer
Massnahmen einigermassen im Gleichgewicht halten lässt, gleichgültig welcher
Art die Behandlung sei. Ein solcher Zustand ist, solange er im Gleichgewicht
bewahrt werden kann, wohl stationär, aber nicht im Sinne der Rechtsprechung
stabil. Die medizinischen Vorkehren, die zur Aufrechterhaltung des
stationären Zustandes erforderlich sind, können daher von der
Invalidenversicherung nicht übernommen werden (BGE 102 V 42 f.; AHI 1999 S.
127 Erw. 2d mit Hinweisen).

5.2 Die vom Versicherten beantragte, im Rahmen der Behandlung durch
Überdruckbeatmung (CPAP) erforderliche Gesichtsmaske zielt auf eine
kontinuierliche Inganghaltung der Atmung während des nächtlichen Schlafes ab,
um apnoe-bedingte Schlafunterbrechungen zu verhindern. Eine solche
konservative Behandlung ist beim Schlafapnoesyndrom, wie schon gesagt (Erw. 3
in fine), häufig lebenslänglich notwendig (Kruse/Schettler [Hrsg.], a.a.O.,
S. 490). Die CPAP-Therapie stellt mithin keine Vorkehr zur Heilung oder
Verhinderung eines stabilen Defektzustandes dar, sondern dient der
Aufrechterhaltung eines stationären Zustandes und kann somit nach konstanter
Rechtsprechung nicht als medizinische Eingliederungsmassnahme im Sinne von
Art. 12 IVG gelten. Daran ändert nichts, dass der Gesundheitszustand des
Versicherten bezüglich seiner Tetraplegie als stabil bezeichnet werden kann
und die Schlafapnoe möglicherweise keiner Heilung mehr zugänglich ist. Es
besteht kein Anlass, diese konstante Rechtsprechung für einen bestimmten
Kreis von Versicherten zu ändern (zu den Voraussetzungen für eine
Rechtsprechungsänderung vgl. BGE 111 V 170 Erw. 5b mit Hinweisen, 110 V 124
Erw. 2e, 108 V 17 Erw. 3b). Die fragliche Leistung ist demnach keine
medizinische Massnahme im Sinne von Art. 12 IVG.

6.
Hat die IV-Stelle nach dem Gesagten im Ergebnis die Übernahme der im Rahmen
der Schlafapnoe-Behandlung durch Überdruckbeatmung (CPAP) erforderlichen
Gesichtsmaske zu Recht abgelehnt, ist von einer Rückweisung an die Verwaltung
zur Durchführung weiterer Abklärungen abzusehen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 17. Februar 2003 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und der IV-Stelle Basel-Landschaft und
der Ausgleichskasse Basel-Landschaft zugestellt.
Luzern, 7. Juli 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: