Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 194/2003
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I 194/03

Urteil vom 10. September 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Hadorn

K.________, 1963, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

IV-Stelle Nidwalden, Stansstaderstrasse 54, 6371 Stans, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Stans

(Entscheid vom 16. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene K.________ bezog ab 1. Februar 1992 eine ganze
Invalidenrente. Mit Verfügung vom 22. April 1994 setzte die IV-Stelle
Nidwalden diese auf eine halbe herab. Am 24. Juni 1996 ersuchte K.________ um
revisionsweise Erhöhung auf eine ganze Rente. Die IV-Stelle lehnte dieses
Gesuch mit Verfügung vom 4. Dezember 1996 ab und hob zudem die halbe Rente
auf Ende Januar 1997 auf.

B.
Eine daraufhin erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Nidwalden mit Entscheid vom 11. August 1997 ab.

C.
Die hiegegen geführte Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das Eidgenössische
Versicherungsgericht mit Urteil vom 12. Juni 1998 in dem Sinne gut, dass es
die Sache zu näheren Abklärungen an die IV-Stelle zurückwies.

D.
Die IV-Stelle holte ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS)
vom 5. Juli 1999 ein und lehnte die Ausrichtung einer Rente mit Verfügung vom
29. September 1999 erneut ab.

E.
Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Nidwalden mit Entscheid vom 2. Oktober 2000 ab.

F.
Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin wies das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Sache mit Urteil vom 26. Oktober 2001 an das
kantonale Gericht zurück, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre.

G.
Das Versicherungsgericht des Kantons Nidwalden holte ein Obergutachten von
Dr. med. F.________, Oberarzt Forensik an der Psychiatrischen Klinik des
Spitals X.________, vom 22. Juli 2002 ein und wies die Sache mit Entscheid
vom 16. Dezember 2002 an die IV-Stelle zurück, damit sie im Sinne der
Erwägungen erneut über den Rentenanspruch von K.________ verfüge.

H.
K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei
ihm eine ganze Invalidenrente auszurichten. Zudem ersucht er um
unentgeltliche Verbeiständung.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung sich nicht vernehmen lässt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach Art. 4 Abs. 1 IVG gilt als Invalidität die durch einen körperlichen
oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit
oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde
Erwerbsunfähigkeit.

1.2 Zu den geistigen Gesundheitsschäden, welche in gleicher Weise wie die
körperlichen eine Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG zu bewirken
vermögen, gehören neben den eigentlichen Geisteskrankheiten auch seelische
Abwegigkeiten mit Krankheitswert. Nicht als Auswirkungen einer krankhaften
seelischen Verfassung und damit invalidenversicherungsrechtlich nicht als
relevant gelten Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, welche die
versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, Arbeit in
ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden vermöchte, wobei das Mass des
Forderbaren weitgehend objektiv bestimmt werden muss. Es ist somit
festzustellen, ob und in welchem Masse eine versicherte Person infolge ihres
geistigen Gesundheitsschadens auf dem ihr nach ihren Fähigkeiten offen
stehenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann. Dabei kommt es
darauf an, welche Tätigkeit ihr zugemutet werden darf. Zur Annahme einer
durch einen geistigen Gesundheitsschaden verursachten Erwerbsunfähigkeit
genügt es also nicht, dass die versicherte Person nicht hinreichend
erwerbstätig ist; entscheidend ist vielmehr, ob anzunehmen ist, die
Verwertung der Arbeitsfähigkeit sei ihr sozial-praktisch nicht mehr zumutbar
oder - als alternative Voraussetzung - sogar für die Gesellschaft untragbar
(BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V
298 Erw. 4c in fine).

1.3 Nach Art. 28 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf eine ganze
Rente, wenn er mindestens zu 66 2/3 %, auf eine halbe Rente, wenn er
mindestens zu 50 % oder auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 %
invalid ist; in Härtefällen hat der Versicherte nach Art. 28 Abs. 1bis IVG
bereits bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % Anspruch auf eine
halbe Rente.

1.4 Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist
im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 29. September 1999) eingetretene
Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad. Die Vorinstanz hat erwogen,
dass der Beschwerdeführer in einer angepassten Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig
sei. Sie wies die Sache im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurück,
nämlich damit diese einen Einkommensvergleich erstelle und prüfe, ob
allenfalls ein Abzug von den einschlägigen Tabellenlöhnen gemäss BGE 126 V 78
in Frage komme. Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts stellt der Rückweisungsentscheid einer kantonalen
Rekursinstanz eine im Sinne von Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG
und Art. 5 VwVG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische
Versicherungsgericht anfechtbare Endverfügung dar. Anfechtbar ist
grundsätzlich nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines
Entscheides. Verweist indessen das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides
ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und
haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft
teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für
die Behörde, an die die Sache zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung
verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den Streitgegenstand, ist
somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (BGE 120 V 237 Erw. 1a mit
Hinweis). Daher trifft die Argumentation in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zu, dass die Vorinstanz den Grad der Arbeitsfähigkeit in einer angepassten
Tätigkeit für die IV-Stelle verbindlich auf 50 % festgesetzt hat. Diese
Vorgabe ist mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten worden. Demnach
ist vorliegend zu prüfen, welche Restarbeitsfähigkeit der Beschwerdeführer in
einer ihm zumutbaren Tätigkeit noch aufweist. Die darauf gestützte Berechnung
des Invaliditätsgrades mittels Einkommensvergleichs hingegen wird die
IV-Stelle vornehmen.

2.1 Im Urteil vom 26. Oktober 2001 (I 48/01) hatte das Eidgenössische
Versicherungsgericht festgestellt, dass sich zwei gleichwertige medizinische
Gutachten gegenüber standen: die Expertise der MEDAS vom 5. Juli 1999 und
diejenige von Dr. med. H.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom
11. März 2000. Während die MEDAS auf eine volle Arbeitsfähigkeit in der
bisherigen Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter sowie in jeglicher andern
Hilfsarbeit schloss, hielt Dr. H.________ den Versicherten aus psychischen
Gründen nur noch für 25 % arbeitsfähig. Da sich das Gericht ausser Stande
sah, die Widersprüche zwischen den beiden Expertisen zu beurteilen, wies es
die Sache an die Vorinstanz zurück, damit sie hierüber ein Obergutachten
einhole. Dem kam das kantonale Gericht in der Weise nach, dass es das
forensisch-psychiatrische Obergutachten von Dr.  F.________ vom 22. Juli 2002
sowie ein ergänzendes Schreiben des selben Arztes vom 2. August 2002 beizog.

2.2 Dr. F.________ schätzte die Restarbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in
einer zumutbaren Verweisungstätigkeit auf 50 %, worauf die Vorinstanz
abgestellt hat. Der Versicherte bezeichnet das Gutachten als oberflächlich,
was sich schon daran zeige, dass eine klärende Zusatzauskunft habe eingeholt
werden müssen. Wohl sei er mehrmals in den Kosovo gereist; daraus auf eine
verbliebene Belastungsfähigkeit zu schliessen, gehe jedoch schon deshalb
nicht an, weil der Beschwerdeführer sich in seiner Heimat jeweils in ein
verdunkeltes Zimmer zurückziehe, jedoch in keiner Weise bei den notwendigen
Alltagsarbeiten Hand reiche. Die Vorinstanz habe nicht begründet, weshalb sie
dem Gutachten von Dr. F.________ den Vorzug gegenüber demjenigen von Dr.
H.________ gegeben habe.

2.3 Die Einwendungen des Beschwerdeführers gegenüber dem Gutachten von Dr.
F.________ vermögen nicht zu überzeugen. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass
es sich bei der Bezifferung der Arbeitsunfähigkeit mit 70 % auf Seite 15 des
Gutachtens, welche zu einer Nachfrage beim Experten geführt hat, um etwas
anderes als einen blossen Verschrieb handeln könnte. Dr. F.________ setzt
sich sodann mit den Widersprüchen zwischen den beiden Vorgutachten
auseinander und begründet seine Schlussfolgerungen in nachvollziehbarer
Weise. Dass sich der Beschwerdeführer gemäss Angaben des Bruders im Kosovo
jeweils in ein verdunkeltes Zimmer zurückzog, vermag nicht darüber
hinwegzutäuschen, dass der Versicherte mehrmals in der Lage war, die lange
Reise in die Heimat auf sich zu nehmen. Es lässt sich deshalb nicht
beanstanden, wenn die Vorinstanz gestützt auf das Obergutachten eine
Arbeitsfähigkeit von 50 % in einer angepassten Verweisungstätigkeit
angenommen hat.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung
kann gewährt werden, da die entsprechenden Voraussetzungen (BGE 125 V 202
Erw. 4b) erfüllt sind. Der Beschwerdeführer wird jedoch auf Art. 152 Abs. 3
OG hingewiesen, wonach er dem Gericht Ersatz zu leisten haben wird, falls er
dereinst dazu im Stande sein sollte.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Dr.
Bruno Häfliger, Luzern, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Parteientschädigung von Fr.
2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Nidwalden, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 10. September 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: